27.06.2013
30. Filmfest München 2013

»Starke Frauen, starke Filme«

Foxfire
Starke Mädchen haben die Hosen an, auch schon in den 50ern –
Laurent Cantets stimmiger Foxfire

Frauen-Offensive auf dem Münchner Filmfest – Versuch einer feministischen Filmbetrachtung

Von Dunja Bialas

Seit mit Diana Iljine zum ersten Mal in der Geschichte des Filmfests München eine Frau an der Spitze des Festivals steht, ist die Aufregung groß: »Eine Frau soll Filmfest-Chefin werden« titelte etwa 2011 die Süddeut­sche Zeitung am 8. März, dem Inter­na­tio­nalen Frauentag. Zufall? Ja, purer Zufall, was die Schlag­zeile aber nicht zum Positiven wendet. Denn im Artikel wird über die Tatsache, eine Frau an der Spitze eines Festivals dieser Größen­ord­nung zu haben, keine weiteren Worte verloren, es ging nur um die Aufge­regt­heit der Schlag­zeile: »Eine Frau…!«

In einem Interview wurde Frau Iljine dann bei Amts­an­tritt gefragt, ob es noch andere Frauen in Führungs­po­si­tionen von Festivals gäbe. Leider war Frau Iljine keine bekannt, aber sie war ja auch erst kurz im Amt. Eher sollte man sich doch über die Art der gestellten Frage wundern. Nur kurz, zur Erin­ne­rung: Festivals, die in Deutsch­land in der Vergan­gen­heit von Frauen geleitet wurden oder aktuell werden, sind die deutsch-fran­zö­si­schen Filmtage in Tübingen, Ex-Ground in Wiesbaden, das Festival der Menschen­rechte in Nürnberg, das Inter­na­tio­nale Doku­men­tar­film­fes­tival in München, das Film­fes­tival Max-Ophüls-Preis in Saar­brü­cken, und das Inter­na­tio­nale Frau­en­film­fes­tival in Dortmund und Köln.

Auch im Jahr zwei von Frau Iljine und im Jahre eins von »Flexi-Quote«, Herd­prämie, Femen & Co., sind die weib­li­chen Eigen­schaften, die die Film­fest­lei­terin »prag­ma­tisch« hinter sich zu lassen weiß, erwäh­nens­wert. So schrieb die »SZ« am 22. Juni: »Diana Iljine ist zwar eine Frau mit langen blonden Locken, doch eine, die vor die Entschei­dung gestellt, entweder mörde­ri­sche Highheels zu tragen und großartig auszu­sehen oder doch lieber was Flaches und auch nach 23 Uhr noch klar denken zu können, immer den Bequem­schuh wählen würde. Das ist ein Prag­ma­tismus, der einen von der Stelle bringt.« Vorsichts­halber unter­stellen wir dem Artikel eine nicht ganz ernst gemeinte Überer­fül­lung des »People«-Genres. Dennoch verwun­dert das Herum­reiten auf die natur­ge­ge­benen Weib­lich­keit der Leiterin.

Bevor ich nun selbst unter Recht­fer­ti­gungs­druck gerate ange­sichts des Vergröße­rungs­glases, das ich auf das Thema »Frau Iljine ist eine Frau« halte, muss gesagt werden: Das offi­zi­elle Motto des dies­jäh­rigen Filmfests lautet: »Starke Frauen, starke Filme«. Und wird so begründet: »In vielen Filmen spielen coura­gierte Frauen eine große Rolle. Aber auch viele Schau­spie­le­rinnen und vor allem Regis­seu­rinnen prägen das Programm.« Auch das Filmfest setzt also ein Ausru­fe­zei­chen hinter die Tatsache Frau. Und anstatt mich darüber aufzu­regen und ein Plädoyer für den Post-Gende­rismus zu halten, greife ich dies auf und mache etwas, was ich noch nie gemacht habe: Ich nehme das Programm des Filmfests unter femi­nis­ti­schen Gesichts­punkten unter die Lupe.

Endlich mal »Das andere Geschlecht lesen«

Da ist zunächst Fanny Ardant, die Große, eine der Heroinen des dies­jäh­rigen Festivals. Einmal taucht sie wie eine hallu­zi­no­gene Erschei­nung in dem sehr macho­haften, wenn auch ironisch gebro­chenen »Bunga-Bunga«-Film von Paolo Sorren­tino auf, La grande bellezza. Auch in Les beaux jours von Marion Vernoux, in dem sie die Haupt­rolle spielt, ist Fanny Ardant durch und durch Dame mit einem mädchen­haften Körper, blond­ge­färbten Haaren, tief­schwarz umran­deten Augen und sphin­x­ar­tigem Lächeln. Marion Vernoux (Love etc., Dreh­buch­au­torin von Vénus beauté unter Regis­seurin Tonie Marshall) insze­niert die Grande Dame des fran­zö­si­schen Kinos als scheues Ding, das einem lüsternen Jüngling verfällt; es geht kurz um das Altern der Frauen, ihre sexuellen Wünsche, ihr Recht darauf, ihnen nach­zu­geben, wenn sich Gele­gen­heit bietet – und dann doch nur jemandem auf dem Leim zu gehen, der sein Testos­teron nicht im Griff hat.

Vernoux lässt Ardant einmal sagen, ihr Vorhaben für das Pensi­ons­alter wäre »Das andere Geschlecht« der Simone de Beauvoir zu lesen. Viel­leicht legt sie mit diesem Satz die Uneman­zi­piert­heit als deut­li­ches Manko in die Figur der Caroline, der erfolg­rei­chen Zahnärztin. Die, kaum nähert sich ihr ein Mann, in ein schüch­ternes Flüstern, nein, Hauchen verfällt. In ihrem Kampf gegen die Liebe und ihre eigenen sexuellen Begierden insze­niert Vernoux sie oft in unwür­digen, unter­wür­figen und abhän­gigen Weibchen-Posi­tionen, was deshalb so ärgerlich ist, da sie in jeder Szene als Frau insze­niert wird, und nicht, allge­meiner, als Mensch. In jeder Szene sollen wir die Ardant bewundern, die sich toll gehalten hat, obwohl sie schon über 60 ist, die mädchen­haft ist, obwohl schon über 60, mit einer jugend­li­chen Silhou­ette, obwohl schon über 60. Der jederzeit der Kopf verdreht wird, weil sie im Grunde ein Dummchen und eine Mario­nette in der Hand der Männer ist, kaum erhält sie Aner­ken­nung, die sich aber wiederum auf ihre physische und gesell­schaft­liche Attrak­ti­vi­täten der sicht­baren Ober­fläche bezieht. Die fran­zö­si­schen Frauen mögen zwar beruflich erfolg­reich sein, kreuzt aber ein Mann ihren Weg, mutieren sie zu willen­losen Weibchen, so das Fazit beim Sehen des Films. (Les beaux jours, Sa., 29.06., 19:30 Uhr, Arri, und Mi., 03.07., 22:30 Uhr, Arri)

Dann doch: Der Tod des Märchen­prinzen

Agnès Jaoui behauptet sich schon seit Le goût des autres (Lust auf Anderes, 2000) als starke Regis­seurin. Ihre Stärke ist ihr unüber­treff­barer Sinn für Humor, den sie in aber­wit­zigen Szenen und trockenen Dialogen, die sie gemeinsam mit Jean-Pierre Bacri ersinnt, ausagiert. In Au bout du conte (wörtlich »Am Ende der Erzählung«, aber auch als Wortspiel »Au bout du compte«, etwa: »was am Ende bleibt«) zersetzt sie gekonnt und mit viel Leich­tig­keit das Märchen vom Traum­prinzen: Sie nimmt erkenn­bare Versatz­stücke (Aschen­puttel, Schnee­witt­chen, Rapunzel), fügt diesen ein paar Prisen Marivaux'sche Geschlechter- und Liebes­ver­wir­rung hinzu und sieht dann genuss­voll zu, wie sich unter der expe­ri­men­tellen Anordnung alle Träume in Luft auflösen.

Gesell­schaft­liche Reali­täten und märchen­haftes Setting kreuzt Jaoui zu einer herrlich alp/traum­haften Grund­kon­stel­la­tion der Figuren, mit bösen Schwie­ger­müt­tern und allein­er­zie­henden Frauen, die Männer von ihrem Grant befreien und zu ihrer Seele hinführen. Das Opfer am Ende (»Au bout du conte / compte«) ist das erwachsen gewordene Mädchen (Agathe Bonitzer), das den Verfüh­rungs­künsten des diabo­li­schen Musik­kri­ti­kers Wolf (passen­der­weise darge­stellt von Benjamin Biolay) verfällt und darüber ihren Traum­prinzen verliert. »So ist die Liebe: grausam«, bleibt ihr als Fazit des gebro­chenen Herzens. Jaoui, und das ist tatsäch­lich stark, zeigt, wie schwach die Frauen in der Liebe sind, aber auch die Männer, bis auf den Puppen-Spieler Wolf. Eben alle bis auf den Spiel­leiter, ganz wie in der Liebes­kon­zep­tion eines Marivaux vorge­sehen, in der sich die Inna­mo­rati die Liebe gegen­seitig und sich selbst (ein)gestehen und dabei vorein­ander schwach werden. (Au bout du conte, Sa., 29.06., 14:00 Uhr, Atelier 1, Fr., 05.07., 19:30 Uhr, Atelier 1, Sa., 06.07., 17:00 Uhr, Atelier 1)

Endlich: Freiheit (des Plots)

In den klugen Momenten des Lebens und der Gesell­schaft löst sich die Geschlech­ter­di­cho­tomie auf, es gibt nicht mehr »die Männer« und »die Frauen«. Das wäre dann die Utopie des Geschlech­ter­mit­ein­an­ders oder, wie die »SZ am Wochen­ende« am 22. Juni träumte: »Beide Seiten könnten die Kate­go­rien 'Frauen' und 'Männer' kurz mal links liegen lassen und es probe­halber hiermit versuchen: 'wir'.«

In Le temps de l’aventure löst sich die Geschlech­ter­dif­fe­renz in ein Zusam­men­spiel der Körper auf, in dem es nicht mehr um Gender geht, sondern nur noch um Sensua­lität, Inten­sität und Entgren­zung. Emma­nu­elle Devos, zwei­fels­ohne eine der fran­zö­si­schen Schau­spie­le­rinnen, die für die Rollen von starken Frauen besetzt werden, spielt die Thea­ter­schau­spie­lerin Alix, der ein ganzer Tag aus dem Ruder läuft. Das Mobil­te­lefon hat keinen Saft mehr, die Credit­karte ist gesperrt, mit der Schwester liefert sie sich einen befrei­enden Schlag­ab­tausch, ihren Freund erreicht sie nicht, bei den unzäh­ligen Male, in denen sie ihn aus der Tele­fon­zelle aus anruft. Le temps de l’aventure zeigt ein inten­sives Kino des persön­li­chen Schei­terns, an einem Tag, der ein wenig verrückt ist, weil sich die Parameter verschoben haben. In diesem Ausnah­me­zu­stand wird Alix wie magne­tisch angezogen von einem älteren Herrn (Gabriel Byrne), und dieser von ihr. Im Hotel­zimmer lieben sie sich, einmal, zweimal. Gehen raus in die Straßen und lassen sich treiben, durch das Paris der Fête de la Musique, die gerade statt­findet.

Der fünfte Langfilm von Jérôme Bonnell zeichnet sich aus durch eine Beiläu­fig­keit und Unauf­ge­regt­heit, die auf subtile Art die Seelen­zu­stände seiner Prot­ago­nisten freilegen. Der Film läßt sich treiben wie die Figuren, mit einer zurück­ge­nom­menen Drama­turgie und ohne großen narra­tiven Gestus. Er findet statt im ahnungs­vollen, aber letztlich unwis­senden Beschreiben von Situa­tionen, in die seine Figuren geraten, und zeichnet ein vages Bild des Absurden, das das Exis­ten­ti­elle des Lebens und unsere eigene Gewor­fen­heit zutage bringt. (Le temps de l’aventure, Do., 04.07., 19:30 Uhr, Atelier 1, Fr., 05.07., 17:00 Uhr, Atelier 1, Sa., 06.07., 17:30 Uhr, Atelier 2)

Starke Frauen, finally

Ist echte Stärke, die keine Schwäche mehr kennt? Die Foxfire-Bande, eine Gang aus jungen Mädchen, die sich in den USA der 50er Jahre gegen die selbst­herr­li­chen Angriffe und sexuellen Über­griffe von Männern mit brachialer Gewalt wehrt, kennt weder Gnade noch Furcht. Laurent Cantet hat den gleich­na­migen Roman von Joyce Carol Oates verfilmt und genau hinge­sehen, wie sich in den 50er Jahren die patriacha­li­schen Struk­turen wie ein Netz über die gesell­schaft­li­chen Möglich­keiten der Frauen legten und sie fest­hielten, bis sie erstickten, wie April Wheeler in Revo­lu­tio­nary Road. Im oftmals dichten Close-up und mit einer stark bewegten Kamera zeichnet Cantet ein inten­sives Grup­pen­por­trait junger Frauen zwischen Spring Breakers, Femen und Pussy Riot, die nicht mehr warten wollen, bis man ihnen etwas zuteilt. Cantet hat mit Foxfire – Confess­sions of a Girl Gang seinen ersten Kostüm­film hingelegt, und seinen ersten Film, den er komplett auf Englisch gedreht hat. Er zeigt das Stagnieren einer Gesell­schaft, zeigt, welchen Weg mitunter Menschen gehen müssen, die ihrer Zeit voraus sind, zeigt die Härte und den Kriegs­zu­stand des vergan­genen Geschlech­ter­kampfs.
Die starken Frauen, auch das macht Cantet deutlich, werden hier von schwachen Männern hervor­ge­bracht, die so schwach sind, dass sie den Frauen keinerlei Stärke zuge­stehen wollen. Die starken Frauen sind aber auch jene, die maro­die­rend durch die Gesell­schaft ziehen, ohne wirk­li­ches Ziel, weil man ihnen in den 50er Jahren keins gab. (Foxfire – Confess­sions of a Girl Gang, Sa., 29.06., 16:30 Uhr, Atelier 1, So., 30.06., 21:30 Uhr, Atelier 1, Mi., 03.07., 14:00 Uhr, Atelier 1)

In der heutigen Zeit sieht dies, folgt man der »SZ«, nicht wesent­lich anders aus: »Kompli­mente von Männern sehen die Frauen als sexuelle Beläs­tiung, an der Stagna­tion im Job ist ausschließ­lich der Chef schuld.« Und wenn jetzt sogar die aufge­drehten Femen-Akti­vis­tinnen nach dem allseits beklatschten »Germany’s Next Topmodel«-Auftritt unter Beschuss geraten, weil ihre Aktionen blind und ins Leere verlaufen, möchte man ausrufen: Frauen, fokus­siert Euch, und werdet stark dabei!

Abschließend zur dem dies­jäh­rigen Motto geschul­deten »femi­nis­ti­schen« Film­be­trach­tung würde ich mich gerne folgenden – sonst immer weit von mir gewie­senen – Fragen stellen: Gibt es ein weib­li­ches Filme­ma­chen? Unter­scheiden sich die Insze­nie­rungen der Frau durch eine Geschlechts­ge­nossin von denen eines Mannes? Und lassen sich daraus Rück­schlüsse ziehen, für das Selbst­ver­s­tändnis der Frau, für die Sicht­weise des Mannes auf die Frau? Die Beispiele der fran­zö­si­schen Filme – soweit bislang gesehen – lassen zumindest folgende, vorläu­fige Thesen zu:
1. Frauen insze­nieren Frauen eher in Bezug auf den Mann und weniger als selb­stän­dige und sich selbst erfor­schende Wesen.
2. Frauen sind schwach – so sehen sie sich selbst.
3. Frauen sind stark – aus der Sicht der Männer.
4. Die Differenz zwischen den Geschlech­tern ist unüber­windbar, wenn auch anders als gedacht.
Und, um ein abschließendes Wort für die fran­zö­si­schen Spiel­filme zu formu­lieren: Sie neigen, pauschal gesagt, dazu, auch eman­zi­pierte und beruflich erfolg­reiche Frauen als schwach zu zeigen, was aber immer mit der Liebe zu tun hat, der sie erliegen. Was erklärt, warum sich viele Filme aus Frank­reich so ähnlich sind. Will man anderes erzählen, bleibt bisweilen nur der Ausweg, raus aus Frank­reich und weg in eine andere Zeit.