Shadow of the Vampire

USA/GB/L 2000 · 92 min. · FSK: ab 12
Regie: E. Elias Merhige
Drehbuch:
Kamera: Lou Bogue
Darsteller: John Malkovich, Willem Dafoe, Udo Kier, Cary Elwes u.a.
Oh, Schreck: Murnau und sein Vampir

Der Mann ist ein Halbgott in Weiß. Bevorzugt lässt er sich mit Herr Doktor anreden und auf dem Set läuft er in passendem Kittel herum. Der genia­li­sche Regisseur an sich wird gerne auch mal ein Blut­sauger geschimpft. Friedrich Wilhelm Murnau selbst hat da noch relativ gut abge­schnitten, natürlich musste er sich damals, in den 1920ern, fast zwangs­läufig mit einem unter ferner liefen begnügen gegen die Konkur­renten. Erich von Strohheim zum Beispiel und Fritz Lang, die viel besser taugten zur Bestie (man muss sich zum Beweis nur einmal jenen Vorfall ansehen, der der Nachwelt erhalten blieb in einem Film­do­ku­ment von den Dreh­ar­beiten zu den Nibe­lungen, wo der Meister einen veri­ta­blen Tobsuchts­an­fall bekommt, weil einer seiner Hunnen-Statisten, ein Mensch in der Masse, vergessen hatte, seine Armbanduhr abzu­nehmen vor dem Dreh). Fritz Lang liebte das Monu­men­tale, alles ist larger than life bei ihm, seine Prot­ago­nisten oft eher Proto­typen als Indi­vi­duen, Versuchs­an­ord­nungen mit deren Hilfe er den Blick auf das System richtet, auf die Mecha­nismen von Macht und Ohnmacht. Auch Murnau war besessen, auf eine vergleichs­weise still, höfliche Art. Ein Pedant auch er – aber sein Blick ist nach innen gerichtet, gleichsam psycho­lo­gisch definiert. Entspre­chend hat er sich seine Stoffe ausge­sucht, ganz viel gefunden in den lite­ra­ri­schen Vorlagen der Roman­tiker mit ihrem Hang zum Grusel, zum Uner­klär­li­chen. Wo Fritz Lang der Regisseur des Über-Ich ist Murnau der des Es. Unter den frühen Werken findet sich Der Januskopf, eine Verfil­mung des Stevenson Klas­si­kers Dr. Jekyll and Mr Hyde. Hier hat übrigens ein gewisser Bela Lugosi eine Rolle über­nommen, der später dann in die Neue Welt reiste und zu Dracula wurde.

Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens ist und bleibt wohl Murnaus Meis­ter­werk, nicht nur weil er ganz viel Neues, Uner­hörtes, Noch-Nie-Dage­we­senes auspro­biert hat damals. Die Dreh­ar­beiten on location zum Beispiel und allerhand filmäs­t­he­ti­sche Finessen, die dann Schule machten. Die Dämo­ni­sie­rung der Natur feierten zeit­genös­si­sche Kritiker in diesem Film und ihre Nutz­bar­ma­chung für die Darstel­lung von Seelen­zu­ständen. Werner Herzog hat eine großar­tige Replik (im Gegensatz zum Remake) gedreht zu diesem Stumm­film­klas­siker, Klaus Kinski konnte sich da austoben als Untoter und jetzt haben sich die Engländer des Themas ange­nommen. Das ist auch so etwas wie die späte Revanche, eine Art Heim­ho­lung ins britische König­reich, denn immerhin hatte Murnau damals Bram Stokers Roman Dracula den Lebens­saft ausge­saugt, alles leicht verbrämt natürlich, den Ort, die Namen, die Story, um den Copy­right­fragen zu entgehen.

Shadow of the Vampire ist so ziemlich das abge­dreh­teste Making of, das jemals zu sehen war. Dabei völlig unhis­to­risch, völlig falsch geradezu, völlig so gehalten, dass die Fürspre­cher einer Lager­hal­tung von Fakten­wissen in ein großes Heulen und Zähne­klap­pern ausbre­chen müssen. Keine Nach­hil­fe­stunde in Sachen Film­ge­schichte also, dieser Film, ganz weit weg von der Realität. Mit anderen Worten: ganz nah dran an der Wirk­lich­keit.

Being Friedrich Wilhelm Murnau – wer könnte das besser als John Malkovich? Zudem gibt er ein wunder­bares Traumpaar ab zusammen mit Willem Dafoe, dem Darsteller des Max Schreck, dem Vampir als leading man, dem leading man als Vampir (war Murnaus Nosferatu am Ende der erste Dogma-Streifen, ein snuff-Porno gar?). Die beiden haben sichtlich einen Heiden­spaß an ihren Rollen, an der liebe­vollen Verar­schung gängiger Stumm­film­kli­schees (der Klischees wohl­ge­merkt, nicht der Ästhetik!). Ein bisschen camp scheint da manchmal auf, in der lust­vollen Über­trei­bung der expres­siven Gesten, dem Augen­auf­reißen und -rollen und man möchte wetten, dass Dafoe nicht nur Max Schreck gibt sondern ein kleines bisschen auch Kinski. Schüt­zen­hilfe bekommen sie von Udo Kier, einst Andy Warhols Dracula und später dann Opfer des Sonnen­auf­gangs (looks like someone forgot his Ray Ban sunglasses) in Blade. Überhaupt sind hier eine Menge Leute vom Fach versam­melt: Nicolas Cage (ja, genau DER Nicolas Cage) hat produ­ziert, auch er hat in Vampire’s Kiss schon am eigenen Leib erlebt wie es hergeht unter den Blut­sau­gern und Nacht­schat­ten­ge­wächsen dieser Welt. Malkovich kennen wir schon als mad scientist aus Stephen Frears genialem Mary Reilly, in der (Doppel)Rolle des Dr. Jekyll und des Mr. Hyde (ein Film übrigens, so beun­ru­hi­gend klaus­tro­pho­bisch wie keiner sonst, aber die Beengt­heit der Räume, das Dunkle, Gedrückte, Arti­fi­zi­elle kommt in Shadow of the Vampire durchaus auch zum Zuge, nur eben auf die nette Art). Allein Willem Dafoe fällt etwas aus dem Rahmen, immerhin hat er The Last Temp­ta­tion of Christ anzu­bieten, da war er bekannt­lich Jesus selbst – was nur auf den aller­ersten Blick ganz weit weg ist vom Vampir­thema...

Wir haben es nun im Fall von Shadow of the Vampire durchaus mit einem Film zu tun, der einige Ambi­tionen hat, auf das Sieger­trepp­chen der Filmkunst gehievt zu werden. Daher hier vorweg der Appell: lasst euch dadurch nicht den Spaß verderben! Ein bisschen präten­tiös kommt das Skript stre­cken­weise daher und wir wollen (Achtung: spoiler warning!!!) jetzt ganz schnell die Katze aus dem Sack lassen, was die große Erkenntnis angeht, die den Autor da ange­fallen hat: Die Kamera ist der Vampir, die Bilder, auf die Leinwand proji­ziert, sind der Schatten des Vampirs. Voilà. Das ist hübsch formu­liert, alles natürlich viel schöner noch bei Walter Benjamin nach­zu­lesen. Das Bild und der Tod, da gibt es unzählige Legenden. Ange­fangen bei den immer wieder gern wieder­holten Geschichten von primi­tiven Völkern, die sich nicht foto­gra­fieren lassen wollen aus Angst, die Kamera könnte ihnen die Seele rauben. Bis hin zu den filmi­schen Varianten zum Thema, Peeping Tom, Vertigo, etc. Das Kino, der Tod und die Unsterb­lich­keit – eine ménage-à-trois, die sich bewährt hat. Und man kann sich da neue, sinnlich-intel­li­gente Varianten einfallen lassen, wie allen voran Neil Jordan das getan hat mit Interview with the Vampire. Unser Dreh­buch­autor Steven Katz hat lediglich viel gelesen und brav wieder­ge­geben, deswegen ist das alles recht eigent­lich für die Katz. Aber einen Lapsus im Skript soll man dem Film ja ohnehin nicht anlasten und ein guter Regisseur ist durchaus in der Lage, derar­tiges en passant mitzu­schleifen ohne sich weiter darum zu bekümmern. E. Elias Merhige hier tut das sehr unauf­dring­lich und inter­es­siert sich dann klamm­heim­lich doch für ganz andere Dinge wirklich.

Vampire haben keine Lobby, deshalb darf man sie auch unge­straft als Metapher hernehmen für alles und jedes. Das mündet dann leicht ins Beliebige, ja Paradoxe. Murnaus Nosferatu ist selbst das beste Beispiel für diesen Zustand, hier haben Film­wis­sen­schaftler und Kritiker den Vampir wahlweise zum (for)shadow Hitlers, zum Sinnbild des Tyrannen wie auch zum Gleichnis des ewigen Juden, des Ahasver gemacht. Wie angenehm also, dass sich Merhige da zur Abwechs­lung ganz auf den Regisseur kapri­ziert.

Ein Halbgott in Weiß wie gesagt, der Filme­ma­cher als Medikus, als Medi­zin­mann (wo von allem ein wenig mitschwingt: dem Wahnsinn, dem Glaube, der Magie). Ein Gedanke, der uns Ciné­philen natürlich von Haus aus vernünftig erscheint. Umso besser, wenn die Mixtur auch mal bitter schmeckt, sich sogar ab und an als Placebo erweist. So manches Zellu­loider­zeugnis droht dann aller­dings ersatzlos gestri­chen zu werden von der Posi­tiv­liste künst­le­risch wert­voller Filme. Dabei könnten wir – wenn wir Film quasi auf Rezept verab­rei­chen wollten, ganz indi­vi­duell abge­stimmt auf die Leiden und Gebrechen des Patienten und allein der indi­vi­du­ellen Wirkung, der Heilkraft nach gemessen – endlich einmal wegkommen vom leidigen Kunst­be­griff. Nun ist es ja nicht so, als ob wir kein Vers­tändnis aufbrächten für die Grals­hüter der Filmkunst, vom Stand­punkt ihrer Geilheit aus betrachtet zumal. Der G-Punkt der Kunst- oder Kommerz-, der E oder U-Feti­schisten liegt natürlich im orgi­as­ti­schen Moment der Entschei­dung, im die-Guten-ins-Töpfchen-die-Schlechten-ins-Kröpfchen-Spiel. Trotzdem gehört die Fantasie entschieden nicht zensiert, die erotische schon gar nicht und deshalb soll den Bedürf­tigen ihr Kintopp vs. Kunstfilm, ihr Klassiker vs. Popcorn­film getrost zur weiteren Allein­un­ter­hal­tung gegönnt sein. Nicht ohne an dieser Stelle entschieden dem cine­as­ti­schen anything goes das Wort zu reden, versteht sich.

»Die Stimmung, die das Team allgemein beherrschte, war gute Laune mit Witz und Spott gemischt,« erzählte einer über die Zusam­men­ar­beit mit Murnau. »Unein­ge­weihte, die in diesen Kreis traten, waren verblüfft, sich über Scherz und Ernst nicht mehr auszu­kennen. Es war der Übermut derer, die sich bewusst waren, etwas Unge­wöhn­li­ches zu schaffen.« F.W. Murnau als Mittel­punkt einer cine­as­ti­schen Spaß­ge­sell­schaft also, wider die Verbis­sen­heit, die Humor­lo­sig­keit, die Selbst­ge­rech­tig­keit der Hüter von Kunst und Kultur – das macht ihn uns gleich sympa­thisch. Der Schatten dieses Übermuts ist auch in Shadow of the Vampire zu spüren. Kino ist, das ist das schönste Fazit aus diesem Film, eine fröhliche Wissen­schaft.