"Wenn in der Hölle kein Platz ist, kehren die Toten auf die Erde
zurück," hieß es einst in der Werbung zu George Romeros DAWN OF THE
DEAD. Wenn man bös’ wäre, so möchte man in letzter Zeit des öfteren
anmerken: "Wenn in den Köpfen der Produzenten keine Idee ist,
kehren alte Filme auf die Leinwand zurück." Bös’ sind wir ja nun
zum Glück nicht, aber es ist schon auffällig, wieviele einstige
Erfolge derzeit in neuem Gewand Auferstehung in den Kinos feiern.
Am meisten Wirbel wurde selbstverständlich um die "Special Edition"
der drei STAR WARS-Episoden veranstaltet, aber daneben wurden und
werden eine ganze Reihe weiterer Filme, von THE GODFATHER, über THE
GRADUATE, DAS BOOT und JAWS bis hin zu PINK FLAMINGOS vom Verleiher
erneut ins Rennen um Gunst und Geld des Publikums geschickt.
Nun wäre ich ja der Letzte, der sich darüber beschwerte, daß
schöne Filme in makelloser Bild- und Tonqualität wieder dort zu
sehen sind, wo sie hingehören - auf der großen Kinoleinwand. Und
die Unsummen, die die Herstellung neuer Zelluloid-Epen wie TWISTER
oder DAYLIGHT verschlingt, wären zweifelsohne in der Restauration
von 100 alten Filmen besser angelegt. (Zugegeben, das Budget von
TWISTER wäre selbst dann besser angelegt gewesen, hätte man damit
die maßstabsgetreue Nachbildung Wanne-Eikels aus Hüttenkäse
finanziert.) Aber so ein leichtes Unbehagen überkommt mich dennoch,
wenn ich mir beispielsweise die "restaurierte" Fassung von VERTIGO
ansehe.
Zunächst ist es schlicht eine traurige Tatsache, daß ein Film wie
VERTIGO überhaupt der Restaurierung bedarf. Hitchcocks chef
d’oeuvre ist noch keine vierzig Jahre alt, und seinen Rang unter
den besten Filmen aller Zeiten hat es ja auch nicht gerade beim
Mau-Mau-Spielen gewonnen. Und trotzdem muß man erschreckt zur
Kenntnis nehmen, daß der Zerfall des Negativs bereits so
fortgeschritten war, daß es für eine Rettung des Films zu jedem
späteren Zeitpunkt keine Chance mehr gegeben hätte. Das macht einem
unangenehm bewußt, in welch vergängliches Medium man sich als
Cineast, Moviehead oder Filmfreund verguckt hat. Nicht nur sind
ganze Epochen der Filmgeschichte bereits bis auf eine Handvoll
Werke für immer verloren - der Zerfallsprozeß verläuft so schnell,
daß man damit rechnen kann, den endgültigen Verlust zahlreicher
Filme mitzuerleben, die man bei ihrem ersten Kinoeinsatz noch
selbst gesehen (und gemocht) hat.
Dabei wird aber auch offenbar, wie sehr Film nach wie vor in
erster Linie ein kommerzielles Produkt ist - auch wenn man ihn
selbst lieber als Kunst ansieht. Das fachmännische Lagern von
Filmen ist eine kostspielige Angelegenheit. Solange ein Film nicht
das Glück hat, ein paar reiche Altruisten für sich zu begeistern,
heißt das, daß sein Überleben nur genau so lange gesichert ist, wie
seine Existenz für einen Rechteinhaber Profit verspricht. Und da
eine Restauration eben auch nicht gerade billig ist, versteht es
sich, daß sie nicht nur der hehren Kunst zuliebe vorgenommen wird.
Was ja nicht weiter schlimm wäre, wenn man sich darauf verlassen
würde, daß der Film in seiner originalgetreuen Gestalt auch ein
heutiges Publikum zu begeistern vermag. Aber die Verantwortlichen
meinen leider in letzter Zeit zu häufig, daß sie auf irgendein
neues Gimmick zurückgreifen müssen, um den Erfolg an der Kinokasse
zu garantieren.
Bei der Wiederherstellung der optischen Elemente von VERTIGO
haben die Restauratoren fast durchweg hervorragende Arbeit
geleistet - und bei einem Film, der soviel mit Farbsymbolik
arbeitet wie VERTIGO, kann man für die neue Version nicht dankbar
genug sein. Aber anstatt sich damit zu begnügen, den Film so
getreu seiner ursprünglichen Fassung wie möglich wiederauferstehen
zu lassen, hat man gemeint, die Tonspur mit Dolby-Digitalen
Mätzchen neu aufmischen zu müssen. Dies wird mit der
Schutzbehauptung begründet: „Wenn Hitchcock diese technischen
Möglichkeiten gehabt hätte, hätte er sie mit Sicherheit
genutzt." Er hatte sie nun aber mal nicht. Und einen großen
Künstler zeichnet es eben aus, daß er seine Vision bewußt in den
spezifischen Gegebenheiten eines Mediums umsetzt. Anzunehmen, daß
Hitchcock nicht eine äußerst genaue Vorstellung davon hatte, wie
sich in seinem Film Räume (auch akustisch) konstituieren sollen,
ist ebenso vermessen, wie zu glauben, daß Bernard Herrmann nicht
wußte, wie seine Musik über Mono-Kinolautsprecher der ‘50er Jahre
klingen würde - und mit den entsprechenden Mischklängen genau
gerechnet hat. In der neuen Version sind die Geräuscheffekte oft
viel zu aufdringlich, und die hörbar aufgefächerte
Orchesteraufstellung öffnet den gehörten Raum in störender Weise.
Prompt hat der Film dann auch etwas von seiner obsessiven und
hypnotischen Qualität eingebüßt.
Da muß man direkt noch froh sein, daß den Herrn Restauratoren
nicht auch noch eingefallen ist, daß Hitchcock auch viel lieber
Kevin Costner und Kim Basinger besetzt hätte, hätte er sie nur
gekannt. Und daß ja eigentlich ein paar zünftige
Autoverfolgungsjagden und Explosionen auch nach des Meisters
eigentlichen Intentionen gewesen wären. Sollte eine
spiritistische Sitzung jedoch beweisen können, daß Hitchcock mit
dem Werk seiner Restauratoren rundum zufrieden ist, und diese also
mit ihrem Vorgehen recht hatten, dann sollten wir keine Zeit
verlieren. Dann schlage ich vor, daß wir unverzüglich mit der
Airbrush durch Gemäldegalerien ziehen, Beethovens Streichquartette
mit ein paar flotten Breakbeats unterlegen, und in den Kölner Dom
Fußbodenheizung und Rolltreppen einbauen.
Thomas
Willmann
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