Mission: Impossible – Phantom Protokoll

Mission: Impossible – Ghost Protocol

USA 2011 · 133 min. · FSK: ab 12
Regie: Brad Bird
Drehbuch: ,
Kamera: Robert Elswit
Darsteller: Tom Cruise, Jeremy Renner, Simon Pegg, Paula Patton, Josh Holloway u.a.
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Ein Bond ohne Bond-Girls

Sowje­ti­sche Ästhetik: fette Orden mit goldenen Sternen, tief­sit­zende Schirm­mützen, olivgrüne Uniformen, und darun­ter­ge­legt pathe­ti­sche Hymnen. Offiziere mit Schnurr­bärten, die ihre Unter­ge­benen zusam­men­brüllen. Auch Vladimir Putin wird diesen Film mögen – zumindest, bis der Rote Platz von riesigen Explo­sionen erschüt­tert und der Kreml zum Teil in Schutt und Asche gesprengt werden.

Hinter einer Art Tarnkappe, die einen leeren Gang vorspie­gelt, tasten sich Hunt/Cruise und sein Mitar­beiter durch eben jenen vor, relativ zu Beginn des Films. Später dann geht es durch einen Kanal-Tunnel, und als Cruise dann aus dem Kreml heraus­kommt, sieht er auf den ersten Blick aus wie ein sport­li­cher Ami-Tourist, erst auf den zweiten entpuppt er sich als fit-trai­nerter Holly­wood­star.

Er macht’s also noch einmal. Inzwi­schen, gut ein halbes Jahr bevor Tom Cruise 50 Jahre alt wird, stellt sich bei jedem Tom-Cruise-Action­film immer als erstes die Frage: Merkt man’s? Kann er’s noch? Eigent­lich sollte man sich so etwas nicht fragen in so einem Film, sondern wegge­rissen werden von der Action, von Spannung und Herz­schlag­kino, und an gar nichts denken als an die unglaub­li­chen Dinge, die da auf der Leinwand passieren. Eigent­lich sollte die körper­liche Verfas­sung des Haupt­dar­stel­lers bei so einem Film auch nicht die Haupt­sache sein.

Aber mit Tom Cruise ist es inzwi­schen so ähnlich wie bei Sean Connery in der Endphase seines James-Bond-Enga­ge­ments. Man fragt sich: Warum tut der Mann sich das überhaupt noch alles an? Er hätte es doch überhaupt nicht nötig. Finan­ziell sowieso nicht, aber auch nicht als Schau­spieler, denn jeder weiß – denken wir nur mal an Filme wie Magnolia, Vanilla Sky oder Die Farbe des Geldes –, dass er viel Besseres kann. Aber in den letzten Jahren hat Cruise sein Reper­toire doch erheblich einge­schränkt, und sich, abgesehen von einem Film wie Tropic Thunder und Valkyrie, der aber auch in gewissem Sinn eine Mission: Impos­sible – Folge war, auf die Rolle des Ethan Hunt, Spezia­listen für unmög­liche Aufträge, beschränkt. Manchmal tut es einem schon beim Zuschauen weh, aber das ginge einem nicht anders, wenn Cruise zehn Jahre jünger wäre. Mag seine Lässig­keit auch manchmal etwas antrai­niert wirken – in punkto Disziplin und Ehrgeiz war Cruise schon immer unschlagbar.

Auch in der vierten Auflage der erfolg­reichsten Fern­seh­serie des ameri­ka­ni­schen Senders CBS (1966-1973) um eine unab­hängig agierende Spio­na­ge­truppe im Kalten Krieg, die spek­ta­ku­läre »unmög­liche Aufträge« übernimmt, steht er im Zentrum. Aller­dings ist der Film wieder mehr als der zweite und dritte Teil am Seri­en­vor­bild dran, und entfaltet ein ganzes Team. Zwar ist der Film immer noch viel zu viel eine One-Man-Show von Cruise/Hunt, doch kommen auch die anderen Team­mit­glieder – Jeremy Renner, Paula Patton, Simon Pegg und Tom Wilkinson – zu bedeu­ten­deren Aufträgen.

Ein irgendwie seltsam getrie­bener, unent­spannter, humor­loser Kreuz­ritter

»Ethan, was ist da im Kreml passiert.« – »Das war eine Falle.« – »Die Russen klas­si­fi­zieren das als Akt eines nicht erklärten Krieges. Die Schuld schreibt man Ihnen und Ihrem Team zu. Der Präsident hat das Phantom-Protokoll aktiviert. Die gesamte Existenz des IMF wird verleugnet.« – »Und was passiert jetzt?« – »Ihre Mission.« – (Dialog­pas­sage aus dem Film)

»We have work to do«, sagt Cruise, und meint damit vor allem die Bewäl­ti­gung archi­tek­to­ni­scher Hinder­nisse. Denn Archi­tektur spielt in diesem Film nicht nur eine große Rolle, sie ist ein zentraler Akteur. Zum einen funk­tio­niert sie als Parcours für das IMF-Team, und Cruise/Hunt muss sich kurz einmal sogar in eine Art Spider-Man verwan­deln. Zu seiner Fassa­den­klet­terei, bei der sich Cruise an der Fassade des höchsten Büro-Hotel-Turm der Welt, des 828 Meter hohen Burj Khalifa in Dubai höchst­per­sön­lich herum­schwenken lässt, benutzt er Spezi­al­hand­schuhe mit Saug­näpfen, die im Zuschauer unwei­ger­lich die Frage provo­zieren: Gibt es solche Hand­schuhe wirklich? Kaum, denken wir, aber die Frage sei hiermit an die Leser weiter­ge­geben. Wir haben sie uns jeden­falls zu Weih­nachten gewünscht (aber leider nicht bekommen).
Zum Zweiten aber symbo­li­siert diese Archi­tektur die Macht des Gegners, der über­wunden werden muss, und die Welt­um­spannt­heit, also Bedeutung des Mission-Impos­sible-Projekts. Archi­tektur als Herr­schafts­aus­druck. Ihrer Macht gleich kommen keine Menschen, sondern die Natur: ein Sandsturm in der Wüste.

Auch die Handlung ist in gewissem Sinn nost­al­gisch, kreist sie doch wieder mal um einen bösen, irren Russen, einen größen­wahn­sinnig gewor­denen Wissen­schaftler namens Kurt Hendricks mit Tarnnamen »Cobalt«, der die Welt wieder mal mit einem Atomkrieg und der ulti­ma­tiven Vernich­tung bedroht. Eine Neuauf­lage des Doktor No, der die Evolution beschleu­nigen möchte. Und wieder mal wird der Untergang erst Sekun­den­bruch­teile vor der Vernich­tung aufge­halten: Die Raketen mit den Atom­spreng­köpfen befinden sich schon im Anflug, da wird, moderne Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logie sei Dank, alles noch einmal verhin­dert. Vertraute Gefahren sind immerhin vertraut.
So hat der Film wenigs­tens den Nutzen, uns alle daran zu erinnern, dass mit dem Ende des Kalten Kriegs keines­wegs auch das Ende der atomaren Vernich­tungs­dro­hung einher­ging, dass die Welt wie gehabt vielfach in die Luft gesprengt werden kann.

So befinden wir Zuschauer uns gewis­ser­maßen wieder zurück im heimi­schen Terrain eines James-Bond-Films: Der isla­mis­ti­sche Terro­rismus scheint vorerst auser­zählt, und das »Reich des Bösen« liegt wieder bei »den Russen« – wobei man sich fragt, warum Hollywood heute nicht mit Iranern und Chinesen genauso unbedarft klischee­lastig umgeht, wie einst mit den Sowjets? Ansonsten ist der Rest der Geschichte absolut modern und up to date: Der Weg des MI-Teams führt vom ehema­ligen Ostblock, wo im Herzen von Moskau nichts weniger als der Kreml überaus spek­ta­kulär in die Luft fliegt, nach Dubai und Bombay, also in zwei neue Zentren des Weltkinos. So ist dieser Film auch ein Showreel der Film­in­dus­trie und der Globa­li­sie­rung, immer noch aus der scheinbar sicheren ameri­ka­nisch-kolo­nia­lis­ti­schen Position der »White Men’s Burden«: Inder werden veralbert, und den Rest erzählt die Action.

Neben Nostalgie tritt also Ultra­mo­derne: Ohne Smart­phone und i-Pad ist keine Mission mehr possibel in Holly­woo­dac­tion­kino, 3D-Effekte sind schon wieder out, und in der Bild­ge­stal­tung verlässt man sich auf den Standard der IMAX-Rund­um­kinos. Und die Plat­zie­rung von coolen Marken ist im semio­ti­schen System Holly­woods das Gleiche wie Bedeutung und funk­tio­niert wie Verkür­zung von Narration: Weil coole Technik zu sehen ist, muss es wichtig sein, was erzählt wird, und weil coole Technik zu sehen ist, schaltet der Zuschauer seinen Verstand aus und fragt nicht weiter nach Erklä­rungen.

So keusch wie ein Wallach

»We all have our secrets.« – »You tell me yours, I'll tell you mine.« – (Dialog­pas­sage aus dem Film)

Während Cruise/Hunt im dritten Teil noch verhei­ratet war, ist er nun angeblich schon Witwer geworden. Dass dies nicht ganz stimmt, ist zu früh zu ahnen – im Ergebnis führt es dazu, dass die exzel­lente Michelle Monaghan, die als Hunts Agen­ten­braut Julia dem Darsteller seiner­zeit klar die Schau stahl, aus der Serie einst­weilen verschwunden ist, die Hunt-Figur jedoch den ganzen Film über so keusch und asexuell ist wie ein Wallach. Was im Fall von Cruise wohl auch besser ist, denn als er sich dann am Schluss kurz als liebender Ehemann insze­niert, wirkt er endgültig wieder wie ein Schwach­kopf.
Den rätsel­haf­testen Part hat trotzdem eine Frau: Frank­reichs neuer Superstar Léa Sedoux spielt eine geheim­nis­volle Femme fatale, die zur Schlüs­sel­figur wird. Und allein der Catfight mit Paula Patton – beide im kleinen Irgend­etwas – ist den Besuch des Films schon wert.

Mitunter merkt man Mission: Impos­sible – Phantom Protokoll an, dass Regisseur Brad Bird eigent­lich Zeichen­trick- und Kinder­film­spe­zia­list ist (The Incredi­bles, Rata­touille), und noch nie einen Action­film gedreht hat. Tom Cruise und Konsorten hechten und hasten durch diesen Film wie reine Zeichen­trick-Kunst­fi­guren – die Attrak­tion von Stehauf­fi­guren in einem Kino als Jahrmarkt. Vor allem merkt man, dass die beiden Dreh­buch­au­toren bisher nur Fern­seh­se­rien geschrieben haben: Mission: Impos­sible – Phantom Protokoll fügt im Prinzip mehrere kurze Episoden relativ lose und unver­bunden anein­ander, der große Bogen fehlt völlig. Insgesamt aber bietet der Film kurz­wei­liges, unter­halt­sames Spek­ta­kel­kino, zwei, drei höchst spek­ta­ku­läre Stunts und funk­tio­niert besser als der dritte Teil und Vieles, was man sonst auf Holly­woods Lein­wänden geboten bekommt. Ein Rata­touille ist ein etwas besserer einge­kochter Eintopf, aber am Ende eben doch vor allem – ein Eintopf. Ziemlich genau das kann man auch über Mission: Impos­sible – Phantom Protokoll sagen. Viele Zutaten, keine fehlt, eini­ger­maßen gewürzt ist das Ganze auch.

Ästhetik der Atem­lo­sig­keit: Man würde diese Menschen ja gern mal beim Essen sehen

Der Subtext ist natürlich ein anderer: »Die Welt läuft schwer aus dem Ruder«? Nein. »Irre sind irre?« Nein, auch nicht. Das eigent­liche Thema des Films ist der Stress und seine Insze­nie­rung: Denn alle diese Menschen, Böse wie Gute, sind 24/7 bei der Arbeit. Der Film zeigt sie noch nicht mal mehr beim Reisen. Darum kann man hier auch leicht mal durch­ein­ander kommen, ob man sich jetzt gerade in Shanghai oder noch in Dubai befindet, oder schon in Hawaii. Darum kann der Film mit seinen touris­ti­schen Momenten so wenig anfangen. Er ist zwar in Moskau/Dubai/Bombay, aber er könnte auch irgendwo sonst sein, weil er den Raum irgend­wel­cher Auftrags­land­schaften sowieso nie verlässt, weil es im Stress-System der Mission Impos­sible sowieso kein Inne­halten mehr gibt, keine Faulen­zerei, keine Bond-Spiel­ca­sinos, keine Bond-Drinks und schon gar keine Bond-Girls.
Hedo­nismus Impos­sible: Als Ethan Hunt ist Tom Cruise immer und überall auf Mission, und wenn er eines nicht hat, dann Zeit. Kein Wunder, er wird ja auch bald 50, die Jahre zählen doppelt. So imitiert die Mission: Impos­sible-Franchise nur scheinbar das James-Bond-Muster. Es gibt zwar Schau­werte, Luxus und Mode. Es gibt spek­ta­ku­läre Stunts und verrückte tech­ni­sche Spiel­zeuge. Was aber fehlt ist alles, was das Leben jenseits des Auftrags schön macht. So wirkt Cruise/Hunt hier eher wie ein moderner Templer, ein irgendwie seltsam getrie­bener, unent­spannter, humor­loser Kreuz­ritter.

Man würde diese Menschen ja auch gern mal beim Essen sehen, auf dem Klo, bei der Vorbe­rei­tung und Planung eines Einsatzes. Aber die Ästhetik der Globa­li­sie­rung ist auch eine der Atem­lo­sig­keit. Die ganze Welt ist ein einziges Heim­netz­werk geworden; solange das WiFi funk­tio­niert ist jede Mission möglich, aber alles Mögliche auch zur Mission geworden. Das und nichts anderes ist die Botschaft.