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Filme von: Molly Dineen - Nurith Aviv - Gisela Tuchtenhagen



Gisela Tuchtenhagen

Gisela Tuchtenhagen

Immer auf dem Weg zum Leben

(....) Gisela Tuchtenhagen reiste mit einer Kameraassistentin und einem Tonmann in dem Bus der Heimkindergruppe mit. Sie beobachtete "nur" - "Das war eine geschlossene Sache, die für sich selbst ablief". Vor der französischen Grenze hat sie ihre Redakteurin B. Schönfeldt beim NDR angerufen, "Schick mir neues Filmmaterial, das trägt für viel mehr!" Ihre Filme "Heimkinder" dokumentieren exemplarisch einen humanitären Kraftakt - und sind auch selbst einer gegen die Borniertheit anderer Medien. (...)
Ein Kalender, den die Heimkinder über sich zusammengestellt hatten und den sie im Büro ihres langjährigen Kollegen und Partners Klaus Wildenhahn entdeckte, war für Gisela Tuchtenhagen der Anfang ihres Projekts. "Der Kalender hat mir gefallen, das war mein Ton, meine Ebene, wo ich drauf anspringe: frech, nicht angepaßt. Irgendwie auf dem Weg - zu etwas". "Mir", sagt sie, sind "die Sachen immer zugeflogen - man wählt eine". Eine, die im Inneren etwas zum Klingen bringt.

Gisela Tuchtenhagen ist nach dem Krieg in Barackenlagern in Schleswig Holstein aufgewachsen. Sie hatte Probleme mit den Eltern, ist weggelaufen, kam in Hamburg ins Erziehungsheim, ist nach Paris "abgehauen", dann nach Berlin, hat Brötchen ausgefahren. Dann machte sie einen Selbstmordversuch ("ich hatte nichts, was mir Spaß gemacht hat"). Aber sie rutscht nicht ab. Sie beginnt eine Lehre als Fotografin und bewirbt sich für die Deutsche Film- und Fernsehakademie. Dort, 1969, fliegt ihr wieder etwas zu, das ihr Leben entscheidend verändert: die Bekanntschaft mit Klaus Wildenhahn, In seinen Filmen entdeckt sie: "die Wurzeln sind hier. Das Faszinierende war bis dahin immer woanders. Plötzlich ist es hier".
Die Zusammenarbeit mit Klaus Wildenhahn als Co-Autorin, Cutterin und Kamerafrau dauert elf Jahre. Von ihm lernt Gisela Tuchtenhagen, "wie man sich in der Drehsituation zurücknimmt", als Beobachter auf keinen Fall eine Funktion in dem Geschehen übernehmen darf und die eigene Aussage, die eigene Interpretation in der Montage, dem Schnitt des Films unterbringt. Das gibt auch ihren in eigener Regie gedrehten Dokumentationen eine unverwechselbare Nähe zur Realität, zum Rhythmus des Lebens, seinen schrillen Widersprüchen, seinen Unbeholfenheiten, seiner Sprödigkeit. Dem Zuschauer verlangt sie die Anstrengung ab, zu eigenen Erkennnissen zu kommen.
Jeder, sagt Gisela Tuchtenhagen, müsse für sich herausfinden, wie er wirksam sein könne, und sie hat für sich herausgefunden: "Dokumentarfilm ist mein Ding". Aber sie hat auch noch ein zweites, ebenso starkes Lebensprinzip und das heißt: "Man kann alles nur eine begrenzte Zeit machen. Dann trägt es nicht mehr." Auch in der Zusammenarbeit mit Wildenhahn kommt sie an diesen Punkt: Nach dem Film "Der Nachwelt eine Botschaft", dem Porträt eines Arbeiterdichters, der ein "einziges Weinen" gewesen sei "über nicht gelebte Leben", macht sie erst einmal "Pause", verabschiedet sich vom Filmen: "Ich hab gedacht, da kann jetzt nichts mehr kommen". Sie läßt sich zur Krankenschwester ausbilden.
Der Wiedereinstieg in die Dokumentarfilmarbeit drei Jahre später, in "ihr Ding", in das sie ihre "ganze Erfahrung, das ganze Leben steckt" und aus dem sie eine "ungeheure Befriedigung" bekommt, führt sie zu ihrem bisher größten filmischen Erfolg - und gleich darauf wieder zu einer dieser Neuorientierungen, die für ihr Leben so typisch sind. Für "Heimkinder", gedreht für die Redaktion "Weiterbildung" des NDR und gefördert aus Mitteln des Hamburger Filmbüros, bekommt sie den Adolf-Grimme-Preis, den Preis der Akademie der Künste Berlin und den Preis der Filmjournalisten für den besten Dokumentarfilm. Nachdem sie diesen letzten Preis in Duisburg in Empfang genommen hat, reist sie ab - nach Peru. Dort adoptiert sie zwei Kinder. (...)

Auszüge aus Cornelia Boleschs Beitrag der Serie Dokumentarisches Fernsehen, Süddeutsche Zeitung, 6.Juni 1989


BIO-FILMOGRAPHIE
Gisela Tuchtenhagen

Geboren 1943 in Pommern, aufgewachsen in Schleswig-Holstein; von 1959 bis 1963 in Frankreich; 1966-68 Ausbildung zur Fotografin an der Lette-Schule, Berlin. 1968-71 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehaka-de-mie Berlin DFFB; 1971-79 Zusammenarbeit mit Klaus Wildenhahn als Co-Autorin, Kamerafrau, Cutterin, in dieser Zeit auch eigene Dokumentarfilme und Kameraarbeit. 1978-80 Lehraufträge für Dokumentarfilm an der DFFB und HfbK Hamburg. Ausbildung zur Krankenschwester 1980-83, danach wieder Dokumentarfilme.
1986 Adoption von Christian und Alfredo Tuchtenhagen.
Kamera, Schnitt, dramaturgische Beratung, Nachwuchsförderung, Seminare und eigene Filme. 1998 Gründungsmitglied der Filmwerkstatt "Dokumentarisch Arbeiten e.V.".
Auszeichnungen u.a.: Mannheimer Filmwoche: Preis für den besten Fernsehfilm ("Hamburger Aufstand 1923"); zwei Mal Adolf-Grimme-Preis in Gold (für "Emden geht nach USA" und "Heimkinder"); Preis der Akademie der Künste (für "Heimkinder"); Preis der Film-journa-listen in Duisburg (für "Heimkinder"). Seit 1999 Mitglied der Akademie der Künste.
Filme:

  • 1969 Regie, Kamera: REISE 1
  • 1969 Co-Autorin: Wocheschau 1: REQUIEM FÜR EINE FIRMA
  • 1970 Co-Autorin, Kamera: Wochenschau 4: IM AUFTRAG DER ARBEITERBEWEGUNG
  • 1971 Co-Autorin, Kamera, Schnitt: DER HAMBURGER AUFSTAND
    OKTOBER 1923
  • 1971 Kamera: FÜR FRAUEN 1. KAPITEL
  • 1971 Kamera: MACHT DIE PILLE FREI?
  • 1972 Autorin, Kamera, Schnitt: WAS ICH VON MARIA WEISS
  • 1972 Schnitt: HARBURG BIS OSTERN
  • 1973/74 Co-Autroin, Schnitt: DIE LIEBE ZUM LAND
  • 1974 Autorin, Kamera: 5 BEMERKUNGEN ZUM DOKUMENTARFILM
  • 1974/75 Co-Autorin, Kamera, Schnitt: DER MANN MIT DER ROTEN NELKE
  • 1975/76 Co-Autorin, Kamera: EMDEN GEHT NACH USA
  • 1975/76 Kamera: IM NORDEN DAS MEER, IM WESTEN DER FLUSS, IM SÜDEN DAS MOOR, IM OSTEN VORURTEILE
  • 1977/78 Autorin, Kamera: SING IRIS, SING
  • 1978 Realisation: LÜTTE LÜD ÜM' GROOTNEEMARKT RÜM
  • 1978/79 Dozentin DFFB: KÜCHE, THEATER, KRANKENHAUS
  • 1979 Kamera: DER NACHWELT EINE BOTSCHAFT
  • 1980 Kamera: SCHNEIDE, ABER SCHNEIDE NICHT TIEF
  • 1981 Kamera: ZWISCHEN ANPAS- SUNG UND WIDERSTAND
  • 1982 Kamera: WAS WISSEN WIR SCHON VON DENEN
  • 1983 Autorin, Kamera: NOCH MAL ZURÜCK UND DANN WEITER
  • 1984 Kamera: DIE ALLTÄGLICHE GEWALT AN FRAUEN
  • 1984-86 Autorin, Kamera: HEIMKINDER
  • 1985/86 Kamera: VERHÜLLE DEIN HAUPT
  • 1986/87 Kamera: LERNEN KÖNNEN JA ALLE LEUTE
  • 1987 Kamera: LYNX - ENDSCHAFT
  • 1988 Kamera: VIOLETTA CLEAN
  • 1990 Kamera und dramaturgische Beratung: TÖCHTER ZWEIER WELTEN
  • 1990 Kamera: KOMM TANZ MIT MIR
  • 1990/91 Kamera: DA-SEIN
  • 1991 Kamera: DIE EROBERUNG DER LEERE
  • 1992 Kamera: FREIER FALL - JOHANNA K.

  • 1992/94 Kamera und Schnitt-Montage: GELD FÜRS BROT, EKMEK PARASI
  • 1993/95 Co-Autorin, Kamera, Schnitt- Montage: BIS ZUM NÄCHSTEN
    JAHR
  • 1995 Dramaturgische Beratung, Schnitt: MAS FUERTE QUE EL DOLOR - STÄRKER ALS DER SCHMERZ
  • 1995-97 Co-Autorin, Kamera und Ton Hi8 und DV: BLÜHEN DES LEBEN
  • 1997 Kamera Betacam: SIGFRIED - STIMMEN IN MEINEM KOPF
  • 1997 Kamera Betacam: SIGFRIED, MEIN SCHIZOPHREER BRUDER
  • 1997 Kamera DV und Ton: MEIN KLEINES KIND
  • 1998/99 Dramaturgische Beratung: EIN ANDERES LAND
  • 1998/99 Kamera: DIE NOMADEN VON KUMEROW
  • 1999 Autorin, Kamera: DAS TRAUMA BLEIBT - PAROLES DE RÉFUGIÉS
  • 1999 Kamera: UNERREICHBAR NAH

In Arbeit:
1997/99 Kamera DV, Ton, Realisation: INSEL
1999- Kamera DV und Co-Autorin: ZWISCHEN DEN GEZEITEN
1999- Kamera DV und Co-Autorin: PIERINO UND OLGA, EIN CLOWN UND EINE BALLETTEUSE

Festivalteilnahmen u.a.: Forum des Jungen Films Berlin, Duisburger Filmwoche, Oberhausener Filmtage, Mannheimer Filmwoche, Semaine de la Critique Cannes, Dokumentarfilmfestival München, Leipziger Dokumentarfilmwoche, diverse Goethe-Institute.