10.02.2011
61. Berlinale 2011

Heimat­filme anderer Art

Wer wenn nicht wir
August Diehl und Lena Lauzemis in Wer wenn nicht wir von Andres Veiel
(Foto: Senator Film Verleih GmbH / Central Film Verleih GmbH)

Heute beginnt die Berlinale – was bietet das deutsche Kino?

Von Rüdiger Suchsland

Das kann ja gar kein Reinfall werden: Mit den Coen-Brüdern zur Eröffnung ist Dieter Kosslik, dem Direktor der »Inter­ma­tio­nalen Film­fest­spiele Berlin« zum Auftakt seiner zehnten Berlinale ein beson­derer Coup geglückt – der viel­leicht zum Start eines glück­li­chen Jubiläums­fes­tival werden kann: True Grit heißt der neueste Film des Brüder­paares, die für ebenso so schrägen wie skurrilen Humor berühmt sind, und unter anderem mit Fargo und No Country for Old Men mehrfache Oscar-Ehren bekamen. Es ist ihr erster Western, und Cinephile wissen, dass es sich um das Remake eines 60er-Jahre Films mit John Wayne handelt. Jeff Bridges spielt den versof­fenen Helden, der einen Mörder jagt.

Aber nicht nur um Hollywood sollte es gehen bei einem solchen Festival, dass sich auch darin bewähren muss all dem eine große Bühne zu geben, das sonst gern übersehen wird: Wie dem deutschen Kino. Man erinnert sich, dass Dieter Kosslick schließ­lich seiner­zeit mit der unver­hoh­lenen Maßgabe zum Berlinale-Chef bestellt worden war, »dem deutschen Film mehr Gewicht zu verschaffen«. Die ökono­mi­schen Stand­ort­in­ter­essen der deutschen Film­in­dus­trie und Berlin-Bran­den­burgs gehen in diesem Fall mit den film­po­li­ti­schen des zustän­digen Staats­mi­nis­ters und den film­künst­le­ri­schen von Publikum und Kritik Hand in Hand – auch beim »Publi­kums­fes­tival« Berlinale ist der Markt noch wichtiger, als die Schlangen vor dem Kino.

Im Wett­be­werb um den Goldenen Bären sind diesmal drei deutsche Filme zu sehen: Schlaf­krank­heit heißt der Film von Regisseur Ulrich Köhler (Bungalow): Pierre Bokma und Jenny Schily spielen die Haupt­rollen. Köhler, der selbst einen Teil seines Lebens in Afrika als Kind von Missio­naren zubrachte erzählt von Deutschen, die in Afrika huma­ni­täre Hilfs­pro­jekte durch­führen, aber ihre ganz eigenen Probleme haben, und von einem Afrikaner, der nach Jahren in Deutsch­land nach Afrika zurück­kehrt – ein Heimat­film anderer Art. Das gilt wohl auch für Almanya – Will­kommen in Deutsch­land, der schon im Titel wie der obli­ga­to­ri­sche Film zur Sarrazin-Debatte erscheint. Denis Moschitto, Petra Schmidt-Schaller und Fahri Yardim spielen die Haupt­rollen, Axel Milberg, Jule Ronstedt, Walter Sittler und Katharina Thalbach haben Gast­auf­tritte in einer Komödie, der von dem Gast­ar­beiter erzählt, der Ende der Sechziger Jahre als 1.000.001 nach Deutsch­land kam – und die Prmie für den Milli­onsten denkbar knapp verpasste.
Regis­seurin Yasemin Samdereli drehte zuvor fürs Fernsehen die Multi-Kulti-Liebes­komödie Alles getürkt und arbeitete bei »Türkisch für Anfänger« mit.

Der wohl am gespann­testen erwartete Film stammt von Andres Veiel, der für seine Doku­men­tar­filme – Black Box BRD; Die Spiel­wü­tigen – seit Jahren preis­ge­krönt wird. Veiels erster Spielfilm Wer wenn nicht wir erzählt ein unbe­kanntes Kapitel aus der deutschen Kultur­ge­schichte – und zugleich der des deutschen Links­ter­ro­rismus: In der Bundes­re­pu­blik der späten Adenauer-Ära vor der Revolte von 1968 geht es um Bernward Vesper, Sohn des NS-Schrift­stel­lers Will Vesper, und selbst Schrift­steller und um seine Freundin Gudrun Ensslin. Was am Ende dieser extremen Liebes­ge­schichte stand, ist bekannt: Ensslins Weg in den Unter­grund und nach Stammheim, Vespers Abrech­nung mit dem Vater in »Die Reise« und sein Selbst­mord. August Diehl als Vesper, Alexander Fehling als »Baader«, vor allem aber Münchens neuer Thea­ter­star Lena Lauzemis in ihrer ersten Filmrolle stehen vor der Kamera, in Neben­rollen Susanne Lothar und Sebastian Blomberg. Der Film basiert auf dem nicht völlig unum­strit­tenen Sachbuch »Vesper, Ensslin, Baader« von Gerd Koenen.

Einmal Deutsche in der Fremde, einmal Fremde in Deutsch­land – und einmal ein histo­ri­scher Politfilm – diese breite Palette muss sich in einem Wett­be­werb behaupten, der von der »Papier­form« her keinen Favoriten hat.

Völlig unbe­schwert von solchen Gedanken gehen Dominik Graf, Christoph Hoch­häusler und Christian Petzold, die alle schon mit früheren Filmen zu Gast, ins Festival: Dreileben ist ein gemein­sames Projekt, ein Thriller um einen Seri­en­mörder, der in drei Filmen aus drei Perspek­tiven erzählt wird: Der des Täters, der eines Opfers, der einer Ermitt­lerin. Dreileben, der fürs WDR-Fernsehen produ­ziert wurde, wird zusammen in einer Vier­ein­halb­stunden-Vorstel­lung auf großer Leinwand gezeigt – schon jetzt einer der Höhe­punkte. In den Nebensek­tionen und der Nach­wuchs­reihe der Perspek­tive laufen mehrere Handvoll Filme, die bestimmt neben Licht auch Schatten bieten werden. Besondere Aufmerk­sam­keit verdient hier auf alle Fälle Wilm Wenders mit Pina, seinem Doku­men­tar­film über das Tanz­theater von Pina Bausch – 3D, und völlig anders als Avatar! Und Elke Hauck, deren zweiter Film Der Preis geht es um einen Thüringer Archi­tekten. Die verdrängte Vergan­gen­heit holt ihn ein, und er muss sich der Zeit der Wende 1988/89 stellen, und dem Ende einer Freund­schaft.