16.05.2016
69. Filmfestspiele Cannes 2016

Jenseits des Nerven­zu­sam­men­bruchs

Toni Erdmann
Einfach nur ein guter Film. Ein sehr guter: Maren Ades Toni Erdmann. Jetzt bloß nicht zu viel erwarten!
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Filmwelt Verleihagentur GmbH)

Die perfekte Balance von Ernst und Humor: Die Reaktion auf Maren Ades deutschen Cannes-Wettbewerbsbeitrag Toni Erdmann ist sensationell – Cannes-Notizen, 6. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Freudige Über­ra­schung: Während ich nach der über­frach­teten, irgendwie nerv­tö­tenden russi­schen Thea­ter­ver­fil­mung The Student noch ziemlich verpeilt in der Schlange für den gleich wieder nächsten Film stehe, Maren Ades Toni Erdmann, spricht mich eine nett ausse­hende Frau an und sagt »Hallo«; sie nimmt dankens­wer­ter­weise noch ihre Sonnen­brille ab, dann erkenne ich: Es ist Laura Tonke. Sie ist seit langem auch mit Maren Ade befreundet und ist hierher mit zur Premiere gekommen.

+ + +

Was dann kam, war der Hammer! Mehr­fa­cher lauter Szenen­ap­plaus, und das über viele Sekunden. Mehr­fa­ches schal­lendes Gelächter im Saal. Lange Standing Ovations. Diese drei Dinge erlebt man nicht oft in Cannes, und dass das alles zusam­men­kommt, das gab es nie in den letzten Jahren bei jenem unter den großen europäi­schen Festivals, das am meisten alteu­ropäi­schen Stil und Etikette hochhält. Die profes­sio­nellen Zuschauer hier im Saal haben schon vieles, wenn nicht alles gesehen; jeden­falls sind sie nicht leicht zu rühren und noch weniger zu bezaubern.
Man soll ja mit Super­la­tiven vorsichtig sein, aber wenn es dann doch einmal geschieht, dass Szenen­ap­plaus, fröhlich entspanntes Gelächter und stehende Ovationen sich verbinden, und dann ein Film noch in allen Kritiker- und Publi­kums­spie­geln in Führung liegt, dann ist diese Reaktion auf den deutschen Wett­be­werbs­bei­trag Toni Erdmann von der Berli­nerin Maren Ade eine Sensation.

+ + +

Der Film selbst ist nicht sensa­tio­nell, sondern einfach sehr gut. Kontrol­liert, klug gedacht, aber immer wieder auch anar­chis­tisch, nahezu perfekt in seiner Balance von Humor und Serio­sität, Dada-Spaß und Ernst. Streng, aber ohne ästhe­ti­sches Korsett und Kunstkino-Verschwu­belt­heit, ist Toni Erdmann ein Vergnügen: Ein durch und durch seltsamer, unver­gleich­li­cher Film, der manchmal rührt, gele­gent­lich erschreckt, oft erstaunt, bewegt, fesselt, zu Wider­spruch und Kommentar reizt und trotz knapp drei Stunden Laufzeit kurz­weilig bleibt. Alles in allem ist der Film zwar eine absurde Komödie, aber eine, die Licht­jahre entfernt ist von allem was in den letzten 20 Jahren als »deutsche Komödie« firmierte und doch fast immer eine intel­lek­tu­elle Belei­di­gung des Publikums war.
Ades leicht­hän­diger Film lässt trotzdem manchmal durch­scheinen, dass Komödien in der Kunst das Schwerste sind, weil sie – wenn sie auch noch intel­li­gent sein wollen – der Trau­rig­keit ganz nahe stehen.

+ + +

Ade erzählt eine Vater-Tochter-Geschichte: Vater Winfried (Peter Simo­ni­schek), der auch als Komiker auftritt, besucht seine Tochter Ines (Sandra Hüller), die – um die 40 – als Control­lerin für eine deutsche Firma in Rumänien arbeitet. Der über­fall­ar­tige, über­ra­schende Besuch passt der gar nicht in den Kram, weil gerade ein wichtiges Projekt vor dem Abschluss steht. Sie bittet den Vater abzu­reisen, doch der quartiert sich im Hotel ein und taucht nun als »Toni Erdmann«, eine myste­riöse Figur zwischen Wirt­schafts­coach, entlar­vendem Dada-Komiker und Nerven­säge ständig im Leben der Tochter auf. Die braucht eine Weile um sich an »Toni Erdmann« zu gewöhnen und dessen Präsenz zu akzep­tieren.

+ + +

Der eine oder andere kennt viel­leicht Andy Kaufman, oder er wird sich an Man on the Moon erinnern, den auch schon siebzehn Jahre zurück­lie­genden, vorletzten Film von Milos Forman, ein Biopic über Kaufman, das als Film recht durch­wachsen war, aber auf diesen hoch­in­ter­es­santen, einma­ligen Komiker aufmerksam machte. Kaufman ist, scheint mir, ein klares Model für diese Toni-Erdmann-Figur.

+ + +

Sehr schön und inter­es­sant ist des dada­is­ti­sche und anar­chis­ti­sche Moment in dem Film. Aber noch inter­es­santer ist die scharfe, bis in die Groteske scho­nungs­lose Analyse der realen Wirt­schafts­welt und ihrer alltäg­li­chen Absur­di­täten, ihrer Sprache, ihrer Verlo­gen­heiten.
In diesem Manager-Sprech reden die Leute immer vom »Thema« – das hat inzwi­schen in die Behörden Einzug gehalten. Sie reden vom »Pilot-Asset«, vom »Business-Case«, sie sagen immer zuerst »I totally agree with you« bevor sie wider­spre­chen. Ihre Selbst­kritik nach der Präsen­ta­tion lautet: »Ich konnte mir den Raum gut nehmen. Die Körper­sprache, die entgleitet mir manchmal.«

Hüllers Ines ist eine richtige Arschloch-Managerin. Sie verachtet Leute ohne Geld, behandelt Ange­stellte schlecht, prak­ti­ziert »nach unten treten, nach oben buckeln«. Ade hat hier das Psycho­gramm einer im Prinzip angst­er­füllten Existenz geschaffen, die keinen Hauch von Freiheit und Selbst­be­wusst­sein kennt, jene Souver­ä­nität, die diese Kreaturen so gern für sich in Anspruch nehmen.

+ + +

Deutsche mit Humor, und dann noch einem Witz zwischen Klugheit und Groteske – nichts hat das inter­na­tio­nale und auch das deutsche (!) Publikum in Cannes mehr über­rascht, als diese Verbin­dung. In einem unge­wohnten, entspannten, von grund­sätz­li­cher Beiläu­fig­keit geprägten Tonfall erzählt Ade vom modernen Leben: Von schnellen Geschäften und schlechtem Sex, dem Aufgehen des Privaten in der univer­salen Verwer­tungs­ma­schine des Marktes, und dem Ende der Intimität, das die westliche Welt gerade erlebt.

Possen­reißen und der fiktive Zweit­cha­rakter sind für den Vater eine ähnliche Abwehr­stra­tegie wie das Effi­zi­enz­ge­rede und Wirt­schafts-Kauder­welsch für die Tochter – so wird Ades Film auch zum Kommentar auf Verhält­nisse, in denen der Spaß universal wird, weil er das einzige ist, auf das die Gesell­schaft sich noch einigen kann. Unter­hal­tung um jeden Preis macht die Menschen krank und ist nur die andere Seite der Durch­ra­tio­na­li­sie­rung aller Verhält­nisse – das zeigt »Toni Erdmann«.

+ + +

Mit Toni Erdmann ist die 39-jährige Ade zu einer führenden Stimme einer neuen globalen Kino-Gene­ra­tion geworden, die sich weder an Hollywood, noch am hohem Ton des Autoren­kinos fast doppelt so alter Regis­seure orien­tiert, ein Kino, das natio­naler und kultur­kämp­fe­ri­scher Verengung, jenseits der plumpen Sozi­al­kritik und Geschlech­ter­kämpfe der Älteren, aber auch jenseits der Infan­ti­li­sie­rung der Welt durch eine total gewordene Unter­hal­tung wieder die großen, ganz einfachen Fragen stellt: Nach Glück und dem Sinn des Lebens. »Das Problem ist«, so lautet fast der letzte Satz dieses Films, »dass es oft nur ums Abhaken geht. Da muss man dies machen, dann macht man das. Wie soll man den Augen­blick fest­halten?«

+ + +

Man hätte ja vorher gesagt, das geht nicht, so ein Film. Oder nicht? Toni Erdmann ist unglaub­lich mutig. Er wagt sich vor und macht einfach Dinge, die »nicht gehen«.
Die Über­ra­schung heißt wie gesagt: Deutsche mit Humor. Aber man muss ehrli­cher­weise hinzu­fügen: Der eine Haupt­dar­steller ist Öster­rei­cher und der Großteil des Films spielt in Rumänien. In denen Szenen, die dann wieder in Deutsch­land spielen, gibt’s dann auch nicht mehr viel zu lachen.

+ + +

Kann man sich jetzt nicht einfach mal freuen? Muss man jetzt gleich fragen, ob es die Goldene Palme wird? So ungefähr fragt Maren Ade jetzt. Aber ich glaube, wie sie selber, dass es nunmal nicht so funk­tio­niert. Wer einen Film im Wett­be­werb zeigt, bei dem wird ein möglicher Sieg zumindest debat­tiert, wenn der Film so gut ange­kommen ist.

+ + +

Aber Vorsicht: Jetzt nicht gleich wieder die Dinge zu hoch hängen. Fast will man schon wieder warnen, auch nicht zu viel zu erwarten. Der Film hat auch ein paar kleine Schwächen, auch wenn wir darüber ein andermal reden. Toni Erdmann ist nicht die Antwort auf alle Fragen, das deutsche Kino betref­fend. Dies ist keine Offen­ba­rung, noch nicht einmal eine Sensation. Sondern einfach ein guter Film. Ein sehr guter.

(to be continued)