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Fisch und Film

  05.03.1998
 
 
 
  Fisch und Film. Zwei Dinge, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben.
Und auch nicht auf den zweiten.
Doch spürt man diesem Thema dennoch unbeirrbar nach, so werden unerwartete Verbindungen sichtbar, Beziehungen bieten sich dem überraschten Blick dar: als auf's innigste verknüpft, ja verflochten erweisen sich die eben noch so disparat scheinenden Gegenstände.

Denn so sehet: Fisch und Film - beide beginnen sie mit "Fi". Ein Zeichen, untrüglich. Freilich auch ein Stabreim. Und was sich stabreimt ist bekanntlich gut. Wem da dünkt dies sei ein bloßer Zufall; der deutschen Zunge unbedeutende Laune: Oh, der irrt! Denn im Englischen verhält es sich genauso; und in Finnisch, Österreichisch, Kishuaheli und Sanskrit nicht minder. Ja, auch im Französischen sogar... - ach nein, da nicht. Aber es hätte gut sein können.

Doch lasset uns zurückgehen zu den Wurzeln (des Films, nicht der Fische - die haben keine, sonst wären es ja Bäume): Es war kurz vor der Jahrhundertwende, als Edward Muybridge die Phasenphotographie erfand, um eine Wette zu entscheiden, deren Gegenstand die Frage war, ob der Fisch beim Galoppieren je alle vier Flossen gleichzeitig auf der Erde hat.
Es wies sich: Hat er nicht. Aber die Erfindung ebnete den Weg für die Entwicklung der Filmkamera, was bald darauf die Gebrüder Lumière auf die Idee brachte, Geld für das Betrachten projezierter, bewegter Bilder zu verlangen. Der erste Film überhaupt, den sie drehten, zeigt die Arbeiter beim Verlassen der Lumièrschen Fischfabrik.

Und folget mir durch die Geschichte des Films - stets ist's der Fisch, der sie seit über hundert Jahren stumm und treu begleitet. Wie viele Menschen, die des Kinos sturmumtoste Geschicke lenkten, fanden ihr Leben nicht an schicksalsträcht'gen Punkten geprägt von unseren gefiederten Freunden.
Einer der größten Tycoons der Filmgeschichte hieß mit Nachnamen Goldfish, bis er den Namen seiner Firma annahm: Samuel Goldwyn; und kein geringerer als Orson Welles nutzte in THE LADY FROM SHANGHAI eine Gelegenheit, sich darüber lustig zu machen. Die Karriere Troy McClures, Star unzähliger Filme und TV-Movies, fand ein jähes Ende, als seine amouröse Vorliebe für Geschupptes ruchbar wurde, und er machte Gutemine zum bösen Spiel. Und ist nicht Harrison Ford ein toller Hecht; und guckt nicht Keanu Reeves oft verStört; und rennt nicht Jim Carrey oft hin und Hering und wir müssen darüber Lachsen - anders als über grausam schlechte Kalauer?

Doch höret: So ihr denn noch geringen Glaubens an meine Weisheit seit, bedenket, wie oft der Fisch in Filmen selbst entscheidende Rollen spielt. Und zwar nicht nur, wie Ihr jetzt glauben mögt, in DER WEIßE HAI und A FISH CALLED WANDA. Oder LAWRENCE OF ARABIA. Die faulenden Fische als Bordverpflegung sind's, die in PANZERKREUZER POTEMKIN das Faß zum Überlaufen und die Besatzung auf die Barrikaden (bzw. die Treppe) treiben. Weil sie sich beim Betrachten der Fische in der Bucht von San Francisco zu weit vornüberlehnt, fällt Kim Novak in VERTIGO ins Wasser, und Jimmy Stewart kann sie retten und sonstwas mit ihr anstellen, während sie bewußtlos ist und ihre Kleider in der Küche zum Trocknen hängen. Vielleicht so was wie in der berühmten, skandalösen Szene aus DER LETZTE TANGO VON PARIS, in der Marlon Brando Fischstäbchen einer nicht-kulinarischen Verwendung zu-, bzw. einführt.

Und ist nicht Kino selbst so etwas wie ein Aquarium: ein rechteckiger Kasten, der im Wohnzimmer steht und in den man hineinguckt, um buntes Treiben und Wimmeln zu betrachten? Ach nein, das ist der Fernseher. Aber ist der Fernseher nicht selbst so etwas wie ein Kino? Bloß daß weniger Leute hineinpassen und es drinnen kein Popcorn gibt? Aber dafür Käpt'n Iglu? Mit seinen Fischstäbchen? Und manchmal Marlon Brando, obwohl der in echt viel zu dick wäre für so einen kleinen Kasten?

Und nun sehet die wundersame Duplizität der Ereignisse - fast als ob die Absicht einer lenkenden Hand dahinterstündetete: Diese Woche, in der ich in Artechock meine Reflektionen zu Fisch und Film der lesenden Arbeiterklasse zur Ergetzung und den gewissenlosen Kapitänen der Hochfinanz zur Mahnung und ewigen Anklage anheimstelle oder -lege oder auch ein anderes Verb, was besser paßt; in eben dieser Woche sind nun gleich zwei Filme in Münchner Kinos zu sehen, in denen Fische eine zentrale Rolle spielen. Obwohl: eigentlich doch nicht.
In DER UNFISCH geht es nämlich (wie der Titel schon so ein bißchen vermuten läßt) gar nicht um einen Fisch. Sondern um einen Wal. Und der Wal gehört bekanntlich nicht zur Gattung der Fische, sondern zu der der Unpaarhufer. Außerdem ist der Wal im Film a) tot und b) nich' echt. Sondern ein transportables Maritim-Museum. Und das landet in einem Bergdorf, und Maria Schrader erbt es, und wenn einer IM INNEREN DES WALS (gab's da nich auch mal 'nen Film?) mit Maria Schrader schläft, dann geht das in Erfüllung, was er sich im entscheidenden Augenblick wünscht - und sei's, daß er ganz viele Fischstäbchen will. Und weil sich die Männer alle solchen Unfug wünschen, muß Maria Schrader mit ganz, ganz, ganz vielen schlafen, bis sich endlich einer das wünscht, was Maria Schrader sich eigentlich wünscht, daß er sich wünscht.
Der Film ist besonders für diejenigen interessant, die darauf neugierig sind, Maria Schrader nackig zu sehen. Sonst hat er nicht soviel zu bieten, weil seine Verschrobenheit allzu gewollt ist. Und die stilisierte Absurdität vor allem von Seiten vieler der Schauspieler zur gestelzten Albernheit gerät.
Außerdem läuft DER AAL; nur, daß der noch nicht läuft. Eigentlich sollte er schon lange laufen, aber nur im Theatiner, und das hat gerade keinen Platz im Programm frei.
Dabei hat DER AAL in Cannes gewonnen und ist ein schöner Film - aus Japan, wo man eigentlich lieber toten, rohen Fisch ißt, als Filme über lebende Fische zu machen, sollte man meinen. DER AAL ist auch verschroben, aber nicht auf eine so bemühte Art. Ein Mann bringt in rasender Eifersucht seine Frau um, stellt sich der Polizei und kommt für viele Jahre ins Gefängnis. Dort schließt er Freundschaft mit einem Aal; weil der ihm immer zuhört. Dann kommt der Mann aus dem Gefängnis und eröffnet einen Friseurladen; aber seinen Aal hat er immer dabei. Er lernt neue Freunde kennen; und eine Frau, die sich in ihn verliebt. Aber damit ist es alles nicht so einfach. Trotzdem wird fast alles gut.
Und bei aller (gelungenen) stilisierten Absurdität und allem Witz ist es trotzdem ein sehr menschlicher und letzlich auch sehr rührender Film.
Wenn er dann doch endlich kommt, in München, DER AAL, dann müßt Ihr ihn Euch anschauen.
Weil Fisch und Film - ich muß es eingestehen - nur selten eine so glückliche Verbindung eingegangen sind.

P.S.: Der Herr Oehmann hat gemeint, wir müssten wieder alberner werden bei Artechock. Ich hoff' jetzt ist er zufrieden, der Herr Oehmann.

Thomas Willmann

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