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11.03.1999
 
 
   
 

Vision's End
Zum Tode von Stanley Kubrick

 
 
     
 
 
 
 

Er war einer der ganz großen Künstler unseres Jahrhunderts und man hätte es ihm vergönnt, daß er noch das Jahr 2001 erlebt hätte, jenes magische Datum, welches den Titel für den vielleicht berühmtesten aller Science Fiction Filme bildete.

Wohl kaum ein anderer Regisseur seiner Generation hätte 2001: A SPACE ODYSSEE, einen Millionen Dollar teuren Experimentalstreifen, der fast keine nacherzählbare Handlung enthält, bei einem der großen Hollywoodstudios durchsetzen können. Anders als etwa das Original-Genie Orson Welles verstand es Kubrick, die Filmwirtschaft für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Sie gestand ihm nicht nur den Final Cut an seinen Werken zu, sondern ließ ihm bei der Projektierung und Realisierung seiner Filme nahezu freie Hand. Und das, obwohl Kubricks Filme zwar annehmbare, aber nie überragende Einspielergebnisse erzielten.

Spätestens seit 2001: A SPACE ODYSSEE hat Kubrick einen einzigartigen visuellen Stil entwickelt, der aber nie Selbstzweck war, sondern perfekt mit der jeweiligen Szene harmonisierte. Werke wie SHINING oder A CLOCKWORK ORANGE machten durch ihre Kamerafahrten Räume in einer Weise erlebbar, daß sich der Zuschauer förmlich in das Geschehen hineingesogen fühlte. Und das Weitwinkelobjektiv mit seinen leichten Verzerrungen wurde bei Kubrick in vielen seiner Werke zum Fenster in fremdartige, den Menschen zu verschlingen drohende Wirklichkeiten.
Der amerikanische Regisseur, der seit 1961 ausschließlich in England lebte und arbeitete, war auch ein Meister der Montage: Unvergeßlich etwa der Reigen der Raumschiffe zu Strauß‘ „An der schönen blauen Donau“ in 2001 oder die ballettartig choreographierten Gewaltszenen aus A CLOCKWORK ORANGE zur Musik von Beethoven und Rossini.
In seinem vielleicht unterschätztesten Film, BARRY LYNDON, zeigt sich Kubrick auf dem cinematographischen Gipfel seiner Kunst: Alten Gemälden nachempfundene, oft nur bei Kerzenlicht gedrehte Einstellungen von klassischer Schönheit werden mit zeitgenössischer Musik dergestalt kombiniert, daß diese nicht allein das Geschehen untermalt, sondern es vielmehr in leitmotivischer Weise subtil kommentiert.

Kubricks Filme wirken in ihrem erzählerischen Aufbau meist sehr einfach und geradlinig. In der scheinbaren Simplizität liegt aber eine sehr komplexe Struktur verborgen; wie das Schachspiel, das Kubrick übrigens leidenschaftlich liebte, kann man seine Filme endlos, Zug um Zug, Einstellung um Einstellung analysieren.

Kubrick war kein Regisseur der großen Gefühle. Seine Filme wirken oft kalt, weil er seine Figuren beobachtet statt sie zu erklären. Seine Filme sind ohne Wärme; Kubricks Helden, denen meist Schreckliches zustößt, erfahren kein Mitleid. Nicht vom Regisseur und nicht vom Zuschauer. Man denke nur an die Sterbeszene des kleinen Lord Lyndon in BARRY LYNDON: Ich kann mich an keine Filmsequenz erinnern, in welcher das Sterben eines Kindes so emotionslos vermittelt wurde. Hier leiden lediglich die Eltern des Knaben, deren Trauer Kubrick mit eisigem Blick einfängt.
Aber die Themen Kubricks, etwa die Fragen nach der Zukunft, dem Wohin des Menschen (2001), dem Ausmaß seiner Irrationalität (DR. STRANGELOVE, SHINING), der Problematik seiner Entscheidungsfreiheit zwischen Gut und Böse (A CLOCKWORK ORANGE), seiner seelischen Verformbarkeit (FULL METAL JACKET) und seinem selbstzerstörerischen gesellschaftlichen Ehrgeiz (BARRY LYNDON) sind immer intellektueller und nicht emotionaler Natur gewesen. Kubricks pessimistischer Blick auf den Menschen erscheint durch den Mangel an Emotion in seinem Werk ungeschönt und ohne Verlogenheit.

Er vermied es immer, uns diesen Pessimismus mit erhobenen Zeigefinger zu vermitteln: seine Filme sind trotz ihrer hochmoralischen Thematik nie belehrend oder thesenhaft.

Über den Menschen Kubrick ist wenig bekannt: Er verstand es, sich dem Medienrummel fast vollständig zu entziehen und trug dadurch nur um so mehr zu seiner eigenen Legendenbildung zu Lebzeiten bei.
Wenn er denn einmal ein Interview gab, so erschien er jedenfalls nicht als der oft beschriebene, exzentrische und obsessive Kontrollfreak, sondern als ein sympathischer und hochgebildeter Gesprächspartner.

Sein Werk ist einzigartig. Er hat keine Vorgänger und es wird keine Nachfolger in seiner Tradition geben.

Als Vermächtnis hat er seinen Film EYES WIDE SHUT hinterlassen, der im Juli in Amerika und am 30.09. in Deutschland anlaufen wird, ein Werk, das auf Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ basiert.

Stanley Kubrick, der große Visionär des Kinos hat sich aus diesem Leben nun hinweggeträumt; er blickt mit weit geschlossenen Augen in die Ewigkeit.

Thomas Schmid

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