Die wohl augenfälligste Qualität von THE ROYAL
TENENBAUMS, dem neuen Film von Wes Anderson, ist, neben seiner
skurrilen Ausstattung, das außergewöhnliche Ensemble
von Schauspielern, das hier zusammentrifft. Anjelica Huston
vereint wieder einmal Klasse und subtilen Humor, Danny Glover
gibt sich mit weißem Haar ganz distinguiert, Gwyneth
Paltrow ist einmal nicht das putzige Sweetheart, die Brüder
Luke und Owen Wilson sind sich sehr ähnlich und doch
so verschieden, Bill Murray festigt seinen Ruf als einer der
besten lebenden Filmkomiker... Ach ja, und Gene Hackman ist
auch wieder gut.
Dass man dazu neigt, die wunderbare Schauspielleistung von
Gene Hackman als etwas vollkommen Normales und deshalb kaum
Erwähnenswertes zu betrachten, ist ungerecht, aber auch
bezeichnend. Denn es zeugt nicht nur von einem künstlerischen
Schaffen, das es in dieser Vielfalt, diesem Umfang und dieser
Qualität sehr selten gibt, sondern es zeigt auch, wie
schnell wir Zuschauer gute Kunst als Selbstverständlichkeit
betrachten und ihren echten Wert meist erst dann wieder erkennen,
wenn sie plötzlich nicht mehr da ist.
Gene Hackman hat eine Würdigung nicht erst in einem Nachruf
(der hoffentlich erst in ferner, ferner Zukunft geschrieben
werden muss) verdient.
Schon der Beginn seiner Laufbahn beim Film war untypisch.
Nach einer schweren Jugend, einigen Jahren bei den Marines,
diversen Jobs und abgebrochenen Studien, entschloß sich
Hackman erst mit 30 Jahren Schauspieler zu werden. Für
die Rolle des jugendlichen Rebellen und Sexsymbols war er
da eigentlich schon zu alt.
1961 gab er in dem Film MAD DOG COLL sein Debüt und erreicht
den ersten Höhepunkt seiner Karriere 1967, als Filmbruder
von Warren Beatty in BONNIE AND CLYDE. Diese Rolle bringt
ihm auch die erste Oscarnominierung (für die beste Nebenrolle)
ein. Hackman ist zu diesem Zeitpunkt 37, ein Alter, in dem
heute die Teenie-Stars ans Aufhören denken.
Doch Hackman fängt erst richtig an und hört bis
heute nicht mehr auf. Seine Filmographie weißt von 1961
bis heute (incl. einiger weniger Fernsehproduktionen) 86 Einträge
auf; ein Schnitt von rund zwei Filmen pro Jahr. Er ist in
all den Jahren ständig im Geschäft, spielt dabei
immer auch in erfolgreichen, beliebten, gelobten Filmen, er
nimmt sich keine längeren Auszeiten, ist auf der Leinwand
durchgehend präsent. Mehreren Generationen von Kinogehern
wird er so zum guten Bekannten.
Diese Omnipräsenz kann aber auch den bereits erwähnten
Effekt der Gewöhnung haben, so dass Hackmans konstante
Leistungen oft weniger Aufmerksamkeit erregen, als manch überraschendes
"Comeback" seiner Kollegen (zuletzt etwa Elliott
Gould in OCEAN'S ELEVEN).
Gene Hackman wird diesen Umstand mit seinem typischen Lächeln
(das wahlweise teuflisch, verächtlich, freundlich, glücklich
oder sardonisch wirken kann) hinnehmen und weiterhin Film
um Film machen. Denn seine bisherige Arbeitswut läßt
sich (spätestens seit Anfang der 90er) kaum mit dem Verlangen
nach mehr Anerkennung und/oder finanziellem Erfolg erklären.
Er hat alles erreicht, was man sich als Schauspieler wünschen
kann.
Hackman treibt vielmehr die Einstellung eines Profis, eines
besessenen Handwerkers, der seinen Beruf liebt. Deshalb führt
er keine Regie oder produziert oder schreibt Drehbücher,
sondern beschränkt sich auf das Schauspielen. Deshalb
wird es ihm auch mit über 70 Jahren nicht zuviel, in
einem Jahr an sechs Projekten beteiligt zu sein. Deshalb ist
er in so viele verschiedene Rollen geschlüpft und das
nicht, weil er es musste oder sollte, sondern weil er ein
Profi ist, der all das einfach spielen konnte.
Er hatte große Rollen, kleine, lustige, tragische,
skurrile, realistische. Er spielte Gewinner und Verlierer,
er spielte gute und schlechte Menschen, er war in guten und
schlechten Filmen, er machte offensichtlichen Kommerz mit
der gleichen Selbstverständlichkeit wie kritische und
anspruchsvolle Art-House Filme. Er hat ganze Filme alleine
getragen, sich aber auch in Nebenrollen oder ein gleichberechtigtes
Ensemble gefügt. Und selbst wenn ein Film misslang, war
zumindest die Darstellung von Gene Hackman solide und professionell.
Als Folge dieser Vielfalt ist ihm ganz nebenbei das gelungen,
was viele Künstler (oft zu Unrecht) für sich einfordern:
Gene Hackman läßt sich in keine Schublade stecken.
Man setzt deshalb in einen Film mit Hackman keine konkrete
Erwartung. Während man etwa bei einem Film mit Harvey
Keitel oder Bruce Willis eine sehr genaue Erwartungshaltung
(die natürlich auch enttäuscht werden kann) hat,
geht man an jeden neuen Film mit Gene Hackman heran, als sei
es sein erster.
Einmal ein resoluter Admiral im eindimensionalen Kriegsfilm
BEHIND ENEMY LINES, wenige Wochen später ein exzentrisches
Familienoberhaupt und sympathisches Arschloch im intelligenten
Feel-Good Movie THE ROYAL TENENBAUMS; so unterschiedlich begegnet
uns Gene Hackman z.B. momentan im Kino, und wir sehen erstaunlicherweise
keinen Widerspruch darin - dabei wird sich wohl kaum ein Zuschauer
beide Filme mit der gleichen Begeisterung ansehen und gut
finden.
Trotz dieser uneinheitlichen Rollenwahl zeigen sich doch
gewisse Konstanten in seinem Schaffen. So spielt er oft Machtmenschen
wie Politiker (bis hin zum Präsidenten der USA in ABSOLUTE
POWER) oder noch lieber Militärs (möglicherweise
eine Nachwirkung seiner Zeit bei den Marines), wobei er sich
hier schon so ziemlich durch alle Ränge vom Major über
den General zum Admiral gespielt hat. Doch Hackman scheint
der Macht und den Mächtigen nicht wirklich zu trauen,
weshalb diesen Figuren fast immer eine Schattenseite (von
Korruption über sturem Militarismus bis hin zu Mord)
anhängt.
Auch seine Darstellungen von "Ordnungshütern",
mit denen er seine größten Erfolge feierte, haben
diese negative Seite.
Sein Sheriff Little Bill Daggett in UNFORGIVEN ist einerseits
ein gemütlicher Häuslebauer, der für Recht
und Ordnung sorgt. Andererseits aber legt er sich das Recht
so aus, wie er es braucht, und setzt seine Vorstellung davon
dann mit beinahe sadistischer Gewalt um.
Sein FBI-Agent Anderson in MISSISSIPPI BURNING vertritt die
tolerante Gleichberechtigungspolitik der Regierung, trotzdem
hat man oft Zweifel, ob er nicht doch ein heimlicher Rassist
ist (dass er einen solchen natürlich auch spielen kann,
hat Hackman in THE CHAMBER gezeigt).
Und da ist natürlich noch seine oscarprämierte Paraderolle
als Jimmy 'Popeye' Doyle in THE FRENCH CONNECTION. Doyle ist
ein guter, unbestechlicher Polizist, der versucht, das Verbrechen
zu bekämpfen, aber die Methoden, die er dazu anwendet,
sind oft mehr als zweifelhaft.
Für Doyle heiligt der Zweck die Mittel, und nur die
Erledigung seiner Aufgabe zählt.
"Auf Ihre Weise sind Sie genau so süchtig",
kommentiert ein Vorgesetzter die berufliche Besessenheit des
Drogenfahnders Doyle. Ein Satz, der auch auf den Schauspieler
Gene Hackman zutrifft. Wahrscheinlich deshalb verkörpert
er auch solche Spezialisten, die ganz in ihrer Aufgabe aufgehen,
immer wieder.
Die in dieser Hinsicht wohl eindeutigste (und immer noch eine
seiner beeindruckendsten) Rollen ist die des Harry Caul in
Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION.
Der äußerlich so unauffällige Caul ist ein
Abhörspezialist, der Beste der Besten, dessen einziges
Ziel es ist, eine gute Aufnahme zu bekommen. Es interessiert
ihn nicht, wen oder was er da belauscht, wichtig ist für
ihn nur, dass ihm seine Job gelingt, egal wie schwierig das
auch sein mag. Gerade diese Analogie zur professionellen Einstellung
Hackmans gegenüber seiner Schauspielkunst, macht seine
Darstellung so glaubwürdig.
Spielt Gene Hackman auch oft mächtige, harte, gefährliche
und erfolgreiche Menschen, so schlüpft er doch genau
so gerne in Rollen, die für das exakte Gegenteil stehen.
Seine Verlierer und Underdogs sind vor allem in Komödien
immer wieder sehenswert und erstaunt stellt man fest, dass
er ein überaus talentierter Komödiant ist.
Während etwa John Travolta und Rene Russo in GET SHORTY
ihre gewohnten Rollen abgeben und sich auf das komische Potential
des Drehbuchs verlassen, erweist sich der von Hackman gespielte
Möchtegern-Filmproduzent Harry Zimm als gekonnte und
einfallsreiche Karikatur.
Auch als steinreiches Heiratsopfer im letztjährigen HEARTBREAKERS
sorgte vor allem Hackman für die Lacher, und seine Mischung
aus Größenwahn, Wehleidigkeit, Charakterschwäche
und Gemeinheit ist alleine Grund genug, sich jetzt THE ROYAL
TENENBAUMS anzusehen.
Wen das Thema von THE ROYAL TENENBAUMS aber nicht interessiert,
der wird nicht lange warten müssen, um das Talent von
Gene Hackman bald wieder in einer vollkommen anderen Rolle
bewundern zu können.
Wir sollten das in Zukunft nicht mehr als Selbstverständlichkeit
hinnehmen.
Michael Haberlander
|