Die gewichtige Frage: "Was ist Kunst?" wird immer wieder ganz
lapidar beantwortet mit: "Was in den Museeen hängt." Daß es nun
(nicht zum ersten Mal) eine Hitchock-Ausstellung zu sehen gibt,
könnte damit bedeuten, daß der Mann selbst zum Kunstwerk geworden
ist - seine Selbstinszenierungen sind in jedem Fall Kunststücke und
seine Filme ohnehin große Kunst - mit oder ohne Ausstellung.
Nachdem im letzten Jahr zu seinem hundertsten Geburtstag im Museum
of Modern Art eine Ausstellung zu sehen war, wird Alfred Hitchcock
also ein Jahr später auch in Deutschland geehrt. Daß uns die
Amerikaner mal wieder ungefähr ein Jahr voraus sind, ist nun
wirklich nichts neues - auch wenn Robert Fischer, seinerzeit
kommissarischer Leiter des Münchner Filmmuseums, es gerne anders
gehabt hätte. Kündigte er doch im "off" 5/6 1999 an, die
Ausstellung solle im Oktober/November '99 stattfinden. Aber gut
Ding will Weile haben...
Und so wurde die Sache in diesem Jahr realisiert. Das Besondere
daran ist, daß sich zum ersten Mal die Filmmuseen in Düsseldorf,
Frankfurt, München und Potsdam zu einer gemeinsamen Aktion
entschlossen haben. Und nach Düsseldorf ist nun München dran - mit
ein paar Verfeinerungen, wie uns der Leiter des Filmmuseums Stefan
Drössler vertrauensvoll mitteilte.
Am Beginn der Ausstellung begrüßt uns erstmal der große Sponsor,
danach kommt der Meister in Form vieler seiner unzähligen
Abbildungen: Wir sehen jede Menge schöner Standbilder aus seinen
Filmen, alles fein sortiert nach den Motiven der Filme, jede Menge
Promotionfotos, und einige Privataufnahmen. Allein diese Bilder
lohnen den Besuch der Ausstellung, auch wenn sie für den
Hitchcock-Experten wenig Neues vermitteln werden. Doch die
Ausstellung will nicht nur Bilder transportieren, sondern auch
Erlebnisse; man soll mal so richtig eintauchen können in die Welt
der Hitchcock-Filme: so können wir uns auf ein kleines Podest
begeben und betrachten auf einem kleinen Monitor, der unter uns in
einem Kasten eingelassen ist, die berühmte Kamerafahrt in die Tiefe
des Kirchturms aus VERTIGO. Ein gewisses Amüsement vermittelt diese
"Installation" auf jeden Fall - doch mit Sicherheit kein Gefühl der
Höhenangst. Ähnlich geht es uns in der Attrappe einer Dusche,
die nur noch entfernt an eine Naßzelle erinnert und noch viel
entfernter an selbige in PSYCHO, während wir von der Seite ein
leises plätscherndes Geräusch wahrnehmen - und plötzlich auch
(ebenso ganz leise) die akustischen Messerstiche des Bernhard
Herrmann. Ganz und gar unerschrocken kann man sich dann einige
nette Artikel des Hitchcock-Merchandising ansehen, ein paar
handschriftliche Aufzeichnungen des Meisters lesen und der Musik
der Filme lauschen. Die Musik wird allerdings - vermutlich um dem
Besucher Zeit zu sparen - gleichzeitig von verschiedenen
Lautsprechern abgespielt. So ergeben sich lustige Tonkollagen, die
sich ein Herr Herrmann wohl nicht im Traum hätte ausmalen können.
Wieso die Ausstellungsmacher hier nicht zu Kopfhörern gegriffen
haben, bleibt ein Rätsel.
Und schließlich kann man sich auch noch an den wahren Schätzen
der Ausstellung erfreuen, an den deutschen Plakaten zu Hitchcocks
Filmen. Zwischen amüsantem "pulp" und hirn- und geschmacklosen
Abenteuern in DIN A1 kann man hier die hohe Kunst der Filmverleiher
und Grafiker kennenlernen - besonders die Varianten zu AUS DEM
REICH DER TOTEN (VERTIGO) seien dem Besucher hier ans Herz gelegt.
Man wird aus dem Staunen und Lachen kaum mehr herauskommen, denn
diese Plakate stehen den deutschen Titeln in nichts nach und
liefern meist deren adäquate visuelle Umsetzung.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, daß man sich, um Hitch "zu
erleben", einfach die Filme anschauen muß - und dazu bietet die
große Retrospektive im Filmmuseum noch zwei Monate Gelegenheit.
Eine Ausstellung kann dazu nur eine kleine Fußnote sein.
"Manche Filme sind ein Stück Leben, meine Filme sind ein Stück
Kuchen" sagte Hitchcock einst zu Truffaut - den ganzen Kuchen
gibt's halt nur im Kino.
Max Herrmann
|