Mit etwas Glück wird’s dieser Tage endlich so "richtig Sommer"
(Rudi Carrell) in diesem, unserem Lande. Aber, uneingedenks
der meteorologischen Verhältnisse, auf keinen Fall "Sommer,
wie er früher einmal war", zumindest wenn es nach den deutschen
Filmverleihern und Kinobetreibern geht.
Sommer, das hieß noch bis vor kurzem verwaiste Zuschauersäle,
Start mittelmäßiger Dutzendware und leere Kino-Kassen. Und weil die
ersten beiden Phänomene schon noch irgendwie zu verschmerzen
gewesen wären, das daraus resultierende letztere aber nimmer und
nimmermehr, haben Verleiher und Kinobesitzer sich zusammenge- und
entschlossen, hier Abhilfe zu schaffen. Resultat: die Aktion
"Sommer-Hit Kino (- hier je nach Grad der spontanen Begeisterung
bitte beliebig große Anzahl an Ausrufezeichen einfügen -)". Mittels
eines gar peppig-frischen Logos, zahlreicher Funk- und Fernsehspots
und flächendeckenden Plakatierungsmaßnahmen soll dem deutschen
Unterhaltungskonsumenten suggeriert werden, daß auch in lauen
Sommernächten ihn nirgends mehr Vergnügen erwartet als im dunklen
Innern seines nächstgelegenen Multiplexes, und daß es zwischen all
den im Rahmen der Aktion beworbenen Filme ein mystisches Band der
Super-Duper-Top-ja, Mega-Qualität gibt, das es zwingend notwendig
macht, sie auch wirklich alle, alle anzusehen.
Den eigentlichen Ursprung verdankt diese Aktion dabei nicht nur
den immensen Betriebskosten der großen Kinokomplexe à la Maxx (vade
retro, satanas!), die saisonale Schwankungen der Auslastung nicht
mehr zulassen, sonder vor allem einer kulturellen Differenz
zwischen den U.S.A. und Deutschland.
Als Un- und Mistwettergeplagter Mitteleuropäer sehnt man
hierzulande die gar zu knapp bemessenen Tage der Wärme und Sonne
herbei und hat das Bedürfnis, diese auch richtig auszukosten.
Sommer heißt für Deutsche Urlaub, Baden gehen, Radltouren machen,
Eis essen, in der Sonne liegen und im Biergarten sitzen. Kaum
jemand kommt da freiwillig auf den Gedanken, sich in einen großen,
dunklen Raum vor eine Leinwand zu hocken. (Obwohl ja seltsamerweise
das Kino, von der Oper abgesehen, der einzige Ort ist, wo man es in
Deutschland traditionsgemäß gewöhnt ist, das ganze Jahr über die
Frage "Will jemand Ei-heis?" potentiell zu bejahen. Das aber nur am
Rande - wenngleich diese mysteriöse Verbindung zwischen lichtlosem
Lichtspielhaus und "Ice in the Sunshine" sicher mal die ein oder
andere soziologische Studie wert wäre.)
In Amerika verhält sich die Sache hingegen ganz anders. Zunächst
sind weite Teile des Landes durch ihre südliche Lage ohnehin von
sonnigen Tagen deutlich häufiger verwöhnt als die kalte BRD - in
Staaten wie Kalifornien würde der deutsche Durchschnittssommer
grade mal als Winter durchgehen. Und da: a) die Sommermonate
unangenehm heiß werden können, b) die größeren Städte wenig
Freizeitmöglichkeiten unter freiem Himmel bieten und c) der
Amerikaner vergessen hat, den Biergarten zu erfinden, ist man es in
den U.S.A. gewohnt, sommerliche Erfrischung nicht bei Baggersee,
Eisdiele und Zapfhahn zu suchen, sondern bei der Air-condition.
(Zumal, um ein zweites mal vom Thema Eis zu einer Abschweifung
animiert zu werden, das amerikanische Speiseeis à la Häagen-Dasz
und Ben & Jerry’s sich seinem Charakter nach deutlich der
Butter annähert, und somit eher als leckerer Ersatz für eine
Mahlzeit denn als Erfrischung geeignet ist.) Der typische
Einwohner einer nordamerikanischen Großstadt versteht unter einem
gelungenen Sommerabend den Besuch von THE CREATURE FROM THE BLACK
LAGOON mit anschließender Kühlung aus dem U-Bahnschacht - siehe THE
SEVEN YEAR ITCH.
Seit vor 20 Jahren mit STAR WARS der Blockbuster erfunden wurde,
haben die Hollywoodstudios deshalb die Starttermine ihrer
Großproduktionen bevorzugt auf die Wochenenden im Sommer verteilt,
da ihnen diese die höchsten Zuschauerzahlen versprachen.
Früher hatte diese Diskrepanz der bevorzugten Kinosaison die
Konsequenz, daß man in Deutschland stets einige Monate auf neue
amerikanische Filme warten mußte. Im Zeitalter der vielgepriesenen
globalen Wirtschaft und der weltumspannenden Medienkonglomerate
birgt diese einstmalige Rücksicht der Verleiher auf nationale
Gegebenheiten allerdings für ein Industrieprodukt (wie es der Film,
wohl oder übel, nun mal doch vordringlich ist) die Gefahr der
Störung des Verwertungsablaufs. Je mehr sich Werbefeldzug und
Kinoauswertung kontinentenübergreifend gleichschalten lassen, um so
geringer sind logistischer Aufwand und verwaltungstechnische
Kosten.
Deshalb soll nun also auch das deutsche Kinopublikum dazu erzogen
werden, die Sommerzeit als idealen Starttermin für alles zu
akzeptieren, was in der Herstellung mehr als $100 Mio. gekostet hat
und viele, viele Explosionen enthält. Obwohl letztes Jahr, als die
"Sommer-Hit Kino" Aktion erstmals zum Einsatz kam, die qualitative
Ausbeute der Blockbuster nicht gerade berauschend war, scheint die
Planung voll aufgegangen zu sein, betrachtet man die saisonal
unerreichten Zuschauerzahlen.
Immerhin, sinkende Hautkrebsraten werden es den Verleihern einst
danken. Und wenigstens erlebt nun, dank des vermeintlich
attraktiven sommerlichen Filmangebots, auch der durchschnittliche
Kinogänger einmal die Entscheidungsnöte des wahren Cinéasten und
Movieheads: Sonne oder Sirk? Soll man die Schritte lenken hinab in
den heimelig-schwarzen Vorführsaal des Filmmuseums oder
schnurstraks in den Innenhof des Stadtcafés? Und vor allem: wieviel
des Programmangebots des Filmfests ist wirklich unverzichtbar? Denn
merke: nur diese eine Wetterprognose ist völlig sicher - die
schönste Sommerwoche des Jahres ist partout immer die des Münchner
Filmfests.
Thomas
Willmann
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