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20.07.2000
 
 
   
 

Brutal... Evil... Ghastly Beyond Belief
Am Mittwoch startet das 14. Fantasy Filmfest in München

 
Der etwas andere Filmkunst-Klassiker
     
 
 
 
 

Dass ahnungslose Gelegenheits-Kinogänger und kulturbeflissene, bildungsbürgerliche "Filmkunst"-Gucker sowas glauben, ist ja noch nachzuvollziehen. Aber es soll waschechte Filmfanatiker und Cineasten geben, die tatsächlich meinen, Horrorfilme wären ein rechter Schmarrn, Science-Fiction Kinderkram und Thriller halt "bloß Unterhaltung". Die sollen sich jetzt erstmal ihr Notizbuch rausholen und aufschreiben: "Bloß Unterhaltung" gibt es nicht! Jeder Film (bzw. jedes kulturelle Artefakt) verhandelt auf seine Art Dinge, die in der Gesellschaft, in der er gemacht wird, virulent sind. Sei's bewusst oder unbewusst - es geht immer um mehr. Und meistens gerade da, wo's am wenigsten zur Schau gestellt wird, am meisten und einflussreichsten um Welt-Bilder.
Vor allem aber: Der Genre-Film ist noch am nähesten an dem dran, was Kino in seinem Ursprung einmal war. Und im Genre-Film ist oft wesentlich mehr Innovation und mehr mediale Selbst-Reflektion möglich als anderswo.
Mit anderen Worten: Das wahre Filmfest beginnt erst jetzt. Klar gab's auf dem "großen" Münchner Filmfest viel Schönes und vereinzelt manch tolle Entdeckung. Aber so richtig Kino findet garantiert auf dem Fantasy Filmfest mehr statt. Das nimmt von Mittwoch an bis zum 2. August Cinema und City in Beschlag, und bietet mal wieder so volles Programm, dass man sich in den Kinos eigentlich gleich dauer-installieren lassen könnte.
Was sich deutlich als Trend feststellen lässt: Das Festival kann es sich mittlerweile leisten, nicht mehr allzusehr um den Beweis seiner eigenen Respektabilität bemüht zu sein. Großes Hollywood-Kino ist (wie üblich) nicht mit den Mega-Blockbustern vertreten, sondern mit grundsolider Handelsklasse 1B (in Bezug auf amerikanischen Kassenerfolg): Die hinreissend surreale Comic-Persiflage MYSTERY MEN, der gegen Ende leider allzu affirmative, aber durchaus spannende FREQUENCY, THE 4TH FLOOR, PITCH BLACK, SUPERNOVA (Cineasten und Komplettisten aufgemerkt: große Teile der Regie von Walter Hill, große Teile des Schnitts von Francis Ford Coppola!) und der Abschlussfilm FINAL DESTINATION, der erst versucht, in das Sub-Genre Teenie-Horror eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Tod reinzubringen und sich dann noch mehr bemüht, sie wieder rauszutreiben. Ausnahme SCARY MOVIE: Die SCREAM-Parodie macht in den USA gerade mächtig Moneten, aber damit hatte vorher keiner gerechnet.
Ein bisschen an offensichtlichem filmkünstlerischem Anspruch können die europäischen Beiträge heischen. Besonders zu empfehlen: SCÈNES DE CRIMES, ein etwas anderer, unspektakulärerer und ernüchternder Blick auf die Jagd nach einem Serienkiller. Gespannt darf man wohl auf den jugoslawischen Beitrag TOCKOVI (WHEELS) sein, auf die spanische Ramsey Campbell-Verfilmung THE NAMELESS. Und darauf, ob der französische SIX-PACK den pubertären Gossen-Standard des unsäglichen DOBERMAN noch unterbieten wird - die Beschreibung im Programmheft klingt fast danach.
Und ein kleines Fest der Freude im Festival: Focus Asia, ein feiner Asien-Schwerpunkt, der diesmal ganz ohne Hong Kong auskommt und dafür (Süd-)Korea als mögliche Entdeckung anbietet - plus dem immer zuverlässigen Japan, versteht sich, und einem Film aus Thailand. Und freilich gibt es einiges an guten, kleineren und zurückhaltenden Filmen - nachdrücklich möchten wir da auf THE MINUS MAN und EYE OF THE BEHOLDER hinweisen.

Vor allem aber gilt: Keine Scheu vor dem Rohen, Schmutzigen, Dreckigen, Billigen. Programmatisch die diesjährige Hommage - die nicht einem der Renommé-Auteurs oder gepflegten Klassiker des phantastischen Films gilt, sondern Jess Franco. Der hat in seinem Leben nicht wenig an wirklich unrettbarem, sadistischem, misogynen Vollschund heruntergekurbelt. Aber dann legt er halt auch wieder so großartige und durchaus avantgardistische-künstlerische Sachen hin wie VAMPYROS LESBOS. Es ist ja nicht untypisch für's italienische und spanische Kino, den Spagat zu probieren zwischen (meist kommunistischem) politischen und kritischem Anspruch und derber Exploitation-Ware - viele der Sex- und Skandalfilmer dieser Länder haben in den 60ern als waschechte Intellektuelle angefangen. Wenige aber betreiben diese Spreizübung so extrem und so ausgedehnt wie Franco. Aus seinem unüberschaubaren Werk (teilweise unter etlichen Pseudonymen gedreht) wird selbstverständlich nur eine winzige Auswahl zu sehen sein - und, so vermuten wir aus diversen Indizien, die zu einem Gutteil in den bekannten Kopien aus dem Werkstattkino.
So richtig fern von jeder Verbrämung und allem Anstrich von Anspruch aber ist dieses Jahr die Matinee: Die zwei wichtigsten Filme von Herschell Gordon Lewis, BLOOD FEAST und TWO THOUSAND MANIACS. Das sind die blutigen und ungeheuer billigen Anfänge des Splatter-Films, krudestes Südstaaten-Autokino, mit dem Lewis in den 60ern bewies, dass explizite Gewaltdarstellung ein Verkaufsargument ist, das alle anderen (nicht vorhandenen) Qualitäten eines Films vergessen lassen kann. Filme, die man zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben sollte, um's nicht zu glauben.
Das ist Kino, wie es mal anfing, Kino als Rummelplatz-Attraktion, als Spektakel, als Freakshow und Zaubertrick, als proletarische Vergnügung, als Geisterbahn und elementares Spiel mit den Tabus. Kino, das sich um bürgerliche Kultur und Schönheitsbegriffe wenig schert. Kino, wie es Midnight-Movie-Trash à la THE CONVENT auch versucht zu sein - nur, dass der schon zu sehr augenzwinkert und sich für cleverer, selbstironischer hält, als er ist. Das will bewußt so schlecht sein, dass es wieder lustig ist, und erreicht gerade deshalb großteils nur Momente exquisiter, fast schon surrealer Peinlichkeit, wirkt streckenwiese wie der Welt allerdanebengegangenster Monty Python-Sketch. Wahren Trash kann man halt nicht kalkulieren, den plant man nicht, sondern der passiert. Aber wer weiss: nach fünf Bier und in einem vollen Kino mag selbst THE CONVENT ganz anders funktionieren.
Wo mit recht großer Wahrscheinlichkeit wahrer Trash passieren könnte: Der Monsterfilm ist wieder da! CROCODILE, KOMODO, OCTOPUS, SPIDERS, THEY NEST und (quasi ausser Konkurenz) GAMERA 3. Nein, wirklich. Das haben wir jetzt nicht erfunden. Die Filme heissen so, und sie laufen wirklich. Und wir freuen uns mächtig drauf. Denn wir stehen auf Monsterfilme. Was wir jetzt gar nicht weiter argumentativ verteidigen oder intellektuell unterfüttern wollen. Es ist so, und wenn Sie nicht drauf stehen: Selbst schuld und gut für uns - dann haben wir mehr Platz im Kino.
Denn der könnte knapp werden: Der Vorverkauf läuft, beim Cinema (tgl. 17:00-21:00 Uhr) sowie (für alle, die auf die DM 15,- pro Karte nochmal VVK-Gebühr drauflegen wollen) beim WOM in der Kaufingerstr., und erfahrungsgemäß ist frühes Zugreifen absolut von Nöten. Alle weiteren Infos & das komplette Programm finden sich im dicken Festival-Heft, das bei den VVK-Stellen ausliegt, und auf der Website des Fantasy Filmfest.

Thomas Willmann

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