"Du musst den schlechten jüdischen Witz erzählen, bevor es der
andere tut." Jerry Lewis
Der Trottel liegt im Nachtzug und kann nicht schlafen. Die
Notbeleuchtung stört ihn. Eine ganze Weile wälzt er sich in
verschiedensten Varianten herum. All diese mimischen Verrenkungen
sind bis dahin noch einigermaßen Ansichtssache - Wer den Trottel
nicht sympathisch findet, lacht eben nicht. Dann findet der Trottel
eine neue Lösung: Er zieht einen Socken über die Lampe, es scheint
schönste Dunkelheit zu herrschen, doch bald stellt sich heraus: An
der blödesten Stelle hat der Socken ein Loch, das Spielchen geht
weiter. Abblende.
Jerry Lewis ist mehr als ein Grimassenschneider, er ist ein
Architekt des Humors. Sein Hang zur Übertreibung hat ihn zu einem
schlechteren Komiker als Charlie Chaplin und zu einem schlechteren
Regisseur als Buster Keaton werden lassen. Dennoch war Lewis bei
der unermüdlichen Jagd nach abstrusen Gag-Variationen diesen beiden
genialsten Komiker-Regisseuren ziemlich auf den Fersen. Die
Franzosen haben ihn als erste als innovativen Künstler anerkannt,
weil er besonders in den Sechziger Jahren nach besonderen Wegen
suchte. Damals experimentierte er einerseits mit ungewöhnlichen
Überblendungen, vertrackter Schnitt-Technik und photographischen
Artistikeinlagen - größtenteils Sperenzchen, die sich als
unbrauchbar erwiesen haben, aber irgendwer mußte sie eben
ausprobieren. Andrerseits warf er die Realitätsebenen
durcheinander, ließ seinen Gummi-Körper echte Cartoon-Erfahrungen
machen, verlor sich im Surrealen und stieg über so manchen Zaun,
den das bornierte Studio-Hollywood der Fünfziger stehen gelassen
hatte.
"Ich bin nur extrovertiert, um zu verbergen, was ich wirklich
bin, nämlich introvertiert." Joseph Levitch hatte familiär bedingt
schon früh den Drang zum Showbusiness. Den kleinen jüdischen Jungen
aus New Jersey trieb dabei, wie er später gestand, die Angst, als
Freak verhöhnt zu werden. Den Anlass für die Lacher lieferte er
lieber selbst, und seinen schlechteren Filmen ist die Panik
anzumerken, nicht lustig gefunden zu werden. Dieser Freak wurde zum
erfolgreichsten Filmstar der Fünfziger Jahre. Sein Stil war noch
geprägt vom Bühnenslapstick des Vaudevilletheaters, und nach ihm
kamen nurmehr Fernseh- oder Nachtclubkomödianten, von Woody Allen
bis zu den Lewis-Epigonen Steve Martin und Jim Carrey. Jerry Lewis
wurde somit der letzte brilliante Slapstick-Komiker, zugleich aber
auch, was oft vergessen wird, der letzte große
Slapstick-Filmemacher, außerdem Nobelpreiskandidat,
Universitätsprofessor und Marihuana-Befürworter ("Das beste
Schmerzmittel, das der Menschheit bekannt ist.").
Der Erfolg begann, als er sich mit dem zehn Jahre älteren Dean
Martin zusammentat. Zunächst auf der Bühne entwickelten Jerry und
Dean - hauptsächlich Jerry, wenn man ihm glauben darf - das Schema
vom kleinen Spinner, kurz "the kid", und dem Schönling. Nach dem
Erstling "My friend Irma" wurden ihre Filme atemberaubend
erfolgreich. Da waren die beiden schon die besten Freunde, die auch
in ihrer Freizeit alles niederblödelten, Studio-Bosse mit Butter
beschmierten und unschuldige Passanten verhöhnten. Dean Martin soll
dabei übrigens stets der komischere gewesen sein. Doch während Dean
Comics las oder golfte, lernte der Jerry alles über Filmtechnik,
drehte Privatfilme mit Kollegen, die er am Abend zuvor auf Partys
schnell gecastet hatte, und mischte sich zunehmend in die
Entwicklung seiner Kinokomödien ein. Gerade als der
Cartoon-Spezialist Frank Tashlin dem Duo zum künstlerischen
Höhepunkt verholfen hatte, gingen Martin und Lewis im Streit
auseinander. "Am 25.7.46 sind wir offiziell als Duo gestartet und
am 25.7.56 , exakt zehn Jahre später haben wir uns getrennt."
Tashlin, mit dem Jerry noch sechs weitere Filme drehte, blieb
sein Lehrer. Originalton Lewis: "Mr Tishman, spelled T.A.S.H.L.I.N.
- He's my techer." Das pubertäre Amerika der Fünfziger Jahre mit
seiner Verklemmtheit und Aufstiegsgeilheit einerseits, mit seiner
explodierenden Popkultur andrerseits, war damals das Lieblingsthema
des Regisseurs, der in den Dreißigern mit Porky Pig-Cartoons
bekannt wurde, und mit Jerry hatte er die ideale Karikatur des
pubertierenden Amerikaners. Dass der politisch unbedarfte Lewis nie
so subversiv veranlagt war wie sein Lehrmeister, sollte sich bald
zeigen. Lewis begann Filme zu produzieren und wurde, nach eigenen
Angaben, stetig selbstsüchtiger und größenwahnsinniger. Seine
Kameraregeln lauteten damals: Wenn ich davor bin, gibt es nichts
besseres; wenn ich auf der anderen Seite bin, ist der Schauspieler
ein Schmock." Die erste Regie-Arbeit ist trotzdem ziemlich niedlich
ausgefallen. "The Bell-Boy" (1960) war merklich vom trockenen
Slapstick des Franzosen Jacques Tati beeinflusst. Darin findet sich
auch jene großartige Nummer, in der Jerry als quasi stummer
Hotelpage fünf Telefone hüten muß und es nicht schafft, trotz
stetigem Klingeln einen einzigen Anruf entgegenzunehmen. Solche
ewig ausgedehnten Nummern waren Jerrys Spezialität, egal ob er
Luftschreibmaschine schrieb ("Who's minding the store?" 1963), eine
niemals endende Showtreppe herabstieg ("Cinderfella" 1959) oder als
Pfleger Patientengespräche über Krankheiten mitanhörte und dabei
vor mitfühlendem Schmerz zusammenbrach ("The Disorderly Orderly"
1964). Für seine Kunst der Pointendehnung traten Zeit, Raum und
Logik respektvoll beiseite.
"Jerry hasst es, ernste Szenen zu spielen." glaubte Tashlin noch
1962, doch bald drang bei Lewis eine recht vulgäre Sehnsucht nach
Tiefe durch. "The kid" begegnete bei seinen Abenteuern immer
häufiger armen Waisenkindern oder hatte eine traumatische Kindheit
zu verarbeiten. Und manchmal suchte er sich wieder einen
Dean-Martin-Ersatz, einen großen Bruder-Typen, den "the kid" toll
finden konnte. In Lewis' berühmtesten Film "Der verrückte
Professor", einer Variation und Parodie des Themas von "Dr Jekyll
und Mr. Hyde", übernahm er schließlich beide Rollen: Ein häßlicher,
aber nette Professor verwandelt sich durch Medikamenteinwirkung zum
schönen Macho. Interessanterweise attestierte sich Lewis selbst
gerne mal Schizophrenie, "weil ich den Fortschritt liebe und die
Veränderung hasse." So wie der kleine Gauner Dean Martin durch den
grundunschuldigen Jerry in die Gesellschaft eingegliedert wurde,
mündet die Satire unter Lewis' Regie oft im triefenden Bekenntnis
zum Guten und Braven. Im Leben lief es manchmal umgekehrt. Sein
offener Stolz, dass sein Sohn für Amerika in Vietnam kämpfen
wollte, verwandelte sich bald in lautstarke Ablehnung. Jerry
landete auf einer ominösen Liste der Nixon-Feinde.
Am Ende seiner Glückssträhne, nach der irrwitzigen Nazi-Farce
"Which way to the front?" (1969), hatte Lewis finanzielle
Einbrüche, war wegen seiner Rückenschmerzen tablettenabhängig
geworden und kriegte die Organisation zu neuen Projekten nicht mehr
in den Griff. 1972 versuchte er sich an einem Drama über einen
Clown im KZ und scheiterte völlig. Nichts von dem gedrehten
Material ist je in die Kinos gekommen. Nach der Entgiftung wurde er
plötzlich für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wegen seines
Engagements für Opfer muskulärer Krankheiten. Es folgten matte
Comeback-Versuche mit "Hardly Working" (1979), "Slapstick" (1981),
"Smorgasboard" (1982) und zwei hinfällige Klamotten, die er 1984
bei seinen ewigen Anhängern in Frankreich fabrizierte. Ansonsten
trat Lewis im Fernsehen und in Nacht-Clubs auf, hielt Vorträge auf
Filmschulen und wurde u.a. zum Förderer des jungen Spielberg. Da
hatte ihn Hollywood schon in die Vitrine gestellt. Nur ein paar
Schlaue holten ihn manchmal heraus. Zuerst gab ihm Martin Scorsese
die Rolle des sauertöpfischen Entertainers in der Mediensatire
"King of Comedy" (1983), die übrigens dem Geist Tashlins recht nah
ist. Einen ähnlich kalten Showgeschäft-Profi spielte Lewis später
in "Funny Bones" (1994) von Peter Chelsom, nur am Ende von Emir
Kusturicas "Arizona Dream"(1991) kehrte er zu seinen alten
Blödelrequisiten, dem falschen Gebiss und der riesigen Hornbrille
zurück.
"I love film, I love what I've done. I am not ashamed of anything
I've done. I just wish the fuck I could have done it better." Die
Geschichte des Jerry Lewis ist einmal mehr eine verpatzte
Komiker-Biographie, die aber viele glorreiche Momente hat, so wohl
die Premiere im Pariser "Olympia" im Jahr 1970: "In der ersten
Reihe saßen Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Catherine Deneve,
ganz Paris kam zur Premiere. Maria Callas saß in der dritten
Reihe." Und im Beleuchterraum hatte sich Charlie Chaplin versteckt,
um unbemerkt zuzusehen. "Wenn ich ein Erlebnis nennen müßte, das
für mein ganzes Leben steht, dann wäre es dieser Abend. Es war
unglaublich."
Seit dem 16. März ist Jerry Lewis bereits 75 Jahre alt, also
deutlich aus der Pubertät heraus, und man mag gar nicht darüber
nachdenken, was er in den letzten 25 Jahren - 17 Sekunden davon war
er übrigens tot - alles nicht gedreht hat. Doch nach der
Eddie-Murphy-Version von "Der verrückte professor" stehen nun
einige Remakes von Lewis-Filmen an, er scheint wieder besser ins
Geschäft zu kommen. Im letzten Jahr ließ er verlauten, er plane
endlich wieder einen eigenen Film. Denn das kann ja noch nicht
alles gewesen sein.
Richard
Oehmann
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