Bratwürste, Fußball, Pickel und der deutsche
Film Ein höchst subjektiver Bericht von den Hofer
Filmtagen 1999
Beginnen wir mit den Bratwürsten. Alle
zwanzig Meter gibt es auf der Hauptstraße von Hof ein
Würschtelpfanderl, oder Ähnliches, und der Besucher der Hofer
Filmtage kommt einfach - bitte glaubt es, es geht nicht anders -
nicht um einen täglich mehrmaligen Besuch eine dieser
Freilichtbratereien herum. Da kauft man dann für lächerliche 2,50
bis 3,10 DM ein derartiges Rostbratprodukt, und glaubt, jetzt hat
man sich schnell zwischen zwei Filmen eine Sättigungsbeilage
verschafft. Von wegen! Kaum eine halbe Stunde sitzt man im Kino, da
knurrt schon wieder der Magen, schrecklicher als zuvor. Kaum
draußen stürzt man wieder zur Bude, ißt wieder, so geht es hin und
her. Immerhin hat man jetzt verstanden, warum die Leute hier so
aussehen, wie sie aussehen.
*
Der erste Film war gar nicht untypisch: GANGSTER von
Volker Einrauch. Ganz nett denkt man, witzig mitunter, aber nach
einer Stunde ist der Film wieder vergessen. Und - mal ganz ehrlich:
Einem Amerikaner, Engländer oder Franzosen würde man so etwas nie
und nimmer durchgehen lassen. Eine pubertäre Phantasie, die
irgendetwas mit Freiheit und Abenteuer zu tun hat, und die der -
durchaus nette Regisseur - dann im Gespräch begründet, er wollte
etwas zeigen, das sich "jenseits des zivilisierten Lebens"
abspielt. Schon klar: Gangsterstories sind immer eine Chiffre, um
Wildheit darzustellen. Aber bei den deutschen Gegenwartsfilmen, die
ja derzeit zu 87,3 Prozent Gangsterstories erzählen, hat man immer
das Gefühl, daß es sich um Fluchtbewegungen handelt. Offenbar
gucken deutsche Filmemacher außer den RTL-Movies nur US-Filme, die
Realität kennen sie gar nicht. Deswegen können sie von der Realität
nichts erzählen, und deswegen sehen ihre Filme auch so aus wie eine
Mischung aus (sauschlechten) Amifilmen und RTL. Im Übrigen kann man
den Abschied von irgendetwas (z.B. Zivilisiertheit) auch nur
darstellen, wenn man dieses Etwas kennt. Natürlich ist das alles
jetzt ein bißchen ungerecht gegenüber Volker Einrauch, dessen Film
- leider - noch zu den besseren Beispielen gehört. Aber es mußte
mal gesagt werden.
*
Hof ist ja bekanntlich so eine Art Klassentreffen aller
ehemaligen Schüler aller deutschen Filmhochschulen. Ein
Familienfest vor allem, aber auch ein Schaulaufen, Schwanzvergleich
oder meinetwegen Panorama des deutschen Gegenwartsfilms. Man trifft
da alle, viele nette Leute ohne Frage, und tatsächlich geht es sehr
familiär zu. Was natürlich einschließt, daß man manche Verwandte
gar nicht so gern sieht, ihnen lieber aus dem Weg geht, sich dafür
freut, andere zu treffen, oder sogar kennenzulernen. Insofern geht
es auch in Hof nicht so sehr um Filme, sondern um das Drumherum.
*
Den besten Film wollen wir trotzdem erwähnen. Das war tatsächlich
auch einer aus Deutschland, Franziska Buchs VERSCHWINDE VON HIER,
bezeichnenderweise ein TV-Movie, der irgendwann zumindest auf Arte
laufen wird. Eine einfühlsame Familienstory, gut gespielt und
bewegend, mit recht viel Authentizität und endlich mal einem guten
Drehbuch. Das beste an dem Film war, daß hier ein Ton beibehalten
wurde: nicht dieses immer wieder anzutreffende Hin und Her zwischen
Komödie und Ernst, das man so oft findet, und an dem man merkt, daß
die Macher ihrem eigenen Film nicht über den Weg trauen. Und auch
nicht das oft zu findende Vielzuviel, wo immer wieder noch
irgendetwas auf eine an sich vollkommen ausreichende Geschichte
draufgepfropft wird.
*
"Das ist ein Fußballfestival hier" begrüßt einen Kollege Oehmann
am Bratwurststand. Was er damit meint, ist nicht das obligatorische
Match zwischen Regisseuren und Franken. Das wird rituell immer am
Festivalsamstag ausgetragen, sehr machomäßig, weil hier die
deutschen Männer endlich wieder richtige Kerls werden dürfen, und
die Männerbünde, die sie sonst immer nur in ihren Filmen
zelebrieren, jetzt endlich einmal im wirklichen Leben austragen
dürfen. Obwohl das Spiel ja mit wirklichem Leben genaugenommen
wenig zu tun hat, denn Frauen dürfen nicht mitspielen. Überraschend
daran ist aber nur, dass die sich das Gefallen lassen, und jubelnd
am Spielfeldrand stehen.
*
Dabei hat hier natürlich niemand was gegen Fußball. Im Gegenteil.
Und ohne das erwähnte Hin und Her zwischen Komödie und Ernst wäre
FUßBALL IST UNSER LEBEN ein absolutes Highlight der Filmtage
geworden. Ein Film über debile Schalke-Fans (obwohl man - Olé hier
kommt der BVB!!! - "debil" auch hätte weglassen können) die einen
Star entführen, um ihn auf ihre Art auf Vordermann zu bringen. Uwe
Ochsenknecht so gut wie lange nicht. Überhaupt wurde er einer der
Stars der Filmtage, denn auch in einem weiteren der wenigen
sehenswerten deutschen Filme spielte er die Hauptrolle: ERLEUCHTUNG
GARANTIERT von Doris Dörrie.
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Ein Fußballfestival ist es, weil in Hof diesmal insgesamt vier
Fußballfilme liefen. Für einen von ihnen warben Plakate mit
Fußballerweisheiten, zum Beispiel die von Hans Krankl: "Es kommt
nicht auf die Form an, sondern auf die Einstellung." Wer dächte da
nicht spontan an den deutschen Film?
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Abends, genaugenommen schon am späten Nachmittag fangen dann die
Partys an. Bei denen gibt es immer das gleiche Essen, eine Art
"Frankenplatte", sprich Fleisch-(vor allem Wurst-)Berge, die auf
alle überflüssigen Vitamine und Verdauungshilfen wie Obst und
Gemüse verzichten. Nach drei Tagen leidet man dann unter Skorbut,
und kann, auch wenn man Fleisch gern mag, und Vegetarier doof
findet, das ganze Zeug nicht mehr sehen. Außerdem bekommt man schon
nach zwei Tagen Pickel.
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"Was meine Frisur betrifft, da bin ich Realist" soll angeblich
Rudi Völler in einem philosophischen Augenblick formuliert haben.
Das sagt wahrscheinlich auch Heinz Badewitz von sich, der
Festivalleiter und gute Geist der Filmtage, dessen unnachahmliche
Ansagen - z.B. für ‚Dom Dickwa' - immer ein Vergnügen sind, genau
wie die vorhersehbaren Mikrophon-Pannen bei den
Regisseursvorstellungen. Mit seiner Prinz-Eisenherz-Frisur hat er
hier in Hof etwas aufgezogen, das sich sehen lassen kann, auch in
schwachen Jahrgängen wie dem diesjährigen. Um das zu würdigen, muß
man gar nicht einmal Hof kennen.
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Der Hauptsinn der Filmtage sind wie gesagt nicht die Filme.
Vielmehr handelt es sich bei nüchterner Betrachtung um ein Meeting
der Berliner und der Münchner, auf halbem Weg, sozusagen neutralem
Grund. Darum muß auch keiner lästern über die anderen, sondern alle
dürfen sich zwischen den vielen Bratwürsten so liebhaben, wie sie
sich eigentlich gern das ganze Jahr über liebhätten. Und sind wir
nicht eh alle eine große Familie?
Rüdiger Suchsland
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