Peter Pan

USA 2003 · 107 min. · FSK: ab 6
Regie: P.J. Hogan
Drehbuch: ,
Kamera: Donald McAlpine
Darsteller: Jason Isaacs, Jeremy Sumpter, Rachel Hurd-Wood, Lynn Redgrave u.a.
Peter Pan und seine Lost Boys

Fliegen lernen

Mädchen, nicht nur kleine, lieben Piraten. Wir erinnern uns, dass man dies erst kürzlich ins Gedächtnis gerufen hatte – in Pirates of the Caribbean. Hier nun beginnt alles mit einem Mädchen, dass gern Pirat wäre, also eine Art Junge, dass ihren kleineren Brüdern Pira­ten­ge­schichten vorliest, aber auch Märchen, ausge­rechnet Cinde­rella, und man denkt kurz einmal an den gleich­na­migen Komplex. Dass darf man, denn unge­achtet von allem, was hier an der Ober­fläche passiert (und das ist viel), enthält P.J. Hogans (Muriels Wedding, My best friends wedding) neue Peter Pan-Verfil­mung auch genug tiefer schür­fendes, das das Nach­denken lohnt. Wie in der Psycho­ana­lyse geht es um den Stoff, aus dem die Träume sind. Und so ist Peter Pan natürlich auch ein Film zum gleich­na­migen Syndrom.

Ein trauriges Märchen, ganz klar. Doch gerade weil sie wissen, wie nahe die Trauer beim Glück liegt, sind vikto­ria­ni­sche Kinder­ge­schichten besser, als die Kinder­ge­schichten unserer Tage, weil wahr­haf­tiger und unver­lo­gener.

»All children grew up – except one.« Pling, pling macht die Musik, und wir befinden uns in London im späten 19.Jahr­hun­dert. Wendy, meint zumindest ihre jüng­fer­liche Tante mit dem wunderbar vikto­ria­ni­schen Namen Millicent, »is almost a woman«. Sie hat Wendys Zeich­nungen gesehen: »Certainly she had been dreaming« aber »If this is you in bed – who is this?« Und der Schluß folgt auf dem Fuß: »It’s time for you, to grow up!« Viel­leicht ist Tante Millicent einfach nur neidisch auf Wendys süße Träume, viel­leicht meint sie es wirklich gut, doch jeden­falls ist sie kräftig dabei, Wendy ihrer Kindheit zu berauben. Und dass ihr Vater hier ein ziem­li­cher Feigling ist, wohl­mei­nend aber schwach, das wird sich bald auch noch rächen, zumindest in Wendys Träumen.

So lernt Wendy Peter Pan kennen. Sie schenkt ihm einen Kuss. Doch er, der nicht erwachsen werden will oder kann, weiß nicht, was das ist, und schenkt ihr eine Eichel – die ihr später das Leben retten wird. Dann geht alles plötzlich ganz schnell, die letzte Nacht der Kindheit beginnt. Wendy muss fliegen lernen, hat »Angst vorm fliegen«, Feenstaub hilft: »Come away! Come away to Neverland.« – »Never is an awfully long time,« keine schlechte Antwort. Doch die Erzäh­lerin beendet die Debatte in wunder­barer engli­scher Logik aus dem Off: »It would be a delight thing to report, that the patents reached the children in time. But then – there would be no story.«

»There is no such thing as a fairy« – »Don’t say that.«

Die Geschichte von Peter Pan, zuerst in Form mehrer Kinder­bücher vom briti­schen Autor James M. Barrie (1860-1937) erzählt, handelt von einem Kind, das nicht erwachsen werden will. Doch die eigent­liche Heldin des Buches ist nicht Peter Pan, sondern Wendy, eine ferne Schwester von Alice in Wonder­land. Aben­teu­er­lustig und von einer Vorliebe für Pira­ten­ge­schichten getrieben, verlässt sie ihr vikto­ria­ni­sches Zuhause und reist gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Brüdern durchs Plane­ten­system in eine Paral­lel­welt: »Neverland«, das Reich des Verges­sens, in dem nicht nur Peter Pan, sondern auch allerlei Feen, wilde Tiere und nicht zuletzt der schur­kisch-charmante Käptn Hook leben. Dort durch­steht Wendy viele spannende Abenteuer, lernt fliegen, freundet sich mit Peter Pan an und versteht am Ende doch, dass die ewige Kindheit auch eine ewige Gefan­gen­schaft bedeutet, dass Leben bedeutet »Neverland« zu verlassen und erwachsen zu werden.

Dies in etwa ist die Geschichte, die bisher alle 20 Peter Pan-Verfil­mungen erzählt haben, vom ersten Stummfilm im Jahr 1924 über den phäno­me­nalen, zu Recht berühmten und immer noch erstaun­lich unge­al­terten Disney-Anima­ti­ons­film von 1953 bis hin zu Steven Spiel­bergs Hook, der die erwach­senen, Kind geblie­benen Peter und Hook in einer depres­siven ewigen Wieder­kehr der immer gleichen sinnlosen Kämpfe zeigt.

P.J. Hogans neue Verfil­mung des Stoffes orien­tiert sich wieder stark an Geist und Magie der Origi­nal­vor­lage, und bietet eine erwach­sene, gleich­wohl für Kinder gut geeignete Inter­pre­ta­tion des Stoffes. Einmal mehr zeigt sich, dass viele vikto­ria­ni­sche Kinder­sto­ries, entgegen dem Vorurteil, gar nicht spießig und verstaubt sind, im Gegenteil: Versucht man heute, gleich­zeitig kuschelig und pädago­gisch wertvoll zu sein, ist »Peter Pan« in vielem wahr­haftig und unver­logen, manchmal richtig traurig, und dann doch wieder einfach ein bezau­berndes Märchen.

Etwa die Lost Boys. Kinder, die unschuldig schuldig werden, spie­le­risch alles kaputt machen. Es geht, das ist bei Hogan in jedem Augen­blick erkennbar, um erwach­sene Themen: Die Angst vorm Allein­sein, die Peter mit Hook teilt, die beide dazu bringt, sich Wendy als eine Art Gefangene halten zu wollen. Die Eifer­sucht der Feen. Die Gefühls­kälte. Etwa im zentralen Dialog des Films: »Peter? what are your real feelings?« fragt Wendy: »Feelings?« – »What do you feel? Are you in love?« – »Love? I never heard of it.« »You are just a boy.« sagt Wendy dann zu Peter Pan: »I want always to be a boy and have fun.« – »You say so. But I think, it’s your biggest pretend.«

»I do believe in fairys, I do, I do, I do!«

Mag die Botschaft »jeder muss erwachsen werden« auch konser­vativ, zumindest konven­tio­nell wirken, wider­spricht ihr der Stil des Films mit jedem Bild – so witzig und verspielt, so von der Lust am visuellen Abenteuer getrieben ist alles. Mit großen Augen geht man mit der Kamera von Donald M. McAlpine (der auch bei Baz Luhrmann’s Moulin Rouge die furiosen Bilder gestal­tete) durch dieses Wunder­land, und doch bleibt immer auch Raum zum Augen­zwin­kern. Weil der Film sich und seine Figuren nie zu ernst nimmt, ist dieses Märchen über Kindheit und verlorene Unschuld ein großer Spaß. Kinder dürfen sich auf Mantel-und-Degen-Abenteuer, auf Feen, Indianern, Piraten, Krokodile und einen Hauch von Robinson Crusoe freuen, erwach­se­nere Gemüter können die Doppel­deu­tig­keit und den Esprit mancher Dialoge genießen.

Gestei­gert wird der Genuß noch durch die sämtlich hervor­ra­genden Darsteller: Die 14jährige Rachel Hurd-Wood ist in ihrer ersten Kinorolle als Wendy einfach großartig. Als ob sie für diese Rolle geboren wurde: Action­heldin und fürsorg­liche Schwester, früh­reifes Mädchen und kleines Kind. Jeremy Sumpter als Peter Pan gut, allen­falls etwas »all american«. Ein toller Einfall ist aber Jason Isaacs Doppel­rolle als Hook und Wendys Vater (die viel psycho­lo­gi­schen Nebensinn hat), Lynn Redgrave als Tante Millicent und last not least Ludovine Sagnier, (bekannt u.a. aus Swimming Pool) als lieblich-boshafte Fee Tinker Bell mit fran­zö­si­schem Akzent.

Am Ende haben alle, sogar Hook, das Fliegen gelernt, und Hooks Pille, »a mixture of malice, jealousy and disap­point­ment,« gegen die es kein Antidot gibt, hat doch nicht gewirkt. Und man hat einen über­ra­schend gelun­genen, sehr unter­halt­samen und klugen Film gesehen. »Peter I am sorry. I must grow up. My first kiss belongs to you – and always will.« Eine Liebes­ge­schichte natürlich, nicht nur zu Piraten – doch der Traum der Kindheit und der unschul­digen Liebe ist endgültig zuende, der Alptraum des Erwach­sen­wer­dens beginnt – draußen vor dem Kino.

PS: Wer lang genug dem Nachspann des Films zuschaut, wird dort eine Widmung entdecken: »In the memory of Dodi Al-Fayed«, und sich fragen: Ist Wendy am Ende Diana? Hoffent­lich nicht.