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Molly DineenSie hatte ihr Filmstudium
an der National Film and Television School noch nicht beendet, als sie
ihren ersten Film Home from the Hill drehte. Seit 1988 arbeitet sie für
BBC 2 und Channel Four. Sie erhielt unzählige renommierte Preise. Aus dem Leben der Alpha-Männchen Als Alpha-Männchen bezeichnet die Verhaltensforschung jene dominanten Tiere, die die Geschicke der Sippe lenken und eine Menge Privilegien genießen, deren Leben jedoch auch durch einen hohen Streßfaktor belastet ist. Die englische Dokumentaristin Molly Dineen befaßt sich seit Mitte der achtziger Jahre mehr oder weniger mit diesen "Alpha-Menschen", porträtiert mit Einfühlungsvermögen und Charme typisch englische Eigenheiten, beschreibt Zustände, wie sie nur im Mutterland der Demokratie denkbar scheinen, stellt neben den Menschen immer auch die Systeme vor, die ihnen Arbeit, Sicherheit und Lebenssinn geben. Der Kolonialoffizier, der nach fast 50jähriger Abwesenheit aus Kenia nach England zurückkehrt, sich zwar auf dem Poloplatz aber nicht in seiner Küche zurechtfindet und nachfragen mußt, wie ein Ei gekocht wird; die alte Dame, die noch immer auf ihrer Farm in Kenia mit ihrem Hunderudel lebt, die Kinder ihrer Landarbeiter zu Weihnachten huldvoll beschenkt und der Nationalhymne zu Sylvester zu Tränen gerührt lauscht; die Londoner Vorstadt-Undergrundstation Angel, in der geordnetes Chaos herrscht und deren frustrierte Mitarbeiter sich englisch-freundlich mit dem berühmten Spleen geben, jedoch kein Wort über die vorindustrielle Maloche verlieren, die nächtens im Tunnel-Labyrinth von weiblichen Reinigungskräften und irischen Gleisarbeitern geleistet wird; Tiefbauarbeiter in London, in der Mehrzahl nordirische Leiharbeiter, die als Billiglohnkräfte der Perspektivlosigkeit ihrer Heimatinsel entfliehen wollen; die Angestellten des Londoner Zoos, die Anfang der 90er Jahre mit einem neuen (Miß-) Management konfrontiert werden und plötzlich Erträge erwirtschaften sollen, an Personal und Tieren "schlanker" werden müssen; last but not least eine Eliteeinheit der englischen Armee, ein Regiment, das dem Prinzen of Wales, besser bekannt als Prinz Charles, unterstellt ist, und dessen 100 Soldaten in einem weitgehend ruhigen nordirischen Flecken den Schutz von acht Polizisten sicherstellen. Molly Dineen, hierzulande weitgehend unbekannt, versucht, eine Gesellschaft im Umbruch darzustellen, zwischen Tradition und einer nicht klar umrissenen Zukunft. Eine Gesellschaft, die trotz aller Brüche und Widersprüche auch immer ihre liebenswerten Seiten hat, deren Mitglieder sich trotz aller Veränderungen fest im Gefüge ihrer jeweiligen Klassen wähnen, auch wenn von dieser selbst gar nicht mehr so viel übrig geblieben ist. Vergangenheit ihres Landes in all ihren Facetten aufzuarbeiten, ist das große Thema ihrer Filme, dem Vermächtnis des englischen Empires gilt Dineens Interesse. Das können Gespenster sein, die eher skurril auf den Plüschsofas hocken; drückende Altlasten, die soziale Kluften und Abgründe schaffen; der Schrecken, der in IRA-Heckenschützen Gestalt annimmt. Kolonialismus heißt das zentrale Thema von Dineens Filmen und sie spürt dieses Thema in den scheinbar entlegensten Ecken auf. Im Londoner Zoo etwa, der 1826 gegründet wurde, um die Artenvielfalt des Weltreichs zu demonstrieren und zugleich für Artenschutz zu sorgen. Heute herrschen desolate Verhältnisse; Panda-Bärin Ming Ming sorgte zwar für einen enormen Besucherandrang, brachte aber nicht den erhofften Nachwuchs zur Welt und blockierte indirekt andere For-schungs- und Artenschutzprogramme. Dineen zeigt die Angestellten des Zoos vor der großen Entlassungswelle, zeigt ihre Angst und ihre Hoffnung und die absurden Folgen der Sparmaßnahmen. Etwa wenn der Pfleger, der sich seit 30 Jahren um Ziervögel kümmert, plötzlich angstschlotternd im Löwenkäfig aushelfen muß. Oder aber das Schicksal der Royal Welsh Gards, deren Kommandeur sich im Laufe der achtmonatigen Dreharbeiten als Freigeist und Musenfreund zu erkennen gibt, den aber Patriotismus und der Glaube an Eigenschaften wie Disziplin und Stolz seine Einheit mit harter Hand führen lassen. Die Armee scheint noch am ehesten der Mikrokosmos zu sein, in dem koloniales Erbe überleben kann. Eine von sich selbst überzeugte Männergesellschaft, die nach festgefügten Regeln funktioniert, nur nach ihnen funktionieren kann. Eine Gesellschaft aus Alpha-, Beta- und Gamma-Männchen. Mit ihren Filmen ist
Molly Dineen ein unglaubliches Paradox gelungen: sie legt den Finger auf
Wunden, bringt zugleich Verständnis für die jeweilige Misere
auf und es gelingt ihr immer wieder, zur Vertrauensperson ihrer Gesprächspartner
zu werden, die freimütig über ihr Leben und ihre Träume
berichten: sie wissen, daß sie von dieser einfühlsamen Filmemacherin
nicht spätestens im Schnei-deraum vorgeführt werden. So behält
bei aller Kritik der alte Chauvi-Kolonialist ebenso seinen Charme wie
die äußerst bigotte Lady in Kenia, die englische Besatzungsarmee
wird mit ihren Problemen ebenso verstanden wie der irische Malocher, der
in London das - für seine Verhältnisse - 'große Geld'
macht und sich halbherzig nach seiner grünen Insel zurückträumt.
Und die vier Stunden über den Londoner Zoo sind einfach ein Glücksfall
für den Dokumentarfilm, da sie an einem relativ überschaubaren
System ge-samt-ge-sell-schaft-liche Zusammenhänge deutlich machen
und wunderbare Menschen mit ihren großen und kleinen Sorgen zeigen,
aber auch die Freude an einer sinnvollen Arbeit vermitteln. Ein kleiner
Staat im Staat, regiert von inkompetenten Repräsentanten, kontrolliert
von einer zerstrittenen Gesellschaft, am Leben erhalten von treusorgenden
Pflegern, und bevölkert von Tieren, die Tag für Tag ihr Publicity-Image
unter Beweis stellen müssen - für die fast kostenfreie Aufzucht
einer so gut wie ausgestorbenen Schneckenart ist da keine Zeit und kein
"Geld" mehr. Aber Dineens Filme zeigen auch, daß Widerstand
erfolgreich sein kann, vielleicht nicht gerade in der Armee, aber im Zoo,
dessen engagierte Mitarbeiter immerhin den neu eingesetzten Direktor per
Mehrheitsentscheid und Kampfabstimmung seines Amtes entheben konnten.
BIO-FILMOGRAFIE Filmstudium an der
National Film and Television School, für den sie ihren ersten Film
Home from the Hill drehte. Seit 1988 arbeitet sie für BBC 2 und Channel
Four. Filme |