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15.05.1997
 
 
   
 

Not so Special Editions
Die Restauration von Hitchcocks VERTIGO

 
James Stewart in VERTIGO
     
 
 
 
 

"Wenn in der Hölle kein Platz ist, kehren die Toten auf die Erde zurück," hieß es einst in der Werbung zu George Romeros DAWN OF THE DEAD. Wenn man bös’ wäre, so möchte man in letzter Zeit des öfteren anmerken: "Wenn in den Köpfen der Produzenten keine Idee ist, kehren alte Filme auf die Leinwand zurück."
Bös’ sind wir ja nun zum Glück nicht, aber es ist schon auffällig, wieviele einstige Erfolge derzeit in neuem Gewand Auferstehung in den Kinos feiern. Am meisten Wirbel wurde selbstverständlich um die "Special Edition" der drei STAR WARS-Episoden veranstaltet, aber daneben wurden und werden eine ganze Reihe weiterer Filme, von THE GODFATHER, über THE GRADUATE, DAS BOOT und JAWS bis hin zu PINK FLAMINGOS vom Verleiher erneut ins Rennen um Gunst und Geld des Publikums geschickt.

Nun wäre ich ja der Letzte, der sich darüber beschwerte, daß schöne Filme in makelloser Bild- und Tonqualität wieder dort zu sehen sind, wo sie hingehören - auf der großen Kinoleinwand. Und die Unsummen, die die Herstellung neuer Zelluloid-Epen wie TWISTER oder DAYLIGHT verschlingt, wären zweifelsohne in der Restauration von 100 alten Filmen besser angelegt. (Zugegeben, das Budget von TWISTER wäre selbst dann besser angelegt gewesen, hätte man damit die maßstabsgetreue Nachbildung Wanne-Eikels aus Hüttenkäse finanziert.) Aber so ein leichtes Unbehagen überkommt mich dennoch, wenn ich mir beispielsweise die "restaurierte" Fassung von VERTIGO ansehe.

Zunächst ist es schlicht eine traurige Tatsache, daß ein Film wie VERTIGO überhaupt der Restaurierung bedarf. Hitchcocks chef d’oeuvre ist noch keine vierzig Jahre alt, und seinen Rang unter den besten Filmen aller Zeiten hat es ja auch nicht gerade beim Mau-Mau-Spielen gewonnen. Und trotzdem muß man erschreckt zur Kenntnis nehmen, daß der Zerfall des Negativs bereits so fortgeschritten war, daß es für eine Rettung des Films zu jedem späteren Zeitpunkt keine Chance mehr gegeben hätte. Das macht einem unangenehm bewußt, in welch vergängliches Medium man sich als Cineast, Moviehead oder Filmfreund verguckt hat. Nicht nur sind ganze Epochen der Filmgeschichte bereits bis auf eine Handvoll Werke für immer verloren - der Zerfallsprozeß verläuft so schnell, daß man damit rechnen kann, den endgültigen Verlust zahlreicher Filme mitzuerleben, die man bei ihrem ersten Kinoeinsatz noch selbst gesehen (und gemocht) hat.

Dabei wird aber auch offenbar, wie sehr Film nach wie vor in erster Linie ein kommerzielles Produkt ist - auch wenn man ihn selbst lieber als Kunst ansieht. Das fachmännische Lagern von Filmen ist eine kostspielige Angelegenheit. Solange ein Film nicht das Glück hat, ein paar reiche Altruisten für sich zu begeistern, heißt das, daß sein Überleben nur genau so lange gesichert ist, wie seine Existenz für einen Rechteinhaber Profit verspricht.
Und da eine Restauration eben auch nicht gerade billig ist, versteht es sich, daß sie nicht nur der hehren Kunst zuliebe vorgenommen wird. Was ja nicht weiter schlimm wäre, wenn man sich darauf verlassen würde, daß der Film in seiner originalgetreuen Gestalt auch ein heutiges Publikum zu begeistern vermag. Aber die Verantwortlichen meinen leider in letzter Zeit zu häufig, daß sie auf irgendein neues Gimmick zurückgreifen müssen, um den Erfolg an der Kinokasse zu garantieren.

Bei der Wiederherstellung der optischen Elemente von VERTIGO haben die Restauratoren fast durchweg hervorragende Arbeit geleistet - und bei einem Film, der soviel mit Farbsymbolik arbeitet wie VERTIGO, kann man für die neue Version nicht dankbar genug sein.
Aber anstatt sich damit zu begnügen, den Film so getreu seiner ursprünglichen Fassung wie möglich wiederauferstehen zu lassen, hat man gemeint, die Tonspur mit Dolby-Digitalen Mätzchen neu aufmischen zu müssen. Dies wird mit der Schutzbehauptung begründet: „Wenn Hitchcock diese technischen Möglichkeiten gehabt hätte, hätte er sie mit Sicherheit genutzt."
Er hatte sie nun aber mal nicht. Und einen großen Künstler zeichnet es eben aus, daß er seine Vision bewußt in den spezifischen Gegebenheiten eines Mediums umsetzt. Anzunehmen, daß Hitchcock nicht eine äußerst genaue Vorstellung davon hatte, wie sich in seinem Film Räume (auch akustisch) konstituieren sollen, ist ebenso vermessen, wie zu glauben, daß Bernard Herrmann nicht wußte, wie seine Musik über Mono-Kinolautsprecher der ‘50er Jahre klingen würde - und mit den entsprechenden Mischklängen genau gerechnet hat.
In der neuen Version sind die Geräuscheffekte oft viel zu aufdringlich, und die hörbar aufgefächerte Orchesteraufstellung öffnet den gehörten Raum in störender Weise. Prompt hat der Film dann auch etwas von seiner obsessiven und hypnotischen Qualität eingebüßt.

Da muß man direkt noch froh sein, daß den Herrn Restauratoren nicht auch noch eingefallen ist, daß Hitchcock auch viel lieber Kevin Costner und Kim Basinger besetzt hätte, hätte er sie nur gekannt. Und daß ja eigentlich ein paar zünftige Autoverfolgungsjagden und Explosionen auch nach des Meisters eigentlichen Intentionen gewesen wären.
Sollte eine spiritistische Sitzung jedoch beweisen können, daß Hitchcock mit dem Werk seiner Restauratoren rundum zufrieden ist, und diese also mit ihrem Vorgehen recht hatten, dann sollten wir keine Zeit verlieren. Dann schlage ich vor, daß wir unverzüglich mit der Airbrush durch Gemäldegalerien ziehen, Beethovens Streichquartette mit ein paar flotten Breakbeats unterlegen, und in den Kölner Dom Fußbodenheizung und Rolltreppen einbauen.

Thomas Willmann

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