KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
08.12.1999
 
 
   
 

Party-Film
Ein Wintermärchen

 
Louise Brooks
     
 
 
 
 

Wer kennt das nicht ? Irgendwann nach eins, Du bist auf einer Party (Fete darf man nicht sagen, erklärte kürzlich eine Freundin, die schon viel länger hier wohnt, das klinge pubertär, und sei außerdem unmünchnerisch), dämmerst mit dem vierten Bier in einem abgewetzten Sessel dahin, das hübsche Mädchen, das Du vor einer Dreiviertelstunde noch wohlgefällig betrachtet hast, knutscht mit einem anderen, und von der Seite labert irgendein Philosophiestudent auf Dich ein, erzählt von den neuesten Trends im Poststrukturalismus - und die Musik taugt auch nichts.

Jetzt gilt es das richtige Zitat parat zu haben: "Frankly My Dear, I don't give a damn!" sagte Rhett Butler einst, und mit dieser unnachahmlichen Parade zerfallen alle poststrukturalistischen Nuancen im Nu. Wenn Du es jetzt aber -schwups- nicht geschafft hast, Dich ächzend vom Sessel zu erheben, und Dich an dem Pärchen vorbeistolpernd nach interessanteren Gesprächspartnern umzusehen, dann heißt es schnell ein neues Thema zu finden, ehe der Kamarad neben Dir jetzt anfängt, Dich nach Deiner Ansicht zu Derrida zu befragen - den konntest Du sowieso noch nie leiden.
Bleiben wir doch einfach beim Film. Und Du legst los: Clark Gable klar, das war noch ein Kerl, obwohl Du Scarlett O'Hara besser behandelt hättest an seiner Stelle, JULES ET JIM, so müssen Beziehungen sein, es ist doch eh Mist, daß dreiviertel aller Filme auf biedere Familiengründungen hinauslaufen... und ob er MENSCHEN AM SONNTAG gesehen hat, einen Deiner Lieblingsfilme ? Neben Hitchcock natürlich...

"Hitchcock" - Da kann sich jetzt endlich der Philosophiestudent wieder einschalten, klar, genau VERTIGO, Du hättest doch sicher auch das Hitchcock-Buch von Slavoj Zicek gelesen ... hast Du nicht sagst Du, und außerdem magst Du NORTH BY NORTHWEST ("Der unsichtbare Dritte") und ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA, also Cary Grant lieber; wenn schon Jimmy Stewart, dann FENSTER ZUM HOF. Und für einen Augenblick vergißt der Typ seine Strukturen, und redet immerhin über Voyeurismus.

Inzwischen haben sich noch zwei andere neben Euch gestellt, und warten nur darauf, daß sie einen Punkt finden, an dem sie sich auch in die Unterhaltung einloggen können, und auch die beiden knutschenden Gegenüber haben irgendwelche Wortfetzen aufgeschnappt - "It's cool baby."-"You just put your lips together and - blow" - und hören zu, und während Du selbst gerade überlegst, wie sehr sie Louise Brooks ähnlich sieht, redest Du über Godard.

Wieder einmal, inzwischen redet ihr alle sechs durcheinander und streitet, ob Julia Roberts überhaupt schauspielen kann, und ob der letzte Woody Allen besser war, als MIGHTY APHODITE, wieder einmal bestätigt sich, daß Film das beste Gesprächsthema ist, wenn man mit Unbekannten zusammensteht. Film ist die Universalsprache dieses Jahrhunderts. Wer kennt noch den "Faust" oder "Krieg und Frieden" (obwohl Henry Fonda als Pierre Besuchow und Audrey Hepburn als Natasha Rostova und selbst Herbert Loms Napoleon nicht zu verachten sind)?

Aber AUSSER ATEM und Anita Eckberg in der Fontana de Trevi kennen alle, und selbst der letzte langweilige Trottel mit dem man blöderweise zum Abendessen eingeladen ist, kann bei Film irgendetwas Saudummes mitschwätzen und weil es um Film geht, sind selbst saudumme Statements manchmal noch interessant.
Über Film kann man sich sogar mit seinen Freunden streiten, was sehr erfrischend ist, wenn sonst Harmonie angesagt ist, und wenn Julia einem im "Holy Home" wieder einmal eine hübsche Kommilitonin vorstellt, läßt ein "I don't think you should FEEL about a movie. You should feel about a woman. You can't kiss a movie." (Godard) noch die plumpeste Kontaktaufnahme elegant ausehen.

Ein paar Filmzitate kommen immer gut. Und als Du dann noch geschickt ein paar lobende Kommentare zu André Téchinés WILDE HERZEN (LES ROSEAUX SAVAGES) in das Gespräch eingestreut hat, siehst Du, wie sogar die Augen des hübschen Mädchens wohlgefällig auf Deinen Lippen liegen. "Ich stehe auf Paul Newman" hatte sie eben gemeint, wohl um ihren Latin Lover in die Schranken zu weisen, der zumindest in der Hinsicht an Bratt Pitt erninnert, daß er mal wieder duschen könnte. Derweil dreht es sich darum, ob eXistenZ realistischerer ist als MATRIX - "Was heißt denn hier realistisch !?" sagt sie, und Dir wird schon warm ums Herz.

Plötzlich, Du überlegst gerade, was genau Paul Newman am Ende von DIE KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH zu Elizabeth Taylor gesagt hat, beugt sie sich vor, und schaut Dir in die Augen. "Ich muß jetzt für uns beide denken" haucht sie, zieht Dich in eine Ecke, und während Du noch hören kannst, daß der Philosophiestudent die Unterhaltung geschickt auf das Filmbuch von Gilles Deleuze bringt, wird dies der Beginn einer wundervollen Freundschaft...

SCHNITT

Immer noch redet der Volldepp von der poststrukturalistischen Infragestellung des Menschen, das Pärchen ist längst verschwunden, als Du wieder aufwachst, spielt die Anlage gerade ein Lied von Björk. Ist das nicht auch auf dem Soundtrack von TANK GIRL ?

Rüdiger Suchsland

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]