Wrong Elements

Frankreich/B/D 2016 · 139 min. · FSK: ab 12
Regie: Jonathan Littell
Drehbuch:
Kamera: Johann Feindt, Joachim Philippe
Schnitt: Marie-Hélène Dozo
Ringen um eine Moral in einer zunehmend amoralischen Welt

Wrong Elements und der Geist der Kritik

Der Film Wrong Elements von Jonathan Littell beginnt mit einer Nahauf­nahme in der Tradition der nature morte, die einen Vogelka­daver zeigt, auf dem sich bläuliche Schmeißfliegen tummeln. Dann folgt in der nächsten Einstel­lung auf schwarzem Grund ein Zitat: »Krieg soll alle falschen Elemente der Gesell­schaft besei­tigen«, gefolgt von dem Hinweis auf die Autorin, nämlich »Alice Lakwena, geistige Führerin der mysti­schen Aufstände im Norden Ugandas, Oktober 1987.«

„Wrong Element“ war der Name eines Geistes, der in der Holy Spirit Bewegung (HSB) der Alice Lakwena neben (mensch­li­chen) Soldaten und vielen anderen Geistern von 1986 bis 1987 im Norden Ugandas gegen die Regierung von Yoweri Museveni kämpfte.[1] Er kam aus den USA, und wenn er sich in Alice, seinem Geist­me­dium, verkör­perte, sprach er mit stark ameri­ka­ni­schem Akzent. Als Dr. Wrong Element leitete er außerdem eine medi­zi­ni­sche Ausbil­dungs­stätte und war auch noch für den Geheim­dienst zuständig. Er verhielt sich wie ein Trickster: Verstießen die Soldaten gegen die Holy Spirit Safety Precau­tions, Regeln, die den christ­li­chen Geboten nach­emp­funden waren und die unbedingt einge­halten werden mussten, dann strafte er sie, indem er zum Feind überlief und gegen die eigenen Leute kämpfte. Während die anderen Geister eindeutig christ­lich und moralisch agierten, schuf Wrong Element gerne mehr­deu­tige und verwir­rende Situa­tionen. Er verun­si­cherte die Soldaten und machte deutlich, dass sich nicht nur beim Feind, sondern auch in den eigenen Reihen wrong elements befanden und eine klare, eindeu­tige Trennung in Freund und Feind kaum möglich war.

Der oben erwähnte Geist Wrong Element spielt in Jonathan Littells Film keine Rolle. Sein Film handelt statt­dessen von wrong elements in der Lord’s Resis­tence Army (LRA) des Joseph Kony, einer Bewegung, die mit der HSB der Alice Lakwena riva­li­sierte, sie aber gleich­zeitig zum Vorbild nahm und nach der Nieder­lage 1987 den Kampf gegen die Regierung weiter­führte. Tatsäch­lich entstanden beide Bewe­gungen (und noch zwei weitere) in einem hoch­gradig charis­ma­ti­schen Milieu, als nach einem längeren und brutalen Bürger­krieg, Yoweri Museveni die Macht übernahm und mit seiner Armee den Norden eroberte. In einer Situation der extremen äußeren, aber auch inneren Bedrohung (in Gestalt von unreinen Soldaten und Hexen) gelang es margi­nalen Personen wie Alice, ihrem Vater und etwas später Joseph Kony als „Heiler der Gesell­schaft“ nicht nur ehemalige Soldaten, sondern auch Bauern, Schüler, Studenten, Lehrer und Geschäfts­leute zu rekru­tieren und sie unter dem Ober­be­fehl von Geistern in den Krieg zu führen. Sie etablierten einen christ­li­chen Diskurs, der nicht nur den Heiligen Geist aus der Trinität löste und ins Zentrum rückte, sondern diesen in viele Geister aufspal­tete. Aus lokaler Sicht waren es nicht Alice oder Kony, die die Bewegung anführten, sondern außer­welt­liche Mächte, die vor dem Hinter­grund von Krieg, Gewalt, Leid, Tod, Verzweif­lung, weit­ver­brei­teter Korrup­tion und Betrug unter sehr mensch­li­chen Menschen nun als Garanten einer besseren christ­li­chen Ordnung dienen sollten. Die Bewe­gungen von Alice und Kony waren keine mysti­schen Bewe­gungen, sondern in ihrem Selbst­ver­s­tändnis christ­lich. Und sie versuchten, einen Krieg gegen den Krieg zu führen.

Die LRA von Joseph Kony ist also nicht so einmalig und exotisch, wie viele west­li­chen Medien sie darge­stellt haben. Inter­na­tio­nale Bekannt­heit erlangte sie erst, als sie nach dem 11. September 2001 zusammen mit Al-Quaida auf die Liste der Terror­or­ga­ni­sa­tionen gesetzt wurde. Diese Neube­stim­mung bildete auch den Hinter­grund für den Film „Kony 2012“, produ­ziert von der NGO „Invisible Children“. In diesem Film wird Kony als die Inkar­na­tion des Bösen darge­stellt und allein verant­wort­lich für das Leiden der Menschen im Norden Ugandas gemacht. Auch hier sind ehemalige Kinder­sol­daten die Prot­ago­nisten, die mit traurigen Augen in die Kamera blicken. Tatsäch­lich versuchte der Film, eine globale Kampagne ins Leben zu rufen und eine Art Freibrief zu liefern, Kony zu jagen und zu töten. Der Film wurde heftig kriti­siert. Bis heute bietet die NGO im Internet einen „LRA Crisis Tracker“ an, der über die neuesten Akti­vitäten der LRA und ihrer Verfolger infor­miert.

Von dieser uner­träg­lich verein­fa­chenden und sensa­tio­na­lis­ti­schen Darstel­lung von Kony und seiner LRA ist Littells Wrong Elements weit entfernt. Zwar gibt es auch in seinem Film gerade am Anfang Bilder vom undurch­dring­li­chen Dschungel im Kongo mit gespens­ti­schen Schemen, die einmal mehr das Klischee von Afrika als Herz der Fins­ternis bedienen. Doch in der bild­li­chen Darstel­lung und in den Gesprächen, die die vier Prot­ago­nisten – zwei Frauen und zwei Männer, alle ehemalige Mitglieder der LRA – unter einander oder mit dem Regisseur führen, gelingt es ihm, die Ambi­va­lenzen offen zu halten. Nicht nur der Schrecken, die Gefahr und Nähe des Todes, sondern auch die Faszi­na­tion und Begeis­te­rung für dieses andere Leben „im Busch“ blitzt an manchen Stellen auf, so, wenn zum Beispiel die Prot­ago­nisten sich gemeinsam die Fotos anschauen, die sie in dieser Zeit aufge­nommen haben. Denn tatsäch­lich (und das sagt der Film nicht) sind gerade am Anfang der Bewegung viele junge Männer, Mädchen und Frauen frei­willig zur LRA gegangen, um gegen Museveni zu kämpfen und um ein aufre­gendes und aben­teu­er­li­ches Leben außerhalb der dörf­li­chen Ordnung zu führen. Die massen­haften Entfüh­rungen fanden erst später statt. Um nicht bestraft zu werden oder ins Gefängnis zu kommen und um von den Reha­bi­li­tie­rungs­pro­jekten diverser NGOs zu profi­tieren, erklären alle (ob zwangs­re­kru­tiert und gekid­nappt oder nicht), die von der Regie­rungs­armee gefangen wurden oder sich desil­lu­sio­niert selbst stellten, dass sie gekid­nappt worden sind.

Auch verschweigt der Film nicht, dass die Geschichte der Mili­ta­ri­sie­rung von Politik und die Gewalt und der Terror, den die LRA ausübte und immer noch ausübt, nicht ohne die Gegen­ge­walt der Regie­rungs­armee zu verstehen sind. Als ich von 1987 bis 1995 im Norden Ugandas ethno­gra­fisch arbeitete, wurde mir immer wieder von Frauen und Männern erzählt, dass Museveni den Genozid aller Acholi plane und dass auch die massen­hafte Verbrei­tung von AIDS Teil dieses Planes sei. Aus dieser Perspek­tive erschien der Krieg der HSB und auch der LRA zumindest am Anfang als Notwehr, als Akt der Vertei­di­gung und gerechter Krieg. Um dem Töten eine Ende zu setzen, führten beide Bewe­gungen einen Krieg gegen den Krieg. Doch während Alice noch behaupten konnte, für eine gerechte Sache zu kämpfen, setzte sich Kony zunehmend, gefangen in der Logik von Gewalt und Gegen­ge­walt, ins Unrecht und brachte durch brutale Massaker große Teile der Bevöl­ke­rung gegen sich auf. Terror und Gegen­terror beschleu­nigten den Prozess der Entmensch­li­chung, gegen den HSB und LRA ursprüng­lich Einspruch erhoben hatten.

Der Film zeigt auch die Schwie­rig­keiten der Rein­te­gra­tion der ehema­ligen LRA-Soldaten ins dörfliche Leben. Als wrong elements, als ehemalige Killer, die durch das Töten unrein wurden, sind sie nicht unbedingt gerne in ihren Dörfern gesehen. Auch müssen sie die Rache ihrer Opfer fürchten. So wird im Film kurz erwähnt, dass auf Geoffrey, einen der Prot­ago­nisten, der erfolg­reich reso­zia­li­siert am Rande von Gulu, der Haupt­stadt des Nordens, lebt, ein Mord­an­schlag von einem Mann verübt wurde, der in ihm den Killer seiner Familie erkannte und sich rächen wollte.

Littell bringt auch cen ins Spiel, die Geister von gewalt­tätig zu Tode Gekom­menen, die Rache an dem Killer und/oder seiner Familie nehmen wollen. Was die west­li­chen NGOs als Trauma inter­pre­tieren, wird lokal mit Hilfe der cen erklärt. Verwir­rung, schreck­liche Träume, Schlaf­lo­sig­keit u.a.m. wird auf die Beses­sen­heit von cen zurück­ge­führt, die exorziert werden müssen. Im Film ist ein solches Ritual zu sehen: eine junge Frau, auch von der LRA gekid­nappt, glaubt sich von einem cen besessen und wird von ihm, nachdem er seinen Namen genannt hat, befreit.

Der Film führt die Prot­ago­nisten an verschie­dene Orte im Norden Ugandas, die sie während ihrer Zeit im Busch als Soldaten der LRA besucht haben. Ihre Anwe­sen­heit vor Ort evoziert die Erin­ne­rung an die dort statt­ge­fun­denen Szenen von Gewalt und Tod und soll zum Sprechen bringen. Die Prot­ago­nisten lachen, machen Witze, scherzen und albern herum. Die Präsenz der Kamera bleibt dabei ambi­va­lent; die Prot­ago­nisten spielen ihre Rolle als ob die Kamera nicht da wäre. Spürbar ist aber trotzdem der Zwang, den vor allem die Fragen des Regis­seurs im Off erzeugen. Mich haben diese Sequenzen sehr an Claude Lanzmanns Shoah erinnert, wo ja auch der Regisseur mit aller Macht durch seine Fragen versucht, das Erinnern zu erzwingen, in der Hoffnung auf Heilung durch das Sprechen. An den Ort gebracht, wo er an einem brutalen Massaker teil­ge­nommen hat und mit einer Frau konfron­tiert, die ihre Kinder verloren, aber selbst überlebt hat, wird Geoffrey im Off vom Regisseur gefragt, ob es ihm leid tut und er sagt, es tue ihm leid und schaut dabei ernst und betroffen NICHT in die Kamera.

Die Narration des Films wird auch weiterhin immer wieder von Bildern in der Tradition der nature morte unter­bro­chen, wie die bereits am Anfang erwähnte Nahauf­nahme des Vogelka­da­vers. Es sind Groß­auf­nahmen von Maden, Termiten oder Spinnen, die sich in totes Fleisch fressen, also Bilder von Tod und Verwesung und denje­nigen, die sich daran laben. Sie bleiben auf das Tierreich beschränkt. Ich fürchte, sie sind als Metaphern für die derzei­tigen gesell­schaft­li­chen Verhält­nisse in Uganda gedacht, taugen dafür aber nicht. Nicht nur die nature-morte-Bilder, auch die Musik, vor allem von Bach, die diese und andere Einstel­lungen sehr künstlich auflädt, erscheinen mir als wrong elements, als hege­mo­niale Versuche, durch den Rückgriff auf sehr westliche künst­le­ri­sche Tradi­tionen einen Film über Krieg und Tod in Uganda zu überhöhen.

Gegen Ende des Films sieht man im Kongo einen der LRA-Anführer, Dominic Ongwen, der sich offen­sicht­lich in der Hoffnung auf Amnestie der ugan­di­schen Armee gestellt hat. Er, der angeklagt ist, grausame Massaker an der Zivil­be­völ­ke­rung durch­ge­führt zu haben, sitzt ruhig und gelassen, ordent­lich in Zivil gekleidet, und doch ein bisschen verloren auf einem Stuhl und blickt direkt in die Kamera. Auch er behauptet, als Zehn­jäh­riger von Kony gekid­nappt worden zu sein. Er sieht nicht aus wie ein Killer. Er wirkt unsicher und versteht die büro­kra­ti­schen Proze­duren nicht, die ihn an die African Union auslie­fern, damit er auf Wunsch der USA vor den Inter­na­tio­nalen Gerichtshof gestellt werden kann. Ich halte diese Passage für die beste im ganzen Film, weil sich hier am deut­lichsten der Abgrund auftut, der in der Frage nach den wrong elements liegt. Wo sind sie? Können wir sie erkennen? Wenn Täter gleich­zeitig auch Opfer sind, die mit Gewalt zu ihren Untaten gezwungen wurden, können sie dann wrong elements sein? Um auf das Zitat von Alice Lakwena am Anfang zurück zu kommen – bereits der Versuch, einen Krieg gegen wrong elements zu führen, wird vor dem Hinter­grund der inneren Verwandt­schaft von Huma­nismus und Terror sowie jener Doppel­be­we­gung von Befreiung und Verskla­vung immer zum Scheitern verur­teilt sein. Es ist, als ob Terror und Gewalt anste­ckend seien, und die, die im besten Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, gegen wrong elements kämpfen, dadurch selbst schmutzig würden.

Heike Behrend arbeitete von 1994 bis 2012 als Profes­sorin für Ethno­logie am Institut für Afri­ka­nistik der Univer­sität zu Köln. Ihre ethno­gra­fi­schen Forschungen führte sie in Kenia, Uganda, Ghana und Nigeria durch; sie forschte vor allem zu reli­gi­ons­eth­no­lo­gi­schen Themen und zu modernen Medien, vor allem Foto­grafie, in Afrika. Neben ihrer Publi­ka­tion zur Holy Spirit Bewegung im Norden Ugandas sind von ihr veröf­fent­licht: »Resur­rec­ting Cannibals: the Catholic Church, Witch-Hunts and the Produc­tion of Pagans« (Oxford 2011); »Contes­ting Visi­bi­lity: Photo­gra­phic Practices on the East African Coast« (Bielefeld und New York 2013); zusammen mit Anja Dreschke und Martin Zillinger als HRsg. »Trance Mediums and New Media: Spirit Posses­sion in the Age of Technocal Repro­duc­tion« (New York 2015) und zuletzt zusammen mit Tobias Wendl »9/11 and it Reme­dia­tions in Africa« (Berlin 2015). Sie lebt in Berlin.

[1] Zur Geschichte der Holy Spirit Bewegung siehe Behrend, Heike: Alice und die Geister – Krieg im Norden Ugandas. München: Trickster Verlag, 1993.

»Es war ein dummes Leben, aber es hat Spass gemacht«

Gleich vorweg, auch wenn es ein hoff­nungs­loses Unter­fangen sein dürfte: ein Film wie Jonathan Littells Wrong Elements gehört nicht nur über Kinos und Strea­m­ing­por­tale vertrieben, sondern unbedingt auch in den Schul­kanon für den Ethik- und Reli­gi­ons­un­ter­richt aufge­nommen wie sonst nur sehr wenige Filme, die sich mit den Themen Schuld und Vergebung, Opfer und Täter in krie­ge­ri­schen Konflikten beschäf­tigen. Oder in diesem beson­deren Fall mit Straf­tä­tern, die selbst als Kind entführt wurden und in dem einzigen, ihnen zur Verfügung stehenden mora­li­schen Bezugs­system zu vorsätz­li­chen Mördern werden. Wann gibt es das schon mal, dass es einem Film zu dieser Thematik gelingt, sich der zunehmend komple­xeren Moral unserer modernen Gesell­schaften zu stellen und zu versuchen tabui­sierte Grauzonen nicht nur zu verur­teilen, sondern sie auch vorur­teils­frei zu erkunden?

Aber von vorne. Jonathan Littell ist im deutschen Sprach­raum haupt­säch­lich durch seinen ambi­va­lent aufge­nom­menen Roman »Die Wohl­ge­sinnten« bekannt geworden, der insti­tu­tio­nelle Gewalt und Massen­mord aus der Perspek­tive eines Nazis schildert. Seitdem hat Littell sich in Repor­tagen für den »Guardian« und »Le Monde« Gegen­warts-Konflikten angenähert, sei es in Georgien, Tsche­tsche­nien, Syrien, dem Südsudan, Mexiko oder der Demo­kra­ti­schen Republik Kongo. Gleich zweimal beschäf­tige sich Littell in seinen Repor­tagen auch mit der Lord Resis­tance Armee (LRA), einer ugan­di­schen Rebel­len­or­ga­ni­sa­tion, die sich seit ihrem Entstehen in den späten 1980er Jahren von einer von Geistern geführten Befrei­ungs­armee zum Para­de­bei­spiel für das Dilemma Kinder­sol­da­tentum mutierte, da die LRA ihre Kämpfer zunehmend über entführte Kinder rekru­tierte, die dazu »abge­richtet« wurden, unbe­schreib­liche Verbre­chen zu begehen.

Dass Littell sich nun auch filmisch diesem Thema ange­nommen hat, dürfte auch an der Inter­na­tio­na­li­sie­rung des Konfliktes liegen. Nicht nur hat die USA bis vor kurzem die LRA und ihren Führer Joseph Kony mit einer Sonder­ein­heit in den Urwäldern Zentral­afrikas vergeb­lich zu stellen versucht, sondern hat auch der Inter­na­tio­nale Straf­ge­richtshof Kony und die oberste Befehls­kette seiner Orga­ni­sa­tion wegen Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit angeklagt. Und mehr noch: steht seit 2015 in der Person von Dominic Ongwen tatsäch­lich einer der Führer der LRA in Den Haag vor Gericht. Was Ongwen aller­dings für Littell erst zur fast idealen Fall­studie macht, ist das, was auch für die meisten anderen Soldaten aus Konys Armee gilt: bevor sie selbst zu Mördern wurden, sind sie als Kinder auf dem Schulweg oder beim Spielen entführt worden und unter der Androhung selbst umge­bracht zu werden, zu Soldaten sozia­li­siert worden.

Um den ganzen Komplex dieser Tragik zu umreißen, begibt sich Littell in seiner Doku­men­ta­tion aller­dings zuerst nach Nordu­ganda, um dort eine Gruppe von ehema­ligen Kinder­sol­daten zu inter­viewen, die über eine generelle Amnestie langsam wieder in der Acholie-Gesell­schaft Fuss gefasst haben. Littell lässt sich viel Zeit, um eine Ahnung nicht nur vom Alltag dieser immer noch margi­na­li­sierten Region zu erzählen, sondern auch auf die schwie­rigen intra­gesell­schaft­li­chen Verhand­lungen vorzu­be­reiten, die zwischen den ehema­ligen Tätern, – die wie Ongwen ihre Karrieren allesamt als Opfer begonnen haben – und den Verwandten ihrer Opfer, die sie besuchen oder von denen sie erzählen, statt­finden. Nicht immer gibt es Vergebung und nicht immer können sich die ehema­ligen LRA-Kämpfer ihrer eigenen Gespenster sicher sein: ähnlich wie in Joshua Oppen­hei­mers The Act of Killing präsen­tieren sich die Täter allein als Indi­vi­duen vor der Kamera verun­si­chert und verstört, hilft ihnen allein die Gruppe über einen für Außen­ste­hende bizarr wirkenden Humor, ihrer Trau­ma­ti­sie­rung und ihrem mora­li­schem Dilemma zu begegnen, etwa wenn einer der Prot­ago­nisten über seine Zeit bei der LRA sagt: »Es war ein dummes Leben, aber es hat Spaß gemacht.«

Littell läßt seine Prot­ago­nisten zwar nur in Ansätzen wie Oppen­heimer ihre trau­ma­ti­schen Erleb­nisse nach­stellen, beob­achtet sie aber dafür umso ehr bei einer anderen Spie­ge­lung der eigenen Biografie. Als Ongwen sich wegen eines Zerwürf­nisses mit Kony Ende 2014 ergibt, werden die Übergabe an den ICC und die ersten Prozess­tage im ugan­di­schen Fernsehen über­tragen und trotz ihres Geläch­ters wird deutlich, dass Littells Inter­view­partner nicht wirklich nach­voll­ziehen können, warum Ongwen nicht wie sie, unter die Amnes­tie­ver­ord­nung Ugandas fällt. Keine Frage, er ist ein schwerer Kriegs­ver­bre­cher, er hat Morde ange­ordnet und selbst gemordet und war für seine Bruta­lität berüch­tigt. Aber auch er ist als Kind wie sie entführt und trau­ma­ti­siert worden, er war halt nur ein bisschen besser als Soldat als sie und hatte keine Chance, etwas anderes zu werden, als das, was ihm vermit­telt wurde.

Littell kontras­tiert dabei den etwas linki­schen, dann wieder ruhig und besonnen agie­renden Ongwen und seine am Fernsehen über ihn und die Situation feixenden ehema­ligen Mitsol­daten mit dem kafkaesk-büro­kra­ti­schen Prozedere der Übergabe und der Über­füh­rung nach Den Haag und den indigenen Versuchen Versöh­nung zu erzielen – ein an Inten­sität und mora­li­scher Vertrackt­heit kaum zu ertra­gender Moment.

Doch diese Inten­sität hat ihren Preis. Denn indem sich Wrong Elements auf das faszi­nie­rende Ringen um eine Moral in einer zunehmend amora­li­schen Welt konzen­triert und intensive, aber keines­falls exotis­ti­sche Abstecher in das Trauma einer versehrten, indigenen Kultur wagt, bleiben wichtige Koor­di­naten dieses Konflikts ausge­spart: zwar deutet Littell über den Filmtitel die Geschichte des Konflikts an – Wrong Element war nicht nur einer der Geister, die von Alice Lakwena, Konys Vorgän­gerin Besitz ergriffen hat, sondern Wrong Elements aus der bürger­kriegs­ge­plagten Gesell­schaft des Ugandas der 1980er Jahre zu entfernen und sie wieder zu reinigen, war auch das ursprüng­liche Ziel dieser Bewegung. Aber bis auf diese Andeutung geht Littell weder auf die lange Acholi-Tradition von Menschen über­neh­mende und auf Kriegs­pfad gehende Geister ein, noch auf die ebenfalls von Heike Behrend in »Alice und die Geister« beschrie­bene Quelle dieses Konfliktes. [1] Und wird ein vor allem von Exil-Ugandern bis heute immer wieder betonter poli­ti­scher Faktor gänzlich fallen gelassen, nämlich Ugandas Präsident Musevini und seine Regierung, die diesen Konflikt nicht nur instru­men­ta­li­siert, sondern, um immer wieder neue Amts­zeiten zu recht­fer­tigen, ihn auch immer wieder getrig­gert haben soll. Doch nach den letzten souverän gewon­nenen Wahlen 2016 scheint nicht einmal mehr das nötig: vor einer Woche hat Uganda den Kampf gegen die LRA als beendet erklärt.

[1] Behrend, Heike: Alice und die Geister – Krieg im Norden Ugandas. München: Trickster Verlag, 1993.