In der Nacht vom Montag auf Dienstag,
um halb zwei, nachdem ich vom arbeiten kam, bin ich mit Bier
und Erdnußflips ins Bett gegangen, da die Frau meiner Träume
leider nicht bei mir sein konnte. Ein Fernseher kann einem
in diesen Situationen auch gute Dienste erweisen, dachte ich
mir und stellte Premiere an. Denn gänzlich uncodiert wurde
dort im Pay-TV von der Nacht der Nächte im Filmgeschäft berichtet:
Viele glatzköpfige, schwerttragende Oscars suchten wieder
stolze neue Besitzer, damit diese dann aufregende Reden schwingen
konnten.
Doch noch war es nicht so weit, erst mußten einmal alle wichtigen
Gäste, Laudatoren und potentielle Gewinner in die Arena einziehen.
Dabei wurden die besonders Wichtigen und Schönen von einer
Reporterin irgendeines amerikanischen Senders angehalten,
ein paar recht freundliche Worte in die Kamera zu sprechen.
Es wurde konsequent mit jedem Opfer, ob Mann oder Frau, das
wichtige Thema der Abendgarderobe erörtert: Wer ist denn Ihr
Designer? Der geneigte Leser mag mich hier nicht falsch verstehen,
tatsächlich bin ich der Ansicht, daß es sich hierbei um das
durchaus wichtigste Thema des Abends handelte. Was ist denn
an einer Oscarverleihung schöner als der Anblick solch bezaubernden
Damen, wie Kristin Scott Thomas, Mira Sorvino und Sean Young
(die edelste der Schönen, seit einiger Zeit leider viel zu
selten zu sehen - man erinnere sich an den Blade Runner!)?
Zumal wenn besagte Damen in sehr schöne Stoffe gehüllt sind.
Ein paar fesche Burschen waren auch dabei, deren Namen sind
hier aber von geringerem Interesse. Allein Dennis Rodman soll
erwähnt werden, der große Paradiesvogel des amerikanischen
Basketballs, bester Rebounder und schlechtester Schütze der
Chicago Bulls, kam in einem Dr. Doolittle-Kostüm. Die ganze
höfische Prozedur dauerte Stunden, wurde immer wieder von
Werbepausen unterbrochen und hatte einige Wirkung bei mir.
Der Stil der Reporterin trug schon zu einem gewissen physischen
Unbehagen bei. Als sie dann aber Faye Dunaway, die vom Bauchnabel
aufwärts zerliftet scheint, auf schmierigste Art ein wundervolles
Äußeres attestierte, floß grüner, übelriechender Schleim aus
dem Fernseher. Das brachte nun das Bier und die Flips in meinem
Magen zum rebellieren: sie wollten sich mit dem grünen Schleim
vor meinem Bett vereinigen. Ich konnte mich beherrschen.
Wieder beruhigt schlief ich dann auch ziemlich schnell ein.
Ein, zwei Stunden später wurde ich noch mal kurz wach und
sah, daß die Preisverleihung doch codiert gesendet wurde.
Mit einem Schmunzeln machte ich die Glotze aus und schlief
weiter.
Am nächsten Tag konnten alle Eingeschlafenen die Namen der
Preisträger in allen Medien erfahren. DER ENGLISCHE PATIENT
hatte mit seinen neun Oscars alle geschlagen. Na klar, war
ja auch der einzige nominierte Film mit epischen Qualitäten.
Die Nominierungen mögen noch etwas überraschend gewesen sein,
da mit JERRY MAGUIRE nur eine Hollywoodproduktion dabei war,
die Preisträger wirkten bis auf Frances McDormand (weibliche
Hauptrolle in FARGO) aber recht vorhersehbar. Der Hauptdarsteller
von SHINE bekam den Behindertenoscar, INDEPENDENCE DAY den
für die Special Effects. FARGO wurde noch für das beste Originalscript
ausgezeichnet, was die Cohen Brüder hoffentlich nicht davon
abhält auch in Zukunft gute Filme zu machen. Fast der ganze
Rest ging eben an den englischen Patienten: Nebenrolle: Binoche,
Regie: Minghella, bester Film, ... Das wird wohl nun dazu
führen, daß der Film an den Kinokassen noch weiter kräftig
abräumt. Dem Produzenten Saul Zaentz sei's vergönnt, trotzdem
hab ich den Eindruck, daß dem Publikum mal wieder kräftig
in den Arsch gefickt wird - keine Entschuldigung für diese
Ausdrucksweise. Da werden also noch einmal Scharen von Leuten
das Geld für einen mittelmäßigen Film aus der Tasche gezogen
und die müssen den Film dann auch noch gut finden, denn neun
Oscars können nicht lügen.
Als ich mir diesen englischen Patienten angesehen habe, war
ich überrascht, daß der Film gar nicht so extrem auf die dramatische
Tränendrüse drückt, wie ich nach dem Trailer erwartet hatte.
Trailer geben eben keinen angemessenen Eindruck von Filmen
wieder, jüngstes Beispiel ist das idiotisch widerliche Werbefilmchen
für John Sayles LONE STAR. Um ehrlich zu sein, der Patient
hat mich trotz der hervorragenden Besetzung recht kalt gelassen.
Vielleicht kann man ihm das ja auch positiv anrechnen, aber
außer ein paar interessanten Ansätzen sah ich nicht viel mehr
in dem Film. Das Buch mag gut sein - ich hab's nicht gelesen
- aber aus einem Roman läßt sich kaum ein guter Film machen,
das ist fast so sicher wie das Amen...
Nun, die ganze Geschichte hat sicher auch ‚was Positives.
Es gibt ja Leute, die sich gerne in den Arsch ficken lassen,
einige meiner besten Freunde sind Po-Sex-Fanatiker. Und mein
Arbeitgeber, die Kinowelt, die den Patienten verleiht, wird
sich an dem Film gesundstoßen, was ihre Zahlungsmoral hoffentlich
verbessern wird. Das Schönste aber ist, daß Mike Leighs SECRETS
AND LIES in der Oscarnacht leer ausgegangen ist. Und das bedeutet,
daß er wohl auch in Zukunft hervorragende kleine Filme machen
kann, ohne von Hollywood gestört zu werden.
Max Herrmann
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