Buhs, Gelächter, Klatschen - durchwachsen und reserviert war die
Reaktion der internationalen Presse, als Jurypräsident Jack
Lang am Montag den diesjährigen Preisträger des "Goldenen
Bären" verkündete.
Dabei war die Preisvergabe an "The People vs. Larry
Flynt" keine Überraschung mehr für denjenigen der den diesjährigen
Wettbewerb verfolgt hatte. Da gab es viel Konfektionsware, keine
künstlerischen Wagnisse, und kaum hochkarätige
Spitzenleistungen.
"Larry Flynt" ist ein Film der vielen gefällt, der aber keinen so
richtig überzeugt. Nur gab es nun einmal auch keinen besseren
Kandidaten, sieht man einmal von "The English Patient" ab, der
aber, da für 12 Oscars nominiert, immer nur Außenseiterchancen
hatte. Denn in Berlin möchte man ein Gegengewicht zu Hollywood
setzen. Da traf es sich gut, daß man zuerst aus den USA von
Protesten gegen "Larry Flynt" hörte, dann aus Frankreich, und
schießlich aus Bayern. Wer möchte da nicht gerne ein Zeichen
setzen, gegen Intoleranz und Zensur, und für Meinungsfreiheit ?
Jack Lang und mit ihm die Jury wollten es.
Auch sonst bewies die Preisvergabe viel Gespür für PC. Fein
säuberlich wurden da die silbernen Bären aufgeteilt: nach Asien
(für den langatmigen Film "Der Fluß"), an Eric Heuman für das
engagierte hochmoralische Afrika-Drama "Port Djema", an Juliette
Binoche (damit "The English Patient" nicht leer ausging), für
Leonardo DiCaprio (der in "William Shakespeare's Romeo&Juliet"
einen fetzigen Romeo gibt, dem bestimmt viele Teenies verfallen
werden) als quasi-Referenz an das Pop-Kino und das jugendliche
MTV-geschulte Publikum. Lobende Erwähnungen gab es für den einzigen
Beitrag des Gastgeberlandes, "Das Leben ist eine Baustelle" von
Wolfgang Becker, stellvertretend für das schwarze Kino für Spike
Lee, und für Anna Wielgucka (Darstellerin in Andrzej Wajdas "Panna
Nikt"), damit auch Osteuropa ein Stücklein vom Kuchen abbekam. Wo
es so ordentlich zugeht, sind Überraschungen und mutige, pointierte
Entscheidungen natürlich nicht zu erwarten. Wer darauf gehofft
hatte, daß mit Preisen auch Maßstäbe für die Zukunft gesetzt werden
könnten, sah sich enttäuscht.
Schon in der Wettbewerbsauswahl -die freilich wesentlich von den
Interessen der großen Verleihe mitbestimmt wird- dominiert die
Scheu vor Experimenten, bekannte Namen ersetzen das Niveau.
Unerklärlich wäre sonst, warum künsterische Bankrotterklärungen
wie Richard Attenboroughs "In love and war" im Wettbewerb
auftauchen konnten. Und für "La jour et la nuit" von Bernard-Henri
Levy (der wie man erfahren konnte, nur gezwungenermaßen aus
filmpolitischen Gründen in Berlin vertreten war) hätten manche
Kollegen eigens einen Preis stiften wollen: für den schlechtesten
Film im Wettbewerb. Trotz Laureen Bacall.
Nun gab es schon auch viele gute Filme zu sehen: im Wettbewerb
wie die schon erwähnten "The English Patient" und "Romeo &
Juliet", aber auch "Twins Town", eine walisische Max und
Moritz-Geschichte, die ein ziemlich fertig-kaputtes Bild der Gegend
und ihrer Menschen zeigt. Der von Danny Boyle produzierte Film
bekam viel Beifall, aber auch Buhs.Vielleicht weil die Macher etwas
zu trendy sein wollten. Außerhalb des Wettbewerbs, im Panorama
und im Forum gab es vor allem viel. So viel, daß es dem Zufall und
guten Tipgebern überlassen blieb, ob man die Highlights erwischte,
oder einen Reinfall nach dem anderen erlebte. Wie oft im Leben
mischten sich beide Extreme zu einer seltsamen Melange, die nicht
erst nach dem fünften Film des Tages vor allem irritiert, und kaum
klare Aussagen zuließ. Die Antwort, daß der Zeitgeist halt weht,
wohin er will, ist zu einfach. Einige dieser Filme haben durchaus
das Zeug zu Kinoerfolgen und hohes künsterisches Format. Sofort
könnten "Love etc." (von Marion Vernoux), "Level Five" (vom 75
Chris Marker, der allerdings selbst auf die angebotene
Wettbewerbsteilnahme verzichtet hatte) und selbst "Clubbed to
death" (von Yolande Zauberman) im Wettbewerb mithalten. Andere,
besonders die Filme von und über junge Frauen wie beispielsweise
"Slaves to the Underground" von Kristine Peterson und "All over me"
von Alex Sichel gewannen die Zuschauer durch ihre frische
unverbrauchte Art Geschichten zu erzählen, und einen unbefangenen
Blick auf die Gegenwart.
Und trotzdem vermißt man etwas: die "großen" Filme, die
übereinstimmend alle in ihren Bann schlagen, oder zumindest
beeindrucken, und über deren Niveau nicht mehr gestritten werden
kann. Es muß ja nicht gleich der "Supermegaüberhammer", von dem so
mancher träumt, sein. Aber doch ein Film, der jedenfalls für einen
Augenblick die verschiedensten Erwartungen und Geschmäcker
befriedigt. Und ein Film, der seine eigene Gegenwart nicht nur
nacherzählt, sondern in einer Weise abbildet, daß sie selbst etwas
Neues erfährt, und sich anders ansieht, als vorher. In Berlin
fanden sich solche Filme nicht.
Das Kino der Gegenwart bleibt derzeit hinter seinen Möglichkeiten
zurück. Bewußt wurde das erst recht in dem, was in den
Retrospektiven für G.W.Papst und Kim Novak gezeigt wurde. Besonders
einige über dreißig Jahre alte Streifen mit Kim Novak überraschten
durch ihre Qualität, und zeigten den Reichtum, den das
Mainstream-Kino schon einmal hatte, und den man heute vermißt.
So leidet der "Berliner Patient" wie ein Kritiker ironisch zum
Abschluß des Festivals titelte, nicht nur an eigenen Problemen,
sondern auch an der Schwäche, die das derzeitige Kino in all seinem
Reichtum hat. Was kann da überhaupt der Sinn eines solchen
Festivals wie der Berlinale sein, das mit der Riesenmenge von rund
2000 gezeigten Filmen nach Cannes das weltweit größte seiner Art
ist ? Es kann eine Bestandsaufnahme der Gegenwart bieten, es kann
Signale setzen, und es kann einen zusätzlichen Anschub für die
Filme geben, die im Frühjahr starten. Nur diese letzte Absicht
gelang in Berlin, allzu durchschaubar sogar, Signale aber wurden
nicht gesetzt, und die Bestandsaufnahme ließ viel zu wünschen
übrig. Doch kann ein Festival auch nicht besser sein, als die
vorhandenen Filme.
Rüdiger
Suchsland
|