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26.07.2001
 
 
   
 

Abschied von Marlon Brando
Als das Tanzen noch geholfen hat: Die letzten Tage von Retro - das Werkstattkino zeigt Disco-Filme

 
 
     
 
 
 
 

Es war einmal in jenen Zeiten, als das Tanzen noch geholfen hat. Da ging ein junger Mann durch die Straßen von Little Italy. Mit T-Shirt und Lederjacke à la Marlon Brando war dieser Tony Manero einer von uns, ein Kind der 70er Jahre, ein langweiliger, von seiner Arbeit gelangweilter Ladenschwengel ohne Zukunft. Nur in einer Nacht vertauschte er alles mit rosa Hemd, aus dem sein Brusthaar herausquoll, und einem weißen Anzug, wie ihn sonst nur die Kellner trugen, und dann schmierte er sich noch eine halbe Tube Gel ins Haar. Und für diesen Samstag war er der König.
Der Schauspieler John Travolta sollte für die nächsten fünfzehn Jahre mit diesem Tony Manero verschmelzen, denn man wußte nicht mehr, wen von beiden man meinte, wenn man seine Tanz-Gesten nachahmte, so albern sie auch waren, wenn man die Haare halblang schnitt, und plötzlich auf Partys Bee Gees Platten spielte. Aber ungefähr zur gleichen Zeit hörte auch Marlon Brando auf, richtige Filme zu drehen, und da wusste man, dass man auch auf ihn und die Revolution nicht mehr zu hoffen brauchte.

Das Werkstattkino kann man gar nicht genug dafür beglückwünschen, dass es jetzt an diese ersten Tage von Disco erinnert, indem es mit einer Reihe zwei Wochen lang jene Ära filmisch beschwört, die gerade weit genug weg ist, dass wir uns wieder an sie erinnern. John Badhams SATURDAY NIGHT FEVER, mit dem alles begann, wird ebenso gezeigt, wie die Fortsetzung STAYING ALIVE, die von keinem anderen stammt, als von Sylvester Stalone höchstpersönlich, selbst ein Sproß Little Italys, der in Travolta auch sich selbst portraitiert.

Zum 20. Jubiläum kamen 1998 zwei Filme ins Kino - STUDIO 54 und DIE LETZTEN TAGE VON DISCO -, die nicht nur hommageartig die alten Zeiten beschworen und den angesagten Disco-Retro-Trend aufgriffen, sondern auch eine kleine Kulturgeschichte der Jahre um 1980 lieferten - der letzten Epoche, in der es noch keine Yuppies und kein Ozonloch gab, als Tanz, Musik und Liebe noch eine Lösung sein konnte. Dass die Wirklichkeit schon damals etwas anders aussah, zeigt am besten ein Film, der leider in der Reihe fehlt: Spike Lees SUMMER OF SAM, sozusagen die wahre Geschichte von Tony Manero. Dort trifft Disco auf Punk, und es gibt eine wunderbare Szene, in der Mira Sorvino zu Abba "Dancing Queen" ihrem Macker den Marsch bläst.
Dieser Film, aber auch STUDIO 54 und DIE LETZTEN TAGE VON DISCO sind auch in anderer Hinsicht interessant. Es sind Kostümfilme, die die Epoche aus der Distanz, kühl und sozusagen objektiv beleuchten. Sie zeigen, soziologisch informierter als die Filme die aus der Ära selbst stammen, das Disco eigentlich immer ein Traum der Kinder der kleinen Leute war - ein Ausbruch für eine Nacht, das Glück des erfüllten Augenblicks, das nicht mehr auf die Utopie warten will, die in die unendliche Zukunft verzeitlicht wurde. Und sie zeigen wo unter dem scheinbar Glatten, unpolitisch Angepassten, doch noch eine Revolte lauert, sie zeigen, wo und wie die Revolte zum Pop wurde.
Daneben wird natürlich noch eine andere Geschichte erzählt, in Whit Stillmans DIE LETZTEN TAGE VON DISCO, der bei uns leider nie in die Kinos kam, mehr als in STUDIO 54: Die der frühen Yuppies, derjenigen, die man bei uns in der Bundesrepublik erst einmal Popper nannte, und die nicht soviel mit Geldverdienen im Stil hatten, wie damit, ihrem tristen Alltag etwas Glamour einzuhauchen. Das war alles noch lange vor der New Economy, als Reagan gerade Präsident wurde, und man im westlichen Mittelstand noch nicht wusste, dass man fünf Jahre später Margaret Thatcher bewundern und Lieder von Stephanie von Monaco im Radio hören würde.

Auch wenn man nach all dem immer noch skeptisch ist, was dieses Thema angeht, sollte man diese neuen Filme nicht versäumen, denn in ihnen trifft man auf einige der begabtesten Schauspieler der jüngsten Hollywood-Generation: Chloe Sevigny, Neve Campbell, Kate Beckinsale, Salma Hayek, Ryan Philippe. Sie alle geben dem Rückblick auf diese Ära eine Aura, die sie nicht hatte. Egal, denn wir sprechen vom Märchen einer ganzen Generation. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie noch heute.

 

Rüdiger Suchsland

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