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08.10.1998
 
 
   
 

Kino zum Kotzen
Spielbergs SAVING PRIVATE RYAN

 
Sergeant Steven
     
 
 
 
 

Immer wieder ist zu hören und lesen, daß Steven Spielbergs Weltkriegs-Drama SAVING PRIVATE RYAN bei zartbesaiteten Zuschauern und Zuschauerinnen solch starke Reaktionen hervorruft, daß denen oft buchstäblich körperlich übel wird und sie sich ihres Mageninhalts in die nächste greifbare Popcorntüte oder Handtasche entledigen müssen.
Und ich gebe es zu: Auch ich - der ich die Filme Lucio Fulcis lächelnd genießen und angesichts von Jason Vorhees oder Freddy Krueger nur müde grinsen kann - auch ich, horrorgeprüft und splatter-imprägniert, hätte bei PRIVATE RYAN beinahe mein Frühstück rückwärts verdaut. Und ich kann Ihnen auch genau sagen, bei welchem Moment des Films ich zum ersten Mal (und von da ab leider immer wieder) schwer kämpfen mußte, um mein Essen bei mir zu behalten: Es war, als Harve Presnell in der Rolle von General George C. Marshall einen Brief von Abraham Lincoln aus der Schublade zieht und mit salbungsvoller Stimme und tränenglänzenden Augen den ehern patriotischen Inhalt verliest.

Wenn SAVING PRIVATE RYAN etwas mit absoluter Gewißheit nicht ist, dann der meisterhafte, neue künstlerische Dimensionen eröffnende, schonungslose, "realistische" (Anti-)Kriegsfilm, als der er einem allerorten verkauft werden soll.
Weil's aber einfach so bestimmt wieder keiner glaubt, sei's nun hier in den wesentlichen Punkten und schön der Reihe nach ausgeführt:

I. Warum die vielgerühmte Omaha Beach-Sequenz weder so atemberaubend oder innovativ wie allerorts behauptet, noch gar auch nur annähernd so etwas wie "realistisch" ist.
Nicht wenige Kollegen zeigten sich beeindruckt davon, welch neuartige ästhetische Bahnen Steven Spielberg mit der anfänglichen, 20-minütigen Sequenz der Erstürmung von Omaha Beach für die filmische Darstellung von Krieg eröffnet habe - und wie "realistisch" das alles sei.
Nun, was ist dran? Ausgebleichte Farben, Verzicht auf Musikuntermalung, und fast ausschließlicher Gebrauch von Handkameras (nie über Augenhöhe) sollen Dokumentarcharakter vorgaukeln. Daß das bei großen Teilen des Publikums so gut funktioniert, sagt eigentlich nur etwas darüber aus, wie brav wir gelernt haben, diese Zeichen zu lesen. Die Darstellung von Krieg in SAVING PRIVATE RYAN ist (zwangsläufig) eine ästhetisierte (und eine sehr durchstylisierte noch dazu), und hat somit allerhöchstens etwas mit "Realismus" (als System ästhetischer Konventionen), nichts aber mit Realität zu tun. Spielberg hält sich dabei ohnehin noch sehr weitgehend an die üblichen, artifiziellen Regeln des klassischen Erzählkinos - von der Zentrierung über das direction cutting bis zur Continuity stimmt da noch alles wunderbar, und auch der Rhythmus offenbart nur gediegene Beherrschung des alten Handwerks.

Was diese Schlachtszene dann noch von denen zahlreicher anderer Kriegsfilme unterscheidet, ist der hohe Anteil an (im Mainstreamkino ungewohnt) expliziter Darstellung verletzter Körper. Mit anderen Worten: Blut und Hirnbatzl spritzen reichlich, und so manche Gliedmaßen segeln dekorativ durchs Bild. Nun ist das, wie gesagt, in dieser Häufung und Deutlichkeit auch nur für's Mainstreamkino neu - und wer so was schon das ein oder andere Mal auf der Leinwand gesehen hat, wird sich sicher nicht gar so sehr davon beeindrucken lassen. Zumal 1.) so ziemlich komplett die emotionale Bodenhaftung fehlt (kein Zufall: dies ist die erste komplexe Sequenz, die Spielberg je ohne Storyboards gedreht hat): der Film hat uns noch keinen der Menschen näher gebracht, die hier sterben, und wir ohnehin (dem zynischen Starsystem sei's gedankt) sicher sein können, daß es nur namenlose Nebendarsteller erwischt, deren Schicksal für uns im Verlauf des Films keine Konsequenz haben wird; und 2.) was Framing und Timing angeht sehr brav nach den üblichen Regeln des Action-Kinos dahingeschieden wird. (Und ich bin bereit, mir fünfmal hintereinander THE MAN IN THE IRON MASK anzuschauen, wenn Samstag abends im Maxx nicht gewisse Teile des Publikums ihren Heidenspaß an dem Gemetzel haben und das alles ziemlich cool und voll kraß finden.)
Und damit sind wir beim eigentlichen Problem: Sobald etwas in einem für's große Publikum insgesamt eben doch offensichtlich gut konsumierbaren Film darstellbar geworden ist, hat es seinen eigentlichen Schrecken, seinen wahren Horror schon verloren. Was in einem Spielberg-Film Bild geworden ist, ist letzlich schon bewältigt, gezähmt, überwunden. Es gibt noch einen kurzen Stich des Unbehagens, einen flüchtigen Moment des Betroffenseins - aber der wahre, unfaßbare Schrecken des eigentlichen Phänomens ist da schon ausgetrieben.

II. Warum - selbst wenn die vielgerühmte Omaha Beach-Sequenz tatsächlich so atemberaubend, etc. wäre - SAVING PRIVATE RYAN noch immer (oder sogar: gerade dann) ein grundübler Film bliebe.
Jetzt ist es aber nun mal wohl so, daß besagte Sequenz auf einen Großteil der Zuschauer sehr überwältigend wirkt und sie empfunden wird als "So muß es sein, wenn man tatsächlich im Krieg ist". Es könnte also allein mein Problem sein, wenn ich diese Wirkung einfach nicht nachvollziehen kann, und wir könnten uns nun lediglich um die subjektiven Eindrücke streiten. Aber PRIVATE RYAN besteht nun mal nicht nur aus diesen zwanzig Minuten - und wenn Omaha Beach gestürmt ist, fangen die wahren Probleme des Films überhaupt erst an.
Denn die gesamte Strategie des Films ist es gerade, dieser fragmentierten, sinnlosen, "modernen" Sichtweise des Krieges (ich tu' jetzt einfach mal so, als wäre sie das wirklich) schlußendlich doch wieder höheren Sinn, wieder die alten Werte abzuringen. Es geht Spielberg darum zu sagen: Ihr habt schon recht, daß das alles nicht so sauber und schmerzlos abläuft, wie man früher oft vorgegaukelt hat - aber um so mehr können sich hier die echten Helden beweisen. Krieg ist zwar unangenehm und gefährlich - aber er hat seinen Sinn und ist nicht nur notwendig, sondern für wahre Männer eigentlich dann doch ziemlich okay.

Es fehlt mir der Platz, den Weg dorthin ausführlich nachzuzeichnen (oder auf die rahmende, amerikabeflaggte Sequenz auf dem Soldatenfriedhof einzugehen) - es sei einfach gesagt: Die Sinnstiftung funktioniert schlußendlich ganz famos. Daß das in PRIVATE RYAN nicht ganz so reibungslos und selbstverständlich klappt, wie beispielsweise bei John Wayne, macht den Film keineswegs lobenswerter, sondern gerade um so perfider.
Zu Ende des Films gibt es eine zweite, große Schlachtsequenz (über die seltsam wenig zu lesen ist). Und da hat dann schließlich alles wieder seine alte Ordnung: Krieg ist ein gigantischer Abenteuerspielplatz, wo sich wahre Kameraden tummeln, die - nach romantischen Stunden echter, unübertreffbarer Männerfreundschaft - dem Feind tapfer die Stirn bieten, ihre hoffnungslose Unterzahl durch löwenartigen Mut, überlegenen Einfallsreichtum und pures Amerikanersein wettmachend.
Vom (angeblichen) verstörenden Chaos des Anfangs haben wir den Weg geschafft zurück zum Action-Kino, wo alles seinen Sinn und Platz hat, wo's wahre Helden gibt, und wo man gar nicht mehr so ungerne zusieht.

Da es Spielberg aber nicht genügt, diese Entwicklung dem Publikum einfach nur vorzuführen, hat die ganze Haupthandlung des Films zudem die Form einer Initiationsgeschichte: Aus dem verweichlichten, zum Kämpfen unfähigen, feigen Corporal Upham (Jeremy Davies) wird ein richtiger Soldat gemacht. Upham stößt als Übersetzer zum Trupp des Captain Miller (Tom Hanks), ein tolpatschiger Schreibtischsoldat, der seit seiner Grundausbildung keine Waffe in der Hand hatte. (Und fügt es sich nicht wieder großartig, wie derjenige, der als instabilstes Element der Einheit immer wieder die Mission in Gefahr bringt, ausgerechnet ein Übersetzer ist - einer, der implizit die Weltauffassung destabilisiert, daß Bedeutung, daß Sinn eindeutig und gottgegeben (ja, der Film zitiert auch explizit Emerson) sind?)
Upham ist von Spielberg (der ja ohne Zweifel einer der letzten großen Erzähler und Meister der Publikumsmanipulation im amerikanischen Kino ist) ganz bewußt angelegt als Stellvertreter für die Zuschauer - und worauf die ganze Geschichte hinausläuft ist, daß man von der Position des passiven Beobachters an den Punkt gezwungen wird, wo man nicht nur zustimmt, wenn Upham schließlich auch zum Gewehr greift und seinen ersten Deutschen erschießt, sondern daß der Film einen diesen Moment geradezu herbeisehnen läßt, daß er einen fast soweit bringt, daß man rufen möchte "Nun tu's doch endlich" - daß man am liebsten selbst die Waffe in die Hand nähme.

Von besonderer Dreistigkeit und Frechheit (und nicht zu vergessen: breitflächigem Gedächtnisschwund) zeugt es folglich zu behaupten, gerade dieser Film sei nun die eindrucksvollste, beste, künstlerisch wertvollste, "realistischste" Darstellung des Kriegs in unserem Jahrhundert. Als hätten Regisseure wie Coppola und Kubrick, Peckinpah und Kurosawa, de Palma und John Woo und Cimino und Sirk nie ihre viel wesentlicheren Beiträge zu diesem Thema auf Zelluloid gebannt - als müßte sich Hellers "Catch 22" von einem Naseweis geschlagen geben, der mit Müh' und Not gerade mal auf dem Stand ist, wo Stephen Crane 1895 mit "The Red Badge of Courage" war (und letzlich wohl nicht einmal das).

III. Warum dann aber alles recht eigentlich noch viel übler und widerwärtiger ist, als bisher schon ausgeführt.
Nun könnte man aber - und wohl gar nicht unbegründet - einwenden, daß ich hier leicht schimpfen und zynisch sein kann, daß aber doch tatsächlich vor etwas mehr als 50 Jahren amerikanische Soldaten Leib und Leben eingesetzt (und viel zu oft verloren) haben, um die unfassbar unmenschliche Tyrannei der Nazis zu beenden - und daß ich nun zwar gerne die demokratischen Früchte dieser Tat genieße, aber das Herummäkeln anfange, sobald jemand diese Soldaten ehren möchte.
Nun, das Problem dieser Argumentation ist, daß sie - die Metapher sei gestattet - sozusagen auf dem ganz falschen Schlachtfeld stattfindet. Denn im Kern schert sich SAVING PRIVATE RYAN einen Dreck um die konkrete, historische Situation des Zweiten Weltkriegs. Warum da wer gegen wen kämpft, was die geschichtlichen und politischen Zusammenhänge sind - so gut wie kein Wort davon in 167 Minuten. (Private Mellish darf gelegentlich darauf hinweisen, daß er Jude ist - als schwache Erinnerung daran, daß es in diesem Krieg um irgend etwas geht.) Im Grunde wählt der Film den Zweiten Weltkrieg nur deshalb als Kulisse, weil es der einzige ist, der ihm zu erlauben scheint, all diese lästigen Fragen zu umgehen: Kein vernunftbegabter Mensch wird Zweifel haben, welche der am Krieg beteiligten Parteien die böse ist; keiner wird abstreiten wollen, daß der Krieg einen Sinn hat.

Das aber nutzt der Film schamlos aus, um im Hier und Heute ein Welt- und Menschenbild wieder salonfähig zu machen, das man unlängst noch im allmählichen Verschwinden begriffen hoffen durfte. Befehlen wird gehorcht, ohne nach ihrem Sinn und Zweck zu fragen (und Gott richtet es dann auch schon immer so ein, daß sie Sinn und Zweck haben); der Feind (ebenso ungefragt) ist der Feind ist der Feind; "My country, right or wrong", darf jedes Opfer verlangen, denn es ist mein eigentlicher Vater - ein soldatisches Menschenbild, wie es sich wohl keine Armee der Welt schöner wünschen könnte
Menschen aber: Das sind für SAVING PRIVATE RYAN ohnehin nur männliche, weiße Amerikaner. Die Alliierten tauchen gar nicht erst auf (gerade mal, daß eine französische Familie kurzfristig ihre kleine Tochter zur Verfügung stellen darf, damit Herr Spielberg auch ein bißchen Suspense inszenieren kann), die Deutschen sind gesichtslose Zielscheiben (der einzige von ihnen, der als Individuum auftreten darf, kann sein Menschsein nur dadurch beweisen, daß er - "Mickey Mouse, Betty Boop, Bing Crosby, very good" - seine Vertrautheit mit amerikanischer Kultur beweist, was ihn freilich auch nicht übermäßig lange davor bewahrt, erschossen werden zu müssen), vereinzelte schwarze Soldaten dürfen sich auf Omaha Beach ein paar Kugeln einfangen. Die wenigen Frauen, die (so gut wie stumm) kurz im Bild auftauchen, sind allesamt nur über die Funktion der Mutter definiert - ansonsten wird über sie nur geredet. Und das (vom Film ganz ungebrochen und undistanziert) in einer Weise, wie es in zünftigen Männergesellschaften eben so seine rechte Art hat - und wie es sich Klaus Theweleit kaum passender hätte bestellen können.

Das alles können leider nur ein paar wenige Fingerzeige sein für die Ideologie, die SAVING PRIVATE RYAN predigt. Aber je länger man hinschaut, um so deutlicher wird: Der Punkt, wo einem bei diesem Film tatsächlich unhaltbar das Kotzen, Reihern, Brechen, Speiben, Würgen überfallen sollte, ist das Welt- und Menschenbild, das er propagiert - und die Tatsache, daß ein solches heute, immer noch oder schon wieder?, allerorts solch begeisterte Aufnahme findet. Denn das Menschenbild von SAVING PRIVATE RYAN ist, leider Gottes, so weit gar nicht entfernt von jenem, dem wir den Zweiten Weltkrieg überhaupt erst zu verdanken haben.

Thomas Willmann

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