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Ach, lange eineinhalb Wochen ist es schon wieder her, daß sich
der Abend über das 16.Filmfest München senkte. Und noch lange 49
Wochen wird es dauern, bis uns ein neues Filmfest hineinläßt in
seine Pforten... Nein - bleiben wir kühl ! Ganz subjektiv der
Reihe nach:
Europa – Rest der Welt 3-5 n.V.
Schade, daß die Berti-Buben nicht schon in der Vorrunde
ausgeschieden sind. Man hätte sich so das Spiel gegen Mexiko
ersparen können, bei dem außerdem die Falschen gewonnen haben, wie
auch das Spiel gegen Kroatien, bei dem wieder die Falschen gewonnen
haben, und stattdessen "With Friends like these" ansehen, oder
besser noch Francesco Rosis "C'era una volta".
(Einschub: Die Rosi-Reihe war sehr gut, sehr empfehlenswert, doch
weil wir alle natürlich auf dem Filmfest uns in erster Linie die
neuesten Filme ansehen, haben wir zu oft die Gelegenheit verpaßt,
Rosi-Filme im Kino anzuschauen. Viele kenne ich nur aus dem
Fernsehen, und das ist, wie an dieser Stelle schon öfters erwähnt,
eigentlich gar nix. Also, lieber Herr Robert Fischer, es wäre schon
toll, wenn man nach den vielen sehr schönen Reihen, die derzeit im
Filmmuseum laufen (und die wir zum Teil noch ausführlich loben
werden), nochmals Francesco Rosi sehen könnte. Soweit verfügbar,
versteht sich.)
Francesco Rosi ist ein Beispiel für das, was europäisches Kino
einmal war. Leider gibt es trotz Nanni Moretti, trotz Ken Loach,
trotz der vielen Franzosen heute nichts wirklich Vergleichbares.
Ein Glück, daß Frankreich wenigstens Fußball-Weltmeister wurde, ein
Sieg für ganz Europa. Im Film sind wir von europäischen Erfolgen
dagegen weit entfernt. Leider ! Champions sind, ob einem das nun
gefällt oder nicht, die Amerikaner. Und die Asiaten halten sich
weitaus besser, als auf dem grünen Rasen.
Was vom Filmen übrig blieb...
Man kann nach 8 Tagen und ca 190 Filmen natürlich so allerhand
über das Filmfest sagen. Klar gab es viel zu viele Filme, und daher
einige Lücken im Scedule eines jeden von uns -was sage ich Lücken,
um riesig klaffende Schluchten handelt es sich-, die nun in den
nächsten Monaten zumindest ansatzweise gefüllt werden müssen.
Drei ganz persönliche Highlights, die sich durch überraschende
Qualität auszeichneten, waren für mich "Suicide Kings", "Perdita
Durango" und "Liar". Alles Filme, in die ich hineinging nach dem
Motto: "Naja, jetzt schau ich mir den halt mal an, hoffentlich ist
er nicht allzu schlecht", und ganz erfreut und gutgelaunt
herauskam: "Welch ein Glück, daß ich den gesehen habe." Solche
positiven Überraschungen sind der Sinn eines Filmfests. "Suicide
Kings" ist ein Erstlingsfilm von Peter O'Fallon. Der hätte auch in
der Independent-Reihe laufen können, aber Robert Fischer war
offenbar schneller gewesen, als Ulla Rapp, und hatte ihn sich
geschnappt. Eine Thrillerkomödie, die elegant Witz und Spannung
verbindet und ohne hohen Aufwand von der Entführung eines
Mafiaboss' erzählt. Dahinter verbirgt sich die kluge Darstellung
von 6 Schicksalen aus den 90er Jahren. Und Christopher Walken ist
so gut, wie nie in letzter Zeit. Mehr dazu, wenn er –hoffentlich-
ins Kino kommt. Dahin kommt "Liar" von Jonas und Josh Pate im
Herbst in jedem Fall. Tim Roth spielt die Hauptrolle in diesem
Kammerspiel über das Psychoduell zwischen einem Mordverdächtigen
und einem Polizisten. Ganz andere Geschmäcker sprach der Baske
Alex de la Iglesia mit "Perdita Durango" an: Ein Roadmovie, der
virtuos Stilelemente von Lynch, Tarantino und Almodóvar verknüpft,
und trotzdem zu einer eigenständigen Form findet. Die Höllenfahrt
eines Killerpärchens durch den Südwesten der USA, filmischer
Katholizismus, der barocke Bilderpracht, philosophische Tiefe und
Trash-Kultur zu einem Augenschmaus vermischt, den manche als
"genial", andere als "geschmacklos" empfanden. In jedem Fall
ungewöhnlich und interessant, auf anregende Weise weitab von allem
Mainstream, und schon mehr, lieber Thomas Willmann, als nur ein
Kindergeburtstag (Wobei gegen den ja auch gar nichts einzuwenden
wäre). Ziemlich gut war auch "The Newton Boys" von Richard
Linklater. Eine echte Überraschung nach all den Slacker-Movies, ein
gutgelaunter und stark besetzter Kostümfilm über eine Gangstergang
der 20er Jahre. Schließlich noch der schon einmal anläßlich
seiner Berlinale-Premiere erwähnte und gelobte Dokumentarfilm
"Modulatios" von Iara Lee ("Synthetic Pleasures"). Wer ihn
verpaßt hat, kann ihn sich am kommenden Dienstag (21.7.) auf arte
ansehen, im Rahmen des techno-Themenabends. Es lohnt sich !
Eine Dokumentation über die Geschichte der elektronischen Musik,
aber auch ein Trip in die Gegenwart. Die Macher selbst kommen zu
Wort, und unter der Hand entsteht eine soziale Momentaufnahme zur
Jugendkultur der Gegenwart.
Pop ist tot !
"Pop ist tot !" heißt das neueste Album der Hamburger Girlie-Band
"Die Braut Haut Ins Auge", und weiter singen die Mädels ironisch:
"Die Leiche ist noch warm...". Ein wenig geht es dem Filmfest ja
genauso. Alle Jahre wieder schüttet die Münchner Presse ihr
routiniertes Gemotze über den Machern aus, besonders über dem
Leiter Eberhard Hauff, alle Jahre wieder wird das Filmfest
totgesagt, trotzdem geht es immer weiter, und das eher besser, als
im Vorjahr. Auch diesmal gab es Menschen, die einem in der
VIP-Lounch ins Ohr raunten "so schlecht wie diesmal" sei das
Filmfest noch nie gewesen, die das –zugegebenermaßen nervige-
Kartenchaos zu Beginn zum Anlaß nahmen, zu verkünden: "Das tu ich
mir nicht mehr an". Dabei war es alles in allem ein angenehmes
Filmfest, eines der besseren, und filmisch allemal besser, als das
in dieser Hinsicht enttäuschende des letzten Jahres. Deplorabel war
allein das Wetter; zu oft gab es Regen ausgerechnet dann, wenn man
von irgendeinem Kino ins nächste eilen mußte, und sogar auf der
immer wetterbegünstigten Independent-Party am Mittwoch. Die
blieb –Indy-Programmerin Ulla Rapp sei 1000mal gedankt- trotzdem
die charmanteste Veranstaltung, weil sich im Innenhof des
Stadtcafés einmal nicht nur die Adabeis umeinander drängelten.
Gedrängelt wurde zwar auch, aber nur, weil jeder einen Schirm zum
Unterstellen ergattern wollte, und dabei lernte man dann viele
nette Menschen kennen. Mahlzeit ! Weil sich alle
Filmbegeisterten des Abends immer auf ...Moment, bitte noch ein
Brötchen mit Lachstartar... Empfängen und Partys drängelten, kann
man sie nicht einfach übergehen. Das Filmfest ist schließlich auch
ein Fest. Und weil alles Wirkliche vernünftig, also irgendwie
Zeichen für Wesentliches ist, kann man noch an der Natur der Partys
viel über die ...schlurp, gießen Sie doch bitte nochmal nach...
Filme lernen. Das erwähnte Fest der US-Independents wurde wie
gesagt durch ein Gewitter gestört, das nicht etwa die Ankunft von
William Dafoe oder Tom di Cillo vermelden sollte, sondern gewiß vom
großen Manitu persönlich stammte. Waren doch Indianer diesmal der
...Herr Ober, noch ein Helles !... Schwerpunkt der Indie-Reihe. Die
Rothäute rächten sich am weißen Mann durch konventionelle
Filmlangeweile, und der einzige echte Aktivist, Ian D. Skorodin,
dessen erschütternder "Tushka" in seiner Härte aus dem
winnetoupazifistischen Rahmen fiel, rächte sich durch die
Telefonspesen, die er der ...haben Sie noch eine Portion Tortellini
?... Festivalleitung aufbrummte. Lohnenswert war wie immer die
Hypo-Party in der Muffathalle, zumindest zu ...Hicks, Versseihung,
noch ein Helles... fortgeschrittener Stunde. Da waren dann alle
schon ganz locker und entspannt (nein, nicht nur weil sie dicht
waren), das Filmfest neigte sich dem Ende zu, melancholische
Stimmungen machten sich breit, die aber das Um- und Miteinander nur
förderten. Zumal es hier endlich zu den von Eberhard Hauff so sehr
erwünschten "Synergieeffekten" zwischen Filmfest und
Filmhochschulfesten kam, sprich dazu, sich einmal zu sehen,
kennenzulernen, und Erfahrungen auszutauschen. Ansonsten war die
Zusammenlegung keine gute Idee, weil man dann eben doch lieber
einen US-Independent anschaut, als an den herben Früchten
tschechischer und finnischer Filmhochschulen zu knabbern. Gäbe es
die Filmfest-Konkurrenz nicht, hätte zumindest ich viel mehr
Hochschulfilme gesehen. Keine gute Idee war es auch, die
proletigen Türsteher von der Muffathalle nicht zu entsorgen, denn
die ließen weder Ulla Rapp, noch Stephanie, die charmante
dffb-Pressesprecherin, noch den Jury-Preisträger Achim von Borries
hinein (dessen Film "Halberstadt" sehr zurecht gewann, nicht nur
weil die liebe Tanja (vgl.Berlinale-Notizen '97) dafür das
Production Design gemacht hat). Irgendwann waren dann doch alle
drin, und diese wahre Abschluß-Party ging bis nach 4 Uhr
morgens.
Tot und lebendig: Filme aus Deutschland
Zum alljährlichen Filmfest-Ritual (es ist wirklich ein Ritual,
eine rituelle Reinigung genau gesagt, die dem Aggressionsabbau
dient) gehört das mehr oder weniger lautstarke Gemotze über den
Deutschen Film, der gern von sich selbst behauptet, ein neuer zu
sein, dies aber nur insofern ist, als daß er oft das Niveau seiner
schlechtesten Zeiten noch unterbietet. Diesmal war alles anders.
Nicht, weil die meisten Filme so gut gewesen wären, im Gegenteil
waren die so schlecht wie immer. Aber es gab auch anderes. Trends
lassen sich insofern ausmachen, als das Komödien out sind, und
Action in. "Schluß mit lustig !" könnte ein Motto heißen. Zwar gibt
es noch Komödien, wie Ralf Huettners zumindest halbwegs gelungene
Fortsetzung MUSTERKNABEN 2. Doch dies bleibt die Ausnahme. Keine
einzige Beziehungskomödie lief bei den Kinofilmen. Auch Thomas
Bergers TV-Movie BUSENFREUNDE 2, das durchaus Kinoqualität besitzt,
zeigt, daß sich etwas geändert hat. Nicht mehr jeder Topf muß
seinen Deckel finden, und am Ende lauert nicht mehr verkitschtes
Familienglück als utopischer Fluchtort vor der Komplexität des
Alltags, sondern möglicherweise ein Stückchen Realität.
Wirklichkeit findet man vor allem in: PLUS - MINUS NULL, dem
einen der beiden Hypo-Preisträger. Es ist wohl kein Zufall, daß
Eoin Moore, der Regisseur dieses deutschen Films, Ire ist. Das
Schicksal eines halbobdachlosen Arbeiters zwischen zwei Frauen und
im täglichen Überlebenskampf mitten in Berlin – glaubwürdig,
nüchtern und dicht erzählt, fast im Stil eines britischen
Sozialdramas a la Ken Loach. Die Zeiten werden härter, die
Filme auch. Das zeigt die Fülle an Actionfilmen, etwa der fürs TV
produzierte Thriller OPERATION NOAH, oder MUTTERTAG, ein
Schimanski-Film von Mark Schlichter, der vor drei Jahren mit EX den
Hypopreis gewann. Schimanski befindet sich hier als
friedensstiftender Old Shatterhand unter Geiern an der kroatischen
Bürgerkriegsfront. Die UNO ist doof, Söldner böse, und hätte man
Schimi nur früher hingeschickt, hätte er den Krieg bestimmt in 90
Minuten beendet. Daß es bis Hollywood noch ein weiter, steiniger
Weg ist, zeigt auch CASCADEUR von Hardy Martins, der leider genauso
ist, wie man es befürchten muß, wenn ein Stuntman Regie führt.
Einen hilflosen Versuch poetisches Empfindsamkeitskino zu machen,
verkörpert PAULS REISE von René Heisig. Ein gefühlvolles, aber
konstruiertes Drama, daß filmisch allzuviel zu wünschen übrig läßt:
Peter Lohmeyer so schlecht wie noch nie, bedeutungsschwangere
Bilder und viele Längen. Doch solche einzelne Reinfälle sollten
nicht vom Grundsätzlichen ablenken: Die Geschichten werden
realistischer, Menschen glaubwürdiger. Der deutsche Film wird
wieder interessant.
Pop lebt, Lola rennt
Wie interessant deutsche Filme sein können, sieht man vor allem
an zwei brandneuen Filmen: BIN ICH SCHÖN ? von Doris Dörrie (der
drei Tage nach dem Filmfest gezeigt wurde, und den wir jetzt nur
erwähnt haben wollen) und noch mehr an LOLA RENNT, einem
Meisterwerk von Tom Tykwer. Er lief als "Überraschungsfilm",
der so heißt, weil er zu aller Überraschung schon mindestens eine
Woche vorher allgemein angekündigt wurde, und offiziell nix mit dem
Filmfest-Programm zu tun hat. Tom Tykwer läßt hier sein Gspusi
Franka Potente durch Berlin rennen, und herausgekommen ist ein
gigantisch guter Pop-Movie, der einen hoffen läßt, daß doch noch
etwas aus dem deutschen Film werden könnte. Es ist mir eine Freude
hier einmal Herrn Willmann zu Wort kommen zu lassen: "'Lola rennt'
läßt ahnen, wo die Zukunft des Films liegen könnte", formulierte
Willmann in marmornen Lettern für die Ewigkeit (ausführlichste
Berichte, Analysen und Kommentare zu diesem deutschen Filmereignis
des Jahres folgen auch bald). Gigantisch gut war auch das
...Frau Oberin, noch ein Helles... anschließende Buffett, bei dem
es typisch Berliner Döner und Buletten mit Kartoffelsalat gab – zum
Entsetzen der Münchner Vereinigung "Kaviar statt Rinderwahnsinn"
e.V., aber zur Freude aller, die sich nicht schon zuvor bei Pro7
den Leib vollgeschlagen hatten. Dort traf "man" –um noch ein
wenig Gesellschaftsberichterstattung zu betreiben-: Eoin Moore, der
so sympathisch ist, wie sein Film, und an diesem Donnerstag noch
nicht ahnte, was alle hofften, daß er nämlich den Hypo-Preis
gewinnen würde, seine bezaubernde Frau Elke, die auch Filmbücher
schreibt, Hypo-Vorjahresgewinner Oskar Roehler, der zu allen sehr
offen und sympathisch ist, hoffentlich nicht nur weil er
kurzsichtig ist, und Angst hat, jemanden zu verwechseln. "Man" traf
auch Produzentin Susanne Marian (einst zu Gast auf dem historischen
artechock-Kurzfilmabend im Filmmuseum), die wie immer interessante
Storys aus dem Alltag einer normalen Filmproduktionsfirma zu
erzählen hatte, und sich supersaumäßig freute, daß ihr Kurzfilm
FÜNF MINUTEN als Vorfilm zu LOLA RENNT im Kino laufen wird. Und
X-Film-Produzent Stephan Arndt, der nach dem Premierenerfolg gleich
10cm größer aussah, und schließlich Independent-Regisseur Kevin Di
Novis (SURRRENDER DOROTHY), der zu LOLA RENNT auch noch einen
historischen Kommentar parat hatte: "cinematographic epiphany", zu
deutsch: filmischer Orgasmus.
Das Filmfest lebt
Klar, Herr Hauff ist weder der Nikolaus, noch das Christkind, und
das ist vielleicht auch besser so, aber das Filmfest ist doch immer
ein wenig wie die Bescherung unterm Tannenbaum (und mir eigentlich
noch viel lieber, als die andere), daher möchte ich zum Abschluß
einfach mal aufschreiben, was ich mir wünsche fürs nächste
Filmfest:
1. Einen eigenen Katalog für die Retros. Andere Festivals können
sich das auch leisten. Was haben Rosi und Hellman unter den
aktuellen Filmen zu suchen ?
2. Mehr Wiederholungen.
3. Das alte Kartensystem
4. Wieder ein echtes Zentrum, in diesem Jahr ging man gar nicht
mehr in den Gasteig, der ist jetzt verwaist, tot, leer. Das lag
nicht nur an Fußball.
5. Der balsdmöglichste Umzug ins Multiplex am Matthäser, oder
zumindest ins Paradies.
6. Weniger Filme, damit alles übersichtlicher ist.
7. Mehr Filme, damit es noch mehr zu gucken gibt.
8. Mehr Partys
9. Die Verlängerung des Filmfests um ein paar Tage, z.B. den
Zeitraum 3.3.(Berlinale-Ende) bis 9.2 (Berlinale-Anfang).
10. Babette und Karina am Infoschalter. Mit ihrer Engelsgeduld
und Freundlichkeit waren sie die heimlichen Stars des Filmfests.
Rüdiger Suchsland
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