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Willkommen meine Damen und Herren zum
sportlichen Großereignis der diesjährigen Festtage, zum Kampf der
TitanInnen, zum Fight des Jahrzehnts. Zwei Musikfilme sind
angetreten, um sich im unfairen Kampf um Ihr Eintrittsgeld zu
schlagen, und es wird - soviel ist sicher - heute mit harten
Bandagen gekämpft werden. In der linken Ringecke angetreten sind
die COMEDIAN HARMONISTS, betreut von ihrem Trainer, dem Vilsmaier
Sepp, und alle Vorteile scheinen auf ihrer Seite zu liegen: Als
Vorbild eines der ganz wenigen deutschen Gesangsensembles auf
höchstem, internationalen Niveau - sechs Männer mit bewegenden,
spannenden Lebensläufen, wie sie uns Eberhard Fechner dokumentarisch
in Fernsehen und Buch bereits so geglückt näher gebracht hat. Dazu
eine Besetzung, in der alles versammelt ist, was der deutsche Film
an brauchbaren Schauspielern zu bieten hat. Und außerdem ein üppiges
Budget und beste technische Möglichkeiten.
In der rechten Ecke stehen die Spice Girls bereit, die unter dem
Titel SPICEWORLD - THE MOVIE in den Ring steigen. Fünf Mädels, die
mit belanglosem Pop und gelungener Image-Inszenierung die Herzen
der Zehnjährigen erobert haben; weit und breit kein Stoff für einen
Film in Sicht, schauspielerisches Talent nur insofern zu erwarten,
als die Gewürzmädchen (Kräuterweiblein?) sich bisher recht
erfolgreich als Selbstdarsteller betätigt haben; vergleichsweise
wenig Zeit und Geld zur Verfügung - ob sie über die erste Runde
hinauskommen werden?
Und schon ertönt der Gong, und gleich geht es hart zur Sache: die
Kontrahenten versuchen sofort, eine klare Entscheidung
herbeizuführen und lassen nicht lange auf ihre entscheidendste
Waffe warten - sie bringen ohne Umschweife die Musik zum
Einsatz. "Mein kleiner grüner Kaktus" prallt auf "Wannabe", die
Harmonists punkten mit einer wunderbaren "Veronika, der Lenz ist
da"-"Schöne Isabella von Kastilien"-Kombination, dagegen prallt
"Spice up your life" fast wirkungslos ab... - da verlangsamt sich
das Tempo; vorsichtig, tastend gehen die Gegner zu den Balladen
über - aber auch hier klar der Vorteil bei den Comedian Harmonists:
"Irgendwo auf der Welt" haben die englischen Mädchen nichts
entgegenzusetzen. Und überhaupt, die Gesangskultur, die
Kompositionen, die Arrangements - fast scheint die Entscheidung
schon in der ersten Runde zu fallen - ist das das Aus für die Spice
Girls? Aber nein, da werden Risse in der Deckung der Deutschen
sichtbar - ja, da, ganz deutlich: die Integration der Lieder ins
Gesamtkonzept funktioniert nicht, jedesmal gerät die Bewegung hier
ins Stocken, sie wissen ihre eigentlich unschlagbaren Schlager
nicht so recht einzusetzen, und... doch, doch, sehen Sie genauer
hin, da - merken Sie? - ja, das karaokeähnliche Mimen der Mimen zum
computerentrauschten Schallplatten-Gesang der verstorbenen
Virtuosen, das hat etwas richtig Gruseliges, das hinterläßt so ein
übles Gefühl... Und plötzlich sind die Spice Girls wieder da,
nun trumpfen sie auf - bei ihnen fügt sich die Musik nahtlos ins
Gesamtbild, ist dramaturgisch an den richtigen Stellen, macht Spaß,
selbst wenn man sie eigentlich nicht mag... Der Gong ertönt, die
erste Runde ein klares Unentschieden.
Lassen Sie mich die Pause nutzen, um einige Worte über das
Konzept des Trainers der COMEDIAN HARMONISTS zu verlieren: Es
ist nicht leicht, einen Kampfstil und -rhythmus zu finden, der den
historischen Figuren gerecht wird, und so hat sich Joseph Vilsmaier
an andere Vorbilder gehalten. Er übernimmt die Taktik aus dem
Standard-Handbuch und zwingt sie seinen Fightern ohne Rücksicht auf
Verluste auf; Grundlage und Mittelpunkt seines Plans ist eine frei
erfundene Dreiecksgeschichte, wie Sie sie auch schon abertausendmal
gesehen haben. Alles, was die Fights der realen Comedian Harmonists
so unvergesslich machte, ist da allerhöchstens noch als dekorative
Geste am Rand zu erkennen. Vilsmaier setzt ganz auf die
Überzeugungskraft des wohlvertrauten Klischees, um sich und Sie,
liebe Film-, äääh... Faustkampf-Fans geistig nicht zu
überfordern. Und schon hören wir wieder den Gong...
Die zweite Runde beginnt gemächlicher; nachdem der stürmische
Beginn nicht die erhoffte Entscheidung brachte, nun ein
vorsichtiges Abtasten der Gegner - man bringt die Gastauftritte zum
Einsatz. Nicht ganz fair die Comedian Harmonists, bei denen doch
außer Ulrich Noethen und den beiden Beckers eigentlich alle
Schauspieler nur in Nebenrollen verheizte Gäste sind, aber na ja...
man hat immerhin doch noch etwas in der Hinterhand: da ist Otto
Sander, tadellos, aber was macht der hier, hat der nicht mal in
einer ganz anderen Gewichtsklasse...? Schön, Rolf Hoppe... und
hören Sie, da ist tatsächlich Giora Feidman! Sieht ja doch ganz gut
aus für die deutschen Männer - aber was machen sie da? Wie
vorhersehbar! Dana Vávrová, die Vilsmaierin! Und - Nein, das darf
nicht wahr sein, läßt sich das hierzulande denn wirklich nicht
vermeiden, ein solcher Tiefschlag: Katja Riemann, und auch noch im
vorgetäuschten Spagat! Die Niederlage ist zum Greifen nah - aber,
gerade noch abgewendet: die Dauer ihres Auftritts hält sich in
Grenzen. Und schon schlagen die Spice Girls zurück, die Schläge
prasseln wie ein Feuerwerk: Meatloaf! Roger Moore! Richard "Rocky
Horror Picture Show" O'Brien! Barry "Dame Edna" Humphries! Stephen
Fry! Elvis Costello! Elton John! Bob Geldof! Hugh Laurie! Bob
Hoskins! Gary Glitter! Gerade noch rettet der Gong die Comedian
Harmonists vor dem vorzeitigen K.O.!
Auch Spice Girls-Trainer Bob "Fawlty Towers" Spiers orientiert
sich an bekannten Vorbildern, schließlich ist er nicht der erste,
der eine englische Gesangstruppe in eine cineastische Schlacht
führt. Richard Lester ist der unerreichte Übervater auf diesem
Gebiet; seine Triumphe mit den Beatles sind unvergessen, und auch
wenn Spiers bis zu diesem Niveau noch einen ziemlichen Weg
zurückzulegen hat, erweist er sich doch als gelehriger Schüler.
Realität ist ihm übrigens ebenso egal wie Vilsmaier, aber aus ganz
anderen Gründen - es sei mir so kurz vor dem Gong das Wort
postmodern gestattet.
GONG...
Und da stürmen die Kämpfer erneut in den Ring, und es ist klar:
diesmal geht es um Alles! Jetzt gibt es keine Gnade mehr, jetzt ist
jedes Mittel recht. Und schon holen die Spice Girls aus und... ja
aber was ist das? Ja dürfen die das? Es ist nicht zu glauben, aber
ganz klar, kein Zweifel, ja: sie greifen zur Selbstironie!! Alle
Schläge der Gegner prallen wirkungslos ab; da gibt es keine Blöße
auszunutzen, die die Mädchen nicht selbst schon entdeckt
hätten! Die COMEDIAN HARMONISTS sind fassungslos: so etwas
kennen sie nicht, das haben sie hierzulande nie gesehen!
Verzweifelt greifen sie zu unerlaubten Hilfsmitteln und schütten
kübelweise Schmalz in den Ring, wollen dem Publikum den Griff zum
Taschentuch aufzwingen. Aber die Fans haben bereits ihren
Schlachtengesang angestimmt:
Irgendwo auf der Welt gibt's 'nen guten deutschen Film und
ich träum' davon schon lange, lange Zeit. Wenn ich wüßt', wo das
ist ging ich in das Kino rein; ach, ich möcht' einmal
nur mit Hirn unterhalten sein!
Und jetzt kennen die Spice Girls keine Zurückhaltung mehr: die
Realitätsebenen fliegen den deutschen Männern nur noch so um die
Ohren, die Mädels trumpfen mit Tempo, Witz und Spaß auf, und nun
greifen sie zu ihrer schärfsten Waffe: Energie, Energie,
Energie!!!! Der Favorit wankt, er strauchelt, stolpert, röchelt
- geht zu Boden (wo er auch hingehört) - und bleibt liegen! Welch
Sensation, wie unerwartet! Das war's, da ist nichts zu machen, da
kann man den überraschenden Gewinnerinnen nur noch
gratulieren: Ein überlegener Sieg für Girl Power!
Thomas
Willmann
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