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Nachdem die hiesige Filmbranche bei der Berlinale kaum
repräsentiert war, und auch in Cannes niemand was von ihren
Erzeugnissen wissen wollte, sollte nun endlich die große Stunde des
deutschen Filmes ‘98 schlagen. Der Hypopreis, der alljährlich auf
dem Münchner Filmfest vergeben wird, gilt als gutes
Karrieresprungbrett, das Preisgeld wurde diesmal sogar noch um 20
Tausender auf 80000 Mark aufgestockt, aber selten war die
Kandidatenrunde so schwach besetzt wie in diesem Jahr. Die
Bewerberfilme erinnerten an eine Versuchsreihe aus dem
Heimwerkerhandbuch „Wir basteln einen Genrefilm“. Dabei mangelte
es keineswegs an Selbstvertrauen. Ein schlimmes Beispiel von
Selbstüberschätzung bot der Stuntman Hardy Martins, der gerne Bruce
Willis sein möchte. Als Regisseur des Abenteuerfilms „Cascadeur“
zeigt er sich selbst auf der Jagd nach dem verschollenen
Bernsteinzimmer. Die Filmfest-Leitung konnte sich in den
Ankündigungen nicht verkneifen, Martins’ Film Indiana-Jones-Qualität
zu bescheinigen. Dies ist eine äußerst sportliche These, denn, ganz
abgesehen davon, daß der Vergleich mit Spielbergs verstaubter
Filmserie kaum auf eine künstlerische Pionierleistung schließen
läßt, übertrifft „Cascadeur“ trotz aufwendiger Radau-Sequenzen an
keiner Stelle die dramatische Kraft eines
Grundschulweihnachtsspiels. Mit tumben Dialogzeilen wie „Keine
Angst, ich bin bei Dir.“ wird Hardy Martins filmische
Zipfelschwingerei durch die geballte Blödheit nur zu einer halbwegs
vergnüglichen Geschmacksverirrung. Die anderen nominierten Filme
waren zwar intelligenter, aber noch lange nicht preisverdächtig.
Achim Bornhak verwechselte in seinem ansehnlichen Thriller
„Operation Noah“ Action mit Hektik, René Heisigs „Pauls Reise“
nudelte nur Roadmovie- und Familienfilm-Klischees runter, und der
zweite Teil von Ralf Huettners „Musterknaben“ war zwar saukomisch,
wird es aber nach dem Flop des Erstlings kaum mehr in die Kinos
schaffen. So wurden zum Hypo-Fest in der Muffathalle, wo sich die
Vilsmaiers und Potentes des Landes einfanden, als Gewinner die zwei
einzig würdigen Bewerber bekanntgegeben. Das Preisgeld teilten sich
ein renommierter und ein Hochschulabschlußfilm. Hans-Christian
Schmid, der vor zwei Jahren mit „Nach fünf im Urwald“ einen
Überraschungserfolg hatte, bot mit dem Hackerkrimi „23“ die
kinotauglichste Ware, doch der Ire Eoin Moore, der mit
„plusminusnull“ die Ausbildung an der DFFB in Berlin beendete, galt
bei den Filmfestbesuchern als die bemerkenswertere Entdeckung. Sein
Film beschäftigt sich mit dem kauzigen Berliner Hilfsarbeiter Alex,
der sich mit zwei Huren anfreundet. Die eine, Svetlana, will noch
schnell viel Geld verdienen, bevor ihre Duldung beendet ist und sie
wieder nach Bosnien zurück muß. Ihre Bitte, sie zu heiraten, damit
sie in Deutschland bleiben kann, versucht Alex zu überhören, vor
allem als er sich in Svetlanas Kollegin Ruth verliebt. Alle Pläne,
sein verkorkstes Leben nochmal in die Hand zu nehmen, scheitern
schließlich an seiner Unzuverlässigkeit. So geht jeder seiner Wege
und Alex zieht weiter zum nächsten Gelgenheitsjob und zur nächsten
Notunterkunft. Mit geringstem Aufwand und überragenden Schauspielern
hat Eoin Moore ein nüchternes Portrait des Großbaustellen- und
Stehausschank-Milieus entworfen. Sein Blick auf die Figuren ist
nicht ohne Sympathie, dennoch verzichtet er auf Kleine-Leute-Kitsch
und gefällige Auflösungen. Da hat sich ein Regisseur auf seine
einfache Geschichte verlassen und sie nicht mit cooler Musik,
angeberischen Großaufnahmen und anderem Inszenierungsschnickschnack
zerstört. Bleibt zu hoffen, daß „Plusminusnull“ einen wirkungsvollen
Verleih findet.
Dem Schaulauf der deutschen Filmprominenz vor den Münchner
Festkinos zum Trotz hat sich Berlin zumindest als wichtigste
Filmkulisse etabliert. Der Gangsterfilm „Dunckel“ von Lars Kraume
und „Angel Express“ von Rolf Peter Kahl riskieren einen Blick
darauf. Doch „Dunckel“, der episodisch von der Flucht dreier Brüder
nach einem Banküberfall erzählt, fliegt als Sozialdrama spätestens
bei dem gestelzten Satz „Du hast deine Autorität verloren, als du
zu saufen angefangen hast“ aus der Kurve, während Kahl die Welt,
die er für die eigene hält, mit durchgehend abgefucktestem Personal
bevölkert. „Angel Express“ mit seinem inflationären Einsatz von
City-Zombies ist bestenfalls Neonrealismus oder Ausdruck der
neuesten Sachlichkeit, wenn Liebesbeziehungen mit „Du bist
out“-Abgebrühtheit beendet werden: „Wenn du nicht mehr ficken
kannst, dann ist die Affäre beendet.“ Das größte Problem des
deutschen Filmes bleibt, daß man seine Wahrhaftigkeit so leicht
überprüfen kann. Denn entweder gibt es die Welt von Kahl und Kraume
nicht, oder ich war schon lang nicht mehr in Berlin.
Richard
Oehmann
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