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Fisch und Film. Zwei Dinge, die auf den
ersten Blick nicht viel gemeinsam haben. Und auch nicht auf den
zweiten. Doch spürt man diesem Thema dennoch unbeirrbar nach, so
werden unerwartete Verbindungen sichtbar, Beziehungen bieten sich
dem überraschten Blick dar: als auf's innigste verknüpft, ja
verflochten erweisen sich die eben noch so disparat scheinenden
Gegenstände.
Denn so sehet: Fisch und Film - beide beginnen sie mit "Fi". Ein
Zeichen, untrüglich. Freilich auch ein Stabreim. Und was sich
stabreimt ist bekanntlich gut. Wem da dünkt dies sei ein bloßer
Zufall; der deutschen Zunge unbedeutende Laune: Oh, der irrt! Denn
im Englischen verhält es sich genauso; und in Finnisch,
Österreichisch, Kishuaheli und Sanskrit nicht minder. Ja, auch im
Französischen sogar... - ach nein, da nicht. Aber es hätte gut sein
können.
Doch lasset uns zurückgehen zu den Wurzeln (des Films, nicht der
Fische - die haben keine, sonst wären es ja Bäume): Es war kurz vor
der Jahrhundertwende, als Edward Muybridge die Phasenphotographie
erfand, um eine Wette zu entscheiden, deren Gegenstand die Frage
war, ob der Fisch beim Galoppieren je alle vier Flossen
gleichzeitig auf der Erde hat. Es wies sich: Hat er nicht. Aber
die Erfindung ebnete den Weg für die Entwicklung der Filmkamera,
was bald darauf die Gebrüder Lumière auf die Idee brachte, Geld für
das Betrachten projezierter, bewegter Bilder zu verlangen. Der
erste Film überhaupt, den sie drehten, zeigt die Arbeiter beim
Verlassen der Lumièrschen Fischfabrik.
Und folget mir durch die Geschichte des Films - stets ist's der
Fisch, der sie seit über hundert Jahren stumm und treu begleitet.
Wie viele Menschen, die des Kinos sturmumtoste Geschicke lenkten,
fanden ihr Leben nicht an schicksalsträcht'gen Punkten geprägt von
unseren gefiederten Freunden. Einer der größten Tycoons der
Filmgeschichte hieß mit Nachnamen Goldfish, bis er den Namen seiner
Firma annahm: Samuel Goldwyn; und kein geringerer als Orson Welles
nutzte in THE LADY FROM SHANGHAI eine Gelegenheit, sich darüber
lustig zu machen. Die Karriere Troy McClures, Star unzähliger Filme
und TV-Movies, fand ein jähes Ende, als seine amouröse Vorliebe für
Geschupptes ruchbar wurde, und er machte Gutemine zum bösen Spiel.
Und ist nicht Harrison Ford ein toller Hecht; und guckt nicht Keanu
Reeves oft verStört; und rennt nicht Jim Carrey oft hin und Hering
und wir müssen darüber Lachsen - anders als über grausam schlechte
Kalauer?
Doch höret: So ihr denn noch geringen Glaubens an meine Weisheit
seit, bedenket, wie oft der Fisch in Filmen selbst entscheidende
Rollen spielt. Und zwar nicht nur, wie Ihr jetzt glauben mögt, in
DER WEIßE HAI und A FISH CALLED WANDA. Oder LAWRENCE OF ARABIA. Die
faulenden Fische als Bordverpflegung sind's, die in PANZERKREUZER
POTEMKIN das Faß zum Überlaufen und die Besatzung auf die
Barrikaden (bzw. die Treppe) treiben. Weil sie sich beim Betrachten
der Fische in der Bucht von San Francisco zu weit vornüberlehnt,
fällt Kim Novak in VERTIGO ins Wasser, und Jimmy Stewart kann sie
retten und sonstwas mit ihr anstellen, während sie bewußtlos ist
und ihre Kleider in der Küche zum Trocknen hängen. Vielleicht so
was wie in der berühmten, skandalösen Szene aus DER LETZTE TANGO
VON PARIS, in der Marlon Brando Fischstäbchen einer
nicht-kulinarischen Verwendung zu-, bzw. einführt.
Und ist nicht Kino selbst so etwas wie ein Aquarium: ein
rechteckiger Kasten, der im Wohnzimmer steht und in den man
hineinguckt, um buntes Treiben und Wimmeln zu betrachten? Ach nein,
das ist der Fernseher. Aber ist der Fernseher nicht selbst so etwas
wie ein Kino? Bloß daß weniger Leute hineinpassen und es drinnen
kein Popcorn gibt? Aber dafür Käpt'n Iglu? Mit seinen
Fischstäbchen? Und manchmal Marlon Brando, obwohl der in echt viel
zu dick wäre für so einen kleinen Kasten?
Und nun sehet die wundersame Duplizität der Ereignisse - fast als
ob die Absicht einer lenkenden Hand dahinterstündetete: Diese
Woche, in der ich in Artechock meine Reflektionen zu Fisch und Film
der lesenden Arbeiterklasse zur Ergetzung und den gewissenlosen
Kapitänen der Hochfinanz zur Mahnung und ewigen Anklage
anheimstelle oder -lege oder auch ein anderes Verb, was besser
paßt; in eben dieser Woche sind nun gleich zwei Filme in Münchner
Kinos zu sehen, in denen Fische eine zentrale Rolle spielen.
Obwohl: eigentlich doch nicht. In DER UNFISCH geht es nämlich
(wie der Titel schon so ein bißchen vermuten läßt) gar nicht um
einen Fisch. Sondern um einen Wal. Und der Wal gehört bekanntlich
nicht zur Gattung der Fische, sondern zu der der Unpaarhufer.
Außerdem ist der Wal im Film a) tot und b) nich' echt. Sondern ein
transportables Maritim-Museum. Und das landet in einem Bergdorf,
und Maria Schrader erbt es, und wenn einer IM INNEREN DES WALS
(gab's da nich auch mal 'nen Film?) mit Maria Schrader schläft,
dann geht das in Erfüllung, was er sich im entscheidenden
Augenblick wünscht - und sei's, daß er ganz viele Fischstäbchen
will. Und weil sich die Männer alle solchen Unfug wünschen, muß
Maria Schrader mit ganz, ganz, ganz vielen schlafen, bis sich
endlich einer das wünscht, was Maria Schrader sich eigentlich
wünscht, daß er sich wünscht. Der Film ist besonders für
diejenigen interessant, die darauf neugierig sind, Maria Schrader
nackig zu sehen. Sonst hat er nicht soviel zu bieten, weil seine
Verschrobenheit allzu gewollt ist. Und die stilisierte Absurdität
vor allem von Seiten vieler der Schauspieler zur gestelzten
Albernheit gerät. Außerdem läuft DER AAL; nur, daß der noch
nicht läuft. Eigentlich sollte er schon lange laufen, aber nur im
Theatiner, und das hat gerade keinen Platz im Programm
frei. Dabei hat DER AAL in Cannes gewonnen und ist ein schöner
Film - aus Japan, wo man eigentlich lieber toten, rohen Fisch ißt,
als Filme über lebende Fische zu machen, sollte man meinen. DER AAL
ist auch verschroben, aber nicht auf eine so bemühte Art. Ein Mann
bringt in rasender Eifersucht seine Frau um, stellt sich der
Polizei und kommt für viele Jahre ins Gefängnis. Dort schließt er
Freundschaft mit einem Aal; weil der ihm immer zuhört. Dann kommt
der Mann aus dem Gefängnis und eröffnet einen Friseurladen; aber
seinen Aal hat er immer dabei. Er lernt neue Freunde kennen; und
eine Frau, die sich in ihn verliebt. Aber damit ist es alles nicht
so einfach. Trotzdem wird fast alles gut. Und bei aller
(gelungenen) stilisierten Absurdität und allem Witz ist es trotzdem
ein sehr menschlicher und letzlich auch sehr rührender
Film. Wenn er dann doch endlich kommt, in München, DER AAL, dann
müßt Ihr ihn Euch anschauen. Weil Fisch und Film - ich muß es
eingestehen - nur selten eine so glückliche Verbindung eingegangen
sind.
P.S.: Der Herr Oehmann hat gemeint, wir müssten wieder alberner
werden bei Artechock. Ich hoff' jetzt ist er zufrieden, der Herr
Oehmann.
Thomas
Willmann
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