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Leni, Paul und Adolf

  05.02.1998
 
 
 
  Leni wollte immer nur, daß auf der Leinwand alles so schön wie möglich aussieht - und sei es ein kleiner, häßlicher Mann namens Adolf, der immer sehr gerne herumbrüllte. Leni, mittlerweile stolze 93 Jahre, ist nach wie vor fest davon überzeugt, daß Ästhetik ausschließlich etwas mit Form, und Politik nur etwas mit Inhalt zu tun hat, und daß zwischen beiden kein Zusammenhang besteht. Weshalb ihre Filme nichts mit Faschismus am Hut hätten, hätte sie nur einen anderen Gegenstand gehabt.

Bevor Leni selbst zur Herrin hinter der Kamera wurde, spielte sie mehrmals die leading lady für Arnold Fanck - der in mancher Hinsicht ihr filmischer Lehrmeister war. 1929 hat Fanck, der große Pionier des deutschen Bergfilms (dem gerade im Münchener Stadtmuseum und Filmmuseum eine Ausstellung und eine Retrospektive gewidmet waren), mit Leni Riefenstahl einen Klassiker des Genres gedreht, DIE WEIßE HÖLLE VOM PIZ PALÜ.
Der ist noch kein faschistischer Film, aber er ist in vieler Hinsicht verdammt nah dran.
Bestimmt wollte Arnold Fanck sich 1929 mit seinem Werk keiner politischen Ideologie verschreiben, und mit Sicherheit hat er noch viel weniger geahnt, welche Katastrophe sich innerhalb weniger Jahre in Deutschland ereignen würde. Aber in DIE WEIßE HÖLLE VOM PIZ PALÜ wird jener Zeitgeist offenbar, der binne Kurzem solch schreckliche Blüten nähren sollte. Das Bild von Natur und dem Erhabenen; das Opfer und die Kameradschaft; der Glaube an die Technik und die Begeisterung für den heldenhaften Weltkriegs-Piloten; die Abscheu vor der Zivilisation und die einsamen Männer, die in eisigen Höhen suchen, was hart macht: Etliches wirkt, als hätte sich's Klaus Theweleit für seine Faschismus-Studien so bestellt.

Diesen Sonntag um 11.00 Uhr gibt es im Gärtnerplatztheater die Uraufführung der restaurierten Fassung von DIE WEIßE HÖLLE VOM PIZ PALÜ zu sehen, live vom Deutschen Filmorchester Babelsberg begleitet mit einer neukomponierten Musik.
Der - rechter Umtriebe nun wirklich gänzlich unverdächtige - Kulturkanal arte (der den Film am 16. April ausstrahlt) hat sich dabei auf ein Experiment eingelassen: Nachdem bei ähnlichen Projekten bisher fast ausschließlich zeitgenössische europäische Komponisten für die Musik sorgen durften, deren Ansatz eher reflektiert und distanziert ausfiel, hat man diesmal Ashley Irwin (THE EXPERT) aus Hollywood ans Werk gehen lassen, der Fancks Gipfeldrama mit satter Symphonik untermalt, als wäre es der nächste STAR WARS-Film. (Was schon deswegen sehr passend ist, weil George Lucas bekanntlich das Finale von STAR WARS direkt aus Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS übernommen hat.)
Und dabei wird sicher vieles emotional zu funktionieren anfangen, was wir - mit unserer ach so aufgeklärten Sicht - uns sicher waren, uns vom Leib halten zu können. Das mag jetzt mancher verwerflich und böse finden, aber es könnte auch ganz heilsam werden - vor allem, wenn dadurch unmittelbar sinnlich klar wird, wie modern und wirkungsvoll gewisse Mechanismen nach wie vor sind.

Womit wir bei Paul wären. Paul will vor allem, daß auf der Leinwand viel Sex und noch viel mehr Gewalt zu sehen ist, und deswegen dreht er mit Vorliebe große, amerikanische Action-Filme. Gerade ist sein jüngstes Werk STARSHIP TROOPERS in den Kinos zu bewundern - in dem sich Paul nach Leibeskräften beim Nazi-Film bedient.
Paul Verhoeven (der als Kind in Holland die Invasion der Deutschen miterlebt hat) weiß natürlich sehr genau, was Adolf in Deutschland angerichtet hat, und er erwartet dies auch von seinen Zuschauern. (Vielleicht sein größter Fehler: er vertraut auf ein mündiges Publikum, das ohne erhobenen Zeigefinger und lange Lektionen selbst erkennt, welche Distanz zum Geschehen auf der Leinwand angebracht ist. Der ständige Szenenapplaus an den flaschen Stellen gibt seiner Hoffnung unrecht.)
STARSHIP TROOPERS ist deshalb als Parodie angelegt, die durch das simple Mittel der Übertreibung funktioniert. Verhoeven besetzt seine Helden mit hyper-attraktiven US-Soap-opera Teenies, die allesamt der Zahnweiß-Reklame entsprungen scheinen, jedem Rassehygeniker zu Spontanorgasmen verholfen hätten, und wahrhaft begnadete Un-Schauspieler sind. Und dann wird jedes Genre-Klischee vom Kampf der Herrenmenschen gegen das Böse dermaßen übererfüllt, jede Gelegenheit zu Kitsch und Pathos dermaßen weidlich ausgekostet, daß es kracht.

Wer STARSHIP TROOPERS vorwirft, der Film sei faschistisch, weil er seine Helden in Nazi-Uniformen auftreten läßt, hat nicht ganz verstanden, um was es geht. Denn Verhoeven macht dadurch nur völlig offensichtlich, von welchem Geist die Taten seiner Charaktere sind. Und auch hier werden dann Verbindungen offenbar zu so manch ur-amerikanischem Genre, dem in nicht wenigen Fällen recht ist, was den Nazis billig war. Schließlich zitiert STARSHIP TROOPERS nicht nur HITLERJUNGE QUEX und TRIUMPH DES WILLENS, sondern auch Western, Kriegsfilme und selbstverständlich Science-fiction, was das Zeug hält. Und wo da noch eine klare Grenze verläuft zwischen bösem Faschismus und ach so gesundem amerikanischem Heroismus, ist meistens nicht mehr erkennbar.

Das ist es, was STARSHIP TROOPERS und die musikalisch neu untermalte Fassung von DIE WEIßE HÖLLE VON PIZ PALÜ äußerst interessant macht (noch nicht zwangsläufig gut, aber auf jeden Fall interessant): sie machen sehr unmittelbar begreifbar, daß Faschismus im Film nicht ein Phänomen ist, das sich auf offensichtliche Propagandafilme beschränkt und daran zu erkennen ist, daß irgendwelche Nazis aufmarschieren.
Das Wichtigste, was sie leisten könnten, wäre, daß wir manches, was uns heute an aktuellen Filmen beeindruckt und begeistert, mit einem gewissen Unbehagen zu sehen lernen. Und daß ein paar mehr Leuten klar wird, daß Politik und Ästhetik sich eben nicht so einfach in Inhalt und Form aufteilen lassen.

Thomas Willmann

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