20.05.2017
70. Filmfestspiele Cannes 2017

Die Sau in der Shopping Mall

Wonderstruck
Wonderstruck ist guter Kitsch, aber eben doch Kitsch...
(Foto: Amazon Studios Roadside Attractions)

Filmfabrik kritisiert Fleischfabrik: Wenn der Kapitalismus mit Anti-Kapitalismus handelt, Mütter und Söhne sowie der allgemein werdende Infantilismus: Filme von Andreij Zvyagintsev, Todd Haynes und Bong Joon-ho im Wettbewerb; Cannes-Notizen, 5. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»He was a terrible father, but my god, did he know about business.«
– aus Okja

»Im kine­ma­to­gra­phi­schen Theater wird die Mensch­heit, ganz so wie auf dem Jahrmarkt, wieder zum Kind. Die Auffüh­rungen entwi­ckeln sich zwischen zwei leiden­schaft­li­chen Extremen der allge­meinen Empfind­sam­keit: dem sehr Rührenden und dem sehr Komischen. Schon die Plakate enthalten diese beiden Gefühls­ver­spre­chen und führen sie zusammen. Die Gemüter bewegen sich, wie im Leben, heftig von einem zum anderen. Und die kindliche Mensch­heit vergisst sich, lässt sich mitreißen in die Bewegung der ultra­schnellen Wieder­gabe, mit einer Selbst­auf­gabe, wie man sie selten in unseren Thea­ter­sälen findet.«
– Ricciotto Canudo: »Versuch über den Kine­ma­to­gra­phen«, 1911; in: »Die Zeit des Bildes ist ange­bro­chen!«

+ + +

Präten­tion gegen Spiel, Russland gegen Amerika, das war die Konstel­la­tion am Donnerstag zum Auftakt des dies­jäh­rigen Cannes-Wett­be­werbs. Anders gesagt: Andreij Zvyag­intsev gegen Todd Haynes.

+ + +

Zweimal stehen zwölf­jäh­rige Jungen im Zentrum, zweimal blickt der Film (zumindest partiell) mit Kinder­augen auf die Welt der Erwach­senen. Zweimal reißen diese Jungen von zuhause aus, und werden nie mehr zurück­kehren.

+ + +

Leviathan, Andreij Zvyag­int­sevs letzter Film im Wett­be­werb, war ein erstaun­li­cher Film: Klug, direkt in seiner Kritik, vor allem visuell extrem stark, mit monu­men­talen, zeitlosen, mehr­deu­tigen und mitunter mythisch-kraft­vollen Bildern, trotzdem ganz zeitgemäß – und mit einem Geheimnis. Damit ist auch schon ziemlich genau formu­liert, was seinem neuen Film Nelyubov (übersetzt etwa »Lieblos«) alles fehlt. Der Film ist eindeutig und in dieser Eindeu­tig­keit erschre­ckend banal.
Dabei beginnt es stark. Der Anfang ist die wohl beste Passage des ganzen Films: Man sieht tote Bäume im Schnee, dann einen leeren Schulhof, alles recht herun­ter­ge­kommen. Das Russ­land­bild des inter­na­tio­nalen Autoren­kinos. So wie man es von einem russi­schen Film erwartet. Man könnte solche Bilder auch in Detroit drehen, oder in Lüttich, oder in Bari – aber man bekommt sie nicht zu sehen. Weil man sie nicht erwartet,weil man sie nicht in seine geistigen Schub­laden einordnen kann. So wie beispiels­weise ein Film aus Palästina vom Nahost­kon­flikt zu handeln hat, eigent­lich nie eine Romantic-Comedy sein darf. Das Scha­blo­nen­denken der arthouse-Community lässt das nicht zu; es ist nicht geringer, nicht unver­trauter als die Scha­blonen des Genre-Main­streams und wird darum zunehmend zum Problem für das Kino. Ein Kolo­nia­lismus des Bewusst­seins. Schon vor Jahren erzählten Freunde aus Argen­ti­nien davon, wie bescheuert und pervers es sei, dass sie alle unbedingt Filme »wie die argen­ti­ni­sche Neue Welle« machen müssten, wenn sie europäi­sche Förder­gelder und Sender­be­tei­li­gung von Arte haben wollen. So (re-)produ­zieren die Europäer das Bild des Außer­eu­ropäi­schen aus ihren Köpfen in den gemeinten Ländern – das ist das Kolo­nia­lis­ti­sche daran.
All diese Über­le­gungen dürften auch Zvyag­intsev eine Rolle spielen, der Preise gewinnen möchte und da nur kann, wenn er den Erwar­tungen – an Russland-Bilder, an Putin-Kritik – entspricht.

+ + +

Aber zurück zum Film, zum Anfang von Nelyubov. Die Pausen­glocke klingelt, der Hof füllt sich mit Kindern, die bald in alle Rich­tungen nach Hause gehen. Ziemlich gegen Ende ein Junge, allein. Er geht in den Wald, durch braunen Matsch an den unbe­laubten Winter­bäumen vorbei. Irgendwo im Wald findet er ein rot-weiß-gestreiftes Poli­zei­band. Er nimmt es mit, auf seinem von der Kamera konse­quent auf Augenhöhe beglei­teten Weg durch den Wald und wirft es ein paar Minuten später an einen Flussufer in die Äste, wo es hängen bleibt. Und schon jetzt ist da eine Ahnung, dass genau der erneute Blick auf dieses Band das cheesy Ende dieses Films sein könnte. Was es ist. Zu gut ausge­dacht. Zu gestaltet. Zu designed.

+ + +

Zvyag­intsev ist und war schon immer ein Menschen­hasser, ein Misera­bi­list. Genau das ist es, was die Festi­val­com­mu­nity an ihm liebt, was sie von ihm und letzt­end­lich von dem Russ­land­bild in seinen Filmen erwartet. Eine schlichte Deka­denz­kritik, lackierter Schmutz und Amoral. Leviathan brach mit diesen Klischees, Nelyubov kommt wieder zu ihnen zurück.

Eine Mittel­stand-Wohnung in einer Traban­ten­stadt. Hier ist der Junge Zuhaus. Relativer Wohlstand. Ein Paar besich­tigt sie, die Frau ist schwanger und lächelt glücklich. Über die Besich­ti­gung erfahren wir, dass sich die Eltern des Jungen sich scheiden lassen, dass seine Mutter zuviel trinkt, dass sie außer Männern und ihrem Smart­phone nichts im Kopf hat. Die Eltern beschimpfen sich würdelos, reden herzlos über das Kind, das beide eigent­lich loswerden wollen. Wir begleiten diese Eltern durch den nächsten Tag, beide arbeiten, beide haben Liebhaber, der Freundin des Vaters ist schwanger. Wir sehen sie ausgiebig bei Selbst­be­zich­ti­gungen, laut vor sich hin schwät­zend beim Tagträumen über zerron­nene Hoff­nungen, beim Sex in verschie­denen Stel­lungen.

Die Mutter redet mit einer Arbeits­kol­legin über den Sohn, der »eine Memme« sei, ganz nach seinem Vater gerate, dass dieser auf eine Boarding School solle »und dann gleich in die Armee, da wird er lernen wie es läuft im Leben.« Eine andere Mutter, eine ältere Arbeits­kol­legin, spricht über ihre Tochter als »meine kleine Kuh«, sie habe »no vocation, no culture.«

Die Geliebte des Vaters spricht mit ihrer Mutter über den Zukünf­tigen, und bekommt einen Vortrag darüber, »wie man Männer behandeln muss«. Alle Mütter in diesem Film sind böse. Dies ist ein frau­en­feind­li­cher, besonders ein mütter­feind­li­cher Film.
Im Radio plappern die Nach­richten derweil von der »public hysteria«, vom »apoca­lyptic mood« in der »Leningrad Region«.

+ + +

Beide Eltern schlafen nicht zu Hause. In der Sprache der Moral: Sie sündigen. Sie vernach­läs­sigen das Kind. Sie sind verdammt. Sie müssen bestraft werden.
Am nächsten Morgen merken sie, dass der Sohn verschwunden ist. Bereits am Tag zuvor war er nach dem Frühstück die Treppe hinab gestiegen, begleitet von dräuend unheil­schwan­gerer Musik.
Im nun einset­zenden zweiten Teil des Films wird der Sohn gesucht. Immer wieder irgendwo anders, und diese Suche wird zum Panorama des gegen­wär­tigen Russland, so wie Zvyag­intsev es uns zeigen will: Die Polizist unter­sucht zuerst, ob das Kind von den Eltern ermordet wurde. Dann tut sie wenig, ein privater Such­dienst wird engagiert. Der Film schlachtet den zerschlis­senen Sowjet-Glanz genüss­lich aus, kontras­tiert ihn mit einer öden, darin seltsam schönen Natur, mit Morgen­nebel zwischen den Häuser­pilzen, mit dem Zwielicht der Abend­däm­me­rung.

+ + +

Der Film macht mit anderen Worten genau das, was er den Eltern vorhält: Er benutzt das Kind, er inter­es­siert sich aber kein bisschen für es.
Er einen unge­wöhn­li­chen, überaus konstru­ierten Fall, um das Gewöhn­liche zu zeigen, und seinen Hass und seine Verach­tung für alles zu zele­brieren.
Zum Schluss des Films – der Junge wird natürlich nie gefunden – springt der Film »drei Jahre später« von 2012 auf 2015. Wieder ist es Winter, die Eltern leben mit ihren neuen Partnern zusammen. In beiden Wohnungen laufen die Fern­seh­nach­richten. Propa­ganda-Berichte über den Ukraine-Bürger­krieg. So platziert Zvyag­intsev auch noch überaus unsubtil, eher mit der Faust aufs Auge für alle Zuschauer, die Behaup­tung einer poli­ti­schen Bedeutung seines Films. Dann schwebt das Polizei-Band vom Anfang im Wind.

+ + +

So ziemlich das Gegenteil von alldem ist Wonder­s­truck von Todd Haynes. So wie Zvyag­intsev einen Zwölf­jäh­rigen von Außen zeigt, zeigt Haynes einen von innen, zeigt die Welt aus dessen Perspek­tive: Kino als Traum­fa­brik, Kino als Zeitreise, Kino mit Kinder­augen. Warm­herzig, bis zur Grenze zum Kitsch, die gele­gent­lich auch über­schritten wird. Dies ist das bei Haynes immer wieder zu findende Puppen­stuben- und Kostü­mie­rungs­kino, aber diesmal mit mindes­tens einem Schuss Steven Spielberg. Ich sah den Film gern, aber kann ihn guten Gewissens nicht ganz kritiklos behandeln.

In der ersten Szene wird Ben, die Haupt­figur von Wölfen verfolgt – ein Albtraum, aber einer mit tieferer Bedeutung. Alles spielt im Jahr 1977 in der Provinz von Minnesota, in Rück­bli­cken lernen wir Bens Mutter (Michelle Williams) kennen, die bei einem Auto­un­fall starb. Wir sehen, wie sie »Major Tom« hört, wir hören wie sie Oscar Wilde zitiert: »We are all in the gutter, but some of us are loooking at the stars.«, wir erfahren, dass Ben seinen Vater nicht kennt, und die Mutter ihm bei seinen Nach­fragen nicht wirklich antworten will.

Jetzt wo die Mutter tot ist, Ben bei Verwandten lebt, das Haus bald verkauft wird, stöbert er eines Nachts in alten Sachen, und wird vom Blitz getroffen. Als er wieder aufwacht, ist er taub, ob für immer bleibt ungeklärt und spielt auch keine Rolle. Denn noch aus dem Kran­ken­haus reißt er aus und macht sich per Greyhound auf den weg nach New York, denn unter den Sachen der Mutter fand er Indizien, dass dort sein Vater lebt.

Parallel zu alldem haben wir im Hin und Her zu Bens Geschichte Schwarz­weißszenen gesehen, die aus dem Jahr 1927 erzählen. Da steht ein Mädchen im Zentrum, Rose, auch etwa 12, sie schwärmt für Filmstars, klaut aus dem Zeitungs­laden eine Film­zeit­schrift. Auf ein Papier­schiff­chen, das sie mit Blick auf New York in den Hudson River fahren lässt, hat sie »Help me« geschrieben. Zuhause, in der reichen einsamen Villa, baut sie aus Papier aufwen­dige, sehr gekonnte Modelle der Silhuette von New York. Ein andermal geht sie ins Kino, um einen Star zu sehen, in einem Stumm­film­me­lo­dram »Daughter of the storm«.

All diesen zweiten Erzähl­strang hat Haynes in Form eines Stumm­films erzählt, mit Musik, aber ohne Dialoge. Das macht mehr Sinn, als man ahnt, denn etwas später verstehen wir: Rose ist taub – als Taube kann sie nicht nur Stumm­filme fast so gucken wie alle anderen, der Film passt sich ihren Fähig­keiten auch formal an.
So weit, so clever.
Auch Rose reißt aus, reißt in ihre Traum­stadt New York. Bald verstehen wir, warum: Der Stumm­film­star des Films ist ihre Mutter, eine hart­her­zige Person, der ihr Kind offenbar gleich­gültig ist. Von ihr zurück­ge­wiesen, reißt sie ein zweites Mal aus, und sucht nun ihren Bruder, der im »Museum of Natural History« arbeitet.

+ + +

Jetzt werden die beiden Geschichten über Kinder, die zu verschie­denen Zeiten aus der Provinz nach New York ausreißen, um ihrem schlechten Zuhause zu entkommen, und ihr besseres Zuhause zu finden, immer enger parallel geführt.
Auch Ben landet im »Museum of Natural History«, nachdem er zuvor durch ein sehr dreckiges, vom Kostüm­de­part­ment des Films ein bisschen zu pittoresk und betont zuge­mülltes altes New York gestreunt ist, das Ed Lachman mit einem gelben Filter getönt hat. Er hat sich mit einem Farbigen ange­freundet, beide über­nachten im Museum. To make a long story short: Irgend­wann trifft er Rose, die nun eine alte Frau und seine Groß­mutter ist, und ihm die Geschichte des Vaters erzählt, der früh verstarb.

+ + +

»Was soll dieser Film?« fragt man sich zwischen­durch. Wonder­s­truck ist guter Kitsch, aber eben doch Kitsch. Er handelt von Museen, vom Kura­tieren, von Wunder­kam­mern, vom Modellbau (Rose baute mit dem »New York«-Diorama für die Welt­aus­stel­lung 1964 das größte Diorama der Welt – tatsäch­lich gibt es das, es stammt aber von einem Mann, Robert Moses – just google it!), von Rasse, und Vater­suche.
Was großartig ist, das ist die Musik – »Fox on the Run«, »Also sprach Zara­thustra« in der von mir komplett verges­senen Seventies-Elektro-Version. In seinen besten Momenten ist das ein Welt­ent­zif­fe­rungs­film, der uns lehrt die Welt als Reich der Zeichen zu verstehen und lesen zu lernen. Eine Feier der Schönheit, der Modelle, der Zeit der 70er. Aber eben auch einfach Kitsch.

+ + +

Schon wieder ein Kind. Schon wieder etwa 12, also gerade noch nicht pubertär, noch mehr Kind als Erwach­sener. Ist das ein allgemein sich stei­gernder Infan­ti­lismus, dass erwach­sene Regis­seure ihrem Publikum die Iden­ti­fi­zie­rung mit Kindern, diese Kinder­sicht nahelegen? Regres­sion?
Zumindest in diesem Fall spricht einiges dafür: Okja ist der neue Film des Koreaners Bong Joon-ho, der mit Memories of Murder, The Host und Snow­piercer gezeigt hat, zu was für unge­wöhn­li­chen Werken er fähig ist. Das lebt er hier wieder. Über die Produk­tions- und Rezep­ti­ons­be­din­gungen des Teufels­pakts mit »Netflix« haben wir in der vorhe­rigen Ausgabe bereits geschrieben.
Der Film ist zunächst einmal überaus unter­halt­sames Jahr­marktskino der Sensa­tionen und schnellen Abwechs­lungen, ein Crowd­p­leaser.

+ + +

Es beginnt mit einer TV-Show, Tilda Swinton ist Unter­neh­merin und verkauft in diesen zynischen Show-Welten den Wett­be­werb um das »Super-Schwein«. »10 Jahre später« dann landen wir in einer südko­rea­ni­schen Idylle: In para­die­si­schen Zuständen, die visuell auch wieder an Spielberg (Jurassic Park, The Lost World: Jurassic Park) erinnern wächst das weibliche Super­schwein Okja auf, betreut und geliebt von der kleinen Mija, die von ihrem Großvater erzogen wird, die Eltern sind – auch das, die Abwe­sen­heit der Eltern dieser Film­kinder, ist ein auffal­lend beliebtes Motiv. Das Tier ist intel­li­gent, mitfüh­lend, und eines Tages rettet es Mija sogar das Leben, indem es sein eigenes Leben beinahe für das Kind opfert.
Kurz darauf kommt Show­master Jake Gyllen­haal und will das Super­schwein nach New York mitnehmen, zum großen Showauf­tritt, und um es danach in Super-Wurst zu verwan­deln.
Die böse Verwer­tungs­ra­tio­na­lität des Kapi­ta­lismus steht also dem Schla­raf­fen­land eines um seiner selbst willen vor sich hin wesenden verlo­renen Natur­pa­ra­dieses gegenüber. Eine unglaub­lich schlichte Natur­moral stellt dem guten Landleben die böse Urbanität gegenüber. Mija reist dem Schwein in diese Stadt nach, will es befreien. In der besten Passage des Films wird Okja tatsäch­lich befreit, wenn auch weniger mit Hilfe von Mija, als der einiger mili­tanter Tier­be­freier: Die »Animal Libe­ra­tion Front« »pignapped« die Supersau, flieht mit ihr durch Straßen und in eine Shopping-Mall, die lein­wand­wirksam und vergnüg­lich in ihre Einzel­teile zerlegt wird.

+ + +

Bong hat hier auch Spaß daran, sich über linke Akti­visten lustig zu machen, ihre Rhetorik und frommen Lügen zu entlarven. Das Hauptziel sind aber die inter­na­tio­nalen Corpo­ra­tions, die kaputten und moralisch verkom­menen Insassen ihrer Manage­ment-Etagen, sowie die für die Groß­un­ter­nehmen ange­stellten Nutten des PR-Betriebs, die Anwälte, die Bankiers. »Ever­y­thing is a lie« lernen wir – das ist billig aber wirksam.
So ist Okja eine mitunter etwas naive, aber immer schwarze Komödie, in der Tilda Swinton eine hübsche Doppel­rolle als jeweils unter­schied­lich verrückte Zwil­lings­schwes­tern hat, mit Stepp­jacke, Gebiss und Thatcher-Appeal.
Natürlich ist das ein anti­mo­derner Film, gerade in seinem Naturbild, und man kann das alles nicht Ernst nehmen. Aber eine ganze Weile macht er Spaß.

+ + +

Zugleich ist es schon eine seltsame Ironie, dass hier eine Film­fa­brik sich darin gefällt, eine Fleisch­fa­brik zu kriti­sieren. Dass der Kapi­ta­lismus damit Geld verdient, dass er den Anti­ka­pi­ta­lismus verkauft. Es ist natürlich auch nur ein weiteres Indiz für den perversen Charakter.
»Ist Netflix denn eine Film­fa­brik?« fragt Martina. Ich meine schon: Ja klar. Es ist ein Indus­trie­un­ter­nehmen, das Filme ausschließ­lich dazu herstellt, mit ihnen Geld zu verdienen und den Börsen-Warenwert des Unter­neh­mens zu steigern. Okja nun wirkt wie eine Bewerbung für den Kauf durch Disney.

+ + +

»Schwein­chen Babe in der großen Stadt« sagte Daniel Kothen­schulte im Gespräch nach dem Film, das trifft es recht gut.

+ + +

In der dies­jäh­rigen Wett­be­werbs-Jury sitzen in diesem Jahr besonders viele Regis­seure: Neben Jury­prä­si­dent Pedro Almodovar, Maren Ade, Agnès Jaoui, der Koreaner Park Chan-wook, der Italiener Paolo Sorren­tino, außerdem die Schau­spieler Jessica Chastain, die chine­si­sche Schau­spie­lerin Fan Bingbing, Will Smith, und der fran­zö­sisch-liba­ne­si­sche Komponist Gabriel Yared. Die Regis­seure sind also in der Mehrheit. Das muss trotzdem kein Vorteil sein, in der Vergan­gen­heit haben schon öfters Jurys aus besonders vielen und besonders guten Filme­ma­chern bei Festivals auffal­lend schlechte Entschei­dungen getroffen – denken wir nur an die beiden Goldenen Palmen für Ken Loach mit den Jury­prä­si­denten Wong Kar-wai und George Miller, oder der Sieg für Michael Mooore unter Tarantino, oder für Audiards Dheepan unter den Coen-Brüdern. Dagegen gab tolle Preise, wenn eine Schau­spie­lerin Präsi­dentin war, wie Catherine Deneuve und Isabelle Huppert. Viel­leicht sollte ich sagen: eine fran­zö­si­sche Schau­spie­lerin.

(to be continued)