Winterreise

Deutschland 2006 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Hans Steinbichler
Drehbuch:
Kamera: Bella Halben
Darsteller: Josef Bierbichler, Sibel Kekilli, Hanna Schygulla, Philipp Hochmair, Anna Schudt u.a.
Josef Bierbichler als Franz Brenninger

Die Welt ist aus den Fugen

Sepp Bier­bichler. Will man sich auf einen Grund konzen­trieren, um diesen Film begeis­tert zu empfehlen, dann ist es dieser Darsteller. Und die Rolle des Franz Bren­ninger, der Haupt­figur von Winter­reise – ohne Über­trei­bung ist sie Bier­bichler wie auf den Leib geschrieben und für ihn eine der Rollen seines Lebens.

Alles spielt in einem baye­ri­schen Dorf, das so ist, wie viele Dörfer, und das alles hat, was solche Orte eben so haben müssen: Viele Bungalows im hübschen Voral­pen­stil für die fleißigen Mitbürger, und zwei Garagen nebenan, damit auch für alle zu sehen ist, was man sich hier so leisten kann. Einen Kirchen­chor, der fromme Lieder singt, und ab und zu auch mal ein paar unfromme. Eine Wirt­schaft und einen Unter­nehmer, der ein bisschen Arbeit schafft für die, die nicht am frühen Morgen nach München fahren und eine Sparkasse die ihm Kredite gibt, solange es vertretbar ist jeden­falls, und manchmal, man ist ja befreundet, noch etwas länger. Einen Arzt und einen Pfarrer, der einem die Beichte abnimmt, und ein Puff mit ein paar mütter­li­chen Huren, denen man alles beichten kann, was man dem Herrn Pfarrer besser nicht erzählt.

Damit ist zwar schon vieles gesagt über diesen Film, doch gleich­zeitig eigent­lich noch gar nichts. Denn Winter­reise, der zweite Film von Hans Stein­bichler, handelt davon, wie diese vermeint­lich heile Welt aus den Fugen gerät, davon, dass sie eigent­lich nie richtig heil war, und davon, was passiert, wenn einer anfängt, wirklich sein Heil zu suchen.

Franz Bren­ninger ist fertig. Aber eigent­lich fängt er erst gerade an. Dumm nur, dass das keiner merkt. Dass alle denken, er habe seine beste Zeit nun wirklich hinter sich. Bren­ninger ist mittel­s­tän­di­scher Unter­nehmer. Der Mittel­stand, so hört man ja immer wieder, bildet das Rückgrat unserer Republik, unsers Wohl­stands. Aber Bren­ninger ist pleite. Jetzt fallen sie alle über ihn her, die Banken, die Gläubiger, die eigene Ehefrau und die Kinder, die immer nur kassiert haben, fallen ihm in den Rücken. »Alles Klein­geister, Deppen!« murmelt er vor sich hin, schreit er heraus.

Er schimpft. Er verflucht die Auto­fahrer, die Banken, Geschäfts­partner, aber auch seine Familie, seine Mitmen­schen überhaupt, die ganze Welt. »Alles Arschlöcher!« Manchmal ist er ganz außer sich vor Zorn. Die Welt, seine Welt ist aus den Fugen. Und manchmal singt er. Im Kirchen­chor seiner Heimat­stadt Wasser­burg am Inn, im Auto, wenn kein anderer Auto­fahrer in der Nähe ist, über den er sich aufregen kann, und zu Hause, wenn er mit dem Kopfhöher an den Ohren laute Musik hört. Dann ist er glücklich.

Klinisch betrachtet ist Bren­ninger womöglich manisch depressiv. Aber viel wichtiger ist, dass er eine wunder­schöne Kinofigur ist: Ein Geschäfts­mann, genia­lisch und hoch­ver­schuldet, ideen­reich und überaus sensibel, einer der liebevoll und zärtlich zu den Menschen sein kann, und der sie hassen kann. Wenn man ihm zuschaut und vor allem zuhört, in endlosen Stakkato-Monologen, ist das auch wunderbar witzig, sehr amüsant – nur bleibt einem das Lachen manchmal im Hals stecken. Bier­bichler arbeitet alle Nuancen dieser Figur heraus, man kann in seinem Gesicht auch hinter den Masken des Augen­blicks lesen – und je länger man zusieht, um so weniger wird man den Eindruck los, dass hier ein Schau­spieler mit seiner Rolle ganz verschmolzen ist.

Erzählt wird, wie dieser Mann sich zunächst seiner selbst und seiner engsten Familie immer mehr entfremdet, »sich verliert«, und wie er sich dann wieder findet über eine Zufalls­be­kannt­schaft und eine Reise nach Afrika, die er aus exis­ten­ti­eller Not unter­nimmt, letztlich um sich selbst zu retten

»Fremd bin ich einge­zogen, fremd zieh ich wieder aus.« – man kann den zweiten Film von Hans Stein­bichler, der bereits mit seinem Debüt Hierankl eine Fami­li­en­ge­schichte auf dem baye­ri­schen Land erzählte und viele Preise gewann, als persön­liche Inter­pre­ta­tion und Variation von Franz Schuberts melan­cho­li­schem Lieder­zy­klus begreifen. Auch er erzählt eine Reise und sehr früh schon lässt sich ahnen, dass sie kein gutes Ende nehmen wird.

Es ist ein Szenario voller Aberwitz. Alles dreht sich um Bren­ninger, aber weil das nur der Figur entspricht, und weil Bier­bichler das großartig spielt, geht einem diese One-Man-Show so intensiv und rück­sichtslos, wie sie ist, vom ersten Augen­blick an nahe. »Ich brauch Luft!« brüllt er, geht nackt in den schnee­be­deckten Garten, dreht die Musik überlaut auf. Neben diesem baye­ri­schen Mannsbild, dieser roman­tisch über­höhten Männer-Vater-Urviech-Figur mit ihrem weichen Kern im Kraft­mensch, steht jeder am Rand im Schatten. Auch Hanna Schygulla in einem ihrer seltenen, schönen, melan­cho­lisch stim­menden Auftritte als Bren­nin­gers Ehefrau, deren Erblinden ein Weg der Verwei­ge­rung ist, aber vor allem der Erschöp­fung. Wo er Amok läuft, vergeht sie wie eine Pflanze. Und dann Sibel Kikeli als Über­set­zerin, Mitar­bei­terin und letzte Vertraute Bren­nin­gers.

Diese Figur kommt etwas zu kurz, und der Schubert-Bezug ist viel­leicht ein bisschen dick und brav-bildungs­bür­ger­lich aufge­tragen. Sonst aber gibt es nichts zu meckern über diesen leiden­schaft­li­chen und darin extrem unge­wöhn­li­chen Film aus Deutsch­land. Man muss vielmehr vieles loben, vor allem, dass Winter­reise nicht brav ist, nicht beflissen, dass Stein­bichler erzählt, was er erzählen will, und darin keine spürbaren Kompro­misse macht. Ein Film, den man lieben oder hassen wird – was schon ein Lob ist.

Ein aufrich­tiger Film. Denn viel Wahrheit steckt in der ganzen Ignoranz und Monomanie Bren­nin­gers. Eine Figur, die mitten aus dem Leben stammt. Der Mann ist zum Kotzen. Und liebens­wert. Solche Leute gibt es.

Winter­reise erzählt von Einsam­keit und Verlo­ren­heit, von Todes­sehn­sucht und Lebens­hunger. Ein starker Auftritt, souverän insze­niert, und ein Film, der in seiner roman­ti­schen, »typisch deutschen« Art an den frühen Wenders erinnert – aller­dings, wie gesagt, mit viel mehr Humor. Winter­reise ist großes Kino. Eine melan­cho­li­sche Komödie mit mensch­li­chen Antlitz, ein Film zwischen Vulkan­aus­bruch und Poesie, dem man immer weiter zugucken möchte, auch wenn er schon lange zuende ist, und das letzte Lied Der Leiermann schon lange verklungen.

Was ist drin im Franz?

oder: Mach' Dich nackert, Sepp!

Es ist selten die beste Voraus­set­zung für ein berau­schendes Kunst­er­lebnis, wenn dessen Urheber selbst schon von vorn­herein völlig trunken sind vor Begeis­te­rung für sich selbst und fürein­ander und ihren bren­nenden Kunst­willen.

Jetzt mögen wir freilich alle den Bier­bichler Sepp narrisch gern. Und schauen ihm bereit­willig bei allem zu, was er auf Bühne und Leinwand zu tun beliebt. Aber just da liegt das Problem. Regisseur Stein­bichler geht’s offenbar genauso; in einem Interview hat er unlängst gesagt, seine einzige Idee zu diesem Film sei zunächst gewesen: »Sepp Bier­bichler«.
Und Bier­bichler ist – so ungefähr wie damals Klaus Kinski selig – auf der gefähr­li­chen Grenze zwischen echtem Schau­spieler und »bloßem« Phänomen. Sich von der Leine, sein Reper­toire an Typischem vom Stapel lassen, das kann er nur zur leicht. Er braucht Stücke und Regis­seure, die dage­gen­halten. Die einbremsen, in Bahnen lenken, ihm Subti­lität abver­langen und echte darstel­le­ri­sche Arbeit. Stein­bichler aber will nur die große Sepp-Bier­bichler-Show.
Und die kriegt er, und präsen­tiert sie, dass man nicht weiß, welcher von den beiden -bichlern, der Bier- oder der Stein-, da verliebter ist in all die Manie­rismen und gewollten, vorher­seh­baren Exzesse. Das ist alles besoffen von einer Begeis­te­rung für sich selbst, von einem ständig sich selbst auf die Brust klop­fenden Gefühl von »Mei, san mir krass.« Der Bier­bichler Sepp sagt bestimmt fünzig Mal »Arschloch«, weil’s halt so schön ist, ihn »Arschloch« sagen zu hören; der Bier­bichler Sepp macht sich nackert, und zwar zweimal, weil’s halt so krass ist, wenn er sich nackert macht; der Bier­bichler Sepp haut gegen Bleche und schmeißt Regale um (teils nackert! krass!), und schnauft und schnaubt und tobt und schreit.
Und man nimmt es (zumindest anfangs) amüsiert hin – aber fast nix davon geht tiefer, berührt, tut weh. Weil es eben nur ein Bier­bich­ler­sches Schau­laufen ist statt echter Schau­spie­lerei, weil es sich viel zu wenig drum kümmert, eine wirklich glaub­hafte Film-Figur entstehen zu lassen.

Bier­bich­lers vorgeb­li­cher Film­cha­rakter ist der alternde Wasser­burger Baumarkt-Zulie­ferer Franz Bren­ninger, dessen Geschäfte zunehmend schlecht laufen – die Großen der Branche schanzen sich die Aufträge gegen­seitig zu, die Zahlungs­moral seiner Kunden ist miserabel. Seine Frau (Hannah Schygulla – eine ambi­va­lente Person...) droht zu erblinden, bräuchte eine Operation. Was ihn alles nicht daran hindert, seine Freizeit mit Huren zu verbringen. Dazu kommen psychi­sche Probleme – was viel­leicht mal als typisch bayerisch-grantige, kompro­mis­sun­be­reite Art Bren­nin­gers begann, artet immer mehr aus, auch wenn er das nicht einsehen will. Bren­ninger steigert sich in die Vorstel­lung hinein, ein dubioses Geld­ver­schiebe-Angebot aus Kenia könnte ihm den Ausweg zumindest aus der finan­zi­ellen Krise bringen; selbst­ver­s­tänd­lich ist es eine dieser im Internet üblichen Trick­be­trü­ge­reien, die ihn auch noch die letzten stillen Reserven zu kosten droht.
Eigent­lich also keine unin­ter­es­sante Figur – wenn es den Film halt inter­es­sieren würde, sie stimmig zu zeichnen, statt sie nur als Austob-Sprung­brett für Bier­bichler zu nutzen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Dieser Mann um die Sechzig aus der Hand­wer­ker­branche in der Provinz hört in dem Film daheim zeit­genös­si­schen Indie-Rock, einen schlechten Radiohead-Abklatsch mit dem ach so symbol­träch­tigen Refrain »I’m going insane«. Nicht, weil es irgendwie glaubhaft zu dem Charakter passen könnte, sondern weil es Bier­bichler die Gele­gen­heit gibt, rumzu­schreien »Des is da Wahnsinn!«.
Solcher falscher Töne sind in Winter­reise unzählige – und selbst da, wo etwas stimmig sein könnte, ist immer erstmal das Bedeu­tungs­ge­hu­bere und der aufdring­lich zur Schau gestellte Kunst­wille da, bevor sich etwas entfalten könnte. Kaum eine Einstel­lung, die nicht plärren würde »Hier wird KUNST gemacht!« – und wie meist ist das der sicherste Weg zum bloßen Kunst­hand­werk, dem die Präten­tion nur so aus dem Mund schäumt.

Zu dieser Präten­tion gehört – der Titel läßt’s hinrei­chend ahnen –, dass auch der arme Franz Schubert herhalten muss, um Bren­nin­gers Abstieg in Wahn, Verzweif­lung, Tod zu begleiten und zu mysti­fi­zieren. (Wem Schubert nix bedeutet, der darf folgenden Absatz über­springen und es ungerührt hinnehmen, was für eine Hin- und Herrich­tung dem radi­kalsten aller Lieder­zy­klen in Stein­bich­lers Film wider­fährt.)
Das geht los damit, dass Bren­ninger bei einer nächt­li­chen Autofahrt geradezu über­fallen wird von einer Aufnahme von Der Wegweiser, sie ihn fast buchs­täb­lich aus der Bahn wirft. Soweit ist das, wenn man für Schubert empfäng­lich ist, durchaus plausibel. Aber was eine garstige Aufnahme, die der Film da verwendet – offenbar eigens für den Sound­track einge­spielt, um Lizenz­ge­bühren zu sparen: Ein larmo­yantes Gesülze mit Fischer-Dieskau-Allüren (und Fischer-Dieskau im Original wäre schon schlimm genug gewesen...). Genau an dem vorbei, was Schubert groß macht – seine erbar­mungs­lose Klar­sich­tig­keit, diese Ausweg­lo­sig­keit jenseits jeden Melodrams und Greinens, zur Schnul­zig­keit umgebogen.
Später muss man noch eine »Inter­pre­ta­tion« des Eröff­nungs­lieds des Zyklus von Hannah Schygulla über sich ergehen lassen, die so gewollt, unver­s­tändig und daneben ist, dass wir uns lieber gar nicht nochmal genauer dran erinnern wollen. Und dann gibt’s gegen Ende noch von einem zufällig nach Kenia verschla­genen deutschen Schubert-Fan einen kleinen Volks­hoch­schul-Vortrag über die Winter­reise, der ziel­strebig alles zu beschreiben vermeidet, was wirklich an den Kern von Schuberts Genie rankäme. Plus eine melo­die­lose, aber im neun­ein­halbten Monat bedeu­tungs­schwan­gere Rezi­ta­tion des Neben­sonnen-Gedichts, als wäre es Müllers zwei­fel­hafte Lyrik, in der die Größe der Winter­reise läge und nicht in dem, was Schuberts Musik damit und daraus macht.
Der einzige halbe Licht­blick ist dabei der Bier­bichler Sepp, der auch zum Lied­vor­trag schreitet, u.a. des Leier­manns. Bier­bichler hat ja mit dem Uri Caine-Ensemble schon Lieder­abend-Projekte gemacht, die relativ gelungen manch bittere Perle des (spät-)roman­ti­schen Reper­toires vom Schleier des Schmalzes und der Schönheit befreit haben. Und auch hier ist Bier­bich­lers brüchige Fistel-Gesangs­stimme nicht ganz fehl am Platze, geht’s schon in die richtige Richtung. Wenn’s auch noch einen Tick zu gewollt, zu insze­niert, zu wenig schlicht und von Herzen ist, um wirklich zu erschüt­tern.

Was einen an all dem Kunst- und Bedeu­tungs­an­spruch, den Winter­reiseschub­kar­ren­weise vor sich herschiebt, aber letztlich wirklich so fuchsig machen kann, das ist, wie feige er sich mit seinem Hyper-Poeti­sieren vor allem drückt, wo’s wirklich inter­es­sant würde.
Es ist ja schlimm genug, die Schygulla solch Bleisätze aufsagen zu hören wie »Franz. Was ist in Dir drin? Lass es heraus. Dann können wir es teilen«. Aber wenn’s schon sein muss, dann doch bitte in einem Film, den’s wirklich inter­es­siert was drin ist, im Franz.
Die Widmung des Films lautet »Für unsere Väter«, und man darf vermuten, dass Stein­bichler, Jahrgang 1969, und Dreh­buch­autor Martin Rauhaus, wohl ein Gene­ra­ti­ons­ge­nosse, in einem Alter sind, wo man sich tatsäch­lich damit ausein­an­der­setzen muss wie’s ist, wenn die Väter alt werden und viel­leicht auch sonderbar. Es gibt ein paar wenige Szenen, in denen Bren­nin­gers Monomanie wirklich in den Kontext seiner Familie gestellt wird, wo man ihn mit seinen ratlosen, erwach­senen Kindern sieht, die ihn nicht einmal soweit bringen können, dass er einge­stünde, dass er ein Problem hat.
Da keimt eine Ahnung davon auf, dass Bren­nin­gers psychi­sche Krankheit eben nicht nur im roman­ti­schen Bild des irgendwie immer heiligen, attrak­tiven Wahns abzu­han­deln wäre, sondern dass es reale Schmerzen, reale Kompli­ka­tionen gäbe, denen nach­zu­gehen den Film auf wirklich krasses Terrain führen hätte können.

Aber da will er nicht hin. Statt dessen setzt sich diese Winter­reise lieber nach Afrika ab.
Vorgeb­lich, weil Bren­ninger sein Geld zurück will. Wobei er sich von der jungen Laila als Dolmet­scherin begleiten lässt (die bezau­bernde Sibel Kekilli hat leider kaum mehr als deko­ra­tive Funktion, ihre Filmfigur so gut wie keine eigene Geschichte – außer, dass sie en passant kurz auch noch etwas Kurden­pro­ble­matik in den Film bringt, weil sich das ja immer gut macht).
Aber in Wirk­lich­keit ist das alles bloß eine Flucht ins Mythische, Pseu­do­poe­ti­sche. Wobei para­do­xer­weise in den Sequenzen in Kenia erstmals ein Gefühl von wahrem Leben zumindest in die Ränder der Bilder kommt. Und zwar einfach, weil sich dort die Produk­ti­ons­be­din­gungen offenbar weniger kontrol­lieren ließen, weil man dort wirklich auf offener Straße ohne Absper­rungen gedreht hat.
Man wird dabei den Verdacht nicht los, dass eine Doku über das deutsche Drehteam mit seinen Präten­tionen in Konfron­ta­tion mit der afri­ka­ni­schen Wirk­lich­keit eine Polt-würdige Real­sa­tire abgeben würde.
Dem Film ist aber diese Wirk­lich­keit im besten Fall egal, im zweit­besten unan­ge­nehm. Im schlimmsten Fall versucht er, sie für seine verstie­genen Zwecke zu miss­brau­chen. Es gibt eine Szene, da wird das vollends bäh: Da sitzen in einer Seiten­gasse ein alter, anschei­nend kranker Mann und ein kleiner Junge in einem Haufen Dreck, und Bier­bichler gesellt sich zu ihnen, lehnt sich neben ihnen in halber Hocke an die Wand, will sich aber offen­sicht­lich nicht ganz zu ihnen setzen, sei es, weil es ihm vor dem Müll am Boden graust, sei es, weil ihm selbst zu peinlich ist, wie da das echte Leiden zweier Menschen zum bloßen Schauwert gemacht wird für diese »Kunst­scheiße« (um mal ein schönes Kauris­mäki-Wort für diese Art von Filmen zu verwenden).
Von solchen unfrei­wil­ligen Statisten abgesehen, ist das Fantasie-Kenia von Winter­reise nur von Papp­ka­me­raden bevölkert – einem fiesen deutschen Botschafter, der einem trashigen ‘70er-Jahre-Thriller entflohen sein könnte; dem schon oben erwähnten Schubert-Sammler, der eher wie die Schul­theater-Version einer Graham Greene-Figur wirkt; und den bösen afri­ka­ni­schen Trick­be­trü­gern.
Was der Film aber eigent­lich sucht in Kenia, das ist die Kitsch­vor­stel­lung vom »Mythos Afrika«, ein Land der Magie, Weisheit, Natür­lich­keit, also das volle Programm post­ko­lo­nia­lis­ti­scher Roman­ti­sie­rung.
Und in dieser »poeti­schen« Kulisse kann der Bren­ninger sich dann (offscreen) aufhängen, und es ist super. Weil die Familie daheim bekommt ja noch ein Geld, wird also bestimmt total happy sein. Und Lailas Stimme verzapft uns beim Panorama eines afri­ka­ni­schen Sonnen­un­ter­gangs, dass der Tod der eigent­liche Beginn des Lebens sei. Somit der Bren­ninger also sein Glück gefunden hat und alles ganz wunderbar ist.
Und das schwur­belt so rührend und versöhn­lich und lyrisch daher, dass man sich tatsäch­lich für ein paar Zehn­tel­se­kunden einlullen lassen könnte – bis einem schlag­artig klar wird, wie sehr gelogen und falsch das alles ist, und wie feige es alles unter den Teppich zu kehren versucht, was es sich anfangs an Themen auf’s Tablett geladen hat. Nein, nein und nochmals nein: Der Tod IST nicht der Anfang des Lebens. Und dass Bren­ninger Selbst­mord begeht, wird nicht dadurch gut und schön, dass er es in beein­dru­cken­derer Land­schaft tut als in Wasser­burg am Inn.
Aber an diesem Ende ist halt kein Bier­bichler mehr in dem Film, der täte, was nötig wäre. Nämlich mal ganz laut »Scheiße!« schrein.