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04.04.2002
 
 
       

Meister der Übergänge
Zum Tod der Kinolegende Billy Wilder

 
 
Drei glorreiche Halunken
   
 
 
 
 

Übrig bleiben immer die Bilder. Aber weniger die, die einem sofort einfallen, nicht Marylin über dem Lüftungsschacht mit wehendem Rock, nicht Jack Lemmon und Tony Curtis in Frauenkleidern, nicht Lilo Pulver und Hotte Buchholz im Nachkriegsberlin. Natürlich bleiben sie auch. Aber vor allem bleiben die anderen.
Der Moment, an dem wir eben erst vom Tode Billy Wilders erfahren haben, des letzten Überlebenden aus der Runde der großen, von den Nazis vertriebenen Film-Emigranten, derjenigen, die wie Ernst Lubitsch, William Wyler, Fritz Lang erst das Hollywood schufen, das man heute kennt, ist der richtige Zeitpunkt, daran zu erinnern, das Billy Wilder weit mehr war, als der witzig-geniale Spaßmacher, als der er jetzt - natürlich ganz zu Recht - einmal mehr gefeiert wurde.

Nicht weniger wesentlich für das Werk dieses Filmemachers ist seine schwarze Seite, sind die kalten Thriller, die abgründigen Dramen, die subversiven Dialoge, die alles, was Hollywood an moralischen Vorstellungen gern feierte, mit Leichtigkeit aus den Angeln hoben.

"Meine einzige Ambition bestand darin, zu unterhalten, mich nicht zu wiederholen, und so wenig Fehler zu machen, wie möglich." - wie viele Regisseure, etwa Alfred Hitchcock, mit dem ihn weit mehr verband, als man auf den ersten Blick vermutet, versteckte Wilder seine Fähigkeiten gern hinter banalen Erklärungen. "Ich wollte immer etwas anderes machen, mich nicht langweilen" begründete er die Vielfalt seines Werks in dem trotzdem äußerst lesenswerten, fast 300 Seiten starken Werk-Gespräch, dass er mit US-Regisseur Cameron Crowe geführt hat ("Hat es Spaß gemacht, Mr.Wilder?", Diana Vlg.; München 2000). Darum habe er versucht seinen Film ZEUGIN DER ANKLAGE (WITNESS OF THE PROSECUTION) "a la Hitchcock" zu drehen (was ihm so perfekt gelungen ist, dass nicht wenige Kinoliebhaben den Film wirklich für ein Hitchcock-Werk halten und jedenfalls nicht für eines von Wilder). Dann folgte eine Komödie "a la Lubitsch", seinem größten Vorbild. An Originalität fehlte es Wilder dabei nie. Er war nicht nur der Künstler der Pointen und der nie endenden Beschleunigung der Handlung - "der dritte Akt muss schneller, schneller, schneller werden und Action bis zum Schluß bieten" lautet die vorletzte seiner 11 goldenen Regeln des Filmemachens. Vor allem war Wilder ein Perfektionist der Atmosphären und der einfallsreichen Kameraarbeit.

Der vielgerühmte Wilder-Touch besteht dabei gerade darin, dass dieser Regisseur sich nie an Vorgaben und "Gesetze" hielt, vielmehr immer gekonnt gegen sie verstieß. Vom einem Genre ging er ganz beiläufig in das andere über. So besitzen die besten von Wilders Komödien - etwa sein persönlicher Lieblingsfilm THE APARTMENT (1961) - immer einen bitter-tragischen Grundzug, fehlt in seinen Krimis umgekehrt nie die Komik. Auch dies teilt er mit Hitchcock, und ähnlich wie bei diesem lassen sich seine Filme auch gut als Tragikomödien des einfachen Mannes verstehen. Nur der witzige Spaßmacher, auf den er allzu gern reduziert wird, war Wilder wie gesagt nie.

Am 22.Juni 1906 kam er als Sohn des Besitzers einer Kette von Bahnhofsrestaurants im jüdischen Milieu des damals noch zum kaiserlichen Österreich gehörenden Galizien zur Welt. Seiner amerikabegeisterten Mutter - sie hatte als junges Mädchen einige Zeit in New York gelebt - verdankt er seinen Rufnamen. 1914 zog die Familie nach Wien, und dort begann Wilder nach dem Schulabschluß auch ein Jurastudium - das er freilich schon nach drei Monaten wieder angeödet abbrach. Fortan verdiente er sein Geld als Sport- und Kriminal-Reporter. Mit 20 Jahren zog er ins wilde 20er-Jahre-Berlin und arbeitete dort als freier Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen. Nebenbei begann er auch mit dem Schreiben von Drehbüchern.

Wirklich mit einer Filmproduktion in Berührung kam Wilder erstmals 1929. Mit drei anderen Freunden arbeitete er an einem Filmprojekt mit, dass als Jugendspaß begann, doch bald mit einer gewissen Ernsthaftigkeit betrieben wurde. Heute gilt MENSCHEN AM SONNTAG als einer der schönsten und besten Filme der Weimarer Republik; ein Übergangsfilm, der zwei kaum vereinbare Extreme verbindet: Einerseits noch Stummfilm, andererseits schon völlig befreit vom Ballast des Expressionismus, ein Film im Stil der "Neuen Sachlichkeit" und bereits geprägt vom Geist des "einfach hinausgehen und Filme machen", der erst 30 Jahre später in den Filmen der "Nouvelle Vague" und im deutschen Autorenfilm Fortsetzung fand. Die drei anderen Beteiligten dieses Gemeinschaftswerks und großen Kassenerfolges waren Curt und Robert Siodmak und Fred Zinnemann - Avantgarde-Filmer, die kurz darauf nach Hollywood emigrierten. Danach schrieb Wilder ERICH UND DIE DETEKTIVE, ein intimes Porträt der Stadt nach Kästners Roman. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand verließ Wilder Berlin, und emigrierte über Paris nach Hollywood. Zuerst schlug er sich als Drehbuchautor durch. Bald bekam er Kontakt zum bereits erfolgreich arbeitenden Ernst Lubitsch, für den er fortan als Autor arbeitete. Für zwei von Lubitschs erfolgreichsten Filmen, BLAUBARTS 8TE FRAU und NINOTCHKA, schrieb Wilder das Drehbuch.
Mit seiner ersten Regiearbeit kam der Durchbruch: Der kaltschnäuzige Film Noir-Thriller DOUBLE INDEMNITY, zu dem der Schriftsteller Raymond Chandler das Drehbuch schrieb, versammelte 1944 bereits auch all die sozialsatirischen Elemente, die sein Werk prägen sollten. Das private Drama eines kleinen Angestellten, eine existentialistische Beschreibung jenes "Ekels" und "Überdrußes", wie ihn Sartre, Kafka und Moravia beschrieben, also eine ganz unspektakuläre, alltägliche, aber ins Innerste gehende Irritation. Dabei ein ganz schonungsloser Film, geprägt von dem Trauma der Emigration, den Erfahrungen des Weltkriegs, und doch voller menschlicher Anteilnahme für seine mörderischen Hauptfiguren. Schonungslosigkeit und Anteilnahme - eines geht nicht ohne das andere.

Aus dieser Welt der düsteren Schwarzweißbilder kommt Wilder, und sie hat er genaugenommen nie verlassen. "Es war ein heißer Sommer, und der Gestank von Leichen lag überall in der Luft" notierte er über seine sechs Monate in seiner alten Heimat Berlin im Sommer 1945. Da bemühte er sich um die ersten Anfänge der Filmindustrie, hatte auch zu tun mit den Bildern, die die Amerikaner aus den befreiten KZs mitbrachten und einer ungläubigen, fassungslosen Welt präsentierten. "Es war wie Dantes Inferno, und man spazierte hindurch wie im Museum." - auch dieser Satz galt dem zertrümmerten Berlin, über das er dann seinen übernächsten Film drehte, A FOREIGN AFFAIR, eine bittere Abrechnung auch mit der Arbeit der amerikanischen Besatzer - sehr zum Verdruß von Kongreß und Verteidigungsministerium. Aber es war Selbstkritik, denn nach Deutschland wollte er nie mehr zurück.

Lange Zeit ist der amerikanische Traum sein Thema, der samtweich scheiternde, lautlos mißglückte. Ihn findet man in der Depression, die den von Fred McMurray gespielten Versicherungsangestellten in DOUBLE INDEMNITY zum Mörder werden läßt. Oder in den Figuren des SUNSET BOULEVARD, die allesamt belegen, dass von der Fabrik des amerikanischen Traums nur noch das Trauma und der Tod übriggeblieben ist.

Und man trifft ihn noch in Baxter, dem anderen Angestellten, den Jack Lemmon in THE APARTMENT spielt, auch in der moralischen Korruption seiner Liebe Miss Kubelik, die Shirley McLaine spielt. Oder in seinem hysterischsten Film, ONE, TWO, THREE, der auch nur scheinbar eine Satire über den Staats-Kommunismus des Ostens ist, tatsächlich ein Werk über die Dekadenz des Westens. Seine eigenen Erlebnisse als Journalist verarbeitete Wilder in dem kühl-harten Melodram THE BIG CARNIVAL (REPORTER DES SATANS) mit Kirk Douglas in der Hauptrolle eines zynischen Journalisten. Ein Werk über die Wahrheit hinter dem hehren Gebot der Meinungsfreiheit. "Ich bin kein Gutmensch" begründete Wilder diese Verknüpfung von scharfer Kritik und schwarzem Humor. Und nur weil seine Filme so dunkel sind, funktionieren sie als Komödien so hervorragend.

Mit seinen 26 Filmen gewann er nicht nur 6 Oscars und 22 Oscarnominierungen, sowie weltweit unzählige weitere Preise und Anerkennungen; er arbeitete dabei auch in fast jedem Filmgenre. Neben seinen weltberühmten Komödien - SOME LIKE IT HOT (1959), DAS VERFLIXTE SIEBTE JAHR (THE SEVEN YEAR ITCH) (1955) - gehören zu seinem vielfältigen, originellen Werk auch melancholische Romanzen wie SABRINA (1954) und SUNSET BOULEVARD (1950), Thriller wie WITNESS FOR PROSECUTION (1957) oder eben DOUBLE INDEMNITY (1944).

Bis in seine letzten Filme - etwa AVANTI, AVANTI (1972) - liebte Wilder den Spaß am Extrem. Er hat den dunkelsten Film Noir, den überdrehtesten Monroe-Film, das entlarvendste und zugleich verklärendste Hollywoodportrait und die besten Jack Lemmon-Filme gedreht. Nur kurze Zeit nach seinem Lieblingsstar ist die Kinolegende Billy Wilder nun 95jährig in Hollywood gestorben.

Rüdiger Suchsland

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