Der amerikanische Regisseur Sidney Lumet ("12 Angry Men" [Die
zwölf Geschworenen], "Dog Day Afternoon" [Hundstage], "Prince of
the City") berichtet in seinem Buch "Making Movies" von einer
Begegnung mit Akira Kurosawa. Lumet, ein bekennender Bewunderer von
Filmen seines japanischen Kollegen, fragte diesen, warum er sich
bei einer bestimmten Einstellung in "Ran" für genau den
Bildausschnitt entschieden hätte. Darauf antwortete Kurosawa
lakonisch, daß bei einem Kameraschwenk nach links eine Fabrik von
Sony ins Bild gekommen wäre und bei einem Schwenk nach rechts ein
Flughafen — beides wäre für einen Film, der im 16. Jahrhundert
spielt, denkbar ungeeignet gewesen.
Diese Anekdote verdeutlicht ganz einfach, daß man sich vor
Sony-Fabriken hüten sollte und daß selbst die Kreativität der
eigenständigsten und angesehensten Regisseure von diversen Faktoren
beeinflußt wird, ohne daß man eine Möglichkeit hätte, dies dem Film
anzusehen. Motive für Entscheidungen und Handeln von
Filmschaffenden reichen — so Lumet — "von Budgeterfordernissen bis
zur göttlichen Inspiration". Daraus läßt sich folgern, daß man als
Betrachter nur den Film, aber nicht die Leistungen der Macher
wirklich beurteilen kann, es sei denn man verfügt über sehr
detaillierte Informationen zum gesamten Produktionsvorgang. Dieses
Wissen, auch über das Arbeitsverhältnis und die Arbeitsteilung
während der Produktion, ist jedoch meist nur rudimentär vorhanden
und dessen Quellen sind oft nicht sehr vertrauenerweckend, in einer
Zeit, in der Berichterstattung über — und Werbung für einen Film
sich immer wieder stark vermischen. Natürlich weiß man von einigen
Regisseuren mit Autorenstatus, wie z.B. Martin Scorsese, daß sie
mit eingespielten Teams arbeiten und eine relativ große Autonomie
gegenüber den Finanziers besitzen. Ob aber nun die wunderbaren
Kamerafahrten mit den rollenden Billardkugeln in "The Color of
Money" eine Idee des Kameramanns Michael Ballhaus, Scorseses oder
eines anderen war, ist so lange nicht bekannt, bis sich einer der
Beteiligten dazu geäußert hat.
Nun werden trotz solcher und anderer zu nennenden Einwände
alljährlich von den verschiedensten Institutionen nicht nur die
Filme des Jahres, sondern auch Regisseure, Kameraleute,
Drehbuchautoren und einige andere gekürt. Bekanntestes Beispiel für
diese Ehrungen ist die Verleihung des Oscars. Ob die größtenteils
seltsam vorhersehbaren Entscheidungen der Mitglieder der Academy
vielleicht doch nicht filmpolitisch motiviert sind, sondern
vielmehr auf dem genauen und weisen Einblick in die
Produktionsgeschichte der Filme beruht, bleibt ernsthaft zu
bezweifeln. Grundsätzlich ist die ganze Vermessung und Bewertung
von Filmen und deren Schöpfern, nach den Prinzipien eines
sportlichen Wettkampfs (es muß und darf nur einen Sieger geben),
ohnehin ein Blödsinn. Wie soll man aber auch noch — z.B. —
Kameraleute miteinander vergleichen, von denen der eine eigene
kreative Arbeit in den Film einbringen konnte, der andere aber nur
ein Erfüllungsgehilfe seines mehr oder minder genialen Regisseurs
war? Ist dann der beste Kameramann der, der unter den schlimmsten
Lichtverhältnissen die größte Tiefenschärfe ziehen kann — oder
hatte der nur den besten Kameraassistenten? Das klingt wie ein
Rennen zwischen einem Hürdenläufer und einem Sprinter.
Man möge mich nicht mißverstehen, den Kameramännern (und -frauen)
und all' den anderen seien ihre Preise von Herzen vergönnt — auch
wenn es ein Oscar ist. Es gibt natürlich individuelle Leistungen,
die man hervorheben sollte, idiotisch bleibt aber der Wettkampf in
Kategorien (ob Filmgenres oder -berufe), die zwar vergleichbar
erscheinen, jedoch nicht wirklich zu vergleichen sind. Die
einzelnen Leistungen in einem Film sind auch immer voneinander
abhängig: so wird man ohne eine gute Kameraarbeit während der
Drehzeit auch keinen guten Schnitt in der Postproduktion anfertigen
können. In diesem Sinne plädiere ich dafür, die Kategorien fallen
zu lassen, bzw. sinnvoll zu wählen, wenn es darum geht, die
Höhepunkte eines Filmjahres zu würdigen.
Max Herrmann
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