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Übrig bleiben immer die Bilder. Aber weniger die, die
einem sofort einfallen, nicht Marylin über dem Lüftungsschacht
mit wehendem Rock, nicht Jack Lemmon und Tony Curtis in Frauenkleidern,
nicht Lilo Pulver und Hotte Buchholz im Nachkriegsberlin.
Natürlich bleiben sie auch. Aber vor allem bleiben die
anderen.
Der Moment, an dem wir eben erst vom Tode Billy Wilders erfahren
haben, des letzten Überlebenden aus der Runde der großen,
von den Nazis vertriebenen Film-Emigranten, derjenigen, die
wie Ernst Lubitsch, William Wyler, Fritz Lang erst das Hollywood
schufen, das man heute kennt, ist der richtige Zeitpunkt,
daran zu erinnern, das Billy Wilder weit mehr war, als der
witzig-geniale Spaßmacher, als der er jetzt - natürlich
ganz zu Recht - einmal mehr gefeiert wurde.
Nicht weniger wesentlich für das Werk dieses Filmemachers
ist seine schwarze Seite, sind die kalten Thriller, die abgründigen
Dramen, die subversiven Dialoge, die alles, was Hollywood
an moralischen Vorstellungen gern feierte, mit Leichtigkeit
aus den Angeln hoben.
"Meine einzige Ambition bestand darin, zu unterhalten,
mich nicht zu wiederholen, und so wenig Fehler zu machen,
wie möglich." - wie viele Regisseure, etwa Alfred
Hitchcock, mit dem ihn weit mehr verband, als man auf den
ersten Blick vermutet, versteckte Wilder seine Fähigkeiten
gern hinter banalen Erklärungen. "Ich wollte immer
etwas anderes machen, mich nicht langweilen" begründete
er die Vielfalt seines Werks in dem trotzdem äußerst
lesenswerten, fast 300 Seiten starken Werk-Gespräch,
dass er mit US-Regisseur Cameron Crowe geführt hat ("Hat
es Spaß gemacht, Mr.Wilder?", Diana Vlg.; München
2000). Darum habe er versucht seinen Film ZEUGIN DER ANKLAGE
(WITNESS OF THE PROSECUTION) "a la Hitchcock" zu
drehen (was ihm so perfekt gelungen ist, dass nicht wenige
Kinoliebhaben den Film wirklich für ein Hitchcock-Werk
halten und jedenfalls nicht für eines von Wilder). Dann
folgte eine Komödie "a la Lubitsch", seinem
größten Vorbild. An Originalität fehlte es
Wilder dabei nie. Er war nicht nur der Künstler der Pointen
und der nie endenden Beschleunigung der Handlung - "der
dritte Akt muss schneller, schneller, schneller werden und
Action bis zum Schluß bieten" lautet die vorletzte
seiner 11 goldenen Regeln des Filmemachens. Vor allem war
Wilder ein Perfektionist der Atmosphären und der einfallsreichen
Kameraarbeit.
Der vielgerühmte Wilder-Touch besteht dabei gerade darin,
dass dieser Regisseur sich nie an Vorgaben und "Gesetze"
hielt, vielmehr immer gekonnt gegen sie verstieß. Vom
einem Genre ging er ganz beiläufig in das andere über.
So besitzen die besten von Wilders Komödien - etwa sein
persönlicher Lieblingsfilm THE APARTMENT (1961) - immer
einen bitter-tragischen Grundzug, fehlt in seinen Krimis umgekehrt
nie die Komik. Auch dies teilt er mit Hitchcock, und ähnlich
wie bei diesem lassen sich seine Filme auch gut als Tragikomödien
des einfachen Mannes verstehen. Nur der witzige Spaßmacher,
auf den er allzu gern reduziert wird, war Wilder wie gesagt
nie.
Am 22.Juni 1906 kam er als Sohn des Besitzers einer Kette
von Bahnhofsrestaurants im jüdischen Milieu des damals
noch zum kaiserlichen Österreich gehörenden Galizien
zur Welt. Seiner amerikabegeisterten Mutter - sie hatte als
junges Mädchen einige Zeit in New York gelebt - verdankt
er seinen Rufnamen. 1914 zog die Familie nach Wien, und dort
begann Wilder nach dem Schulabschluß auch ein Jurastudium
- das er freilich schon nach drei Monaten wieder angeödet
abbrach. Fortan verdiente er sein Geld als Sport- und Kriminal-Reporter.
Mit 20 Jahren zog er ins wilde 20er-Jahre-Berlin und arbeitete
dort als freier Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen. Nebenbei
begann er auch mit dem Schreiben von Drehbüchern.
Wirklich mit einer Filmproduktion in Berührung kam Wilder
erstmals 1929. Mit drei anderen Freunden arbeitete er an einem
Filmprojekt mit, dass als Jugendspaß begann, doch bald
mit einer gewissen Ernsthaftigkeit betrieben wurde. Heute
gilt MENSCHEN AM SONNTAG als einer der schönsten und
besten Filme der Weimarer Republik; ein Übergangsfilm,
der zwei kaum vereinbare Extreme verbindet: Einerseits noch
Stummfilm, andererseits schon völlig befreit vom Ballast
des Expressionismus, ein Film im Stil der "Neuen Sachlichkeit"
und bereits geprägt vom Geist des "einfach hinausgehen
und Filme machen", der erst 30 Jahre später in den
Filmen der "Nouvelle Vague" und im deutschen Autorenfilm
Fortsetzung fand. Die drei anderen Beteiligten dieses Gemeinschaftswerks
und großen Kassenerfolges waren Curt und Robert Siodmak
und Fred Zinnemann - Avantgarde-Filmer, die kurz darauf nach
Hollywood emigrierten. Danach schrieb Wilder ERICH UND DIE
DETEKTIVE, ein intimes Porträt der Stadt nach Kästners
Roman. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand verließ
Wilder Berlin, und emigrierte über Paris nach Hollywood.
Zuerst schlug er sich als Drehbuchautor durch. Bald bekam
er Kontakt zum bereits erfolgreich arbeitenden Ernst Lubitsch,
für den er fortan als Autor arbeitete. Für zwei
von Lubitschs erfolgreichsten Filmen, BLAUBARTS 8TE FRAU und
NINOTCHKA, schrieb Wilder das Drehbuch.
Mit seiner ersten Regiearbeit kam der Durchbruch: Der kaltschnäuzige
Film Noir-Thriller DOUBLE INDEMNITY, zu dem der Schriftsteller
Raymond Chandler das Drehbuch schrieb, versammelte 1944 bereits
auch all die sozialsatirischen Elemente, die sein Werk prägen
sollten. Das private Drama eines kleinen Angestellten, eine
existentialistische Beschreibung jenes "Ekels" und
"Überdrußes", wie ihn Sartre, Kafka und
Moravia beschrieben, also eine ganz unspektakuläre, alltägliche,
aber ins Innerste gehende Irritation. Dabei ein ganz schonungsloser
Film, geprägt von dem Trauma der Emigration, den Erfahrungen
des Weltkriegs, und doch voller menschlicher Anteilnahme für
seine mörderischen Hauptfiguren. Schonungslosigkeit und
Anteilnahme - eines geht nicht ohne das andere.
Aus dieser Welt der düsteren Schwarzweißbilder
kommt Wilder, und sie hat er genaugenommen nie verlassen.
"Es war ein heißer Sommer, und der Gestank von
Leichen lag überall in der Luft" notierte er über
seine sechs Monate in seiner alten Heimat Berlin im Sommer
1945. Da bemühte er sich um die ersten Anfänge der
Filmindustrie, hatte auch zu tun mit den Bildern, die die
Amerikaner aus den befreiten KZs mitbrachten und einer ungläubigen,
fassungslosen Welt präsentierten. "Es war wie Dantes
Inferno, und man spazierte hindurch wie im Museum." -
auch dieser Satz galt dem zertrümmerten Berlin, über
das er dann seinen übernächsten Film drehte, A FOREIGN
AFFAIR, eine bittere Abrechnung auch mit der Arbeit der amerikanischen
Besatzer - sehr zum Verdruß von Kongreß und Verteidigungsministerium.
Aber es war Selbstkritik, denn nach Deutschland wollte er
nie mehr zurück.
Lange Zeit ist der amerikanische Traum sein Thema, der samtweich
scheiternde, lautlos mißglückte. Ihn findet man
in der Depression, die den von Fred McMurray gespielten Versicherungsangestellten
in DOUBLE INDEMNITY zum Mörder werden läßt.
Oder in den Figuren des SUNSET BOULEVARD, die allesamt belegen,
dass von der Fabrik des amerikanischen Traums nur noch das
Trauma und der Tod übriggeblieben ist.
Und man trifft ihn noch in Baxter, dem anderen Angestellten,
den Jack Lemmon in THE APARTMENT spielt, auch in der moralischen
Korruption seiner Liebe Miss Kubelik, die Shirley McLaine
spielt. Oder in seinem hysterischsten Film, ONE, TWO, THREE,
der auch nur scheinbar eine Satire über den Staats-Kommunismus
des Ostens ist, tatsächlich ein Werk über die Dekadenz
des Westens. Seine eigenen Erlebnisse als Journalist verarbeitete
Wilder in dem kühl-harten Melodram THE BIG CARNIVAL (REPORTER
DES SATANS) mit Kirk Douglas in der Hauptrolle eines zynischen
Journalisten. Ein Werk über die Wahrheit hinter dem hehren
Gebot der Meinungsfreiheit. "Ich bin kein Gutmensch"
begründete Wilder diese Verknüpfung von scharfer
Kritik und schwarzem Humor. Und nur weil seine Filme so dunkel
sind, funktionieren sie als Komödien so hervorragend.
Mit seinen 26 Filmen gewann er nicht nur 6 Oscars und 22
Oscarnominierungen, sowie weltweit unzählige weitere
Preise und Anerkennungen; er arbeitete dabei auch in fast
jedem Filmgenre. Neben seinen weltberühmten Komödien
- SOME LIKE IT HOT (1959), DAS VERFLIXTE SIEBTE JAHR (THE
SEVEN YEAR ITCH) (1955) - gehören zu seinem vielfältigen,
originellen Werk auch melancholische Romanzen wie SABRINA
(1954) und SUNSET BOULEVARD (1950), Thriller wie WITNESS FOR
PROSECUTION (1957) oder eben DOUBLE INDEMNITY (1944).
Bis in seine letzten Filme - etwa AVANTI, AVANTI (1972) -
liebte Wilder den Spaß am Extrem. Er hat den dunkelsten
Film Noir, den überdrehtesten Monroe-Film, das entlarvendste
und zugleich verklärendste Hollywoodportrait und die
besten Jack Lemmon-Filme gedreht. Nur kurze Zeit nach seinem
Lieblingsstar ist die Kinolegende Billy Wilder nun 95jährig
in Hollywood gestorben.
Rüdiger Suchsland
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