Noch einmal also EMIL UND DIE DETEKTIVE. Noch einmal die Geschichte
vom braven Landei auf Räuberjagd in Berlin. Noch einmal die
Geschichte von der wackeren Bürgerwehr. Da lohnt sich zunächst
ein genauerer Blick auf die früheren Versuche, sie zu erzählen.
Der Schwarzweißfilm von 1931 (Regie: Gerhard Lamprecht) zunächst,
obwohl mit Ton, doch noch ganz von der Ästhetik des Stummfilms
geprägt. Nur scheinbar handelt er von dem munteren Räuber-und-Gendarme
Spiel einiger Jungen und von der kreativen Gewitztheit, die
Kinder einer tumben Erwachsenenwelt entgegen setzen. Nur wenn
man den Film vollständig aus seinem historischen Horizont
entfernt, kann die Denkmalschändung in der Eingangssequenz
als Dummejungenstreich erscheinen. Tatsächlich folgt auf die
öffentliche Bloßstellung einer unfähigen und retardierten
Staatsgewalt die Demonstration der Macht einer männerbündisch
organisierten Jugend in einer Gemeinschaft mit paramilitärischen
Strukturen. Die Hatz des Gauners Grundeis durch die entfesselt
johlende Menge trägt Züge eines Pogroms. Der Flug des gefeierten
Helden Emil und sein Empfang in der Heimatstadt nimmt schließlich
bis ins Detail eine Szene vorweg, in der nur wenige Jahre
später eine ungleich folgenreichere Heroisierung zur filmischen
Perfektion getrieben wird: der Anflug Hitlers auf Nürnberg
in Leni Riefenstahls Dokumentarfilm TRIUMPH DES WILLENS. Insgesamt
erweist sich der Film als beklemmender Zerrspiegel der Weimarer
Verhältnisse und gestattet einen Blick auf die Wurzeln einer
totalitären Gesellschaft, der als Bedingung und Nährboden
die vollständige Militarisierung der Jugend vorauszugehen
hatte.
23 Jahre später sind die Menschen eben jener Generation, die
diese erste Inszenierung bejubelt hatte, eifrig dabei die
wirklichen Pogrome zu vergessen, die, wenn sie nicht von Ihnen
selbst veranstaltet worden waren, doch unter ihren Augen ungehindert
hatten stattfinden können. Denn zur Jagd auf jene, die im
ganz großen Stil gemordet hatten, war man nicht bereit gewesen.
Für solche Konsequenzen hatten die Lagerfeuerträume vom Endsieg
den Blick getrübt.
Die Verfilmung von 1954 (Regie: Robert A. Stemmle) befaßt
sich mit dem Thema daher etwas weniger forsch und in der gebotenen
zeitgemäßen Betulichkeit. Anstatt ein Denkmal zu schänden,
befreien Emil und seine Kumpane eine gefangene Seerobbe. Weniger
ein Vergehen dies, als eine gute Tat, bei der ein Rechtsbruch
billigend in Kauf genommen wird. Aus dem von Fitz Rasp großartig
verkörperten dämonischen Verbrecher in Gerhard Lamprechts
Verfilmung wird hier eine farblose, etwas trottelige Witzfigur
mit betont deutscher Anmutung. Auf männerbündisches Gehabe
wird weitgehend verzichtet; die militärischen Vokabeln sind
aus der Sprache der Helden verschwunden. Und schließlich fliegt
auch Emil nicht mehr in der Tante Ju, sondern die Mutter ganz
zivil in einer Linienmaschine der Air France in die ehemalige
Reichshauptstadt, um dort die Verlobung mit dem Dorfpolizisten
bekannt zu geben.
An die soeben überstandene Katastrophe erinnert allein die
ausgebombte Gedächtniskirche, in der die Knaben ihr Lager
aufschlagen. Die Verfolgung des Diebes findet vor Neubauten
statt und von Berlin ist in der Hauptsache der vollständig
instandgesetzte Kurfürstendamm zu sehen. Einzig eine deutlich
ins Bild gerückte Bautafel der "Hoch-Tief" Baugesellschaft
weist mit einiger Ironie darauf hin, daß die Konstruktion
des rechtsstaatlichen Bodens auf dem diese Jugend sich neuerdings
bewegen soll, die Trümmer des Gewaltstaates über die er gelegt
wurde, erst notdürftig bedeckt. Zum guten Schluß gibt eine
nun demokratische Exekutive ausgerechnet im Berliner Olympiastadion
auf dem Polizeisportfest ihre Freiübungen zum Besten. Bei
der Belobigung von Emils Leistung versäumt es der Stadionsprecher
nicht, die hervorragende Zusammenarbeit der Detektive mit
der Polizei hervorzuheben. Solchermaßen auf zivilisierten
Gehorsam eingeschworen, war eine neue deutsche Jugend fit
für den Marsch ins Wirtschaftswunderland.
Dort sind die Teenies in der aktuellen Verfilmung längst angekommen.
Das Kind erscheint nun als Konsument, als kompetenter, cooler
und niemals überforderter User des popkulturellen und IT-technischen
Angebots. Politisch ganz korrekt ist Pony Hütchen die Chefin
einer Clique mit multikultureller Besetzung. Man bewegt sich
auf Boards, Skates und Rollern, ausgestattet mit treudeutsch
simplifizierten Stereotoypen der HipHop Kultur. Es gibt den
breakdancenden Türken Kebab. Die graffittisprühenden Zwillinge
Fee und Elfe, die in ihrer püppchenhaft zurechtfrisierten
Zimperlichkeit in der Inszenierung von 1954 auch nicht weiter
aufgefallen wären. Da ist der Worthülsen stammelnde Comicfan
im Superman T-Shirt und auch eine Identifikationsfigur für
agile Sportskanonen wurde nicht vergessen. Zur Hebung der
Ausländerquote gibt es Gipsy, den immer munteren Rumänen aus
erwartungsgemäß kinderreicher Großfamilie, die Kinderausgabe
einer Zigeunerknallcharche, die ebenso schlitzohrig durchtrieben,
wie phantasiemäßig voll auf Zack zu sein hat und sich selbstverständlich
als brillianter Jongleur erweist. Nur der kleine Dienstag
ist geblieben, was er immer war: das nützliche Söhnchen reicher
Eltern, nun allerdings zeitgemäß mit Handy und Kreditkarte
ausgerüstet.
Das quietschvergnügte Panoptikum einer vielfältigen Kinder-
und Jugendkultur in Franziska Buchs Verfilmung zeugt nur auf
den ersten Blick von einem wirklichen Interesse an den Kindern
und ihren Motivationen. Die Behauptung einer Authentizität
dieser Kultur in Opposition zur Erwachsenenwelt bleibt ebenso
fragwürdig, wie die Pseudosubversivität der dem Markt schon
längst zur allgemeinen Konsumierbarkeit einverleibten HipHop
Kultur. Die Gangsterjagd wird zum Actionspaß und die Predigt
von Pastorin Hummel für eine kindergerechtere Welt ist doch
nur ein Aufruf zur kindergerechten Gestaltung der Regeln des
Konsums. Keine Denkmalschändung steht mehr am Beginn der Geschichte,
sondern die widerrechtliche Beschaffung des richtigen Outfits.
Nachhaltig verstärkt das aufdringliche Product Placement von
zielgruppenrelevanten Waren diesen zwiespältigen Eindruck
auf der Zeichenebene des Films. In Nebensätzen angerissene
Themen wie Patchworkfamilien und Scheidungswaisen möchten
Verständnis für reale kindliche Lebenserfahrung signalisieren
und sind doch zu oberflächlich und holzschnitthaft inszeniert,
als daß sie den Figuren echte Tiefe und Vielschichtigkeit
verleihen könnten.
Überzeugender ist hingegen die von Jürgen Vogel sehr witzig
gespielte Karrikatur eines Vampirs, der die zynische Haltung
dieser Gesellschaft ihren Kindern gegenüber programmatisch
auf den Punkt bringt: Kinder sind "kleine Monster", die "abgezockt"
werden müssen. Dagegen eine ernsthaft kritische Haltung zu
formulieren, gelingt dem Film nicht. Andererseits gibt er,
genau wie die anderen Verfilmungen zuvor auf ihre Weise, sehr
präzise Auskunft über die Rolle die den Kindern in einem bestimmten
historischen Augenblick in der Gesellschaft zugewiesen wird.
Dazu hat Erich Kästner mit seinem Text offenbar die ideale
und stets aufs Neue wirksame Matrix geschaffen.
Michael
Wegscheider
|