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Pop ist tot, das Filmfest lebt
oder: Mein Filmfest

  16.07.1998
 
 
 
 

Ach, lange eineinhalb Wochen ist es schon wieder her, daß sich der Abend über das 16.Filmfest München senkte. Und noch lange 49 Wochen wird es dauern, bis uns ein neues Filmfest hineinläßt in seine Pforten...
Nein - bleiben wir kühl ! Ganz subjektiv der Reihe nach:

Europa – Rest der Welt 3-5 n.V.

Schade, daß die Berti-Buben nicht schon in der Vorrunde ausgeschieden sind. Man hätte sich so das Spiel gegen Mexiko ersparen können, bei dem außerdem die Falschen gewonnen haben, wie auch das Spiel gegen Kroatien, bei dem wieder die Falschen gewonnen haben, und stattdessen "With Friends like these" ansehen, oder besser noch Francesco Rosis "C'era una volta".

(Einschub: Die Rosi-Reihe war sehr gut, sehr empfehlenswert, doch weil wir alle natürlich auf dem Filmfest uns in erster Linie die neuesten Filme ansehen, haben wir zu oft die Gelegenheit verpaßt, Rosi-Filme im Kino anzuschauen. Viele kenne ich nur aus dem Fernsehen, und das ist, wie an dieser Stelle schon öfters erwähnt, eigentlich gar nix. Also, lieber Herr Robert Fischer, es wäre schon toll, wenn man nach den vielen sehr schönen Reihen, die derzeit im Filmmuseum laufen (und die wir zum Teil noch ausführlich loben werden), nochmals Francesco Rosi sehen könnte. Soweit verfügbar, versteht sich.)

Francesco Rosi ist ein Beispiel für das, was europäisches Kino einmal war. Leider gibt es trotz Nanni Moretti, trotz Ken Loach, trotz der vielen Franzosen heute nichts wirklich Vergleichbares. Ein Glück, daß Frankreich wenigstens Fußball-Weltmeister wurde, ein Sieg für ganz Europa. Im Film sind wir von europäischen Erfolgen dagegen weit entfernt. Leider ! Champions sind, ob einem das nun gefällt oder nicht, die Amerikaner. Und die Asiaten halten sich weitaus besser, als auf dem grünen Rasen.

Was vom Filmen übrig blieb...

Man kann nach 8 Tagen und ca 190 Filmen natürlich so allerhand über das Filmfest sagen. Klar gab es viel zu viele Filme, und daher einige Lücken im Scedule eines jeden von uns -was sage ich Lücken, um riesig klaffende Schluchten handelt es sich-, die nun in den nächsten Monaten zumindest ansatzweise gefüllt werden müssen.
Drei ganz persönliche Highlights, die sich durch überraschende Qualität auszeichneten, waren für mich "Suicide Kings", "Perdita Durango" und "Liar". Alles Filme, in die ich hineinging nach dem Motto: "Naja, jetzt schau ich mir den halt mal an, hoffentlich ist er nicht allzu schlecht", und ganz erfreut und gutgelaunt herauskam: "Welch ein Glück, daß ich den gesehen habe." Solche positiven Überraschungen sind der Sinn eines Filmfests.
"Suicide Kings" ist ein Erstlingsfilm von Peter O'Fallon. Der hätte auch in der Independent-Reihe laufen können, aber Robert Fischer war offenbar schneller gewesen, als Ulla Rapp, und hatte ihn sich geschnappt. Eine Thrillerkomödie, die elegant Witz und Spannung verbindet und ohne hohen Aufwand von der Entführung eines Mafiaboss' erzählt. Dahinter verbirgt sich die kluge Darstellung von 6 Schicksalen aus den 90er Jahren. Und Christopher Walken ist so gut, wie nie in letzter Zeit. Mehr dazu, wenn er –hoffentlich- ins Kino kommt.
Dahin kommt "Liar" von Jonas und Josh Pate im Herbst in jedem Fall. Tim Roth spielt die Hauptrolle in diesem Kammerspiel über das Psychoduell zwischen einem Mordverdächtigen und einem Polizisten.
Ganz andere Geschmäcker sprach der Baske Alex de la Iglesia mit "Perdita Durango" an: Ein Roadmovie, der virtuos Stilelemente von Lynch, Tarantino und Almodóvar verknüpft, und trotzdem zu einer eigenständigen Form findet. Die Höllenfahrt eines Killerpärchens durch den Südwesten der USA, filmischer Katholizismus, der barocke Bilderpracht, philosophische Tiefe und Trash-Kultur zu einem Augenschmaus vermischt, den manche als "genial", andere als "geschmacklos" empfanden. In jedem Fall ungewöhnlich und interessant, auf anregende Weise weitab von allem Mainstream, und schon mehr, lieber Thomas Willmann, als nur ein Kindergeburtstag (Wobei gegen den ja auch gar nichts einzuwenden wäre).
Ziemlich gut war auch "The Newton Boys" von Richard Linklater. Eine echte Überraschung nach all den Slacker-Movies, ein gutgelaunter und stark besetzter Kostümfilm über eine Gangstergang der 20er Jahre.
Schließlich noch der schon einmal anläßlich seiner Berlinale-Premiere erwähnte und gelobte Dokumentarfilm "Modulatios" von Iara Lee ("Synthetic Pleasures"). Wer ihn verpaßt hat, kann ihn sich am kommenden Dienstag (21.7.) auf arte ansehen, im Rahmen des techno-Themenabends. Es lohnt sich ! Eine Dokumentation über die Geschichte der elektronischen Musik, aber auch ein Trip in die Gegenwart. Die Macher selbst kommen zu Wort, und unter der Hand entsteht eine soziale Momentaufnahme zur Jugendkultur der Gegenwart.

Pop ist tot !

"Pop ist tot !" heißt das neueste Album der Hamburger Girlie-Band "Die Braut Haut Ins Auge", und weiter singen die Mädels ironisch: "Die Leiche ist noch warm...". Ein wenig geht es dem Filmfest ja genauso. Alle Jahre wieder schüttet die Münchner Presse ihr routiniertes Gemotze über den Machern aus, besonders über dem Leiter Eberhard Hauff, alle Jahre wieder wird das Filmfest totgesagt, trotzdem geht es immer weiter, und das eher besser, als im Vorjahr.
Auch diesmal gab es Menschen, die einem in der VIP-Lounch ins Ohr raunten "so schlecht wie diesmal" sei das Filmfest noch nie gewesen, die das –zugegebenermaßen nervige- Kartenchaos zu Beginn zum Anlaß nahmen, zu verkünden: "Das tu ich mir nicht mehr an".
Dabei war es alles in allem ein angenehmes Filmfest, eines der besseren, und filmisch allemal besser, als das in dieser Hinsicht enttäuschende des letzten Jahres. Deplorabel war allein das Wetter; zu oft gab es Regen ausgerechnet dann, wenn man von irgendeinem Kino ins nächste eilen mußte, und sogar auf der immer wetterbegünstigten Independent-Party am Mittwoch.
Die blieb –Indy-Programmerin Ulla Rapp sei 1000mal gedankt- trotzdem die charmanteste Veranstaltung, weil sich im Innenhof des Stadtcafés einmal nicht nur die Adabeis umeinander drängelten. Gedrängelt wurde zwar auch, aber nur, weil jeder einen Schirm zum Unterstellen ergattern wollte, und dabei lernte man dann viele nette Menschen kennen.
Mahlzeit ! Weil sich alle Filmbegeisterten des Abends immer auf ...Moment, bitte noch ein Brötchen mit Lachstartar... Empfängen und Partys drängelten, kann man sie nicht einfach übergehen. Das Filmfest ist schließlich auch ein Fest. Und weil alles Wirkliche vernünftig, also irgendwie Zeichen für Wesentliches ist, kann man noch an der Natur der Partys viel über die ...schlurp, gießen Sie doch bitte nochmal nach... Filme lernen. Das erwähnte Fest der US-Independents wurde wie gesagt durch ein Gewitter gestört, das nicht etwa die Ankunft von William Dafoe oder Tom di Cillo vermelden sollte, sondern gewiß vom großen Manitu persönlich stammte. Waren doch Indianer diesmal der ...Herr Ober, noch ein Helles !... Schwerpunkt der Indie-Reihe. Die Rothäute rächten sich am weißen Mann durch konventionelle Filmlangeweile, und der einzige echte Aktivist, Ian D. Skorodin, dessen erschütternder "Tushka" in seiner Härte aus dem winnetoupazifistischen Rahmen fiel, rächte sich durch die Telefonspesen, die er der ...haben Sie noch eine Portion Tortellini ?... Festivalleitung aufbrummte.
Lohnenswert war wie immer die Hypo-Party in der Muffathalle, zumindest zu ...Hicks, Versseihung, noch ein Helles... fortgeschrittener Stunde. Da waren dann alle schon ganz locker und entspannt (nein, nicht nur weil sie dicht waren), das Filmfest neigte sich dem Ende zu, melancholische Stimmungen machten sich breit, die aber das Um- und Miteinander nur förderten. Zumal es hier endlich zu den von Eberhard Hauff so sehr erwünschten "Synergieeffekten" zwischen Filmfest und Filmhochschulfesten kam, sprich dazu, sich einmal zu sehen, kennenzulernen, und Erfahrungen auszutauschen. Ansonsten war die Zusammenlegung keine gute Idee, weil man dann eben doch lieber einen US-Independent anschaut, als an den herben Früchten tschechischer und finnischer Filmhochschulen zu knabbern. Gäbe es die Filmfest-Konkurrenz nicht, hätte zumindest ich viel mehr Hochschulfilme gesehen.
Keine gute Idee war es auch, die proletigen Türsteher von der Muffathalle nicht zu entsorgen, denn die ließen weder Ulla Rapp, noch Stephanie, die charmante dffb-Pressesprecherin, noch den Jury-Preisträger Achim von Borries hinein (dessen Film "Halberstadt" sehr zurecht gewann, nicht nur weil die liebe Tanja (vgl.Berlinale-Notizen '97) dafür das Production Design gemacht hat). Irgendwann waren dann doch alle drin, und diese wahre Abschluß-Party ging bis nach 4 Uhr morgens.

Tot und lebendig: Filme aus Deutschland

Zum alljährlichen Filmfest-Ritual (es ist wirklich ein Ritual, eine rituelle Reinigung genau gesagt, die dem Aggressionsabbau dient) gehört das mehr oder weniger lautstarke Gemotze über den Deutschen Film, der gern von sich selbst behauptet, ein neuer zu sein, dies aber nur insofern ist, als daß er oft das Niveau seiner schlechtesten Zeiten noch unterbietet.
Diesmal war alles anders. Nicht, weil die meisten Filme so gut gewesen wären, im Gegenteil waren die so schlecht wie immer. Aber es gab auch anderes. Trends lassen sich insofern ausmachen, als das Komödien out sind, und Action in. "Schluß mit lustig !" könnte ein Motto heißen. Zwar gibt es noch Komödien, wie Ralf Huettners zumindest halbwegs gelungene Fortsetzung MUSTERKNABEN 2. Doch dies bleibt die Ausnahme. Keine einzige Beziehungskomödie lief bei den Kinofilmen. Auch Thomas Bergers TV-Movie BUSENFREUNDE 2, das durchaus Kinoqualität besitzt, zeigt, daß sich etwas geändert hat. Nicht mehr jeder Topf muß seinen Deckel finden, und am Ende lauert nicht mehr verkitschtes Familienglück als utopischer Fluchtort vor der Komplexität des Alltags, sondern möglicherweise ein Stückchen Realität.
Wirklichkeit findet man vor allem in: PLUS - MINUS NULL, dem einen der beiden Hypo-Preisträger. Es ist wohl kein Zufall, daß Eoin Moore, der Regisseur dieses deutschen Films, Ire ist. Das Schicksal eines halbobdachlosen Arbeiters zwischen zwei Frauen und im täglichen Überlebenskampf mitten in Berlin – glaubwürdig, nüchtern und dicht erzählt, fast im Stil eines britischen Sozialdramas a la Ken Loach.
Die Zeiten werden härter, die Filme auch. Das zeigt die Fülle an Actionfilmen, etwa der fürs TV produzierte Thriller OPERATION NOAH, oder MUTTERTAG, ein Schimanski-Film von Mark Schlichter, der vor drei Jahren mit EX den Hypopreis gewann. Schimanski befindet sich hier als friedensstiftender Old Shatterhand unter Geiern an der kroatischen Bürgerkriegsfront. Die UNO ist doof, Söldner böse, und hätte man Schimi nur früher hingeschickt, hätte er den Krieg bestimmt in 90 Minuten beendet. Daß es bis Hollywood noch ein weiter, steiniger Weg ist, zeigt auch CASCADEUR von Hardy Martins, der leider genauso ist, wie man es befürchten muß, wenn ein Stuntman Regie führt. Einen hilflosen Versuch poetisches Empfindsamkeitskino zu machen, verkörpert PAULS REISE von René Heisig. Ein gefühlvolles, aber konstruiertes Drama, daß filmisch allzuviel zu wünschen übrig läßt: Peter Lohmeyer so schlecht wie noch nie, bedeutungsschwangere Bilder und viele Längen. Doch solche einzelne Reinfälle sollten nicht vom Grundsätzlichen ablenken: Die Geschichten werden realistischer, Menschen glaubwürdiger. Der deutsche Film wird wieder interessant.

Pop lebt, Lola rennt

Wie interessant deutsche Filme sein können, sieht man vor allem an zwei brandneuen Filmen: BIN ICH SCHÖN ? von Doris Dörrie (der drei Tage nach dem Filmfest gezeigt wurde, und den wir jetzt nur erwähnt haben wollen) und noch mehr an LOLA RENNT, einem Meisterwerk von Tom Tykwer.
Er lief als "Überraschungsfilm", der so heißt, weil er zu aller Überraschung schon mindestens eine Woche vorher allgemein angekündigt wurde, und offiziell nix mit dem Filmfest-Programm zu tun hat. Tom Tykwer läßt hier sein Gspusi Franka Potente durch Berlin rennen, und herausgekommen ist ein gigantisch guter Pop-Movie, der einen hoffen läßt, daß doch noch etwas aus dem deutschen Film werden könnte. Es ist mir eine Freude hier einmal Herrn Willmann zu Wort kommen zu lassen: "'Lola rennt' läßt ahnen, wo die Zukunft des Films liegen könnte", formulierte Willmann in marmornen Lettern für die Ewigkeit (ausführlichste Berichte, Analysen und Kommentare zu diesem deutschen Filmereignis des Jahres folgen auch bald).
Gigantisch gut war auch das ...Frau Oberin, noch ein Helles... anschließende Buffett, bei dem es typisch Berliner Döner und Buletten mit Kartoffelsalat gab – zum Entsetzen der Münchner Vereinigung "Kaviar statt Rinderwahnsinn" e.V., aber zur Freude aller, die sich nicht schon zuvor bei Pro7 den Leib vollgeschlagen hatten.
Dort traf "man" –um noch ein wenig Gesellschaftsberichterstattung zu betreiben-: Eoin Moore, der so sympathisch ist, wie sein Film, und an diesem Donnerstag noch nicht ahnte, was alle hofften, daß er nämlich den Hypo-Preis gewinnen würde, seine bezaubernde Frau Elke, die auch Filmbücher schreibt, Hypo-Vorjahresgewinner Oskar Roehler, der zu allen sehr offen und sympathisch ist, hoffentlich nicht nur weil er kurzsichtig ist, und Angst hat, jemanden zu verwechseln. "Man" traf auch Produzentin Susanne Marian (einst zu Gast auf dem historischen artechock-Kurzfilmabend im Filmmuseum), die wie immer interessante Storys aus dem Alltag einer normalen Filmproduktionsfirma zu erzählen hatte, und sich supersaumäßig freute, daß ihr Kurzfilm FÜNF MINUTEN als Vorfilm zu LOLA RENNT im Kino laufen wird. Und X-Film-Produzent Stephan Arndt, der nach dem Premierenerfolg gleich 10cm größer aussah, und schließlich Independent-Regisseur Kevin Di Novis (SURRRENDER DOROTHY), der zu LOLA RENNT auch noch einen historischen Kommentar parat hatte: "cinematographic epiphany", zu deutsch: filmischer Orgasmus.

Das Filmfest lebt

Klar, Herr Hauff ist weder der Nikolaus, noch das Christkind, und das ist vielleicht auch besser so, aber das Filmfest ist doch immer ein wenig wie die Bescherung unterm Tannenbaum (und mir eigentlich noch viel lieber, als die andere), daher möchte ich zum Abschluß einfach mal aufschreiben, was ich mir wünsche fürs nächste Filmfest:

1. Einen eigenen Katalog für die Retros. Andere Festivals können sich das auch leisten. Was haben Rosi und Hellman unter den aktuellen Filmen zu suchen ?

2. Mehr Wiederholungen.

3. Das alte Kartensystem

4. Wieder ein echtes Zentrum, in diesem Jahr ging man gar nicht mehr in den Gasteig, der ist jetzt verwaist, tot, leer. Das lag nicht nur an Fußball.

5. Der balsdmöglichste Umzug ins Multiplex am Matthäser, oder zumindest ins Paradies.

6. Weniger Filme, damit alles übersichtlicher ist.

7. Mehr Filme, damit es noch mehr zu gucken gibt.

8. Mehr Partys

9. Die Verlängerung des Filmfests um ein paar Tage, z.B. den Zeitraum 3.3.(Berlinale-Ende) bis 9.2 (Berlinale-Anfang).

10. Babette und Karina am Infoschalter. Mit ihrer Engelsgeduld und Freundlichkeit waren sie die heimlichen Stars des Filmfests.

Rüdiger Suchsland

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