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Zusammenschauen, was zusammen gehört
(Teil I)

  09.07.1998
 
 
 
 

Wie heißt es so schön in Platos "Kratylos" (zumindest in Friedrich Schleiermachers Übersetzung): "Daher wird unter allen Tieren der Mensch allein Mensch genannt, weil er zusammenschaut, was er gesehen hat."
Gesehen hab' ich viel in der letzten Woche - so um die dreißig Filme, etliche Filmemacher und Schauspieler live, die ein oder andere Party. Das alles nun in ein paar Zeilen zusammenzuschauen - Mensch, das wird tierisch schwer.

Die Gesellschaftsberichterstattung überlasse ich lieber gleich dem werten Kollegen Suchsland, der da mehr zu erzählen hat. Und einem der schönsten Highlights des Festivals, der Monte Hellman-Retrospektive, werde ich mich in einem eigenen Artikel widmen. Aber da bleiben immer noch ein Haufen Filme übrig, die auf wenige gemeinsame Nenner gebracht werden wollen.
Was mir bei der beträchtlichen Bandbreite des Angebots am meisten auffiel, waren dabei grundsätzliche Gemeinsamkeiten unter bestimmten Filmen, die nichts damit zu tun hatten, aus welchem Land die Werke stammten, welchem Genre sie angehörten, oder wie hoch das Budget war - sondern Gemeinsamkeiten in ganz elementarer Hinsicht: nämlich bei der Frage, warum jemand überhaupt Filme macht, und was Kino leisten soll und kann.

Kino und Unterhaltung
Freilich ist jeder wirklich gute Film auch immer ein (zumindest im weiteren Sinne) unterhaltsamer Film. Aber es gibt auch jene Art von Kino, die "bloße" Unterhaltung sein will. Was meist dann böse in die Hose geht, wenn die Macher nicht wissen, daß gerade hier Intelligenz und Können unabdingbare Voraussetzungen für wahres Gelingen sind. Bester Beweis für diese These: der kreative Totalschaden CASCADEUR - ein filmischer Schrotthaufen, dessen Trash-Appeal höchstens eine um die Hälfte gekürzte Fassung getragen hätte.
Wie man's richtig macht, war bei den Charley Chase-Kurzfilmen zu bewundern und bei der hinreißenden japanischen Tanzstunde SHALL WE DANCE?; daß es auch in Deutschland geht mit Unterhaltung, die nicht ständig den Verstand des Publikums beleidigt, zeigte MUSTERKNABEN 2. Und wie pure Energie und Albernheit (und eine große Portion Herz) denn doch über das weitgehende Fehlen der erwähnten Ingredienzien hinweghelfen kann, war bei der Ed Wood, Jr.-Hommage I WOKE UP EARLY THE DAY I DIED zu erleben - aber da treffen sich dann wohl auch Form und Inhalt.

Kino und Anspruch
Da es erheblichen Aufwand an Zeit, Geld und Kraft kostet, einen Film zu machen, haben sich die meisten Kinoschaffenden denn doch etwas höhere Ziele gesetzt, als dem Publikum nur zwei Stunden Untermalung zum Popcorn-Konsum zu verschaffen. Zugegeben eine recht schwammige Kategorie, läßt sich soetwas wie "Anspruch" natürlich in den mannigfaltigsten Manifestationen erkennen:
Der kann sich äußern in dem Bestreben, einem wohlvertrauten Genre wie dem Gangster-Film eine neue Story-Variante abzutrotzen und dabei immer noch und noch eine weitere, clevere Plotwendung im Ärmel zu haben: siehe den ziemlich gelungenen SUICIDE KINGS - der für meinen Geschmack die Schraube leider am Ende ein paar Windungen weiter dreht, als ihm wohltut. Oder indem man Filme aus dem selben Genre mit mehr (FACE) oder minder (NOOSE) dick aufgetragener Sozialkritik anreichert.
Der kann sich - wie in Vincent Gallos Charakterstudie BUFFALO '66 - zeigen in Originalität, Stilwillen und tiefen, seelischen Abgründen hinter einer humorvollen Fassade. Für viele eines der großen Festival-Highlights, mir persönlich aber letzlich eine Spur zu kühl und narzißtisch ausgefallen, um mich wirklich zu begeistern.
Oder schließlich wie im Fall von PERDITA DURANGO, wo Regisseur Alex de la Iglesia zwar einiges zu erzählen hatte über die tiefere Bedeutung, die er in seinen Film gepackt wissen wollte, wo das tatsächliche Ergebnis dann jedoch eher an zwei Stunden fröhlichen Kindergeburtstag gemahnte.

Kino und Politik
Nicht klar zu trennen von der vorhergehenden Kategorie, gewiß. Aber die folgenden Filme zeichneten sich für mich dadurch aus, daß sie ganz bewußt politische Positionen vertraten; daß sie Stellung bezogen für Entrechtete, daß sie jenen eine Stimme zu geben versuchen, die sonst nicht gehört werden.
Etwas zu deutlich die Absicht vielleicht in MEN WITH GUNS von dem stets schätzenswerten John Sayles: eine Odysee ins mexikanische Bergland zu den Indios, die dort im Kampf zwischen Regierungstruppen und Guerillas aufgerieben werden. Manchmal einfach zu nah am Lehrstück, zu durchsichtig um - bei allem Mut, Engagement und filmischem Können - wirklich zu packen.
Anders da SLAM; über einen schwarzen Poeten, der entdeckt, daß Sprache die mächtigste Waffe ist im Klassenkampf: ein Film, der (vor allem dank exzellenter Darsteller) seine unbequemen Thesen über das Gefangensein in der Rolle des Opfers und den selbstzerstörerischen Kreislauf der Gewalt mit solch emotionaler Wucht und Intensität ins Publikum schleudert, daß man nicht unberührt bleiben kann.
Weniger heftig, aber dank seines Charmes nicht minder effektiv dagegen SMOKE SIGNALS: Zwei native americans, Indianer, auf Identitätssuche - ein sehr vergnügliches und von schwerfälligem Moralisieren gänzlich freies Road-Movie; ein Spiel mit und gegen etablierte Bilder, das nicht zuletzt deswegen so sympathisch ist, weil es nicht vorgibt, alle Antworten parat zu haben.

Wenn Sie sich nächste Woche wieder einklicken, erfahren Sie alles über französische Meisterregisseure am Rande der Altersdemenz, Spaghettiessen beim Haarewaschen und dicke deutsche Dancefloor-Produzenten auf der Suche nach dem englischen Wort für "Mülltonne" - nur hier, nur im zweiten Teil von "Zusammenschauen, was zusammen gehört".

P.S.: Auch wenn's jetzt ein wenig aus dem Zusammenhang ist - aber ich möchte doch unbedingt darauf hingewiesen haben, daß derzeit im Werkstattkino eine kleine Reihe mit Filmen des japanischen Allround-Talents Takeshi Kitano geboten wird. Da gibt's neben dem (etwas ungehobelten) Regie-Debut VIOLENT COP und dem Meisterstück SONATINE auch HANA-BI zu sehen - den bisher besten Film des Jahres (und zwar, statt der nicht gerade beglückenden Synchronfassung, im atmosphärisch dichteren Original mit Untertiteln). Wie hat's Kollege Suchsland neulich in ähnlichem Zusammenhang so schön formuliert: "Wer's jetzt nicht hinschaut, ist selber schuld." Hugh.

Thomas Willmann
 

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