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22.03.2001
 
 
   
 

DER PUBERTÄRE AMERIKANER
Zum 75. Geburtstag des begnadeten Filmemachers Jerry Lewis

 
Jerry Lewis in NUTTY PROFESSOR
     
 
 
 
 

"Du musst den schlechten jüdischen Witz erzählen, bevor es der andere tut." Jerry Lewis

Der Trottel liegt im Nachtzug und kann nicht schlafen. Die Notbeleuchtung stört ihn. Eine ganze Weile wälzt er sich in verschiedensten Varianten herum. All diese mimischen Verrenkungen sind bis dahin noch einigermaßen Ansichtssache - Wer den Trottel nicht sympathisch findet, lacht eben nicht. Dann findet der Trottel eine neue Lösung: Er zieht einen Socken über die Lampe, es scheint schönste Dunkelheit zu herrschen, doch bald stellt sich heraus: An der blödesten Stelle hat der Socken ein Loch, das Spielchen geht weiter. Abblende.

Jerry Lewis ist mehr als ein Grimassenschneider, er ist ein Architekt des Humors. Sein Hang zur Übertreibung hat ihn zu einem schlechteren Komiker als Charlie Chaplin und zu einem schlechteren Regisseur als Buster Keaton werden lassen. Dennoch war Lewis bei der unermüdlichen Jagd nach abstrusen Gag-Variationen diesen beiden genialsten Komiker-Regisseuren ziemlich auf den Fersen. Die Franzosen haben ihn als erste als innovativen Künstler anerkannt, weil er besonders in den Sechziger Jahren nach besonderen Wegen suchte. Damals experimentierte er einerseits mit ungewöhnlichen Überblendungen, vertrackter Schnitt-Technik und photographischen Artistikeinlagen - größtenteils Sperenzchen, die sich als unbrauchbar erwiesen haben, aber irgendwer mußte sie eben ausprobieren. Andrerseits warf er die Realitätsebenen durcheinander, ließ seinen Gummi-Körper echte Cartoon-Erfahrungen machen, verlor sich im Surrealen und stieg über so manchen Zaun, den das bornierte Studio-Hollywood der Fünfziger stehen gelassen hatte.

"Ich bin nur extrovertiert, um zu verbergen, was ich wirklich bin, nämlich introvertiert." Joseph Levitch hatte familiär bedingt schon früh den Drang zum Showbusiness. Den kleinen jüdischen Jungen aus New Jersey trieb dabei, wie er später gestand, die Angst, als Freak verhöhnt zu werden. Den Anlass für die Lacher lieferte er lieber selbst, und seinen schlechteren Filmen ist die Panik anzumerken, nicht lustig gefunden zu werden. Dieser Freak wurde zum erfolgreichsten Filmstar der Fünfziger Jahre. Sein Stil war noch geprägt vom Bühnenslapstick des Vaudevilletheaters, und nach ihm kamen nurmehr Fernseh- oder Nachtclubkomödianten, von Woody Allen bis zu den Lewis-Epigonen Steve Martin und Jim Carrey. Jerry Lewis wurde somit der letzte brilliante Slapstick-Komiker, zugleich aber auch, was oft vergessen wird, der letzte große Slapstick-Filmemacher, außerdem Nobelpreiskandidat, Universitätsprofessor und Marihuana-Befürworter ("Das beste Schmerzmittel, das der Menschheit bekannt ist.").

Der Erfolg begann, als er sich mit dem zehn Jahre älteren Dean Martin zusammentat. Zunächst auf der Bühne entwickelten Jerry und Dean - hauptsächlich Jerry, wenn man ihm glauben darf - das Schema vom kleinen Spinner, kurz "the kid", und dem Schönling. Nach dem Erstling "My friend Irma" wurden ihre Filme atemberaubend erfolgreich. Da waren die beiden schon die besten Freunde, die auch in ihrer Freizeit alles niederblödelten, Studio-Bosse mit Butter beschmierten und unschuldige Passanten verhöhnten. Dean Martin soll dabei übrigens stets der komischere gewesen sein. Doch während Dean Comics las oder golfte, lernte der Jerry alles über Filmtechnik, drehte Privatfilme mit Kollegen, die er am Abend zuvor auf Partys schnell gecastet hatte, und mischte sich zunehmend in die Entwicklung seiner Kinokomödien ein. Gerade als der Cartoon-Spezialist Frank Tashlin dem Duo zum künstlerischen Höhepunkt verholfen hatte, gingen Martin und Lewis im Streit auseinander. "Am 25.7.46 sind wir offiziell als Duo gestartet und am 25.7.56 , exakt zehn Jahre später haben wir uns getrennt."

Tashlin, mit dem Jerry noch sechs weitere Filme drehte, blieb sein Lehrer. Originalton Lewis: "Mr Tishman, spelled T.A.S.H.L.I.N. - He's my techer." Das pubertäre Amerika der Fünfziger Jahre mit seiner Verklemmtheit und Aufstiegsgeilheit einerseits, mit seiner explodierenden Popkultur andrerseits, war damals das Lieblingsthema des Regisseurs, der in den Dreißigern mit Porky Pig-Cartoons bekannt wurde, und mit Jerry hatte er die ideale Karikatur des pubertierenden Amerikaners. Dass der politisch unbedarfte Lewis nie so subversiv veranlagt war wie sein Lehrmeister, sollte sich bald zeigen. Lewis begann Filme zu produzieren und wurde, nach eigenen Angaben, stetig selbstsüchtiger und größenwahnsinniger. Seine Kameraregeln lauteten damals: Wenn ich davor bin, gibt es nichts besseres; wenn ich auf der anderen Seite bin, ist der Schauspieler ein Schmock." Die erste Regie-Arbeit ist trotzdem ziemlich niedlich ausgefallen. "The Bell-Boy" (1960) war merklich vom trockenen Slapstick des Franzosen Jacques Tati beeinflusst. Darin findet sich auch jene großartige Nummer, in der Jerry als quasi stummer Hotelpage fünf Telefone hüten muß und es nicht schafft, trotz stetigem Klingeln einen einzigen Anruf entgegenzunehmen. Solche ewig ausgedehnten Nummern waren Jerrys Spezialität, egal ob er Luftschreibmaschine schrieb ("Who's minding the store?" 1963), eine niemals endende Showtreppe herabstieg ("Cinderfella" 1959) oder als Pfleger Patientengespräche über Krankheiten mitanhörte und dabei vor mitfühlendem Schmerz zusammenbrach ("The Disorderly Orderly" 1964). Für seine Kunst der Pointendehnung traten Zeit, Raum und Logik respektvoll beiseite.

"Jerry hasst es, ernste Szenen zu spielen." glaubte Tashlin noch 1962, doch bald drang bei Lewis eine recht vulgäre Sehnsucht nach Tiefe durch. "The kid" begegnete bei seinen Abenteuern immer häufiger armen Waisenkindern oder hatte eine traumatische Kindheit zu verarbeiten. Und manchmal suchte er sich wieder einen Dean-Martin-Ersatz, einen großen Bruder-Typen, den "the kid" toll finden konnte. In Lewis' berühmtesten Film "Der verrückte Professor", einer Variation und Parodie des Themas von "Dr Jekyll und Mr. Hyde", übernahm er schließlich beide Rollen: Ein häßlicher, aber nette Professor verwandelt sich durch Medikamenteinwirkung zum schönen Macho. Interessanterweise attestierte sich Lewis selbst gerne mal Schizophrenie, "weil ich den Fortschritt liebe und die Veränderung hasse." So wie der kleine Gauner Dean Martin durch den grundunschuldigen Jerry in die Gesellschaft eingegliedert wurde, mündet die Satire unter Lewis' Regie oft im triefenden Bekenntnis zum Guten und Braven. Im Leben lief es manchmal umgekehrt. Sein offener Stolz, dass sein Sohn für Amerika in Vietnam kämpfen wollte, verwandelte sich bald in lautstarke Ablehnung. Jerry landete auf einer ominösen Liste der Nixon-Feinde.

Am Ende seiner Glückssträhne, nach der irrwitzigen Nazi-Farce "Which way to the front?" (1969), hatte Lewis finanzielle Einbrüche, war wegen seiner Rückenschmerzen tablettenabhängig geworden und kriegte die Organisation zu neuen Projekten nicht mehr in den Griff. 1972 versuchte er sich an einem Drama über einen Clown im KZ und scheiterte völlig. Nichts von dem gedrehten Material ist je in die Kinos gekommen. Nach der Entgiftung wurde er plötzlich für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wegen seines Engagements für Opfer muskulärer Krankheiten. Es folgten matte Comeback-Versuche mit "Hardly Working" (1979), "Slapstick" (1981), "Smorgasboard" (1982) und zwei hinfällige Klamotten, die er 1984 bei seinen ewigen Anhängern in Frankreich fabrizierte. Ansonsten trat Lewis im Fernsehen und in Nacht-Clubs auf, hielt Vorträge auf Filmschulen und wurde u.a. zum Förderer des jungen Spielberg. Da hatte ihn Hollywood schon in die Vitrine gestellt. Nur ein paar Schlaue holten ihn manchmal heraus. Zuerst gab ihm Martin Scorsese die Rolle des sauertöpfischen Entertainers in der Mediensatire "King of Comedy" (1983), die übrigens dem Geist Tashlins recht nah ist. Einen ähnlich kalten Showgeschäft-Profi spielte Lewis später in "Funny Bones" (1994) von Peter Chelsom, nur am Ende von Emir Kusturicas "Arizona Dream"(1991) kehrte er zu seinen alten Blödelrequisiten, dem falschen Gebiss und der riesigen Hornbrille zurück.

"I love film, I love what I've done. I am not ashamed of anything I've done. I just wish the fuck I could have done it better." Die Geschichte des Jerry Lewis ist einmal mehr eine verpatzte Komiker-Biographie, die aber viele glorreiche Momente hat, so wohl die Premiere im Pariser "Olympia" im Jahr 1970: "In der ersten Reihe saßen Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Catherine Deneve, ganz Paris kam zur Premiere. Maria Callas saß in der dritten Reihe." Und im Beleuchterraum hatte sich Charlie Chaplin versteckt, um unbemerkt zuzusehen. "Wenn ich ein Erlebnis nennen müßte, das für mein ganzes Leben steht, dann wäre es dieser Abend. Es war unglaublich."

Seit dem 16. März ist Jerry Lewis bereits 75 Jahre alt, also deutlich aus der Pubertät heraus, und man mag gar nicht darüber nachdenken, was er in den letzten 25 Jahren - 17 Sekunden davon war er übrigens tot - alles nicht gedreht hat. Doch nach der Eddie-Murphy-Version von "Der verrückte professor" stehen nun einige Remakes von Lewis-Filmen an, er scheint wieder besser ins Geschäft zu kommen. Im letzten Jahr ließ er verlauten, er plane endlich wieder einen eigenen Film. Denn das kann ja noch nicht alles gewesen sein.

Richard Oehmann

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