Er war einer der ganz großen Künstler unseres Jahrhunderts
und man hätte es ihm vergönnt, daß er noch das Jahr 2001 erlebt
hätte, jenes magische Datum, welches den Titel für den vielleicht
berühmtesten aller Science Fiction Filme bildete.
Wohl kaum ein anderer Regisseur seiner Generation hätte 2001: A
SPACE ODYSSEE, einen Millionen Dollar teuren Experimentalstreifen,
der fast keine nacherzählbare Handlung enthält, bei einem der
großen Hollywoodstudios durchsetzen können. Anders als etwa das
Original-Genie Orson Welles verstand es Kubrick, die Filmwirtschaft
für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Sie gestand ihm nicht nur
den Final Cut an seinen Werken zu, sondern ließ ihm bei der
Projektierung und Realisierung seiner Filme nahezu freie Hand. Und
das, obwohl Kubricks Filme zwar annehmbare, aber nie überragende
Einspielergebnisse erzielten.
Spätestens seit 2001: A SPACE ODYSSEE hat Kubrick einen
einzigartigen visuellen Stil entwickelt, der aber nie Selbstzweck
war, sondern perfekt mit der jeweiligen Szene harmonisierte. Werke
wie SHINING oder A CLOCKWORK ORANGE machten durch ihre
Kamerafahrten Räume in einer Weise erlebbar, daß sich der Zuschauer
förmlich in das Geschehen hineingesogen fühlte. Und das
Weitwinkelobjektiv mit seinen leichten Verzerrungen wurde bei
Kubrick in vielen seiner Werke zum Fenster in fremdartige, den
Menschen zu verschlingen drohende Wirklichkeiten. Der
amerikanische Regisseur, der seit 1961 ausschließlich in England
lebte und arbeitete, war auch ein Meister der Montage: Unvergeßlich
etwa der Reigen der Raumschiffe zu Strauß‘ „An der schönen blauen
Donau“ in 2001 oder die ballettartig choreographierten Gewaltszenen
aus A CLOCKWORK ORANGE zur Musik von Beethoven und Rossini. In
seinem vielleicht unterschätztesten Film, BARRY LYNDON, zeigt sich
Kubrick auf dem cinematographischen Gipfel seiner Kunst: Alten
Gemälden nachempfundene, oft nur bei Kerzenlicht gedrehte
Einstellungen von klassischer Schönheit werden mit zeitgenössischer
Musik dergestalt kombiniert, daß diese nicht allein das Geschehen
untermalt, sondern es vielmehr in leitmotivischer Weise subtil
kommentiert.
Kubricks Filme wirken in ihrem erzählerischen Aufbau meist sehr
einfach und geradlinig. In der scheinbaren Simplizität liegt aber
eine sehr komplexe Struktur verborgen; wie das Schachspiel, das
Kubrick übrigens leidenschaftlich liebte, kann man seine Filme
endlos, Zug um Zug, Einstellung um Einstellung analysieren.
Kubrick war kein Regisseur der großen Gefühle. Seine Filme wirken
oft kalt, weil er seine Figuren beobachtet statt sie zu erklären.
Seine Filme sind ohne Wärme; Kubricks Helden, denen meist
Schreckliches zustößt, erfahren kein Mitleid. Nicht vom Regisseur
und nicht vom Zuschauer. Man denke nur an die Sterbeszene des
kleinen Lord Lyndon in BARRY LYNDON: Ich kann mich an keine
Filmsequenz erinnern, in welcher das Sterben eines Kindes so
emotionslos vermittelt wurde. Hier leiden lediglich die Eltern des
Knaben, deren Trauer Kubrick mit eisigem Blick einfängt. Aber
die Themen Kubricks, etwa die Fragen nach der Zukunft, dem Wohin
des Menschen (2001), dem Ausmaß seiner Irrationalität (DR.
STRANGELOVE, SHINING), der Problematik seiner Entscheidungsfreiheit
zwischen Gut und Böse (A CLOCKWORK ORANGE), seiner seelischen
Verformbarkeit (FULL METAL JACKET) und seinem selbstzerstörerischen
gesellschaftlichen Ehrgeiz (BARRY LYNDON) sind immer
intellektueller und nicht emotionaler Natur gewesen. Kubricks
pessimistischer Blick auf den Menschen erscheint durch den Mangel
an Emotion in seinem Werk ungeschönt und ohne Verlogenheit.
Er vermied es immer, uns diesen Pessimismus mit erhobenen
Zeigefinger zu vermitteln: seine Filme sind trotz ihrer
hochmoralischen Thematik nie belehrend oder thesenhaft.
Über den Menschen Kubrick ist wenig bekannt: Er verstand es, sich
dem Medienrummel fast vollständig zu entziehen und trug dadurch nur
um so mehr zu seiner eigenen Legendenbildung zu Lebzeiten bei.
Wenn er denn einmal ein Interview gab, so erschien er jedenfalls
nicht als der oft beschriebene, exzentrische und obsessive
Kontrollfreak, sondern als ein sympathischer und hochgebildeter
Gesprächspartner.
Sein Werk ist einzigartig. Er hat keine Vorgänger und es wird
keine Nachfolger in seiner Tradition geben.
Als Vermächtnis hat er seinen Film EYES WIDE SHUT hinterlassen,
der im Juli in Amerika und am 30.09. in Deutschland anlaufen wird,
ein Werk, das auf Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ basiert.
Stanley Kubrick, der große Visionär des Kinos hat sich aus
diesem Leben nun hinweggeträumt; er blickt mit weit geschlossenen
Augen in die Ewigkeit.
Thomas Schmid
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