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21.12.2000
 
 
   
 

Der wahrscheinliche längste Videoclip der Welt

 
Jennifer Lopez in THE CELL
     
 
 
 
 

Angenommen, man sitzt in einem hervorragenden Drei Sterne Lokal, genießt ein ganz wunderbares Menü, bittet zum Abschluss den Koch an den Tisch um ihn ein Lob auszusprechen und erfährt dabei, dass er früher Hamburger und Pommes für einen bekannten Fast Food Konzern gemacht hat. Wie reagiert man? Ist man verwundert? Fühlt man sich getäuscht? Ist es einem egal, da das vorhergegangen Essen trotzdem perfekt war?
Redet man aber nicht vom Essen sondern vom Kino, so neigt mancher dazu, einen neuen Film mit dem früheren Schaffen des Regisseurs aufzurechnen. Glücklich ist da als Filmemacher, wer sich seine Sporen im Independentbereich verdient hat oder gar einen seriösen Künstlerberuf wie Theaterregisseur (z.B. Sam Mendes von AMERICAN BEAUTY) vorzuweisen hat. Pech dagegen haben Regisseure, die ihre Seele dem Kommerz opferten und Werbespots bzw. Videoclips drehten.

Diese Filmemacher können tun und lassen was sie wollen, immer wird in den Kritiken darauf hingewiesen werden, womit sie früher ihr Geld verdient haben. Das wäre nun grundsätzlich nicht schlimm, schließlich haben sie nicht Drogen verkauft oder kleine Kinder gestohlen. Doch leider herrscht noch immer der Glaube vor, wer einmal Spots und Clips gemacht hat, wird bis an sein Lebensende nichts anderes mehr tun können, als hektische, grelle, laute, handlungsarme Filmchen, die nun eben nicht mehr 30 Sekunden oder 5 Minuten sondern 1 ½ Stunden dauern, zu drehen.

Wer so argumentiert, der macht es sich zu leicht. Alleine der Vergleich von zwei aktuellen Beispiel, THE CELL von Tarsem Singh und 3 ENGEL FÜR CHARLIE von McG, zeigt, dass man die Werke von Ex-Werbe- bzw. Videofilmern keineswegs über einen Kamm scheren kann. Natürlich gibt es Gemeinsamkeit, die noch deutlicher werden wenn man zusätzlich Actionfilme mit dem selben Hintergrund wie ARMAGEDDON oder THE ROCK von Michael Bay oder GONE IN 60 SECONDS von Dominic Sena daneben stellt. All diese Film sind in der Tat rasant und laut und auftrumpfend und haben oft kaum oder eine ärgerliche Handlung. Ob diese reinen Unterhaltungsfilme ihren Zweck erfüllen, sollte man jedoch von Fall zu Fall neu diskutieren und kein pauschales Urteil über sie alle sprechen.

Denn diese Filme haben eine weitere Gemeinsamkeit, die durchaus sehr schöne Blüte treiben kann. Sie sind hemmungslos visuell. Der Bilderrausch in THE CELL läßt zeitweise sogar die Handlung vergessen, bei der pausenlosen Aneinanderreihung von Sensationen in 3 ENGEL FÜR CHARLIE kommt man erst gar nicht auf die Idee nach einer Handlung zu fragen, Dominic Sena hat vor Jahren eben auch den beeindruckend düsteren KALIFORNIA gedreht, der frühere Werbefilmer Ridley Scott war in guten wie schlechten Zeiten (und Filmen) immer einer, der Kinobilder für die Ewigkeit geschaffen hat und David Finchers Filme muss man trotz aller Grausamkeit die er zeigt, doch als wunderschön bezeichnen.
Gerade David Fincher, aber auch Spike Jonzes, sind es, die mit ihren Filme FIGHT CLUB bzw. BEING JOHN MALKOVICH zeigen, dass einem die Arbeit an Videoclips nicht zwangsläufig jedes narrative Talent und jeden Sinn für eine gute Geschichte raubt.

Man sollte akzeptieren, dass es filmische Experimentierfelder wie den klassischen Kurzfilm heute praktisch nicht mehr gibt und diese Lücke nun Videos und Werbespots füllen. Angesichts der technischen und vor allem finanziellen Möglichkeiten die in diesen Bereichen bereitstehen, verwundert es nicht, wenn sich selbst renommierte Regisseure auf dieses Gebiet vorwagen (man vgl. etwa die Arbeit von Wim Wenders beim letzten Video der Tote Hosen).

Unsinnig ist es, die Werbe- bzw. Videoclipästhetik von der Spielfilmästhetik abgrenzen zu wollen, da es weder die eine noch die andere in einer einheitlichen, verbindlichen Form gibt. Angebracht ist es dagegen, von Fall zu Fall die wirklich kreativen Filme, Clips und manchmal sogar Werbungen von den glatten, dummen, niveaulosen und rein kommerziellen zu unterscheiden.
Das heute manche Spielfilme durch ständiges Productplacement zu Werbefilmen verkommen, während Produktwerbungen zu Kinotrailern werden und Musikvideos der Soundtracks zu kleinen Spielfilmen mutieren, hat weniger mit den Regisseuren, als vielmehr mit den Plänen der Marketingspezialisten zu tun.

Michael Haberlander

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