Sleepy Hollow

USA 1999 · 105 min. · FSK: ab 16
Regie: Tim Burton
Drehbuch: , ,
Kamera: Emmanuel Lubezki
Darsteller: Johnny Depp, Christina Ricci, Miranda Richardson, Michael Gambon u.a.
Christina Ricci als gute Fee der Romantik

Kopflose Aufklärung

Tim Burtons Film Sleepy Hollow

Nacht, Nebel, Angst­schweiß und eine Kutschen­fahrt durch düstre Wälder: Schon in den ersten Sekunden geht sie los, diese wilde Jagd, die erst zwei Stunden später zuende sein wird. Die Zuschauer werden Zeuge, wie in der Zwischen­zeit mehr als einer seinen Kopf verliert. Zuerst ist es Van Garrett (der immer wieder wunder­bare Martin Landau in einem leider nur wenige Minuten währenden Kurz­auf­tritt), dem ein dämo­ni­scher Reiter in wilder Hatz auf den Fersen istein Säbel wird geschwungen, und wie ein reifer Kürbis purzelt Van Garretts wich­tigstes Körper­teil zu Boden.

Man befindet sich im Jahr 1799, zu einer Zeit also, in der sich die Vernunft zu ihrer Durch­set­zung noch der scharfen Klinge der Guil­lo­tine bediente, und auch ihre Gegner nicht eben zimper­lich waren. Der Tod des ehren­haften Bürgers Van Garrett wird Anlaß für die Behörden im fernen New York, einen den ihren auszu­senden, um im Norden des Hudson River nach dem Rechten zu sehen. Dort im verschla­fenen Nest Sleepy Hollow treibt ein Mörder sein Unwesen, schon vier Menschen sind ihm zum Opfer gefallen.

Der Auser­ko­rene ist der junge Konstable Ichabod Crane, von Londoner Krimi­no­logen ausge­bildet, ehrgeizig und ganz und gar ungläubig gegenüber den Legenden, für die Bluttaten sei ein myste­riöser »headless horseman«, ein kopfloser Reiter verant­wort­lich, der seit Jahren in den Nebel­wäl­dern der Fluß­land­schaft sein Unwesen treibe. Crane, wissen­schaft­lich geschult und unbe­irrbar dem Geist der Aufklä­rung verpflichtet, glaubt nicht ans Uner­klär­li­chees wird schon eine rationale Begrün­dung für die Mordserie geben. Zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit (nach Roman Polanskis The Ninth Gate) spielt Johnny Depp hier den Archetyp eines detek­ti­vi­schen Aufklä­rers, und auch diesmal muss er die Grenzen seiner Vernunft über­schreiten und bitter erfahren, dass es viel­leicht doch Dinge gibt, die eine bis dato gut funk­tio­nie­rende Welt­ord­nung ins Wanken bringen können. Anders als der Buchjäger Dean Corso bei Polanski ist Depp diesmal weniger der Detektiv als Flaneur und Künstler des Ober­fläch­li­chen. Eher wie ein Archäo­loge geht er vor, der Schicht für Schicht abträgt, um dem Unglaub­li­chen auf die Spur zu kommen.

Und weil sein Regisseur Tim Burton heißt, kann diese Figur gar nicht ohne viel Komik exis­tieren, muss sie sich immerzu verhas­peln und verstol­pern auf ihren kopflosen Erkennt­nis­ver­su­chen. Der Vernunft­mensch Ichabod Crane istweit mehr als in Washington Irvings Novelle The Legend of Sleepy Hollow, der Vorlage des Films, die Burton und sein Autor Andrew Kevin Walker (der auch das Script für Se7en schrieb) freilich glück­li­cher­weise sehr in Richtung Slasher-Comedy frei inter­pre­tier­tauch gleich sein eigener dummer August dazu. Seine Würde ist die eines sehr geschätzten guten Menschen, den wir gleich­wohl nie ganz ernst nehmen könnenbis er eines Tages sich höchst wunderbar bewährt.

Eine weitere Glanz­rolle hat Christina Ricci, nicht minder Ichabods Gegenpart als der kopflose Reiter. Sie ist Katrina Van Tassel, Tochter des reichsten Mannes im Ort, und schnell das Objekt von Cranes heim­li­cher Begierde. Nur ist die junge Dame nicht nur verfüh­re­risch, sondern auch ziemlich mysteriös, und so begegnet Ichabod in Katrina nicht nur der Vernunft das Gefühl, also das von der Vernunft zuge­las­sene Irra­tio­nale, sondern auch das Verbotete: Mysti­zismus, Esoterik, Hexenwahn. Die Frau als Zauberin, wenn auch – »nicht alle Magie ist notwendig schwarz« – als gute Fee, die schließ­lich in Dienst der Aufklä­rung tritt, und den Helden erlöst. Letzteres geschieht im Film vor allem dadurch, dass ein Zusam­men­hang Katrinas mit der Mutter Ichabods konstru­iert wird auch die war eine (gute) Hexe, wurde deshalb hinge­richtet. So erhält Ichabod nicht nur eine psycho­loi­sche Vergan­gen­heit, die seinen einsei­tigen Ratio­na­lismus erklärt, recht­fer­tigt und rela­ti­viert in einem Stück, in der schließ­li­chen Verei­ni­gung mit Katrina kann flugs auch noch die verlorene Mutter wieder­finden und sein Trauma kurieren.

Schließ­lich der Ort. Für Burton ist diese Gemein­schaft hollän­di­scher Farmer in der Frühphase der Besied­lung Amerikas kein Ort nost­al­gi­scher Besinnung. Findet man bei Irving noch den gütigen Blick auf die Gemein­schaft der Pioniere, erscheint die zu erobernde Wildnis im milden Licht roman­ti­scher Natur­be­trach­tung und -verehrung ist bei Burton davon nichts zu spüren. Statt­dessen: Sarkasmus pur.

In all seinen Filmen­unter anderem Edward Scis­sor­hands, Mars Attacks! – ist Tim Burton ein Meister skur­rillen Humors, grotesk verspielter Ausstat­tung, poetisch verspon­nener Bilder. In den beiden ersten Batman-Filmen gelang es ihm zudem, der Comic-Figur zusätz­liche mythische Dimen­sionen zu verleihen. Dynamisch und voller Über­ra­schungen sind seine Filme immer. All' diese Tugenden findet man auch in Sleepy Hollow. Hinzu kommt aber diesmal ein Stoff, den der Regis­seurbei aller Lust an der Abschwei­fungs­pürbar ernster nimmt, als frühere Filme.

Vieles erinnert an alten Horror-Pop: von James Whales anrüh­renden Fran­ken­stein-Filmen aus den 30er Jahren bis hin zu den Trash-Spek­ta­keln der briti­schen Hammer-Studios aus den 60ern und 70ern. Erzählt wird die roman­ti­sche, im phan­tas­ti­schen Stil der gothic novels gehaltene Geschichte in wunderbar kompo­nierten, atmo­s­phä­risch dichten, gran­diosen Bildern, an denen man sich gar nicht sattsehen mag.

Darum ist Sleepy Hollow auch gar nicht so sehr der Horror­film, als der man ihn vermarktet. Schon wahr: die Köpfe rollen, und nicht wenige Figuren verlassen die Leinwand vor der Zeit. Auch geht es wieder einmal in die Wälder, die man spätes­tens seit The Blair Witch Project als beliebten Schau­platz zur Angst­ent­fal­tung im ameri­ka­ni­schen Kino wieder­ent­deckt, weil man hier nicht nur eigenen Urängsten sondern auch dem Unterholz des ameri­ka­ni­schen Traums begegnet.

Doch so richtig zum Fürchten ist das alles selten, auch Angst und Grauen sind, so zeigt Burton, vor allem lächer­liche Dinge. Eher schon wohnt man einer Etüde bei, einem Gedicht, das Motive aus Aufklä­rung und Romantik varriiert und zu einem poppigen Ganzen verschmilzt. Und am Ende hat man begriffen, dass auch die Aufklä­rung zwar manchmal kopflos werden kann, schließ­lich aber doch immer Früchte trägt.

(To be continued)