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08.06.2000
 
 
   
 

Sing it!
Shakespeare und das Musical

 
Wachen? Träumen!
     
 
 
 
 

Spätestens seit Cannes dürfte kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass Lars von Trier nicht nur ein großartiger Regisseur, sondern auch ein geschickter Anarchist der Filmkunst ist.
Gerade dann, wenn alle Welt von ihm den Ultra-Dogma-Film, mit noch mehr Verknappung, noch weniger Kompromissen und noch strengeren Regeln erwartet, liefert er das genau Gegenteil. Was aber ist das Gegenteil von Dogma ? Aufwendige Historienfilme ? Computerunterstützte Science-fiction-Knaller ? Aufgeblasene Hollywooddramen ?
Es braucht schon einen Lars von Trier, um in einem Musical die überraschendste und zugleich logischste Antwort auf diese Frage zu finden. Denn was ist schließlich weiter vom strengen Realismus der Dogma-Filme entfernt, als die vollkommen realitätsfremde Abgehobenheit von tanzenden und singenden Menschen ?
Auch Kenneth Branagh bekennt sich mit seinem aktuellen Film VERLORENE LIEBESMÜH' zu diesem mittlerweile ungewohnte Genre, wobei seine Mischung aus Shakespeares eher unbekanntem Stück "Love's Labour's Lost" (so auch der Originaltitel) und Jazz Standards fast genauso gewagt ist wie von Triers Husarenstück, jedoch leider nicht gelungen.

Warum sich Shakespeare und Cole Porter & Co. nicht vermischen lassen? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum Wagner Opern und die Musik von Coltrane nicht direkt zusammenpassen oder DON GIOVANNI Einschübe von Isaac Hayes nicht verträgt. Man stelle sich eine Aufführung von Goethes FAUST vor, in der das Gretchen plötzlich singt "I'm thru with love" oder der Dr. Faust ein schmissiges "Sympathy for the Devil" anstimmt. Musical mir graut vor dir.

Nun bin ich wirklich kein Prediger der reinen Lehre, der nur das unverfälschte Original ohne Streichungen und am besten in unverständlichem Altenglisch (um bei Shakespeare zu bleiben) gelten läßt. Aber ich glaube doch daran, dass sich der Autor den ein oder anderen Gedanken über den Aufbau, den Rhythmus und den Ablauf der Handlung gemacht hat.
Sowie die Menschen in VERLORENE LIEBESMÜH' aber anfangen zu tanzen und zu singen kommt das eigentliche Stück zum erliegen. Die Handlung steht still, und das nicht einmal, sondern alle 15 Minuten.
Es ist wie in den Filmen der Marx Brothers, wenn Chico und Harpo minutenlang auf dem Klavier bzw. der Harfe spielen (ähnlich ist es auch mit den Liedern von Dean Martin in den Jerry Lewis Filmen).
Das erstaunliche Tempo, das ein Marx Brothers Film ansonsten hat, bremst bei diesen Musikeinlagen augenblicklich ab und das hat mich schon immer gestört. Das Harfenspiel von Harpo Marx hat ebenso seinen Reiz wie die Musicalszenen in VERLORENE LIEBESMÜH', doch in einer lebhaften Komödie wirken sie für mich wie ein Fremdkörper, noch dazu wenn die Einlagen selber nicht komisch sind (im Gegensatz etwa zu den Liedern in A LITTLE SHOP OF HORROR). Das ein auf den ersten Blick ähnlicher Film wie Woody Allens ALLE SAGEN I LOVE YOU im Gegensatz zu VERLORENE LIEBESMÜH' funktioniert, liegt schlicht daran, dass Allens Film ein Musical mit Komödieneinschüben ist, und nicht wie bei Branagh umgekehrt. Eine Komödie lebt ebenso von einem gewissen Tempo wie ein Actionfilm, aber wer kann sich schon einen spannenden Thriller mit Gesangseinlagen vorstellen ?

Das Experiment Shakespeare meets Swing hätte sicher auch gut ausgehen können, wenn Branagh den alten Meister nicht so fürchterlich ernst nehmen würde (jetzt sind wir wieder so weit wie am Anfang). Nimmt man sich Shakespeare als sehr freie Vorlage, wie etwa jetzt bei ROMEO MUST DIE oder als geistigen Grundstock wie in LOOKING FOR RICHARD von Al Pacino, kann man damit so ziemlich alles machen. Aber wenn man aber Shakespeare so pedantisch betreibt wie Branagh (der immerhin einen vierstündigen HAMLET ohne Kürzungen gemacht hat), dann steht das in sich geschlossene Kunstwerk des Theaterstücks neben den davon unabhängigen, zeitlos schönen Liedern.

Würde man alle Musicaleinlagen aus VERLORENE LIEBESMÜH' herausschneiden, man hätte immer noch eine schlüssige Komödie. Täte man das selbe bei anderen, "richtigen" Musicals, es würde nur ein wirrer Torso übrig bleiben.

Michael Haberlander

!!!---Ein nicht unerheblicher Teil der Redaktion möchte hier festhalten, daß er überhaupt nicht dieser Meinung ist und LOVE'S LABOUR'S LOST große Klasse findet ---!!!

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