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Dass ahnungslose Gelegenheits-Kinogänger und kulturbeflissene,
bildungsbürgerliche "Filmkunst"-Gucker sowas glauben, ist ja noch
nachzuvollziehen. Aber es soll waschechte Filmfanatiker und
Cineasten geben, die tatsächlich meinen, Horrorfilme wären ein
rechter Schmarrn, Science-Fiction Kinderkram und Thriller halt
"bloß Unterhaltung". Die sollen sich jetzt erstmal ihr Notizbuch
rausholen und aufschreiben: "Bloß Unterhaltung" gibt es nicht!
Jeder Film (bzw. jedes kulturelle Artefakt) verhandelt auf seine
Art Dinge, die in der Gesellschaft, in der er gemacht wird,
virulent sind. Sei's bewusst oder unbewusst - es geht immer um
mehr. Und meistens gerade da, wo's am wenigsten zur Schau gestellt
wird, am meisten und einflussreichsten um Welt-Bilder. Vor
allem aber: Der Genre-Film ist noch am nähesten an dem dran, was
Kino in seinem Ursprung einmal war. Und im Genre-Film ist oft
wesentlich mehr Innovation und mehr mediale Selbst-Reflektion
möglich als anderswo. Mit anderen Worten: Das wahre Filmfest
beginnt erst jetzt. Klar gab's auf dem "großen" Münchner Filmfest
viel Schönes und vereinzelt manch tolle Entdeckung. Aber so
richtig Kino findet garantiert auf dem Fantasy Filmfest mehr
statt. Das nimmt von Mittwoch an bis zum 2. August Cinema und City
in Beschlag, und bietet mal wieder so volles Programm, dass man
sich in den Kinos eigentlich gleich dauer-installieren lassen
könnte. Was sich deutlich als Trend feststellen lässt: Das
Festival kann es sich mittlerweile leisten, nicht mehr allzusehr um
den Beweis seiner eigenen Respektabilität bemüht zu sein. Großes
Hollywood-Kino ist (wie üblich) nicht mit den Mega-Blockbustern
vertreten, sondern mit grundsolider Handelsklasse 1B (in Bezug auf
amerikanischen Kassenerfolg): Die hinreissend surreale
Comic-Persiflage MYSTERY MEN, der gegen Ende leider allzu
affirmative, aber durchaus spannende FREQUENCY, THE 4TH FLOOR,
PITCH BLACK, SUPERNOVA (Cineasten und Komplettisten aufgemerkt:
große Teile der Regie von Walter Hill, große Teile des Schnitts von
Francis Ford Coppola!) und der Abschlussfilm FINAL DESTINATION, der
erst versucht, in das Sub-Genre Teenie-Horror eine ernsthafte
Auseinandersetzung mit dem Tod reinzubringen und sich dann noch
mehr bemüht, sie wieder rauszutreiben. Ausnahme SCARY MOVIE: Die
SCREAM-Parodie macht in den USA gerade mächtig Moneten, aber damit
hatte vorher keiner gerechnet. Ein bisschen an offensichtlichem
filmkünstlerischem Anspruch können die europäischen Beiträge
heischen. Besonders zu empfehlen: SCÈNES DE CRIMES, ein etwas
anderer, unspektakulärerer und ernüchternder Blick auf die Jagd
nach einem Serienkiller. Gespannt darf man wohl auf den
jugoslawischen Beitrag TOCKOVI (WHEELS) sein, auf die spanische
Ramsey Campbell-Verfilmung THE NAMELESS. Und darauf, ob der
französische SIX-PACK den pubertären Gossen-Standard des
unsäglichen DOBERMAN noch unterbieten wird - die Beschreibung im
Programmheft klingt fast danach. Und ein kleines Fest der
Freude im Festival: Focus Asia, ein feiner Asien-Schwerpunkt, der
diesmal ganz ohne Hong Kong auskommt und dafür (Süd-)Korea als
mögliche Entdeckung anbietet - plus dem immer zuverlässigen Japan,
versteht sich, und einem Film aus Thailand. Und freilich gibt es
einiges an guten, kleineren und zurückhaltenden Filmen -
nachdrücklich möchten wir da auf THE MINUS MAN und EYE OF THE
BEHOLDER hinweisen.
Vor allem aber gilt: Keine Scheu vor dem Rohen, Schmutzigen,
Dreckigen, Billigen. Programmatisch die diesjährige Hommage - die
nicht einem der Renommé-Auteurs oder gepflegten Klassiker des
phantastischen Films gilt, sondern Jess Franco. Der hat in seinem
Leben nicht wenig an wirklich unrettbarem, sadistischem, misogynen
Vollschund heruntergekurbelt. Aber dann legt er halt auch wieder so
großartige und durchaus avantgardistische-künstlerische Sachen hin
wie VAMPYROS LESBOS. Es ist ja nicht untypisch für's italienische
und spanische Kino, den Spagat zu probieren zwischen (meist
kommunistischem) politischen und kritischem Anspruch und derber
Exploitation-Ware - viele der Sex- und Skandalfilmer dieser Länder
haben in den 60ern als waschechte Intellektuelle angefangen. Wenige
aber betreiben diese Spreizübung so extrem und so ausgedehnt wie
Franco. Aus seinem unüberschaubaren Werk (teilweise unter etlichen
Pseudonymen gedreht) wird selbstverständlich nur eine winzige
Auswahl zu sehen sein - und, so vermuten wir aus diversen Indizien,
die zu einem Gutteil in den bekannten Kopien aus dem
Werkstattkino. So richtig fern von jeder Verbrämung und allem
Anstrich von Anspruch aber ist dieses Jahr die Matinee: Die zwei
wichtigsten Filme von Herschell Gordon Lewis, BLOOD FEAST und TWO
THOUSAND MANIACS. Das sind die blutigen und ungeheuer billigen
Anfänge des Splatter-Films, krudestes Südstaaten-Autokino, mit dem
Lewis in den 60ern bewies, dass explizite Gewaltdarstellung ein
Verkaufsargument ist, das alle anderen (nicht vorhandenen)
Qualitäten eines Films vergessen lassen kann. Filme, die man
zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben sollte, um's nicht
zu glauben. Das ist Kino, wie es mal anfing, Kino als
Rummelplatz-Attraktion, als Spektakel, als Freakshow und
Zaubertrick, als proletarische Vergnügung, als Geisterbahn und
elementares Spiel mit den Tabus. Kino, das sich um bürgerliche
Kultur und Schönheitsbegriffe wenig schert. Kino, wie es
Midnight-Movie-Trash à la THE CONVENT auch versucht zu sein - nur,
dass der schon zu sehr augenzwinkert und sich für cleverer,
selbstironischer hält, als er ist. Das will bewußt so schlecht
sein, dass es wieder lustig ist, und erreicht gerade deshalb
großteils nur Momente exquisiter, fast schon surrealer
Peinlichkeit, wirkt streckenwiese wie der Welt
allerdanebengegangenster Monty Python-Sketch. Wahren Trash kann man
halt nicht kalkulieren, den plant man nicht, sondern der passiert.
Aber wer weiss: nach fünf Bier und in einem vollen Kino mag selbst
THE CONVENT ganz anders funktionieren. Wo mit recht großer
Wahrscheinlichkeit wahrer Trash passieren könnte: Der Monsterfilm
ist wieder da! CROCODILE, KOMODO, OCTOPUS, SPIDERS, THEY NEST und
(quasi ausser Konkurenz) GAMERA 3. Nein, wirklich. Das haben wir
jetzt nicht erfunden. Die Filme heissen so, und sie laufen
wirklich. Und wir freuen uns mächtig drauf. Denn wir stehen auf
Monsterfilme. Was wir jetzt gar nicht weiter argumentativ
verteidigen oder intellektuell unterfüttern wollen. Es ist so, und
wenn Sie nicht drauf stehen: Selbst schuld und gut für uns - dann
haben wir mehr Platz im Kino. Denn der könnte knapp werden: Der
Vorverkauf läuft, beim Cinema (tgl. 17:00-21:00 Uhr) sowie (für
alle, die auf die DM 15,- pro Karte nochmal VVK-Gebühr drauflegen
wollen) beim WOM in der Kaufingerstr., und erfahrungsgemäß ist
frühes Zugreifen absolut von Nöten. Alle weiteren Infos & das
komplette Programm finden sich im dicken Festival-Heft, das bei den
VVK-Stellen ausliegt, und auf der Website des Fantasy
Filmfest.
Thomas
Willmann
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