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28.03.2002
 
 
       

Unaufhörlich, unauffällig, unverkennbar, unverzichtbar
Der Schauspieler Gene Hackman

 
 
Hackman in THE ROYAL TENENBAUMS
   
 
 
 
 

Die wohl augenfälligste Qualität von THE ROYAL TENENBAUMS, dem neuen Film von Wes Anderson, ist, neben seiner skurrilen Ausstattung, das außergewöhnliche Ensemble von Schauspielern, das hier zusammentrifft. Anjelica Huston vereint wieder einmal Klasse und subtilen Humor, Danny Glover gibt sich mit weißem Haar ganz distinguiert, Gwyneth Paltrow ist einmal nicht das putzige Sweetheart, die Brüder Luke und Owen Wilson sind sich sehr ähnlich und doch so verschieden, Bill Murray festigt seinen Ruf als einer der besten lebenden Filmkomiker... Ach ja, und Gene Hackman ist auch wieder gut.

Dass man dazu neigt, die wunderbare Schauspielleistung von Gene Hackman als etwas vollkommen Normales und deshalb kaum Erwähnenswertes zu betrachten, ist ungerecht, aber auch bezeichnend. Denn es zeugt nicht nur von einem künstlerischen Schaffen, das es in dieser Vielfalt, diesem Umfang und dieser Qualität sehr selten gibt, sondern es zeigt auch, wie schnell wir Zuschauer gute Kunst als Selbstverständlichkeit betrachten und ihren echten Wert meist erst dann wieder erkennen, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist.
Gene Hackman hat eine Würdigung nicht erst in einem Nachruf (der hoffentlich erst in ferner, ferner Zukunft geschrieben werden muss) verdient.

Schon der Beginn seiner Laufbahn beim Film war untypisch. Nach einer schweren Jugend, einigen Jahren bei den Marines, diversen Jobs und abgebrochenen Studien, entschloß sich Hackman erst mit 30 Jahren Schauspieler zu werden. Für die Rolle des jugendlichen Rebellen und Sexsymbols war er da eigentlich schon zu alt.
1961 gab er in dem Film MAD DOG COLL sein Debüt und erreicht den ersten Höhepunkt seiner Karriere 1967, als Filmbruder von Warren Beatty in BONNIE AND CLYDE. Diese Rolle bringt ihm auch die erste Oscarnominierung (für die beste Nebenrolle) ein. Hackman ist zu diesem Zeitpunkt 37, ein Alter, in dem heute die Teenie-Stars ans Aufhören denken.

Doch Hackman fängt erst richtig an und hört bis heute nicht mehr auf. Seine Filmographie weißt von 1961 bis heute (incl. einiger weniger Fernsehproduktionen) 86 Einträge auf; ein Schnitt von rund zwei Filmen pro Jahr. Er ist in all den Jahren ständig im Geschäft, spielt dabei immer auch in erfolgreichen, beliebten, gelobten Filmen, er nimmt sich keine längeren Auszeiten, ist auf der Leinwand durchgehend präsent. Mehreren Generationen von Kinogehern wird er so zum guten Bekannten.
Diese Omnipräsenz kann aber auch den bereits erwähnten Effekt der Gewöhnung haben, so dass Hackmans konstante Leistungen oft weniger Aufmerksamkeit erregen, als manch überraschendes "Comeback" seiner Kollegen (zuletzt etwa Elliott Gould in OCEAN'S ELEVEN).

Gene Hackman wird diesen Umstand mit seinem typischen Lächeln (das wahlweise teuflisch, verächtlich, freundlich, glücklich oder sardonisch wirken kann) hinnehmen und weiterhin Film um Film machen. Denn seine bisherige Arbeitswut läßt sich (spätestens seit Anfang der 90er) kaum mit dem Verlangen nach mehr Anerkennung und/oder finanziellem Erfolg erklären. Er hat alles erreicht, was man sich als Schauspieler wünschen kann.
Hackman treibt vielmehr die Einstellung eines Profis, eines besessenen Handwerkers, der seinen Beruf liebt. Deshalb führt er keine Regie oder produziert oder schreibt Drehbücher, sondern beschränkt sich auf das Schauspielen. Deshalb wird es ihm auch mit über 70 Jahren nicht zuviel, in einem Jahr an sechs Projekten beteiligt zu sein. Deshalb ist er in so viele verschiedene Rollen geschlüpft und das nicht, weil er es musste oder sollte, sondern weil er ein Profi ist, der all das einfach spielen konnte.

Er hatte große Rollen, kleine, lustige, tragische, skurrile, realistische. Er spielte Gewinner und Verlierer, er spielte gute und schlechte Menschen, er war in guten und schlechten Filmen, er machte offensichtlichen Kommerz mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie kritische und anspruchsvolle Art-House Filme. Er hat ganze Filme alleine getragen, sich aber auch in Nebenrollen oder ein gleichberechtigtes Ensemble gefügt. Und selbst wenn ein Film misslang, war zumindest die Darstellung von Gene Hackman solide und professionell.

Als Folge dieser Vielfalt ist ihm ganz nebenbei das gelungen, was viele Künstler (oft zu Unrecht) für sich einfordern: Gene Hackman läßt sich in keine Schublade stecken.
Man setzt deshalb in einen Film mit Hackman keine konkrete Erwartung. Während man etwa bei einem Film mit Harvey Keitel oder Bruce Willis eine sehr genaue Erwartungshaltung (die natürlich auch enttäuscht werden kann) hat, geht man an jeden neuen Film mit Gene Hackman heran, als sei es sein erster.
Einmal ein resoluter Admiral im eindimensionalen Kriegsfilm BEHIND ENEMY LINES, wenige Wochen später ein exzentrisches Familienoberhaupt und sympathisches Arschloch im intelligenten Feel-Good Movie THE ROYAL TENENBAUMS; so unterschiedlich begegnet uns Gene Hackman z.B. momentan im Kino, und wir sehen erstaunlicherweise keinen Widerspruch darin - dabei wird sich wohl kaum ein Zuschauer beide Filme mit der gleichen Begeisterung ansehen und gut finden.

Trotz dieser uneinheitlichen Rollenwahl zeigen sich doch gewisse Konstanten in seinem Schaffen. So spielt er oft Machtmenschen wie Politiker (bis hin zum Präsidenten der USA in ABSOLUTE POWER) oder noch lieber Militärs (möglicherweise eine Nachwirkung seiner Zeit bei den Marines), wobei er sich hier schon so ziemlich durch alle Ränge vom Major über den General zum Admiral gespielt hat. Doch Hackman scheint der Macht und den Mächtigen nicht wirklich zu trauen, weshalb diesen Figuren fast immer eine Schattenseite (von Korruption über sturem Militarismus bis hin zu Mord) anhängt.

Auch seine Darstellungen von "Ordnungshütern", mit denen er seine größten Erfolge feierte, haben diese negative Seite.
Sein Sheriff Little Bill Daggett in UNFORGIVEN ist einerseits ein gemütlicher Häuslebauer, der für Recht und Ordnung sorgt. Andererseits aber legt er sich das Recht so aus, wie er es braucht, und setzt seine Vorstellung davon dann mit beinahe sadistischer Gewalt um.
Sein FBI-Agent Anderson in MISSISSIPPI BURNING vertritt die tolerante Gleichberechtigungspolitik der Regierung, trotzdem hat man oft Zweifel, ob er nicht doch ein heimlicher Rassist ist (dass er einen solchen natürlich auch spielen kann, hat Hackman in THE CHAMBER gezeigt).
Und da ist natürlich noch seine oscarprämierte Paraderolle als Jimmy 'Popeye' Doyle in THE FRENCH CONNECTION. Doyle ist ein guter, unbestechlicher Polizist, der versucht, das Verbrechen zu bekämpfen, aber die Methoden, die er dazu anwendet, sind oft mehr als zweifelhaft.

Für Doyle heiligt der Zweck die Mittel, und nur die Erledigung seiner Aufgabe zählt.
"Auf Ihre Weise sind Sie genau so süchtig", kommentiert ein Vorgesetzter die berufliche Besessenheit des Drogenfahnders Doyle. Ein Satz, der auch auf den Schauspieler Gene Hackman zutrifft. Wahrscheinlich deshalb verkörpert er auch solche Spezialisten, die ganz in ihrer Aufgabe aufgehen, immer wieder.
Die in dieser Hinsicht wohl eindeutigste (und immer noch eine seiner beeindruckendsten) Rollen ist die des Harry Caul in Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION.
Der äußerlich so unauffällige Caul ist ein Abhörspezialist, der Beste der Besten, dessen einziges Ziel es ist, eine gute Aufnahme zu bekommen. Es interessiert ihn nicht, wen oder was er da belauscht, wichtig ist für ihn nur, dass ihm seine Job gelingt, egal wie schwierig das auch sein mag. Gerade diese Analogie zur professionellen Einstellung Hackmans gegenüber seiner Schauspielkunst, macht seine Darstellung so glaubwürdig.

Spielt Gene Hackman auch oft mächtige, harte, gefährliche und erfolgreiche Menschen, so schlüpft er doch genau so gerne in Rollen, die für das exakte Gegenteil stehen. Seine Verlierer und Underdogs sind vor allem in Komödien immer wieder sehenswert und erstaunt stellt man fest, dass er ein überaus talentierter Komödiant ist.
Während etwa John Travolta und Rene Russo in GET SHORTY ihre gewohnten Rollen abgeben und sich auf das komische Potential des Drehbuchs verlassen, erweist sich der von Hackman gespielte Möchtegern-Filmproduzent Harry Zimm als gekonnte und einfallsreiche Karikatur.
Auch als steinreiches Heiratsopfer im letztjährigen HEARTBREAKERS sorgte vor allem Hackman für die Lacher, und seine Mischung aus Größenwahn, Wehleidigkeit, Charakterschwäche und Gemeinheit ist alleine Grund genug, sich jetzt THE ROYAL TENENBAUMS anzusehen.

Wen das Thema von THE ROYAL TENENBAUMS aber nicht interessiert, der wird nicht lange warten müssen, um das Talent von Gene Hackman bald wieder in einer vollkommen anderen Rolle bewundern zu können.
Wir sollten das in Zukunft nicht mehr als Selbstverständlichkeit hinnehmen.

Michael Haberlander

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