11.02.2010
60. Berlinale 2010

Der heilige Gral des deutschen Kinos

Metropolis
Megalomane Zukunft des Kinos
(Foto: Ufa)

Eine kurze Geschichte des Metropolis -Abenteuers – jetzt zeigt die Berlinale die neueste und bisher beste Rekonstruktion

Von Rüdiger Suchsland

Turm von Babel, Riesen­ma­schine, Apoka­lypse und Utopie; ein Panorama aus Fran­ken­stein, Sintflut, Paradies- und Höllen­vi­sionen; Phan­ta­sien aus altdeut­scher Romantik und neudeut­scher Kapi­ta­lis­mus­kritik, von bolsche­wis­ti­scher Massen­re­vo­lu­tion und faschis­ti­schen Unter­drü­ckungs­or­gien; ein visi­onärer Science-Fiction-Film, ein poli­ti­scher Entwurf; ein Trip; ein Dokument der Vermi­schung von Expres­sio­nismus, Futu­rismus und Neuer Sach­lich­keit; ein bombas­ti­scher, über­langer Blick ins Unbe­wusste der 20er Jahre – Fritz Langs Film Metro­polis ist das alles und noch viel mehr, in jeder Hinsicht ein Klassiker, so eklek­ti­zis­tisch wie genial, in seinen Einflüssen gar nicht abzu­schätzen: Ein filmi­scher Super­lativ, wohl nicht das beste aber das wich­tigste und bekann­teste Werk der deutschen Film­ge­schichte, eines der großen Meis­ter­werke des Kinos. Der größte Film, der bis dahin in Deutsch­land gedreht worden war, der teuerste deutsche Stummfilm überhaupt, und ein gigan­ti­scher Flop, der die Ufa ruinierte. Der erste Film, der von der Unesco zum Welt­do­ku­men­ten­erbe erklärt wurde. Eine gotische Kathe­drahle des Kinos. Sie wird an diesem Freitag erstmals wieder aufge­führt.

Ein tech­ni­scher Meilen­stein

Aufwendig waren vor allem die ange­wandten, oft technisch revo­lu­ti­onären Trick­ver­fahren für die Lang und sein Team auf wenig Erfahrung zurück­greifen konnten. Die wich­tigste Technik war das erstmals gebrauchte »Schüfftan-Verfahren«, das Minia­tur­mo­delle per Spiegel vergrößerte und die Kombi­na­tion von kleinen Modellen – etwa für Autos und Eisen­bahnen – und Einzel­bild­be­lich­tung – ermög­lichte. Nach jeder Aufnahme wurden die Modelle milli­me­ter­weise bewegt. Ebenfalls große Mühe erfor­derten die Mehr­fach­be­lich­tungen – bis zu 30 Mal hinter­ein­ander, um verschie­dene getrennte Aufnahmen zu einem Bild zu kombi­nieren – und monu­men­tale Studio­bauten. Für die Szenen der Über­schwem­mung wurden vier Becken für 1600 Kubik­meter Wasser gebaut, sowie kleinere Bassins für Sonder­ein­stel­lungen. Spezielle Licht­ef­fekte und Über­blen­dungen prägten Szenen wie die elek­tri­schen Ströme und der Vorgang der Mensch­wer­dung der Maschine. Dies revo­lu­tio­nierte die Aufnahme- und Trick­technik des gesamten Kinos.

Eine Film-Geschichte wie ein Krimi

Das Schicksal des 1925/26 in Berlin gedrehten Films (Haupt­rollen: Gustav Fröhlich und Brigitte Helm) ist für sich schon ein Abenteuer. Von den immens schwie­rigen, über­teu­erten und in vieler Hinsicht chaotisch verlau­fenen Dreh­ar­beiten ganz abgesehen – man kann darüber etwa im Katalog zur Fritz-Lang-Retro­spek­tive 2001 auf der Berlinale ausführ­lich lesen –, verlief auch die weitere Werk­ge­schichte wie ein Krimi.

80 Jahre lang hat ihn niemand mehr gesehen. Denn der Film war an der Kasse ein Reinfall – nicht aus Quali­täts­gründen, sondern weil die Ufa Schulden bei den Hollywood-Bossen hatte, und von den Ameri­ka­nern gezwungen wurde, US-Ware zu spielen. Nur 15.000 Zuschauer wollten den Film in den ersten Monaten nach seiner Premiere sehen. Aber das lag auch daran, dass Metro­polis selbst in der Haupt­stadt Berlin nur in ein einziges Kino kam. Auch die Kritik reagierte überaus reser­viert, kaum ein Autor gestand Metro­polis beson­deren Wert zu. Dem modernen Stil schenkte man vergleichs­weise wenig Aufmerk­sam­keit. »Erschöpft und apathisch« beschrieb etwa der Kritiker Rudolf Arnheim seine Reaktion. Hinzu kamen poli­ti­sche Einwände, die sich vor allem gegen die als kitschig und verlogen empfun­dene Versöh­nung der Klassen richteten. Manche unter­stellten »kommu­nis­ti­sche Tendenzen.« Andere bemerkten reak­ti­onäre, gar faschis­ti­sche Inhalte, eine Ansicht, die dadurch gestützt wird, dass Thea von Harbou Mitglied der NSDAP war und offen mit ihren Zielen sympa­thi­sierte. Siegfried Kracauer, der führende Kritiker jener Zeit, sah den Film rück­bli­ckend als unbe­wusste Vorweg­nahme der Krise der Demo­kratie und Hitlers Mach­ter­grei­fung.

Macht des Marketing: Populärer Torso in mund­ge­rechten Bissen

So reagierte die Ufa, und Metro­polis wurde kurz nach seiner Urauf­füh­rung am 10. Januar 1927 im Berliner Ufa-Palast (heute: Zoo-Palast) im April zurück­ge­zogen und im August 1927 offenbar gegen den Willen Langs aus Marke­ting­gründen vers­tüm­melt, in mund­ge­rechte Bissen zerlegt, ein für alle Mal zerstört, und eine ummon­tierte, um 45 Minuten kürzere, den Inhalt verfäl­schende Fassung ins Kino gebracht. Nur in dieser Fassung ist der Film außerhalb Berlins je gezeigt worden. Das Original ging verloren, mühsam rekon­stru­ierte man seit den 50er Jahren aus den in alle Welt zerstreuten Film­schnip­seln immer wieder neue Fassungen, die dem Original so nahe wie menschen­mög­lich kam – und die doch riesig weit entfernt: 118 Minuten war die bisher längste Fassung von 2001, 35-40 Minuten kürzer als das Original. Der Film, den wir bisher als Metro­polis kannten, ist also ein im strengen Sinne unau­to­ri­sierter, nach Kommerz­in­ter­essen zurecht­ge­stutzter Torso.

Unge­achtet seiner Torso-Gestalt wurde Metro­polis seit den 60-er Jahren wieder­ent­deckt und zunehmend populär. Er beein­flusste ganze Gene­ra­tionen von Science-Fiction-Fans, Film-Regis­seuren, Pop-Stars und vor allem die post­mo­derne Popkultur: Giordio Moroder eignete sich Metro­polis lustvoll an und bot 1984 eine 90-minütige, mit elek­tro­ni­schem Disco-Sound unter­legte Vision, Queen und Madonna zitieren Metro­polis in ihren Musik-Videos. Heute gilt Metro­polis allgemein als bekann­tester deutscher Film, als zeitloser Klassiker des Stumm­films und des Science-Fiction-Genres. Zeit­genös­si­sche Film­wis­sen­schaftler und Kritiker bemerken zwar »absurde Unge­reimt­heiten«, betonen aber die »Momente von geradezu unglaub­li­cher Schönheit und Kraft.« (Pauline Kael).

Restau­ra­tion unter Hoch­druck­tempo

Die Urfassung galt hingegen als endgültig verschollen, und nur wenige Film­his­to­riker wagen noch darauf zu hoffen, dass das Original eines Tages auftau­chen könnte – bis zum Sommer 2008. Da wurde in Buenos Aires im argen­ti­ni­schen Film­mu­seum das Dupli­kat­ne­gativ des Films gefunden – fast volls­tändig. Jetzt fehlen nur noch sechs Minuten.
Für die Restau­ra­teure war das nicht nur Arbeit unter Hoch­druck­tempo, es war auch technisch enorm schwer: Denn die Buenos-Aires-Fassung war zwar die längste Metro­polis-Kopie, sie war aber auch quali­tativ die schlech­teste: Nitro­ko­pien in 16mm von einer Kopie, die schon fast siebzig Jahre alt war und deutliche Gebrauchs­spuren trug – die Kopie einer beschä­digten Kopie.
Ein zweites Problem: Wo fehlten Stellen, und in welche Reihen­folge musste das vorhan­dene Material geordnet werden? Hier halfen die Noten der Origi­nal­musik des Kompo­nisten Gottfried Huppertz, die nun zusammen mit dem Film erstmals in annähernd voller Länge zu hören ist: Auf den Noten finden sich Hinweise zu den Bildern – damit die Musiker ihre Einsätze richtig plat­zieren.

Riesige »Herz-Maschine« in Neo-Babylon

Wie sieht der Film nun heute inhalt­lich aus? Ganz anders als vorher: Es gibt neue Figuren, die Bezie­hungen zwischen ihnen ist besser vers­tänd­lich. Zur Erin­ne­rung: Metro­polis erzählt in der bisher bekannten Version von einer Technik-Stadt der Zukunft, einem futu­ris­ti­schen Stadt­staat. Er ist streng in zwei Hälften geteilt: Unten leben die Arbeiter skla­ven­haft und in Dunkel­heit, wo sie an gigan­ti­schen Maschinen schuften, oben gibt sich die Ober­schicht dem Müßiggang im Luxus hin. Dort herrscht der auto­kra­ti­sche Indus­trie­ma­gnat Johann Fredersen über sie im »Neuen Turm Babel« mit einer riesigen »Herz-Maschine«, in sonnen­durch­flu­teten »ewigen Gärten« vergnügen sich die Kinder der Reichen, unter ihnen Frede­r­sens Sohn Freder. Dort taucht Maria auf, eine reine, blonde, charis­ma­ti­sche Schönheit aus der Unter­stadt, die sich dort für das Wohl­ergehen des Prole­ta­riats einsetzt, und diese zum Aufstand ermuntert. Der idea­lis­ti­sche Freder verliebt sich in sie, begibt sich nach unten und beginnt, gegen seinen Vater zu rebel­lieren. Doch der verfügt über eine geheime Waffe: Durch den größen­wahn­sin­nigen Wissen­schaftler Rotwang lässt er einen mani­pu­lier­baren metal­li­schen Roboter konstru­ieren, der das Antlitz Marias erhält, und so ihr boshafter, künst­li­cher Zwilling wird. Mit Hilfe dieses Maschinen-Menschen will der Indus­tri­elle die bevor­ste­hende Revolte irre­leiten und zur endgül­tigen Verskla­vung der Arbeiter nutzen. Der Aufstand der rasenden Masse führt zum Maschi­nen­sturm und zur tech­ni­schen Kata­strophe: Eine Sintflut zerstört die Unter­stadt, doch dann erkennen die Arbeiter die Mani­pu­la­tion, vernichten den Maschinen-Mensch als »Hexe«. Der zum Held gereifte Freder tötet Rotwang im Kampf. Sodann mündet alles in die Versöh­nung von Arbeitern und Ober­schicht, ein Happy End, das Fritz Lang später bedauerte: Kapi­ta­list und Arbeiter versöhnen sich unter dem Motto »Der Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein«. Freder erscheint als jene Verkör­pe­rung des »Mittler« und als Messias einer neuen Zeit, Maria wird seine Frau.

»Groß­spu­riger Stil«: »Ich habe gerade den aller­dümmsten Film gesehen«

Aber: »Was hier zählt, ist weniger die Handlung, als das Über­wiegen von Ober­fläch­lich­keiten in ihrer Entfal­tung«, schrieb Siegfried Kracauer vor über 60 Jahren, und beschrieb den »groß­spu­rigen Stil« des Films: Riesige Wolken­kratzer unter einem düsteren Himmel, Straßen­schluchten mit scheinbar schwe­benden Schie­nen­bahnen, Neon­lichter und Maschinen-Menschen: Fritz Lang schuf neue visuelle Effekte, die bis heute noch beein­dru­cken.

Inhalt­lich blieben viele Beob­achter so skeptisch, wie Kracauer. H. G. Wells schrieb in der New York Times: »Ich habe gerade den aller­dümmsten Film gesehen. … Origi­na­lität gibt es keine darin. Auch keinen eigen­s­tän­digen Gedanken. Keinen einzigen Moment lang glaubt man irgend­etwas von dieser blöd­sin­nigen Geschichte. Man kann nicht einmal darüber lachen. Es gibt keine einzige gutaus­se­hende, sympa­thi­sche oder lustige Figur in der Beset­zungs­liste. Mein Glaube an das deutsche Unter­neh­mertum hat einen Schock erlitten … Sechs Millionen Mark! Was für eine Verschwen­dung!«

Die Geschichte von Metro­polis beginnt eigent­lich früher: 1924, auf dem Höhepunkt der Goldenen Zwanziger schreiben Regisseur Fritz Lang und seine Frau, die Dreh­buch­au­torin Thea von Harbou, ihren neuen Film: Noch größer werden als die Zwei­teiler Dr. Mabuse, ein Paranoia-Thriller, und der Mythen-Fantasy-Film Die Nibe­lungen. Zugrunde lag dem Film der 1924 geschrie­bene, 1926 beim Publikum überaus erfolg­reiche, mit reli­giösen Analogien gespickte Zukunfts­roman Metro­polis von Thea von Harbou. Der Film folgt dieser grund­sätz­lich, unter­scheidet sich aber an einigen prägnanten Stellen von ihr. Die wich­tigste ist die Tilgung einiger weib­li­cher Figuren, wie Frede­r­sens Mutter, die die finale Versöh­nung einleitet. Anderes wurde im Drehbuch verstärkt: »Wir haben … einen Konflikt zwischen moderner Wissen­schaft und Okkul­tismus hinein­ge­schrieben«, resü­mierte Lang später, der sich für das Resultat als »zu wenigs­tens 50 Prozent verant­wort­lich« nannte. Der Film Metro­polis soll die sozialen Span­nungen der Weimarer Republik in eine Parabel fassen. Das Ergebnis war eine monu­men­tale Fantasie über einen Skla­ven­auf­stand und Maschi­nen­men­schen, voll futu­ris­ti­scher Visionen und archai­scher Angst­sze­na­rien – ein Meis­ter­werk!

Phan­tas­ma­gorie und Tagtraum

Metro­polis ist so eklek­ti­zis­tisch wie brillant, und einer der einfluss­reichsten Filme der Film­ge­schichte. Durch ihn wurde Lang neben D.W. Griffith und Sergej Eisen­stein zu einem visi­onären Bild-Erfinder des frühen Kinos. Seinen Ruf hatte Lang bereits 1923/24 mit Die Nibe­lungen begründet. So wie er dort eine mythische Speku­la­tion der Vergan­gen­heit entfaltet, ist Metro­polis ein in die Zukunft gewandter Zivi­li­sa­ti­ons­my­thos. Der Film entfaltet die Vision mensch­li­chen Zusam­men­le­bens, und stellt die soziale Realität des Klas­sen­kon­flikts einer – im Paar Freder/Maria – ideal­ty­pi­schen Versöh­nung sozialer Gegen­sätze in einer Zukunfts­welt gegenüber. Damit ist er einer der ersten Science-Fiction-Filme der Geschichte. Viele spätere SF-Filme, aber auch Künstler, Designer und Denker ließen sich durch seine imagi­na­tive Kraft inspi­rieren, und in ihrer Vorstel­lung von der mensch­li­chen Zukunft beein­flussen. Zugleich ist er in Setdesign, Handlung, wie dem Spiel der Darsteller und Insze­nie­rungs­weise (Kame­ra­ein­stel­lungen, wie Licht-Schat­ten­spiel), neben Das Cabinet des Dr. Caligari das beste Beispiel der Ästhetik des expres­sio­nis­ti­schen Films in Deutsch­land, dessen zentrale Stilm­erk­male – eksta­ti­sche Gefühls­aus­brüche, betont emotio­nale Gestik, »zerris­sene«, sichtbar durch expres­sio­nis­ti­sche Malerei beein­flusste Deko­ra­tionen, Iden­ti­täts­spal­tung der Figuren – sich hier finden. Zugleich ist er damit ein exem­pla­ri­scher Ausdruck seiner Zeit, der Weimarer Republik, deren verschie­dene, einander im Einzelnen oft wider­spre­chende kultu­relle Motive er nahezu komplett aufgreift und – zumeist in mehr­deu­tiger Weise – verar­beitet. Dazu gehören u.a. die Erfahrung der rasanten tech­ni­schen Moder­ni­sie­rung, die auch das Alltags­leben betraf, die Auto­ma­ti­sie­rung der Produk­ti­ons­weisen, die durch den zurück­lie­genden Weltkrieg, Inflation und Wirt­schafts­krise verschärfte Krise des Indi­vi­duums in der entste­henden Massen­ge­sell­schaft, die viele Künstler und Wissen­schaftler der damaligen Zeit beschrieben, sowie die entste­henden poli­ti­schen Tota­li­ta­rismen. Aus heutiger Sicht ist das Unge­reimte und Wider­sprüch­liche der Handlung, die Verbin­dung verschie­dener, oft entge­gen­ge­setzter Motive – z.B. Demo­kra­ti­sie­rung einer­seits, Feier des charis­ma­ti­schen Führers ande­rer­seits, Wagemut und Senti­men­ta­lität der Insze­nie­rung – noch offen­kun­diger als 1927. Auffal­lend ist auch, wie das laufende Geschehen immer wieder in Phan­tas­ma­gorie und Tagtraum umkippt, etwa wenn die Wirk­lich­keit auf der Leinwand sich in Freders (Wahn-)Vorstel­lungen wandelt. Zudem ist dies der Film einer Männer­ge­sell­schaft: Zentral ist der Vater-Sohn-Konflikt, gedoppelt im Gegensatz Rotwang-Freder. Frauen tauchen in der Arbei­ter­masse erst am Schluss auf, zuvor sind Maria und ihre negative Doppel­gän­gerin, die Automatin, isoliert.

Der tech­ni­sche Zauber einer mega­lo­manen Zukunfts­stadt

Die Bedeutung von Metro­polis für die weitere Film­ge­schichte liegt vor allem in seinen visuellen und motiv­ge­schicht­li­chen Nach­wir­kungen. Einflüsse lassen sich glei­cher­maßen in Meilen­steinen des Science-Fiction wie Blade Runner und Matrix finden, wie in Genre­filmen (Das fünfte Element und Dark City), ebenso zeigen sich aber auch Autoren­filme wie Godards Alpha­ville oder in der unmit­tel­baren Gegenwart 2046 vom Hongkong-Chinesen Wong Kar-wai von ihm beein­flusst, vor allem in ihren Stadt­por­traits, in der Darstel­lung des Zukunfts­leben und einer kalten, mit latenter Bedrohung aufge­la­denen Atmo­sphäre der Zukunft. Kame­ra­be­we­gungen sind zwar noch eher selten, erscheinen aber in entschei­denden Szenen. In den Massen-Sequenzen bietet der Film reines Schnitt­kino – die Beschleu­ni­gung und Dyna­mi­sie­rung der Darstel­lung mittels schneller Schnitte und Aufein­an­der­folge verwandter Bilder.

Besonders wirksam war die im Film entfal­tete Stadt­phan­tasie, der tech­ni­sche Zauber einer mega­lo­manen Zukunfts­stadt, deren Gestalt von der Skyline von New York ebenso inspi­riert ist wie von den Visionen avant­gar­dis­ti­scher Malerei und Archi­tektur. Schon kurze Zeit später nahmen andere Filme­ma­cher diese Ideen auf, und feierten Die Symphonie der Großstadt (Walter Ruttmann, 1928).
Ähnlich wirkte auch Langs Darstel­lung der Maschi­ni­sie­rung des Lebens und schließ­lich des Menschen selbst. Die Moloch­ma­schine, die vamphafte, metallene Androidin schrieben sich in die film­ge­schicht­liche Ikono­grafie, etwa in Star Wars, Blade Runner oder Termi­nator, ein, und wirkten bis in solche heutigen SF-Speku­la­tionen über »post-humanes Leben« (vgl. Alien) weiter.

Aufstand der Massen

Motiv­ge­schicht­lich erzählt Metro­polis vom Aufstand der Massen, entfaltet die Vorstel­lung einer sozialen Revo­lu­tion, die für das Bürgertum der 20er zugleich mit Hoffnung wie mit Angst verbunden war. Lang proji­ziert die gesell­schaft­liche Situation seiner Gegenwart in radi­ka­li­sierter Form in die Zukunft, bedient sich dabei bekannter Verschwörungs­phan­ta­sien – der wahn­sin­nige Wissen­schaftler, der macht­be­ses­sene Ingenieur, die totale Kontrolle per Über­wa­chungs­technik – bis hin zu anti­se­mi­ti­schen Stereo­typen. So erscheint der Film als visua­li­sierte poli­ti­sche Stel­lung­nahme. Prophe­tisch wirkt im Rückblick Langs Vision eines tota­li­tären Staates: Wenn Hunderte von Arbeitern apathisch, im Gleich­schritt und in Kolonnen in der Unter­stadt marschieren, mit grauen Uniformen und Kappen, erscheint dies wie ein Bild von Arbeitern aus Konzen­tra­ti­ons­la­gern.

Für Langs weiteren Weg als Regisseur bedeutete Metro­polis einen Wende­punkt. Es ist sein vorletzter Science-Fiction (Frau im Mond folgte 1928), und sein letzter Film in expres­sio­nis­ti­schem Symbol­stil. Die späteren Filme M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) und Das Testament des Dr. Mabuse (1933) sind nicht nur dem halb­do­ku­men­ta­ri­schen Realismus der anti­ex­pres­sio­nis­ti­schen »Neuen Sach­lich­keit« verpflichtet, sie nehmen in ihrem düsteren Gesell­schafts­bild und ihrer Anklage tota­li­tärer Wahn­vor­stel­lungen eindeutig gegen die aufkom­mende Diktatur Stellung.

Schmuggel über die Grenzen des Bewusst­seins

Von heute aus betrachtet erzählt der Film von seiner Zeit, erst recht aber von der Zukunft. Lang verschmolz Inspi­ra­tionen aus Kunst, Archi­tektur und Politik zu einer beängs­ti­genden Zukunfts­vi­sion, die vieles ästhe­tisch vorweg­nimmt, was in den kommenden Jahr­zehnten politisch geschah. Noch einmal Kracauer, schon früh hell­sichtig wie immer: »In Metro­polis schien das gelähmte Kollek­tiv­be­wusst­sein mit unge­wöhn­li­cher Klarheit im Schlaf zu reden. … Dank einer glück­li­chen Mischung von Aufnah­me­fähig­keit und Konfusion war Thea von Harbou nicht nur anfällig für alle Strö­mungen der Zeit, sondern schrieb wahllos herunter, was in ihrer Phantasie herum­spukte. Metro­polis war randvoll an unter­ir­di­schem Gehalt, der die Grenzen des Bewusst­seins unver­zollt, wie Konter­bande, über­schritt.« Jetzt wird diese Schmug­gel­ware endlich ausge­packt.

Hinweis

Metro­polis in der neure­kon­stru­ierten Fassung erlebt seine (Neu-)Urauf­füh­rung am kommenden Freitag, 12. Februar, auf der Berlinale im Berliner Fried­rich­stadt­pa­last um 20:15 Uhr. Die Origi­nal­musik wird vom Berliner Sinfo­nie­or­chester (Leitung: Frank Strobel) gespielt. Die Veran­stal­tung wird live im Fernsehen auf dem Kultur­kanal Arte über­tragen. Zeit­gleich wird der Film auch in der Frank­furter Alten Oper gezeigt. Ab 23:10 Uhr zeigt Arte Artem Demenoks Doku­men­tar­film Die Reise nach Metro­polis, der die aben­teu­er­liche Geschichte des neuge­fun­denen Film­ma­te­rials nach­zeichnet.

Wer mehr wissen will, sollte sich vor allen an das wunder­bare, soeben erschie­nene Buch Fritz Langs Metro­polis im Belle­ville-Verlag halten (49,80 Euro).

Weiter­füh­rende Literatur

Thomas Elsaesser: Metro­polis. Der Film­klas­siker von Fritz Lang Hamburg/Wien 2001
Peter W. Jansen / Wolfram Schütte (Hg.): Fritz Lang, München 1976
Enno Patalas: Metro­polis in/aus Trümmern. Eine Film­ge­schichte, Berlin 2001