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Also Leute, so geht's ja nun wohl nicht:
Wenn die hiesige Filmindustrie kreißt und eine weitere
Beziehungskomödie auf Fernsehniveau gebiert, schlängeln sich vor den
Kinokassen lange Schlangen; wenn Michael Haneke uns mit
ultra-prätentiösen Laienspielen Schuldkomplexe andrehen will,
bekommt die Filmkritik vor Begeisterung epileptische Anfälle; wenn
die Herren Emmerich oder Petersen biederes Handwerk mit
tumb-patriotischen Groschenheft-Plots verquicken, nähert sich die
Höhe der Einnahmen der des waigelschen Haushaltsdefizits - und wenn
Roland Klick im Filmmuseum eine Retrospektive seiner Filme
präsentiert, sind im Saal noch Plätze frei. Da ich das unflätige
Wort Sauerei nicht benutzen möchte, bleibt mir nur, dies einen
Skandal zu nennen. Denn hier gibt es cineastische Perlen zu
entdecken (oder wiederzusehen), wie sie das deutsche Kino seit
mindestens 50 Jahren nur in wenigsten Ausnahmefällen zu bieten hat.
Wobei - selbst das ist schon ungerecht formuliert, denn Klick macht,
wenn man ihn läßt, Kino auf Weltniveau.
Roland Klick beherrscht noch die seltene Kino-Kunst, alles
Wesentliche durch Bilder zu erzählen. Er hat Gespür für Gesten, für
Raum, Rhythmus und Musik; Kino ist sein Medium, das er atmet, das
er verstanden hat, dessen Eigenheiten er kennt und zu nutzen weiß.
Er dreht keine bebilderten Hörspiele, bei ihm stellen sich nicht
die Figuren hin und explizieren das Was, Wie, Wo und Warum der
Geschichte. Wie sollten sie das auch: die Filme von Klick kennen
keine stereotypen, eindimensionalen Pappcharaktere; Klicks Figuren
sind komplex und genau gezeichnet, sie dienen nicht der
Fortentwicklung eines abstrakten Plots, sondern die Geschichten
entwickeln sich aus ihnen. Denn Klick denunziert nicht: auch die
fiktiven Menschen auf der Leinwand sind für ihn Menschen,
und er tut alles, um sie zu ihrem Recht kommen zu lassen. Er läßt
sich auf sie ein, gibt ihnen Platz, Atem, Verständnis und Liebe -
bis hin zur kleinsten Nebenrolle. Was sich auch an Auswahl und
Führung der Schauspieler zeigt: Klick versteht es ebenso gut,
optimal die Stärken von Stars zur Geltung zu bringen, wie echte
Millieu-Typen wie Heinz Domez oder Charly Wierzejewski für den Film
zu entdecken und zu völlig überzeugenden Hauptdarstellern zu
machen. Roland Kilcks Filme sind politisch - im besten Sinne. In
ihnen spürt man den Zeitgeist, sie verhandeln die Themen der
Stunde, aber sie tun das auf sinnliche Weise, in konkreten
Geschichten und Bildern. Hier gibt es keine erhobenen Zeigefinger,
keine aufgesetzten Botschaften, kein Dozieren. Die Filme Klicks
sind politisch in ihrem ästhetischen Anspruch, in ihrer
bedingungslosen Liebe zum Menschen, ihrer Trauer, ihrer Hoffnung,
in ihrem künstlerischen Ethos. Sie sperren sich gegen einfache
Verurteilungen; sie machen spürbar, wo das simple Denken in
Schemata droht, Leben zu ersticken. "Anarchie ist Ordnung," sagt
Roland Klick, und sein Anspruch ist es, der Ordnung nachzuspüren,
die den Dingen innewohnt.
Da Roland Klick sich auch zu verweigern weiß, und er nie bereit
war, einer steileren Karriere willen seinen Prinzipien untreu zu
werden, ist der Umfang seines Werks schmal geblieben.Nur bei
BÜBCHEN, DEADLOCK und SUPERMARKT, sowie den frühen Kurzfilmen, war
es ihm vergönnt, ganz nach seinen Wünschen zu arbeiten, und dort
kommen die angesprochenen Tugenden zur vollsten Entfaltung. Aber
auch jene Filme, deren Genese sich nicht ursprünglich Klick
verdankt, wie die Simmel-Verfilmung LIEB VATERLAND, MAGST RUHIG
SEIN und die Dokumentation DERBY FEVER U.S.A., sind absolut
sehenswert, und selbst aus einer produktionsgeschichtlichen Havarie
wie WHITE STAR zaubert Klick noch ein delirierendes Spektakel,
dessen stärkste Momente nicht mit dem kombinierten Gesamtwerk Katja
Riemanns und Till Schweigers aufzuwiegen sind.
Aufgrund der teils haarsträubenden Erfahrungen bei der Produktion
seiner späteren Projekte hat Roland Klick sich seit einigen Jahren
selbst eine längere Abstinenz vom Film verordnet, und er ist nicht
bereit, diese zu beenden, solange ihm das nicht ganz zu seinen
Konditionen möglich ist. Wir können nur hoffen, daß ihm dies bald
einmal ein kluger Produzent gestatten wird. Denn wenn die deutsche
Kinolandschaft derzeit etwas dringend gebrauchen könnte, dann wäre
es ein Film von Roland Klick.
Bis dahin gibt es wenigstens Gelegenheit, im Filmmuseum sein
bisheriges Werk zu bewundern. Zwar konnte man nur letztes
Wochenende erleben, wie der ebenso mitteilungsfreudige wie
sympathische Regisseur persönlich seine Filmen präsentierte, doch
noch straft das Leben die Spätkommer nich zu hart. Alle Filme außer
dem in Co-Regie entstandenen, experimentierfreudigen Frühwerk
MÜNCHEN - TAGEBUCH EINES STUDENTEN und dem zugegebenermaßen
großartigen SUPERMARKT kann man in diesen Wochen jeweils
donnerstags noch sehen. Wer Spaß am Kino und Lust auf gute Filme
hat, sollte sich nicht die Chance entgehen lassen zu sehen, was
auch in diesem Land an cineastischen Glanzleistungen möglich ist.
Da ja die Fans von Artechock gewiß zu dieser Kategorie gehören,
treffen wir uns alle hoffentlich demnächst im Filmmuseum. Und da
will ich dann niemanden sehen, der nicht da ist!
Thomas
Willmann
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