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Der Filmfreund rät

  26.04.2001
 
 
 
 

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Normalerweise ist auf diesen Seiten vom Fernsehen nicht die Rede (außer es wird darüber gelästert). Doch vor die Wahl gestellt, einen sehr guten Film gar nicht oder im Fernsehen zu sehen, tendiere ich widerwillig doch zur zweiten Alternative.

Der Film, der mich meinen ewigen Ärger über den schändlichen Umgang mit Spielfilmen im deutschen Fernsehen kurz überwinden läßt, ist der großartige FACE von Antonia Bird, den die ARD am Sonntag den 29.4.01 um 23.35 Uhr ("Kino um Elf" nennt die ARD das dann auch noch hämisch selbstbewußt) ausstrahlt.

Während Antonia Bird mit ihrem Sozialdrama DER PRIESTER noch allgemeine Anerkennung erntete konnte, wurde die darauf folgende, erstaunlich belanglose Hollywoodproduktion MAD LOVE weder kommerziell noch künstlerisch ein Erfolg. Den Verleihern schien dies Grund genug, FACE erst gar nicht mehr in unsere Kinos zu bringen, weshalb das Filmfest München 1998 und das Werkstattkino die einzigen Gelegenheiten boten, den Film auf der Leinwand zu sehen (Birds nächster und bisher leider letzter Spielfilm RAVENOUS erlitt übrigens ein fast identisches Schicksal).

Die Handlung von FACE ist beeindruckend schlicht. Einige Kriminelle aus dem Londoner East End wollen mit einem letzten großen Coup den Ausstieg aus der Armut und dem Verbrechen schaffen. Der Überfall klappt, doch die Beute ist zu klein. Neid und Misstrauen machen sich breit und bald beginnt einer von ihnen zu töten, um seinen Anteil zu erhöhen.

Gangsterdramen wie diese ist man vor allem aus Amerika oder aus Japan gewohnt. Doch Antonia Bird nimmt sich dieses Genres gekonnt an und ergänzt es sogar noch um die im britischen Kino so oft (wenn nicht gar zu oft) gesehen soziale Komponente. Bei FACE sind die Probleme der Menschen aber nicht der Mittelpunkt des Films, sondern Antriebsfeder, Motivation und Auslöser für das (nicht nur kriminelle) Handeln der Figuren.

Das wirft auch Fragen auf, die einem in üblichen Gangsterfilmen eigentlich nicht begegnen: Kann man ein Räuber und gleichzeitig ein politisch Linker sein? Ist vielleicht das Rauben sogar ein Ausdruck einer (wenn auch radikalen) linken Gesinnung?
Wie jeder gute Film stellt FACE diese Fragen nur und versucht erst gar nicht sie zu beantworten.

All das ist von Antonia Bird perfekt inszeniert, schwankend zwischen elegischer Resignation, feinem Humor und bedrückender Brutalität, unterlegt mit einer atmosphärischen Musik, fotografiert in schönen, klaren aber nie überzogen verkünstelten Bildern und getragen von durchgehend guten Darstellern, allen voran Robert Carlyle und Ray Winstone.

Wer bedauert, dass Robert De Niro in Filmen wie MEINE BRAUT, IHR VATER UND ICH, 15 MINUTEN RUHM oder MEN OF HONOR nur noch seine alten Rollen wiederholt und langsam zur (nicht immer freiwilligen) Parodie seiner selbst verkommt, dem sei allein schon deshalb FACE ans Herz gelegt. Robert Carlyle darin zu sehen, wie er einerseits sensibel versucht seine politische Überzeugung, seine Beziehung, seine Familie und seine Freundschaften zu retten, er andererseits als Chef der Gangsterbande mit der notwendigen Skrupellosigkeit und Härte durchgreift, erinnert an die tragische Zerrissenheit De Niros in Filmen wie TAXI DRIVER oder DEER HUNTER.

Bleibt nur zu hoffen, dass die ARD so viel Anstand hat, FACE nicht im Vollbildformat zu senden, ihm nicht den Abspann zu kappen oder sich gar erdreistet, die Gewaltszenen zu beschneiden (nicht um diese Uhrzeit!!!). Und wenn wir ganz viel Glück haben, dann senden sie den Film vielleicht sogar im Zweikanalton.

Michael Haberlander

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