Angenommen, man sitzt in einem hervorragenden Drei Sterne Lokal,
genießt ein ganz wunderbares Menü, bittet zum Abschluss den Koch an
den Tisch um ihn ein Lob auszusprechen und erfährt dabei, dass er
früher Hamburger und Pommes für einen bekannten Fast Food Konzern
gemacht hat. Wie reagiert man? Ist man verwundert? Fühlt man sich
getäuscht? Ist es einem egal, da das vorhergegangen Essen trotzdem
perfekt war? Redet man aber nicht vom Essen sondern vom Kino,
so neigt mancher dazu, einen neuen Film mit dem früheren Schaffen
des Regisseurs aufzurechnen. Glücklich ist da als Filmemacher, wer
sich seine Sporen im Independentbereich verdient hat oder gar einen
seriösen Künstlerberuf wie Theaterregisseur (z.B. Sam Mendes von
AMERICAN BEAUTY) vorzuweisen hat. Pech dagegen haben Regisseure,
die ihre Seele dem Kommerz opferten und Werbespots bzw. Videoclips
drehten.
Diese Filmemacher können tun und lassen was sie wollen, immer
wird in den Kritiken darauf hingewiesen werden, womit sie früher
ihr Geld verdient haben. Das wäre nun grundsätzlich nicht schlimm,
schließlich haben sie nicht Drogen verkauft oder kleine Kinder
gestohlen. Doch leider herrscht noch immer der Glaube vor, wer
einmal Spots und Clips gemacht hat, wird bis an sein Lebensende
nichts anderes mehr tun können, als hektische, grelle, laute,
handlungsarme Filmchen, die nun eben nicht mehr 30 Sekunden oder 5
Minuten sondern 1 ½ Stunden dauern, zu drehen.
Wer so argumentiert, der macht es sich zu leicht. Alleine der
Vergleich von zwei aktuellen Beispiel, THE CELL von Tarsem Singh
und 3 ENGEL FÜR CHARLIE von McG, zeigt, dass man die Werke von
Ex-Werbe- bzw. Videofilmern keineswegs über einen Kamm scheren
kann. Natürlich gibt es Gemeinsamkeit, die noch deutlicher werden
wenn man zusätzlich Actionfilme mit dem selben Hintergrund wie
ARMAGEDDON oder THE ROCK von Michael Bay oder GONE IN 60 SECONDS
von Dominic Sena daneben stellt. All diese Film sind in der Tat
rasant und laut und auftrumpfend und haben oft kaum oder eine
ärgerliche Handlung. Ob diese reinen Unterhaltungsfilme ihren Zweck
erfüllen, sollte man jedoch von Fall zu Fall neu diskutieren und
kein pauschales Urteil über sie alle sprechen.
Denn diese Filme haben eine weitere Gemeinsamkeit, die durchaus
sehr schöne Blüte treiben kann. Sie sind hemmungslos visuell. Der
Bilderrausch in THE CELL läßt zeitweise sogar die Handlung
vergessen, bei der pausenlosen Aneinanderreihung von Sensationen in
3 ENGEL FÜR CHARLIE kommt man erst gar nicht auf die Idee nach
einer Handlung zu fragen, Dominic Sena hat vor Jahren eben auch den
beeindruckend düsteren KALIFORNIA gedreht, der frühere Werbefilmer
Ridley Scott war in guten wie schlechten Zeiten (und Filmen) immer
einer, der Kinobilder für die Ewigkeit geschaffen hat und David
Finchers Filme muss man trotz aller Grausamkeit die er zeigt, doch
als wunderschön bezeichnen. Gerade David Fincher, aber auch
Spike Jonzes, sind es, die mit ihren Filme FIGHT CLUB bzw. BEING
JOHN MALKOVICH zeigen, dass einem die Arbeit an Videoclips nicht
zwangsläufig jedes narrative Talent und jeden Sinn für eine gute
Geschichte raubt.
Man sollte akzeptieren, dass es filmische Experimentierfelder wie
den klassischen Kurzfilm heute praktisch nicht mehr gibt und diese
Lücke nun Videos und Werbespots füllen. Angesichts der technischen
und vor allem finanziellen Möglichkeiten die in diesen Bereichen
bereitstehen, verwundert es nicht, wenn sich selbst renommierte
Regisseure auf dieses Gebiet vorwagen (man vgl. etwa die Arbeit von
Wim Wenders beim letzten Video der Tote Hosen).
Unsinnig ist es, die Werbe- bzw. Videoclipästhetik von der
Spielfilmästhetik abgrenzen zu wollen, da es weder die eine noch
die andere in einer einheitlichen, verbindlichen Form gibt.
Angebracht ist es dagegen, von Fall zu Fall die wirklich kreativen
Filme, Clips und manchmal sogar Werbungen von den glatten, dummen,
niveaulosen und rein kommerziellen zu unterscheiden. Das heute
manche Spielfilme durch ständiges Productplacement zu Werbefilmen
verkommen, während Produktwerbungen zu Kinotrailern werden und
Musikvideos der Soundtracks zu kleinen Spielfilmen mutieren, hat
weniger mit den Regisseuren, als vielmehr mit den Plänen der
Marketingspezialisten zu tun.
Michael Haberlander
|