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Wenn es schon bei der Betrachtung eines einzelnen Filmes
kaum möglich ist, alle mehr oder weniger versteckten Anspielungen,
verschlüsselten Zitate und verweisende Symbole, kurz: die
Interpretationsangebote und -aufforderungen zu thematisieren,
dann dürfte solches bei drei abendfüllenden Werken erst recht
allenfalls bruchstückhaft gelingen. Und auch das wenige, das
wir thematisieren, werden wir nur andeuten können. Trotz dieser
Einschränkungen, deren Erwähnung bei Filmanalysen fast schon
wieder überflüssig ist, wollen wir zunächst rechtfertigen,
warum wir hier ALIEN gleich als Trilogie 'unter die Lupe'
nehmen wollen:
- ALIEN spielt in einer geradezu banalen Zukunft. Zusätzlich
zu technischen Weiterentwicklungen, die - atypisch für das
Genre - wenig vertrauenerweckend inszeniert sind, scheinen
die Menschen (und die Androiden!) in ihrem Handeln und Denken
nicht gerade 'Quantensprünge' vollzogen zu haben. Die hier
dargestellte Zukunft wirkt deshalb besonders riskant, weil
sie aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich anmutet: mit
einer nicht-omnipotenten Technologie und mit Menschen, die
so sind 'wie Du und ich'.
- Der 'Sinn' von ALIEN erschließt sich, wenn er sich denn
erschließt, allenfalls in der Zusammenschau aller drei Filme:
Es ist eine Passionsgeschichte.
- Die Schauspielerin Sigourney Weaver als Lieutenant Ellen
Ripley bleibt sogar - vielleicht auch gerade - kahlköpfig
kämpfend in ALIEN3 erotisch ungemein faszinierend.
Die ALIEN-Filme wurden in den vergangenen 15 Jahren unter
ganz unterschiedlichen Vorzeichen analysiert, z.B.:
- ideologisch bzw. ideologiekritisch (was das gleiche
ist):
Feministisch (Ripley ist eine feministische Heldin [Newton
1990, S. 84, Kavenagh 1990, S. 77] versus Ripley ist eine
Attacke auf den Feminismus [Bundtzen 1987]); und/oder marxistisch
(das skrupellose Kapital und die ausgebeuteten, dem Profit
geopferten Arbeiter [Newton 1990, S. 82f.]).
- semiotisch:
Der Kater in ALIEN 1 ist unverzichtbar, weil er strukturell
ein Zeichensystem (Greimas 1970, S. 160f.) vervollständigt:
Ripley (=Mensch) steht im Gegensatz zum Alien (=Antimensch);
die negative Entsprechung zum Menschen ist Ash, der Roboter
(=Nichtmensch); die positive Entsprechung zum Nichtmenschlichen
aber ist eben der Kater (=Nicht-Antimensch) (Kavanagh 1990,
S. 79).
- metaphorisch:
ALIEN 1: Die Heroin gegenüber den männlichen Versagern (Frauen-Power
[Bundtzen 1987, S. 12]).
ALIEN 2: die weiße 'Kunst'-Mutter gegen die schwarze Gebärmaschine
(Rassen-Kampf [Bundtzen 1987, S. 14]).
ALIEN 3: der gemeinschaftliche Kampf gegen die virale Infektion
(AIDS-Metapher [Cinema 9/92]).
- allegorisch:
Das Alien steht für die menschliche Urangst vor dem Fremden
und Unbegreiflichen (Fitting 1980, S 289, Brunotte 1991,
S. 196).
- ästhetisch:
Die biomechanoide Kunst des H.R. Giger als Zukunftsdesign
(z. B. Giger 1992).
- ökologisch:
Die Menschen bzw. die Zivilisation werden bzw. wird zerrieben
zwischen der reinen, ungebändigten Natur (=Aliens) und der
reinen, gefühllosen Technik (=Computer, Androiden [Cinema
9/92]).
I.
Bevor wir uns nun mit tiefgründigeren Ausdeutungen beschäftigen,
wollen wir zunächst kurz die einzelnen Filme und deren
'technische' Daten wieder vergegenwärtigen (für
Produktion und Vertrieb war jeweils die Twentieth Century
Fox verantwortlich):
ALIEN 1 (ALIEN - DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN
WELT): Amerikanische Uraufführung: 26.10.1979, Deutsche
Erstaufführung: 4.6.1982; Regie: Ridley Scott; Art Director:
H.R. Giger; besonders interessante Nebenrollen: John Hurt
als erstes Alien-Opfer Kane, Yaphet Kotto als Chefingenieur
Parker.
Inhalt: Die siebenköpfige Mannschaft eines Raumschiffes
(Nostromo), die für eine private Firma (die Gesellschaft/Company)
in den Tiefen des Alls unterwegs ist, landet nach Empfang
von etwas, das vom Bordcomputer (Mutter) zunächst als
Notsignal interpretiert bzw. dargestellt wird, auf einem fremden
Planeten und holt dabei infolge eines Unfalls ein außerirdisches
Wesen an Bord. Dieses Wesen tötet im Laufe des Films
fünf der sieben Besatzungsmitglieder. Das sechste Besatzungsmitglied
(Wissenschaftsoffizier Ash) entpuppt sich als Android und
wird von den zu jener Zeit noch verbliebenen Besatzungsmitgliedern
zerstört. Das außerirdische Wesen wird vom überlebenden
siebten Besatzungsmitglied, von Bordoffizier Ellen Ripley,
schließlich vernichtet. Ripley tritt zusammen mit dem
Bordkater (Jones) die Rückreise in einer Tiefschlafbox
an.
ALIEN 2 (ALIENS - DIE RÜCKKEHR): Produktionskosten:
ca. 18 Millionen Dollar; Deutsche Erstaufführung: 13.11.1986;
Regie: James Cameron; Spezialeffekte: Stan Winston; besonders
interessante Nebenrollen: Jennette Goldstein als Hispano-Kriegerin
Vasquez; Lance Henriksen als Android Bishop.
Inhalt: Ripley wird, nachdem sie 57 Jahre im Tiefschlaf durch
den Weltraum getrieben war, von einem Ausschuß, der
sich mit den Vorfällen aus ALIEN 1 befaßt, degradiert.
Auf dem Planeten aus ALIEN 1 (der nun 'Acheron' genannt wird)
wird eine inzwischen dort angesiedelte Gruppe von ca. 150
Kolonisten von außerirdischen Wesen, die sehr ähnlich
dem aus ALIEN 1 sind, getötet. Ripley, ein Vertreter
der 'Company' (Burke) und ein Android (Bishop) begleiten einen
Trupp von zwölf Soldaten auf den Planeten. Elf Soldaten
werden getötet, ein Soldat (Corporal Hicks) wird schwer
verletzt. Auch der Android wird zerstört, ehe Ripley
die 'Königin' der außerirdischen Wesen vernichten
und mit dem verletzten Soldaten, dem zerstörten Androiden
und der einzigen Überlebenden aus der Kolonie, einem
kleinen Mädchen (Newt), die Rückreise in den Tiefschlafboxen
antreten kann.
ALIEN 3 (ALIEN3): Produktionskosten: ca. 50 Millionen Dollar;
Deutsche Erstaufführung: 3.9.1992; Regie: zunächst:
Renny Harlin, dann: Vincent Ward, und schließlich: David
Fincher (hatte zuvor 'lediglich' Werbespots und einige Madonna-Video-Clips
gedreht); Spezialeffekte: Richard Edlund/Alec Gillis/Tom Woodruff;
besonders interessante Nebenrollen: Charles Dance als Dr.
Clemens, Charles S. Dutton als geistlicher Führer Dillon.
Inhalt: Eines oder mehrere der außerirdischen Wesen
sind an Bord des Raumschiffes gelangt, in dem sich die Überlebenden
aus ALIEN 2 auf der Rückreise befinden. An Bord des Raumschiffs
bricht ein Feuer aus. Automatisch werden die im Tiefschlaf
befindlichen Passagiere in ein Rettungsshuttle verbracht.
Das Rettungsshuttle schlägt auf einem Gefängnisplaneten
(Fiorina/Fury 361) auf. Ripley ist die einzige Überlebende.
Auf dem Gefängnisplaneten leben 25 männliche Strafgefangene
in einer Art mönchischer Gemeinschaft sowie zwei Aufseher
(Direktor Andrews und Wärter Aaron). Das mit dem Rettungsshuttle
eingeschleppte außerirdische Wesen tötet den Großteil
der Planetenbewohner, ehe es von Ripley und den Überlebenden
vernichtet wird. Eine Gruppe Soldaten unter Leitung des Erfinders
des Androiden aus ALIEN 2 (Bishop II) kommt zu spät auf
dem Planeten an: Ripley hat entdeckt, daß sie einen
Embryo der außerirdischen Wesen in sich trägt und
tötet sich - vor den Augen des Abgesandten der Company
- selbst.
Der Plot aller drei Filme ist also relativ ähnlich und
einfach gestrickt: Das Ablaufschema erinnert in seiner Grundstruktur
frappant an die Geschichte von den 'zehn kleinen Negerlein'.
Die Verhaltensmuster der Heldin ähneln auf den ersten
Blick denen von 'Rambo'.
II.
Wir versuchen, Alien 1-3 phänomenologisch-individualisierungstheoretisch
zu begreifen. D. h., wir nähern uns dem komplexen und
vielfach verrätselten Artefakt mit der Frage, wessen
riskante Zukunft uns hier eigentlich präsentiert wird.
ALIEN 1-3 demonstrieren uns erst einmal nicht 'die' Welt
in späteren Jahren, nicht 'das' soziale Leben in einer
mehr oder weniger fernen Zukunft. Die Filme zeigen uns vielmehr
die Lebenswelt von Lieutenant Ellen Ripley. Sie zeigen uns
die Welt, wie Ripley sie zwischen ihrem Erwachen aus dem Tiefschlaf
auf dem Raumschiff Nostromo und ihrem Freitod in einem Hochofen
auf dem Planeten Fiorina erlebt, erleidet und erhandelt: das
Leben als "via dolorosa" (Murphy 1992, S. 17).
Ellen Ripleys Existenz ist - zumindest in dem biographischen
Abschnitt, den wir miterleben - hochgradig individualisiert:
Als sie vom Computer des Raumschiffes Nostromo zum ersten
ALIEN-Abenteuer aus dem Kältetiefschlaf geweckt wird,
ist sie biographisch wohl über 30 Jahre alt, biologisch
(aufgrund diverser, zumeist einige Monate dauernder Tiefschlafphasen)
aber eher in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre.
Ripley hat (das erfahren wir aber erst im zweiten Film) zu
diesem Zeitpunkt eine 10-jährige Tochter. Darüber,
ob sie verheiratet ist oder in einer anderen 'festen' Beziehung
lebt oder gelebt hat, erfahren wir nichts. Sie besitzt ein
Offizierspatent, hat offenbar schon einige Weltraumerfahrung,
den Rang eines Marineleutnants und auf der Nostromo die Funktion
des Bordoffiziers. Sie arbeitet, wie alle Besatzungsmitglieder,
für eine private Firma, die als 'Company' bzw. 'Gesellschaft'
bezeichnet wird, und die offenbar vielfältige Geschäftsinteressen
verfolgt.
Als Ripley nach der Bergung ihres Shuttles von Mitgliedern
eines anderen Raumschiffes zum zweiten ALIEN-Abenteuer geweckt
wird, ist sie biologisch kaum gealtert (sie sieht aus, wie
eine Frau Anfang oder Mitte Dreißig). Biographisch ist
sie aber etwa 90 Jahre alt, denn sie war zwischenzeitlich
57 Jahre lang im Kälteschlaf durch das Weltall geirrt.
Ihre Tochter ist inzwischen im Alter von 66 Jahren gestorben.
Nach ihrer Rekonvaleszenz und nach Entzug ihres Offizierspatents
arbeitet sie eine zeitlang im Dock der Raumstation und erwirbt
dabei eine 'Klasse-Zwei-Berechtigung' zur Bedienung von Lademaschinen.
Da sie eine Einheit von Marinesoldaten als Beraterin auf die
ALIEN-2-Mission begleitet, erhält sie ihren Offiziersrang
zurück.
Zum Zeitpunkt der Notlandung des Rettungsshuttles auf dem
Gefängnisplaneten Fiorina in der Krankenstation aufwacht,
ist Ripley biographisch wohl rund 95 Jahre alt, biologisch
aber eher Ende Dreißig.
Wie ist diese Lebenswelt der Ellen Ripley nun strukturiert,
und welche Elemente ihres subjektiven Relevanzsystems lassen
sich rekonstruieren?
III.
So wie Ripley offenkundig aus der Normalbiographie, aus dem
allgemeinmenschlichen Zeitkontinuum herausgeschleudert worden
ist, so ist auch ihr Lebensraum aus den Fugen geraten: Sie
bewegt sich fast ständig in absonderlichen Räumen:
in engen, künstlichen zum einen und in endlosen, natürlichen
zum anderen zugleich. Kein Raum, in dem sie sich aufhält,
scheint es wert bzw. dafür geschaffen zu sein, bewohnt
zu werden: Hier die dunkle, grenzenlose Leere des Weltalls
und die Unwirtlichkeit ferner Planeten, dort die beklemmenden
Raumschiffe mit ihren Tiefschlafboxen und Wohnzellen, die
Raumstationen und Gefängnisquartiere. Nur ein einziges
Mal (in der Directors Cut-Version von ALIEN 2) schaut Ripley
auf das, was man so üblicherweise eine 'schöne Landschaft'
nennt - und schaltet dann die Video-Projektion aus.
Ripley hat offenbar kaum bzw. keine quasi-natürlichen
Sozial-Bindungen. Man könnte sogar sagen, sie hat eigentlich
gar keine solche Bindungen; zumindest keine zwischenmenschlichen.
Denn aus Ripleys Vergangenheit, die wir nicht miterleben durften,
scheint ihr nach der Begegnung mit dem ersten Alien niemand
mehr wichtig zu sein. Und ihre wachen Momente, die wir bezeugen
können und die uns bemerkenswerterweise beinahe in 'Echtzeit'
vorgeführt werden, sind bestimmt durch den Kampf gegen
die Außerirdischen.
Ihre Beziehungen zu anderen sind weitgehend selbst gewählt
und gehen (mehr oder weniger rasch) vorüber. Sie wird
kaum einmal von Gefühlen oder sexuellen Begierden überwältigt.
Und was immer denn trotzdem als 'Mann' für dieses "Schneewittchen"
(so wird sie in ALIEN 2 von Vasquez bezeichnet) in Betracht
kommt, wird eliminiert: ALIEN 1: Ripley steht, kaum bemerkbar,
auf Captain Dallas. Dallas stirbt. ALIEN 2: Ripley hat ein
leichtes Techtelmechtel mit Corporal Hicks. Hicks stirbt.
ALIEN 3: Ripley hat eine sexuelle Beziehung mit Dr. Clemens.
Clemens stirbt. Ripley ist - grosso modo - also weder triebhaft
noch affektuell. Sie agiert außerhalb natürlicher
und quasi-natürlicher Eingelebtheiten und existiert jenseits
ihres biologischen Schicksals - der Inbegriff eines (selbst-)bewußten,
zivilisierten, individualisierten Daseins (vgl. Beck/Beck-Gernsheim
1994; Beck 1995).
Auch ihre 'Mütterlichkeit' ist nicht kreatürlich,
sondern (freiwillig oder auferlegt) artifiziell (fast möchte
man sagen: männlich, jedenfalls androgyn): Die erwähnte
leibliche Tochter erscheint nur als sozusagen fremdartiger
Schatten (sie hat offenbar jene Normalität gelebt, die
Ripley verwehrt bleiben soll). Ansonsten 'wählt' Ripley
ihre 'Kinder' - für die sie dann allerdings mit allen
Mitteln kämpft - selbst: ALIEN 1: Ripley sorgt sich um
den Bordkater (Jones). Sie gefährdet sich selbst, um
ihn zu retten. ALIEN 2: Ripley kümmert sich 'aufopfernd'
um das Findelkind (Newt). Sie setzt ihr eigenes Leben ein,
um das Leben dieses Kindes zu schützen. Selbst in ALIEN
3, als Ripley auf eine obszöne Art 'schwanger' geht mit
dem Embryo einer Alien-Königin, ist sie bereit, sich
für dieses 'Kind', selbst zu opfern. Dieses Kind muß
sterben, weil es eine Gefahr darstellt. Also stirbt Ripley
mit ihm und für es und begeht damit den klassischen Akt
der Selbstopferung für das Heil der Menschheit ('Jesus-Syndrom').
Ripleys 'Mutterschaft' ist also tendenziell asexuell, sozusagen
keusch bzw. 'rein' und steht damit im schieren Gegensatz zur
schleimigen, sabbernden, blutrauschigen Fortpflanzungswut
der Aliens. Diese Aliens erscheinen in der Wahrnehmung
der Ellen Ripley, die wir als 'naive' Zuschauer typischerweise
für 'wahr' nehmen, als eine Rasse von monströsen,
phallisch-vaginalen Geschlechtsorganen: Die erste Gestalt,
in der uns das Alien begegnen, ist die eines springenden Legerüssels
(face-hugger = Gesichtsklammerer), der offenbar nur zu dem
einen Zweck existiert, sich auf dem Gesicht eines anderen
Organismus festzuklammern, diesen durch orale Penetration
zu vergewaltigen und einen Alien-Embryo abzulegen. Dieser
Alien-Embryo (chest-burster = Brustsprenger) ist ein Schmarotzer,
ein Parasit des Wirtskörpers, der diesen schließlich,
als einer Art rasender Phallus, von innen nach außen
penetriert und damit tötet. Das ausgewachsene Normal-Alien,
ein phallusköpfiger 'Tötungs'-Super-Organismus,
dient dazu, der unentwegt eierlegenden Königin (die Super-Vagina)
potentielle Feinde vom Leib zu halten und die für die
Aufzucht der Brut notwendigen Nahrungsmittel und Wirtskörper
heranzuschaffen. Die Eier, extracorporale Riesen-Follikel,
wiederum enthalten jene springenden Legerüssel, die wir
bereits kennen.
Aber all diese - im Hinblick auf menschliche Normalexistenz
verzerrten - zeitlichen, räumlichen und sozialen Dimensionen
der Lebenswelt der Ellen Ripley scheinen bei ihr keineswegs
nachhaltige Gefühlswallungen auszulösen. Ripley
agiert - jedenfalls im Prinzip und bis auf ganz wenige Ausnahmen
(wie z. B. dem beinahe zur Katastrophe führende Wutanfall
im Nest der Alien-Königin in ALIEN 2) - cool, rational
und ihrem klaren, unkomplizierten Weltbild entsprechend folgerichtig
und konsequent.
Im Sinne Michel Foucaults ist Ripley eine moralisch völlig
unangefochtene Rassistin: "Was ist der Rassismus denn wirklich?
Er ist zunächst das Mittel, um [...] einen Einschnitt
einzuführen: einen Einschnitt zwischen dem, was leben
muß und dem, was sterben muß. [...] Andererseits
hat der Rassismus eine zweite Funktion: Er hat die Aufgabe,
eine positive Beziehung von der Art zu begründen: "Je
mehr Du tötest, je mehr Du sterben machst, umso mehr
wirst Du deshalb leben". [...] Das Töten, der Imperativ
des Tötens sind im System der Bio-Macht nur dann zulässig,
wenn sie nicht nach dem Sieg über den politischen Gegner
streben, sondern danach, die biologische Gefahr zu eliminieren
und, mit dieser Eliminierung direkt verknüpft, die Spezies
selbst oder die Rasse zu stärken. Die Rasse, der Rassismus,
das ist die Akzeptabilitätsbedingung des Tötens
in einer Normalisierungsgesellschaft. (Foucault 1993,
S. 42/43, Hervorheb. i. Text)
In exakt diesem Sinne betrachtet Ripley die Aliens (die Super-Natur)
als unkontrollierbare Großgefahr für Menschen (und
für die Menschheit). Diese Gefahr muß beseitigt
werden. Dazu dienlich ist dem Menschen sein Werkzeug, seine
Technik (idealtypisch: die Waffe in der Hand). Aber die avancierte
Technik wird selbst riskant. Nicht, weil sie ein 'Eigenleben'
entwickeln würde, wie etwa die philosophierende Bombe
in John Carpenters DARKSTAR (USA, 1974), sondern weil sie
von anonymen, bürokratischen Organisationen (die Super-Maschine)
für deren, aber gegen die (Über-)Lebensbedürfnisse
der Menschen gerichtete, wirtschaftlich-militärische
Interessen eingesetzt werden kann. Für die anonyme, bürokratische
Organisation ist die in den Aliens verkörperte Super-Natur
keine Bedrohung, wie für die Menschen, sondern eine potentielle
Ressource (d. h. wirtschaftlich profit- und militärisch
erfolgversprechend). Die Zukunft des Menschen, die unmittelbare,
sozusagen die Zukunft der nächsten fünf Sekunden,
ebenso wie die grundsätzliche, das Schicksal der menschlichen
Rasse betreffende Zukunft, ist also riskant in doppelter Hinsicht:
Hie droht die allesverschlingende, wuchernde, scheinbar unaufhaltsame
Natur, das Fremdartige schlechthin, und dort lauern die Fallen
der verselbständigten, der außer Kontrolle geratenen
Technokratie in allzu vertrauten und vertrauenerweckenden
Gestalten (Mutter, der Bordcomputer; Ash, der Teamkollege;
Burke, der einfühlsame Gesprächspartner; Bishop
II, das scheinbar so vertraute Gesicht eines Freundes). Es
gibt Momente in dieser Trilogie, da scheinen Ripley die Aliens
näher zu sein als die 'Company'. Da steht unabweisbar
die Frage im Raum, was für den Menschen gefährlicher,
was unmenschlicher ist: das offensichtlich Fremdartige oder
das scheinbar Vertraute, das unverhohlen Gewalttätige
oder das freundlich maskiert Skrupellose? - You know Burke,
I don't know which species is worse. (Ellen Ripley in
ALIEN 2)
Ripleys 'Familien' hingegen sind künstliche. Gemeinschaften
von zum großen Teil sonderbaren aber ehrlichen 'Häuten',
das sind die (durchaus nicht immer sympathischen) menschlichen
Besatzungsmitglieder in ALIEN 1, die machohaften (männlichen
und weiblichen) Soldaten in ALIEN 2 und die strafgefangenen
Schwerverbrecher in ALIEN 3. Allesamt sind sie Randgänger
der Gesellschaft: die Pioniere und Grenzer, die Freaks und
Spinner, die Nicht-Technokraten. Die Charakterschweine andererseits,
das sind all die, die von dem getrieben werden, oder von dem
sich beherrschen lassen, was in Ripleys Augen nichts ist als
nackte Profitgier. Sie verkörpern das andere 'Fremde',
das unmenschliche System. Verwirrend ist nur, daß dies
alles, anders als das Alien, nicht immer unverhüllt zutage
tritt, nicht immer auf Anhieb erkennbar ist: So manches, was
gut scheint, ist böse (z. B. Ash, Burke, Bishop II),
und manches, was böse scheint, erweist sich als gut (Parker,
Bishop, Dillon etwa). So ist denn für den Betrachter,
genauso wie für Ripley, beständig zu klären,
was da nun eigentlich tatsächlich wieder vor sich geht
und wer hier eigentlich welches Spiel spielt (vgl. dazu Hitzler
1992).
IV.
Wir erleben in diesen drei Filmen also die mit diesen einführenden
Bemerkungen nur vage angedeutete Welt der Ellen Ripley. ALIEN
1-3 repräsentiert diese Welt genau mit jener (Selbst-)
Sicherheit, mit der wir alle üblicherweise unsere je
eigene Weltsicht als die der Wirklichkeit und den Tatsachen
angemessene betrachten. Es gibt in diesem Dreiteiler kaum
einmal explizite Subjektivismen der Protagonistin, sondern
vielmehr eine Fülle verselbstverständlichter Gewißheiten,
die uns, die Zuschauer, wenn wir uns einfach auf den Film
einlassen, kaum je daran zweifeln lassen, daß Ripleys
Art, die Dinge zu sehen, die adäquate und sachnotwendige
ist, während andere, davon abweichende Relevanzsysteme
dagegen als einfältig, kurzsichtig, ignorant, zynisch
erscheinen. Ellen Ripley verkörpert sozusagen den gesunden
Menschenverstand, den subjective-expected-utility-Pragmatismus
(vgl. Esser 1991) in einer, in ihrer Welt, die voll ist von
Narren, Teufeln und Schurken.
Diese subjektive Welt scheint relativ 'rund', sozusagen 'vollständig'
zu sein. Es ist eine entzauberte, eine säkularisierte,
aber keine sinnlose, keine absurde Welt: Fremdes (das Alien)
ist gefährlich. Nichtmenschliches (die Company) ist menschenfeindlich.
Technokraten (die Marionetten der Company) sind verschlagen
oder dumm oder beides. Menschen (Kollegen, Waffenbrüder,
Schicksalsgenossen) sind verletzlich und sterblich. Diese
Welt ist für uns in hohem Maße plausibel: Es ist
eine Welt, in der das erfahrende Subjekt ein gefährliches,
aber kein hilf- und wehrloses Leben führt, ein riskantes,
aber damit auch ein 'eigenes' Leben. Ein Leben unter dem selbstgewählten,
Situationsmächtigkeit erhaltenden Imperativ: "Kläre,
was vor sich geht! Triff eine Entscheidung! Handle!"
Dieses Leben der Ellen Ripley endet mit dem Tod. Aber nicht,
wie 'jedes' Leben mit irgendeinem Tod, sondern mit dem Entschluß
zum Tod, mit der Entscheidung zum letzten Sprung, nachdem
ihr zuvor die Gnade versagt geblieben war, zu sterben, ohne
ein 'Jetzt' bestimmen zu müssen. Der Kelch geht nicht
an Ripley vorüber. Im Gegenteil: Ähnlich wie Jesus
in Martin Scorceses Film muß auch Ellen Ripley der 'letzten
Versuchung' widerstehen: Das eigene Leben zu retten, endlich
eine 'normale' Zukunft mit einem Heim, einem Mann und Kindern
vor sich zu haben und dafür darauf zu verzichten, die
Menscheit vor dem Bösen zu bewahren und ihre 'reine'
Seele zu erlösen. Ripley-Jesus widersteht: Im finalen
Fall noch 'gebiert' sie ihr Monster, umfaßt es - und
nimmt es mit sich in die reinigenden Flammen.
Dieser nun in der Tat, und wie es sich für große
Mythen gehört, pathetische Schluß gibt der ganzen
Trilogie ihren Sinn: ALIEN 1-3, das ist, wie eingangs schon
bemerkt, die Passionsgeschichte der Ellen Ripley, die nach
einer langen, fast schamanistisch anmutenden Lebens-Reise
durch manigfaltige Über- und Unterwelten (vgl. dazu Hitzler
1982), die nach vielen kleinen Toden und Wiedergeburten am
Ende bereit ist für die eigene Transsubstantiation.
Die Welt der Ellen Ripley verweht mit dieser letzten, entschiedenen
Tat und endet eben nicht, wie es manche Cineasten aus ästhetischen
Gründen gern gehabt hätten, mit dem erfolgreichen
Widerstand gegen das erste Alien am Ende des ersten Teils.
Die biblische Passionsgeschichte endet schließlich auch
nicht damit, daß Jesus der satanischen Versuchung widersteht,
sondern... und genau das ist nun die Frage: Endet die biblische
Passion nun eigentlich mit dem Tod Jesu am Kreuz? Mit der
Auferstehung? Oder erst mit der Himmelfahrt? (Oder wird sie
womöglich eben so lange fortgeschrieben, wie es eine
sie erinnernde Christenheit gibt?)
Analog dazu war für uns genau das auch hinsichtlich
der Ripley-Saga die Frage: Werden wir nach diesen drei Teilen
nun das endgültige Ende eine säkularisierten, individualisierten
Existenz gesehen haben, oder treibt die Profitgier die 'Company',
die Twentieth Century Fox, dazu, den Aliens weiter nachzuspüren
oder gar Ellen Ripley auferstehen und womöglich gen irgendeinen
Himmel fahren zu lassen? - Und in der Tat, eben das scheint
zu dräuen: Gerüchten und Berichten nach ist nicht
nur ein vierter Teil beschlossene Sache, sondern auch Sigourney
Weaver konnte wieder dafür gewonnen werden. Und wie es
sich für das Genre gehört, sollen diejenigen Skripte
favorisiert sein, die Ellen Ripley als gentechnisch hergestellter
Klon wiederaufleben lassen: Ein Fitzelchen Haut oder ein Fingernagel
wird sich hierfür zweifellos irgendwo im Weltall schon
noch finden...
Man darf also gespannt sein: Welcher 'Gott' wohl läßt
sie auferstehen (die 'Company' oder deren Feinde) und warum?
Und blüht Ripley jetzt womöglich das Schicksal einer
ewigen Wiedergeburt, das sie immer wieder ihre Hölle
durchleben läßt - ohne Hoffnung auf eine endgültige
Erlösung (ähnlich Prometeus, Sisyphos u.a.) -, zumindest
bis der Teufel, die Fox oder der Zuschauer, genug hat?
V.
Aus ästhetischen wie auch romantischen Gründen
bleiben wir gegenüber jeder Fortsetzung (vorläufig)
skeptisch. Nicht zum wenigsten deshalb, weil fraglich ist,
ob Sigourney Weaver tatsächlich noch einmal so attraktiv
aussehen kann wie in ALIEN 3. Wünschenswert wäre
hingegen - aufgrund eines soziologischen Interesses an Perspektivenwechseln
(vgl. dazu Honer 1993) - eine ganz andere Art der 'Fortsetzung'
von ALIEN (allerdings ohne jede Hoffnung auf Realisation),
nämlich auf der Basis der Idee, den gleichen Stoff aus
zwei anderen Perspektiven - sozusagen 'reflexiv' (im Sinne
von Beck/Giddens/Lash 1995) - nochmals zu verfilmen:
1. Aus der Perspektive der 'Gesellschaft', also der Firma
(bzw. Company). Denn: Was wäre, wenn statt der Profitgier,
die Ripley (und ihre geistesverwandten Kumpels) sieht und
vermutet, tatsächlich ein Forschungsinteresse, eine wissenschaftliche
Neugier - zum Wohle der Menschheit - oder ein moralischer
Skrupel gegenüber der frag- und hemmungslosen Ausrottung
einer fremden Lebensform, also eine praktische Maßnahme
gegen Xenophobie, gegen Fremdenfeindlichkeit, hinter den Aktionen
der Company steckt?
2. Aus der Perspektive der Aliens. Denn: Was tun die Aliens
eigentlich, was wir Menschen nicht tun? - Sie sehen zwar schon
ziemlich fremd aus, und ihre Lebensweise erinnert uns stark
an die Organisationsformen von Insektenstaaten, die Menschen
gemeinhin schon immer etwas unheimlich waren. Aber ansonsten
versuchen sie eben, sich Nahrung und Nistplätze zu verschaffen,
ihren Nachwuchs großzuziehen und sich selbst und die
eigene Art gegen einen kampflustigen, technisch ungleich überlegenen
Gegner zu schützen. Wahrhaft ökologisch gesinnten
Zeitgenossen jedenfalls müßte doch das Herz bluten
angesichts dieser Vernichtungsschlacht der technisch-militärischen
Zivilisation gegen die reine Natur jener Außerirdischen.
Literatur
- Beck, Ulrich u.a. (1995): Eigenes Leben. Ausflüge
in die unbekannte Gesellschaft. München
- Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth (1994) (Hrsg.):
Riskante Freiheiten. Frankfurt a. M.
- Beck, Ulrich/Giddens, Anthony/Lash, Scott (1995) : Reflexive
Modernisierung. Frankfurt a.M.
- Brunotte, Ulrike (1991): Im Spiegel des Grauens. Zum Verhältnis
von Projektion und Reflexion im erzählerischen Werk
Edgar Allan Poes, in: Schäffter, Ortfried (Hrsg.):
Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeit zwischen Faszination
und Bedrohung, Opladen, S. 195-210
- Bundtzen, Lynda, K. (1987): Monstrous Mothers: Medusa,
Grendel, and now Alien, in: Film Quarterly, V. XL, No. 3,
Berkeley, S. 11-17
- Cinema (1986), H. 11: Aliens, Hamburg, S. 12-18
- Cinema (1992), H. 9: Alien 3, Hamburg
- Esser, Hartmut (1991): Alltagshandeln und Verstehen. Tübingen
- Fitting, Peter (1980): The Second Alien, in: Elkins, Charles
(ed.): Symposium on Alien, in: Science-Fiction Studies,
V. 7, S. 278-304
- Foucault, Michel (1986): Vom Licht des Krieges zur Geburt
der Geschichte, Berlin.
- Foucault, Michel (1993): Leben machen und sterben lassen:
Die Geburt des Rassismus, in: Sebastian Reinfeldt/Richard
Scharz/Michel Foucault: Bio-Macht, Duisburg, S. 27-52.
- Giger, H. R. (1992): HR GIGER ARh+, Köln.
- Greimas, A. J. (1970): Du Sens, Paris
- Hitzler, Ronald (1982): Der 'begeisterte' Körper.
Zur persönlichen Identität von Schamanen. In:
Unter dem Pflaster liegt der Strand, Band 11 (hrsgg. von
Rolf Gehlen und Bernd Wolf). Berlin, S. 53-73
- Hitzler, Ronald (1992): Der Goffmensch. Überlegungen
zu einer dramatologischen Anthropologie. In: Soziale Welt,
43. Jg, H. 4, S. 449-461
- Hitzler, Ronald/Honer, Anne (1988): Der lebensweltliche
Forschungsansatz. In: Neue Praxis, 18. Jg., H. 6, S. 496-501
- Hitzler, Ronald/Honer, Anne (1994): Bastelexistenz. Über
subjektive Konsequenzen der Individualisierung. In: Beck,
Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hrsg.): Riskante Freiheiten.
Frankfurt a. M., S. 307-315
- Honer, Anne (1993): Das Perspektivenproblem in der Sozialforschung.
In: Jung, Thomas/Müller-Doohm, Stefan (Hrsg.): 'Wirklichkeit'
im Deutungsprozeß. Frankfurt a.M., S. 241-257
- Kavanagh, James H. (1990): Feminism, Humanism and Science
in Alien, in: Kuhn, Annette (Hrsg.): Alien Zone. Cultural
Theory and Contemporary Science Fiction Cinema, London/New
York, S. 73-81.
- Murphy, Kathleen (1992): The Last Temptation of Sigourney
Weaver, in: Film Comment, V. 28, No. 4, New York, S. 17-20
- Newton, Judith (1990): Feminism and Anxiety in Alien,
in: Kuhn, Annette (Hrsg.): Alien Zone. Cultural Theory and
Contemporary Science Fiction Cinema, London/New York, S.
82-87.
- Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (1979 und 1984):
Strukturen der Lebenswelt. Band 1 und 2. Frankfurt a.M.
Autoreninformation:
Ronald Hitzler: Jahrgang 1950, Dr. rer. pol., Professor
für Allgemeine Soziologie
Arbeitsschwerpunkte: Hermeneutik, Wissens- und Kultursoziologie,
Soziologie politischen Handelns, Theorie der Individualisierung.
www.hitzler-soziologie.de
Daniel Barth: Jahrgang 1969, Soziologe
U.a. Veröffentlichung zusammen mit Dirk vom Lehn: "Trekkies
im Cyberspace. Über Kommunikation in einem Mailboxnetz"
in "Geschwätzige Gesellschaft" (Hrsg. Hubert Knoblauch),
Konstanz (Universitätsverlag).
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