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04.03.1999
 
 
   
 

Glamour-Weib und Flinten-Girl
Der Shirley MacLaine-Effekt

 
 
     
 
 
 
 

Auf dem Set von APPARTMENT fiel sie unangenehm auf, weil sie nie ihren Text gelernt hatte, und wenn, dann improvisierte sie wild herum. "Wir haben uns dann an sie gewöhnt," sollte Jack Lemmon später sagen, " vor allem, weil sie ein Klassemädchen ist."
So ging es Shirley MacLaine auch öfter in ihren Filmen: Die Leute merkten erst nach einer Weile, was sie an ihr hatten. In jungen Jahren spielte sie häufig das Mädchen, in das sich der Hauptdarsteller gleich zu Anfang hätte verlieben sollen. Meist ist sie intelligent, humorvoll und extrem partykompatibel, aber der depperte Held steigt erst den schlüsselreizenderen Weibern hinterher. So dauert es manchmal zwei Stunden, bis bei ihm das Zehnerl fällt und dem Zuschauer kommt diese Anlaufphase sehr zu Gute, denn kaum eine Filmminute mit Shirley MacLaine ist Zeitverschwendung.

Die erste Hauptrolle hatte sie in Hitchcocks IMMER ÄRGER MIT HARRY, womit sie bereits in ihrer besten Sparte, der Komödie, angelangt war. Schon beim zweiten Streich durfte sie in ARTISTS AND MODELS vom Cartoon-Experten Frank Tashlin zeigen, daß es möglich ist, gegen den überpräsenten Jerry Lewis in einer grell-satirischen Comicwelt zu bestehen. Bald kamen ernstere Rollen, auch hier mit dem gewohnten MacLaine-Effekt. In SOME CAME RUNNING etwa mußte Frank Sinatra zwanzigmal hinschauen, um ihre Qualitäten zu entdecken, und in CHILDREN'S HOUR, William Wylers Drama über die lesbische Liebe, war es gar Audrey Hepburn, die um ihre Kollegin weinen durfte.
Selten sah man Shirley Maclaine schmachtend oder als simplen Love interest, stattdessen wählte sie sich Drehbücher, in denen sie charakterliche Facetten spielen konnte, die sonst nur ausgewachsenen Männerstars zugestanden werden. Sie war der ideale Widerpart zu Jack Lemmon, zunächst als depressives Liftgirl in Billy Wilders THE APARTMENT. Der Film wurde zwar mit Oscars überhäuft, MacLaine ging aber leer aus. Auch in Hollywood hing der Groschen ziemlich lange im Getriebe herum. Den Preis für die beste Hauptdarstellerin erhielt damals Elizabeth Taylor, die im Verleihungsjahr grade ein vielbeachtete Operation hatte. "Ja, ich habe verloren," schrieb die Verliererin an ihren Regisseur, "aber gegen einen Luftröhrenschnitt.".
Nach Wilders IRMA LA DOUCE, der Pariser Huren-Farce, sollte sie noch weitere patente Prostituierte spielen, dann wieder fragile Mädchen, aber nie das brave Frauchen. In EIN FRESSEN FÜR DIE GEIER von Don Siegel konnte sie als verschlagene Sister Sara - Die Rolle hat sie übrigens Elizabeth Taylor weggeschnappt - zeigen, daß Clint Eastwood nur dann als geheimnisvoller Westerner durchgeht, wenn alle Co-Akteure ihn ausgiebig bestaunen. Er war nicht der einzige Macho-Star, den sie vom Sockel schubste.
Als ihr die Drehbücher später zu dünn wurden, verlegte sie sich auf das Schreiben diverser Autobiographien und esoterischer Anfeuerungsliteratur, sowie auf wohltätige Aktivitäten. Hin und wieder trat sie als glamörose Rampensau auf, etwa wenn sie als einziges weibliches Mitglied des Sinatra-Clans unterwegs war.

Erst 1984 setzte der MacLaine-Effekt beim Oscar-Komitee ein, als sie für ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT ausgezeichnet wurde, nachdem sie zuvor x-mal nominiert war. Seitdem taucht sie sporadisch auf der Leinwand auf, selten als Mutterfigur, sondern meist als resolute Dame, die ihre Familien terrorisiert oder sich viel jüngere Liebhaber zulegt, wie zuletzt in der ZÄRTLICHKEIT-Fortsetzung. Ob als Flintenweib, Drachen oder aufgetakelte Diva, stets läuft sie den Charakterdarstellerinnen der nachfolgenden Generation, ob Sally Field oder Meryl Streep, den Rang ab, und demonstriert, wie man als Frau in Hollywood würdevoll altert, ja sogar Heulkrämpfe kriegt ohne zu nerven. Stets kann man sicher sein, daß sie alles auf ihre Weise regelt. Als sie in CHILDREN'S HOUR am Tiefpunkt angelangt ist, wirft ihr die Tante ein "Gott wird dich dafür bestrafen!" an den Kopf. "He's doin allright" antwortet Shirley knapp, schmeißt die Tante aus dem Haus und hängt sich auf. Mit dem Herrgott kommt sie schon alleine klar.

Auf der diesjährigen Berlinale brauste die aufgekratzte Diva höchstselbst all ihren Begleitern vorauseilend ins Astor-Kino am Kudamm, wo ihre alten Filme in einer Retrospektive gezeigt wurden, und wirbelte so ungestüm im Foyer herum, daß dem Herrn Schifferle ein "Da kriagt ma ja Angst" entfuhr. Im Saal saß das von IRMA LA DOUCE noch selig ermattete Publikum herum und bekam den Mund nicht mehr zu, als sich plötzlich die Hauptdarstellerin vor der Leinwand aufpflanzte und "Irgendwelche Fragen?" rief. So blickte sie denn den mutigen Fragern fest in die Augen und schwatzte fröhlich ein paar Ankedoten über ihren klassischen Haarschnitt, ("Den hab ich seit Jahrzehnten.") über Billy Wilder (" Der war hier in Berlin Zuhälter. Wißt ihr das überhaupt?") und über den Lebenswandel des "Rat-Pack" ("Kein Wunder, daß keiner von denen über neunzig geworden ist."). Als eine Sekunde lang keine Frage mehr zu hören war, sagte die Dame kurz "O.K. - Goodbye!" und düste davon. Es dauerte ein bißchen, bis sich die Münder wieder schlossen. Warum die Männer in ihren Filmen immer so spät merken, daß diese Shirley MacLaine eine Wucht ist, wird allen Anwesenden ewig unerklärlich bleiben.

Richard Oehmann
 

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