Sexy Beast

GB/E 2000 · 88 min. · FSK: ab 16
Regie: Jonathan Glazer
Drehbuch: , ,
Kamera: Ivan Bird
Darsteller: Ben Kingsley, Ray Winstone, Ian McShane, Amanda Redman u.a.
Ray Winstone und Ben Kingsley im Zwielicht

One last job

England ist Gangs­ter­land.
Während bei uns namhafte Gangster wie die Gebrüder Sass erst durch Spiel­filme dem Vergessen entrissen werden, hegen und pflegen die Engländer ihr Andenken, ihre Bewun­de­rung und ihre Faszi­na­tion für legendäre Krimi­nelle, beginnend bei Jack the Ripper über die berühmten Eisen­bahn­räuber (allen voran natürlich Ronald Biggs) bis hin zu Unter­welt­kö­nigen wie den Kray-Brüdern.

Auch der englische Film kann sich dieser Begeis­te­rung nicht verwei­gern und so läßt es sich kaum ein engli­scher Regisseur nehmen, zumindest einmal einen Gangs­ter­film zu insze­nieren. Get Carter von Mike Hodges, Mona Lisa von Neil Jordan, Stormy Monday von Mike Figgis oder neuer­dings die Filme von Guy Ritchie, sind nur einige bekannte Beispiele für dieses scheinbar unein­heit­liche Genre, dessen Abgren­zung zum ameri­ka­ni­schen Pendant am schönsten in Mike Newells Donnie Brasco klar wird. Der Engländer Newell insze­niert zwar in Amerika, mit ameri­ka­ni­schen Schau­spie­lern, eine Geschichte über die italo­ame­ri­ka­ni­sche Mafia und trotzdem hat der Film stim­mungs­mäßig mehr mit dem Londoner East End als mit den New Yorker Mean Streets zu tun.
Während ameri­ka­ni­sche Gangs­ter­filme (ohne das quali­tativ zu werten) zu opern­hafter Größe neigen – große Gefühle, große Freund­schaft, großer Verrat, große Häuser, große Waffen – und die Verbre­cher als clevere Gewin­ner­typen gelten (vom meist tragi­schen Ende einmal abgesehen), denen nur von außen Gefahr droht, zeigen die engli­schen Filme die Routine, den Dreck, die Trost­lo­sig­keit im Leben der Krimi­nellen, wobei diese, gequält von Zweifel, Angst und dem Gefühl ein Versager zu sein, meist selber ihr größter Feind sind.

Auch Stephen Frears machte sich vor Jahren daran, seine Geschichte von engli­schen Gangstern zu erzählen und ausge­rechnet im sonnigen Spanien fand er den richtigen Platz dafür. In seinem Film The Hit entführen der sehr schweig­same John Hurt und der sehr junge und sehr ange­spannte Tim Roth den cleveren Terence Stamp (dessen Rolle in The Limey durchaus als Remi­nis­zenz von Steven Soder­bergh an den engli­schen Gangs­ter­film zu verstehen ist) aus seinem spani­schen Domizil, in das er sich zurück­ge­zogen hat, nachdem er zum Verräter, zur »Ratte« geworden war. Ihre endlose Autofahrt durch das heiße Spanien, der Hinrich­tung Stamps entgegen, ist ein intel­li­gent lako­ni­sches Drama, das seinen Reiz aus dem Aufein­an­der­prallen der so verschie­denen Charak­tere zieht.

Fast 20 Jahre nach The Hit hat es nun im Film Sexy Beast von Jonathan Glazer wieder einen Gangster nach Spanien gezogen. Doch Gal (Ray Winstone) musste nicht unter­tau­chen. Er hat vielmehr das wahr gemacht, wovon in tausend anderen Gangs­ter­filmen (in der Regel vergeb­lich) geträumt wird. Er hat sich zur Ruhe gesetzt, was manchem Exkol­legen aber ähnlich verwerf­lich erscheint wie Verrat.
Zufrieden liegt Gal in der prallen Sonne, genießt mit seiner Frau und einem befreun­deten Ehepaar das Leben in vollen Zügen und seine Sorgen drehen sich um so schil­lernde Themen wie der Frage, welche Farbe er dem Wasser seines Pools geben soll.

Doch in dieses Glück hinein bricht Don Logan (Ben Kingsley), ein Kamerad aus alten Tagen, der extra aus England kommt, um Gal für einen beson­deren Auftrag zu enga­gieren. Der Spaß ist dahin, denn Don ist das, was man in England gemeinhin als »pain in the ass« bezeichnet. Laut, gemein, brutal, nieder­trächtig, ziemlich durch­ge­knallt und das er nicht einmal Angst vor dem Teufel hat, ist durchaus wörtlich zu nehmen. Doch das Schlimmste ist: Don akzep­tiert keine Absage Gals. Der psychi­sche Zweikampf zwischen dem gemüt­li­chen Gal, der vom gefähr­li­chen Geschäft des Verbre­chens nichts mehr wissen will und dem uner­bitt­li­chen Don kann beginnen. Dieses endlose Hin und Her wird fast die Hälfte des Films bean­spru­chen und am Schluß verlieren beiden. Lachender bzw. faszi­nierter Dritter ist der Zuschauer, der diesen mentalen Zweikampf verfolgen darf.

Gal fährt schließ­lich nach London, um bei dem geplanten Raub mitzu­ma­chen und damit wechselt der Film sein Gesicht. Waren bisher die vorherr­schenden Farben Rot (alleine schon die sonnen­ver­brannte Haut von Ray Winstone!), Gelb oder Orange, so ist London blau, grün und grau. Es sind die entspre­chenden Farben, um Gals Stimmung in seiner alten Heimat zu beschreiben. Er will eigent­lich nicht hier sein, er hat mit dem verreg­neten, tristen England schon lange abge­schlossen und zu allem Überfluß trägt er auch noch ein ziemlich tödliches Geheimnis mit sich herum.
Wie in einem düsteren Alptraum durchlebt Gal die Vorbe­rei­tung des großen Raubes, immer miss­trau­isch belauert vom Ober­gangster Teddy Bass (Ian McShane), dessen Gefähr­lich­keit, im Gegensatz zu der des gewalt­tä­tigen Don Logan, bedeutend subtiler ist.
Der eigent­liche Einbruch ist dann beinahe eine Neben­sache (wenn auch sehr originell und untypisch insze­niert), ohne das große Gedöns, das in solchen Filmen sonst um den perfekten Coup gemacht wird. Viel span­nender ist hier die Frage, wie bzw. ob Gal aus der Sache wieder heraus­kommt und ob er sein geliebtes Spanien jemals wieder­sieht.

Glazer gelingt somit ein Gangs­ter­film in bester briti­scher Tradition, indem er nicht das Verbre­chen, sondern die Verbre­cher und ihre Miseren in den Mittel­punkt stellt. Sexy Beast ist eine wunder­bare Reflexion darüber, wie Menschen mit Zwängen und Erwar­tungs­hal­tungen umgehen, wie sie versuchen sich daraus zu befreien und sich bei diesem Versuch nur noch weiter darin verstri­cken.
Dass der Film dabei kein mora­li­sches, trockenes Lehrstück ist, dafür sorgt die frische und kreative Insze­nie­rung Glazers, der ein intel­li­gentes Drehbuch, hervor­ra­gende Darsteller (allen voran natürlich Ray Winstone, der schon 1997 in dem wunder­baren Gangs­ter­film Face von Antonia Bird bril­lierte und Ben Kingsley – der Mann der Gandhi und Moses spielte!!! – der mit beinahe 60 Jahren einen selten gesehenen (körper­lich) harten, brutalen und abstoßenden Kotz­bro­cken darstellt) und eine exzel­lente visuelle Umsetzung zu einem nahtlosen Ganzen zusam­men­fügt und auch noch gekonnt mit Latino-Rhythmen von Roque Banos, elek­tro­ni­schen Beats von UNKLE und verschie­denster Source Music kommen­tiert.

Der richtige Einsatz der Musik ist für Glazer kein Problem, da er vor seinem Spiel­film­debüt mit Sexy Beast Werbung und Musik­vi­deos drehte. Nun sollte man eigent­lich meinen, dass das Vorurteil, das manche Kritiker gegen Regis­seure mit einer derartige »Vorbil­dung« hegen, mitt­ler­weile ausge­storben ist, da die Kino­rea­lität immer wieder den Gegen­be­weis liefert (man denke nur an David Fincher oder Spike Jonze). Trotzdem werden jetzt wieder Stimmen laut, die Sexy Beast zwar als schön, rasant und technisch einfalls­reich loben, die aber bemäkeln, der Film bleibe an der psycho­lo­gi­schen Ober­fläche. Solche Kritik ist aber gerade hier lächer­lich, da es ausge­rechnet Glazer ist, der es allein durch Musik und Bilder schaffte, sogar seinen Videos (z.B. für UNKLE oder Massive Attack) so etwas wie psycho­lo­gi­sche Tiefe zu geben.
Emotionen werden bei Glazer nicht durch tonnen­schwere Dialoge, sondern durch sugges­tive Szenerien, die direkt in unser Gehirn treffen, vermit­telt.
Manchen erscheint dies offen­sicht­lich als filmi­scher Fehler. In Wirk­lich­keit sind es aber diese magischen Bilder, die seit jeher die wahre Faszi­na­tion des Kinos ausmachen.