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Wer war der beste Kameramann?

  08.01.1998
 
 
 
 

Der amerikanische Regisseur Sidney Lumet ("12 Angry Men" [Die zwölf Geschworenen], "Dog Day Afternoon" [Hundstage], "Prince of the City") berichtet in seinem Buch "Making Movies" von einer Begegnung mit Akira Kurosawa. Lumet, ein bekennender Bewunderer von Filmen seines japanischen Kollegen, fragte diesen, warum er sich bei einer bestimmten Einstellung in "Ran" für genau den Bildausschnitt entschieden hätte. Darauf antwortete Kurosawa lakonisch, daß bei einem Kameraschwenk nach links eine Fabrik von Sony ins Bild gekommen wäre und bei einem Schwenk nach rechts ein Flughafen — beides wäre für einen Film, der im 16. Jahrhundert spielt, denkbar ungeeignet gewesen.

Diese Anekdote verdeutlicht ganz einfach, daß man sich vor Sony-Fabriken hüten sollte und daß selbst die Kreativität der eigenständigsten und angesehensten Regisseure von diversen Faktoren beeinflußt wird, ohne daß man eine Möglichkeit hätte, dies dem Film anzusehen. Motive für Entscheidungen und Handeln von Filmschaffenden reichen — so Lumet — "von Budgeterfordernissen bis zur göttlichen Inspiration". Daraus läßt sich folgern, daß man als Betrachter nur den Film, aber nicht die Leistungen der Macher wirklich beurteilen kann, es sei denn man verfügt über sehr detaillierte Informationen zum gesamten Produktionsvorgang. Dieses Wissen, auch über das Arbeitsverhältnis und die Arbeitsteilung während der Produktion, ist jedoch meist nur rudimentär vorhanden und dessen Quellen sind oft nicht sehr vertrauenerweckend, in einer Zeit, in der Berichterstattung über — und Werbung für einen Film sich immer wieder stark vermischen. Natürlich weiß man von einigen Regisseuren mit Autorenstatus, wie z.B. Martin Scorsese, daß sie mit eingespielten Teams arbeiten und eine relativ große Autonomie gegenüber den Finanziers besitzen. Ob aber nun die wunderbaren Kamerafahrten mit den rollenden Billardkugeln in "The Color of Money" eine Idee des Kameramanns Michael Ballhaus, Scorseses oder eines anderen war, ist so lange nicht bekannt, bis sich einer der Beteiligten dazu geäußert hat.

Nun werden trotz solcher und anderer zu nennenden Einwände alljährlich von den verschiedensten Institutionen nicht nur die Filme des Jahres, sondern auch Regisseure, Kameraleute, Drehbuchautoren und einige andere gekürt. Bekanntestes Beispiel für diese Ehrungen ist die Verleihung des Oscars. Ob die größtenteils seltsam vorhersehbaren Entscheidungen der Mitglieder der Academy vielleicht doch nicht filmpolitisch motiviert sind, sondern vielmehr auf dem genauen und weisen Einblick in die Produktionsgeschichte der Filme beruht, bleibt ernsthaft zu bezweifeln. Grundsätzlich ist die ganze Vermessung und Bewertung von Filmen und deren Schöpfern, nach den Prinzipien eines sportlichen Wettkampfs (es muß und darf nur einen Sieger geben), ohnehin ein Blödsinn. Wie soll man aber auch noch — z.B. — Kameraleute miteinander vergleichen, von denen der eine eigene kreative Arbeit in den Film einbringen konnte, der andere aber nur ein Erfüllungsgehilfe seines mehr oder minder genialen Regisseurs war? Ist dann der beste Kameramann der, der unter den schlimmsten Lichtverhältnissen die größte Tiefenschärfe ziehen kann — oder hatte der nur den besten Kameraassistenten? Das klingt wie ein Rennen zwischen einem Hürdenläufer und einem Sprinter.

Man möge mich nicht mißverstehen, den Kameramännern (und -frauen) und all' den anderen seien ihre Preise von Herzen vergönnt — auch wenn es ein Oscar ist. Es gibt natürlich individuelle Leistungen, die man hervorheben sollte, idiotisch bleibt aber der Wettkampf in Kategorien (ob Filmgenres oder -berufe), die zwar vergleichbar erscheinen, jedoch nicht wirklich zu vergleichen sind. Die einzelnen Leistungen in einem Film sind auch immer voneinander abhängig: so wird man ohne eine gute Kameraarbeit während der Drehzeit auch keinen guten Schnitt in der Postproduktion anfertigen können. In diesem Sinne plädiere ich dafür, die Kategorien fallen zu lassen, bzw. sinnvoll zu wählen, wenn es darum geht, die Höhepunkte eines Filmjahres zu würdigen.

Max Herrmann

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