SUCHSLAND: Sagen Sie mal, WELSCH, muß man Brad
Pitt denn wirklich mit Marlon Brando vergleichen ?
WELSCH: Nicht wirklich SUCHSLAND, aber man muß ihn auch nicht
immer als blöden Pin-Up bezeichnen. Natürlich hätte ich ihn
auch mit Zarah Leander oder Greta Garbo vergleichen können. Sein
depressiver Gesichtsausdruck begeistert mich immer wieder.
SUCHSLAND: Sie vergessen sich, WELSCH ! Zwar hat schon der große
Kritiker Richard Oehmann gesagt, daß es ihm gefällt, wenn jemand
den Film aus purer Geilheit auf Brad Pitt gut findet, aber ein
guter Film ist SEVEN YEARS IN TIBET doch nun wirklich nicht.
WELSCH: Ein wunder Punkt SUCHSLAND. Mein großes Idol Fritz Lang
hat immer gesagt: „Ein guter Film ist ein Film, den man nochmal
sehen möchte.“ Und das würde ich bei SEVEN YEARS auch nicht
unbedingt (bedingt schon, wegen Brad Pitt eben) sagen. Aber lassen
Sie uns lieber über die Frage reden, die an diesem Film allgemein
interessant ist: darf man über einen Nazi einen Film machen, in dem
nicht thematisiert wird, das er ein Nazi ist ?
SUCHSLAND: Ja und Sie finden WELSCH, man darf ?
WELSCH: Ja, genau SUCHSLAND. Weil Film eben fiction ist, per
definitionem eine konstruierte Wirklichkeit. Annaud hat irgendwo
gesagt: „Der Film ist MEINE Wahrheit“.
SUCHSLAND: Die soll ihm nicht genommen werden, WELSCH. Aber uns
Zuschauer müssen die Wahrheiten des Herrn Annaud auch nicht weiter
interessieren. Denn Film, Realität und Vergangeheitsbewältigung
sind eben keine „fremden Welten untereinander“, wie Sie schreiben
WELSCH, falls damit gesagt werden soll, daß Film mit den beiden
anderen Welten nichts zu tun hat. Film ist Fiktion. Realität
ebenfalls. Mag ja sein, wissen wir poststrukturalistisch
Geschulten, aber ein wenig mehr Begründung hätte ich mir schon
gewünscht.
WELSCH: Können Sie haben, SUCHSLAND. Es gibt eben mehrere Aspekte
von Wirklichkeit; Annaud hat sich den der Selbstfindung
herausgesucht. Und wir haben als Zuschauer keinen Anspruch darauf,
daß er sich mit der politischen Wirklichkeit hätte beschäftigen
müssen.
SUCHSLAND: Ich finde, man darf über eine Figur wie Harrer eben
keinen Film machen, der nicht auch klar und deutlich darauf
eingeht, daß der Typ ein ziemlich unangenehmer Opportunist ist, der
in den 50er Jahrten zum Helden der Verschweiger und Wegseher wurde,
und seitdem voller Selbstgerechtigkeit durch die Welt zieht. Denn
dieser Opportunismus, diese Art, „unpolitisch“ zu sein, ist ja
etwas höchst politisches - was der Film überhaupt nicht
thematisiert.
WELSCH: Aber auch gar nicht tun kann, SUCHSLAND, weil er ja auf
die Identifikation mit dieser Figur setzt. Ihre Forderung würde
einen ganz anderen Film ergeben, den Annaud gar nicht hätte machen
können.
SUCHSLAND: Wär vielleicht besser so gewesen, WELSCH. Denn was
soll die Identifikation mit einem Arschloch ? Der dann am Schluß
als geläutertes Arschloch gezeigt wird, was nur naiv ist. Das alles
muß man doch politisch kritisieren, da darf man doch als gute
Kritikerin nicht selbst unpolitisch werden. Oder meinen Sie etwa,
daß es unpolitische Filmkritiken gibt ?
WELSCH: Sie sind ein Moralist, SUCHSLAND ! Ich habe versucht, den
Film aus sich selbst zu beurteilen. Es ist nicht legitim, einen
Film nur deshalb schlecht zu finden, weil er nicht der ist, den Sie
gern gesehen hätten. Man muß nicht immer fragen, was ein Film
politisch aussagt. Auch wenn jemand einen Film „Harrer, der Nazi“
gedreht hätte, dann wäre es ein persönlicher, subjektiver, in
diesem Sinne fiktiver Film geworden. Er hätte dasselbe gemacht wie
Annaud, nur auf der anderen Seite der Skala.
SUCHSLAND: Und Sie sind eine Relativistin, WELSCH ! De facto
behaupten Sie: alles ist Fiktion, also ist alles eh egal.
WELSCH: Nein, nein, komplettes Mißverständnis SUCHSLAND ! Ich
sage zwar: Alles ist Fiktion, aber deswegen noch lange nicht egal.
Genaugenommen geht es hier doch gar nicht um einen Heinrich
Harrer-Film, sondern um einen Brad Pitt-Film. Im Starsystem ist der
Star so dominant, daß er immer seine Rollen überlagert. Der Film
wird politisch gar nicht rezipiert, sondern als Film mit dem
schönen Brad Pitt.
SUCHSLAND: Um so schlimmer, WELSCH. Sie reden sich um Kopf und
Kragen. Denn gerade ein allseits geliebter Star könnte bessere und
komplexere messages transportieren. Und wenn einer wie Brad Pitt
dummes Zeug transportiert, das -ich wiederhole- gar nicht anders
als auch politisch zur Kenntnis genommen wird, ist das zusätzlich
zum Kotzen !
WELSCH: Sie hätten gerade eben kein Red Bull trinken sollen,
SUCHSLAND. Niemand, Star oder nicht hat die moralische
Verpflichtung, die Welt runder oder die Menschen besser zu machen.
Es wird jetzt keiner Nazis nett finden, weil Brad Pitt einen Nazi
spielt. SCHINDLERS LISTE von Spielberg ist dagegen ein viel
schlechterer Film, weil er vorgibt, sich realistisch mit diesem
Thema auseinanderzusetzen. Bei Spielberg muß sich niemand selbst in
Frage stellen. Die Zuschauer identifizieren sich dort ungebrochen
mit dem guten Herrn Schindler.
SUCHSLAND: Besser, als sich mit überhaupt nichts zu
identifizieren, WELSCH. Bei Annaud sind die Nazis doch nur eine
weitere Steilwand für Heinrich Harrer, da wird keinerlei
moralischer Konflikt geschildert. Ich finde SCHINDLERS LISTE, gar
nicht schlecht, weil wir Zuschauer uns durchaus gebrochen mit
Schindler -einer nicht durchweg positiven Figur- oder gar manchmal
mit dem Nazi-Lagerleiter identifizieren - indem wir etwas von
diesen Personen verstehen. Mit den Juden im Lager identifiziert
sich kein Deutscher, das wäre auch obszön. Und das Spielberg das
auch nicht nahelegt, ist das Gute am Film.
WELSCH: Ein guter Film über das Dritte Reich wäre einer, der
Identifikation unmöglich macht, den Zuschauer verstört aus dem Kino
entläßt, und bei Spielberg ist das gerade nicht gewollt. Annaud
will gar keinen Film über das Dritte Reich machen. Aber die
schönste Faschismus-Auseinandersetzung der Filmgeschichte ist
sowieso CASABLANCA. Wenn da die Marseillaise gesungen wird, ist das
endlich einmal ein Pathos, daß auch ich akzeptieren kann.
SUCHSLAND: Sehr wahr, WELSCH, da kann ich Ihnen endlich einmal
völlig zustimmen. Ich glaube, das ist der Beginn einer wundervollen
Freundschaft.
Regine Welsch
und Rüdiger Suchsland
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