Jugend ohne Jugend

Youth Without Youth

USA/D/I/F/RO 2007 · 124 min. · FSK: ab 12
Regie: Francis Ford Coppola
Drehbuch:
Kamera: Mihai Malaimare jr.
Darsteller: Tim Roth, Alexandra Maria Lara, Bruno Ganz, André Hennicke, Marcel Iures u.a.
Vom Blitz getroffen

In der Twilight Zone

Blutrote Rosen tauchen die Leinwand in ein Zwielicht. Ein wenig denkt man an ein riesen­großes Kalei­do­skop. Die Bilder zeigen Krieg und ferne Vergan­gen­heit, schöne Frauen, böse Männer und göttliche Stimmen – der Albtraum eines fast 70-jährigen. Dann setzt die Geschichte ein, eine Traum­no­velle, die sich um Wieder­ge­burt und die Ursprache der Mensch­heit dreht – kleiner geht‘s nicht bei Francis Ford Coppola. Coppolas neuer Film ist zwar eine intel­lek­tu­elle Zumutung – was aber vor allem der Vorlage geschuldet ist. Ästhe­tisch ist er aber der Beachtung wert.

Francis Ford Coppola – wenn dieser Name fällt, horchen die Film­lieb­haber aller Länder noch immer auf. Coppola ist einer der aller­größten lebenden Regis­seure, einer der sich seit Ende der 60er Jahre vielfach für alle Zeiten in die Film­ge­schichte einge­schrieben hat, mit epochalen Werken wie dem drei­tei­ligen Epos der Italo­ame­ri­cans, The Godfather, mit Apoca­lypse Now, mit Bram Stoker´s Dracula. Auch Weiteres ist unver­gessen: Conver­sa­tion, One From the Heart, Rumle Fish.

Immer wieder, über alle Zeiten, Stile und Inter­essen hinweg handeln Coppolas Filme sehr geschichts­be­wußt und klug von Geld, Macht und Gewalt, von Vätern und Söhnen, von archai­schen Schick­salen und der Realität inmitten des American Dream; seltener handeln sie von Liebe und Jugend, seltener von Unschuld als von ihrem Verlust.

Zuletzt hatte sich Coppola vom Regie­hand­werk zurück­ge­zogen. Das lag kaum an den zeitweise massiven finan­zi­ellen Problemen mit seiner Produk­ti­ons­firma, viel­leicht schon mehr an dem Zeit­auf­wand, den ihn der – weitaus lukra­ti­vere – Wein­handel kostete, aber auch nicht wirklich daran, dass sich das Kino seit Coppolas Anfängen mehr als einmal selbst neu erfunden hat, und aus Sicht des Regis­seurs zumindest in den USA längst zu einem infan­tilen Verg­nü­gungs­park retar­diert ist – immerhin hat Coppola weiterhin als Produzent an ziemlich vielen Filmen mitge­wirkt. Viel­leicht hat Coppola mit fast 70 Jahren einfach schon alles Wesent­liche erzählt. Viel­leicht darf man nach knapp 30 Regie­ar­beiten, darunter mega­lo­ma­ni­schen Projekten, wie Apoca­lypse Now, die manch anderen ins Irrenhaus befördert hätten, auch einfach sagen: Es ist genug.

Wieder­ge­burt, Verjün­gung, Suche nach der Ursprache

Nach zehn Jahren kommt Coppola nun aber doch zurück, und da er das nicht muss, und sein neuer Film Youth Without Youth (»Jugend ohne Jugend«) auch – soviel kann man sagen, ohne Prophet zu sein – zumindest kein Block­bus­terhit werden wird, muss es sich wohl um eine Herzens­an­ge­le­gen­heit handeln.

Erzählt wird die Geschichte eines faus­ti­schen Pakts. Im Zentrum steht der alte Traum von ewiger Jugend, nach Wieder­ge­burt, Verjün­gung und Neuanfang. Das ist schon eine ganze Menge Gewicht, eigent­lich genug für einen einzigen Film. Es gibt aber noch ein zweites Zentral­thema. Das ist die Suche nach jener Ursprache, von denen die heiligen Schriften diverser Kulturen die Rede ist. Coppola hat sich und seinem ersten Film nach zehn Jahren Regie-Absenz eine schwere Last aufge­bürdet.

Aber der Reihe nach: Die Vorlage zu dem von Coppola selbst geschrieben Drehbuch stammt von dem rumä­ni­schen Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen Mircea Eliade (1907-1986, stell­ver­tre­tend für die folgenden Passagen: Mircea Eliade: »Erin­ne­rungen 1907-1937«, Norman Manea: »Felix culpa – Erin­ne­rung und Schweigen bei Mircea Eliade«; in: ders.: »Über Clowns« Hanser Verlag, München 1992 und Hannelore Müller: »Der frühe Mircea Eliade. Sein rumä­ni­scher Hinter­grund und die Anfänge seiner univer­sa­lis­ti­schen Reli­gi­ons­phi­lo­so­phie«; Hamburg 2004). Eliade studierte zunächst Philo­so­phie in Bukarest, vor allem bei dem charis­ma­ti­schen Nae Ionescu, Anhänger von Nietzsche und deutscher Lebens­phi­lo­so­phie, Professor für Logik und Meta­physik und Mystiker, dessen Assistent Eliade später war. Dann studierte er in Kalkutta Sanskrit und indische Philo­so­phie, kehrte 1932 zurück und wirkte 1939 bis 1945 formal als Assis­tenz­pro­fessor für Reli­gi­ons­ge­schichte und indische Philo­so­phie an der Univer­sität Bukarest arbeitete, tatsäch­lich aber 1940 als rumä­ni­scher Kultur­at­taché in London, 1941/42 in gleicher Position in Lissabon und danach in Madrid tätig war, dann bis 1956 an der Pariser Sorbonne und seitdem als Professor für verglei­chende Reli­gi­ons­wis­sen­schaften in Chicago lehrte, war ein Univer­sal­ge­lehrter von in jedem Sinne alteu­ropäi­schen Zuschnitt. Das heißt, das der ganze Gestus seines Werks wie seiner Persön­lich­keit im 19. und frühen 20. Jahr­hun­dert wurzelte, und hier wieder in einer spezi­fisch mittel­ost­eu­ropäi­schen Ausprä­gung des Intel­lek­tu­ellen, für die das Abendland noch lange nicht unter­ge­gangen ist, die mit sehe­ri­scher Pose verbunden ist, nach außen abweisend, und gegenüber der Masse und insbe­son­dere der als »Massen­kultur« verach­teten pluralen Kultur der Moderne abweisend. Die eigene Rolle wird als die eines geistigen Führers von Volk, Vaterland und Mensch­heit in der Nachfolge der plato­ni­schen Idee des Philo­so­phen­kö­nig­tums inter­pre­tiert.

Seherpose, welt­an­schau­liche fiction und »Eiserne Garde«

Das welt­an­schau­liche – man scheut sich von Theorie, Philo­so­phie oder gar »Nonfic­tion« zu sprechen – Werk Eliades atmet den Gestus des direkten Zwie­ge­spräch mit dem Weltgeist, und stellt den Anspruch, die in ihm behan­delten Phänomene »von innen heraus«, durch tiefere Einsicht und emotio­nale Durch­drin­gung zu behandeln, und nicht etwa durch schnöde, kalt­herzig-moderne Beweis­struk­turen zu besudeln. Viel ist vom »Seelen­raum«, von »ewigen Sinn­bilder«, vom »Unver­gäng­li­chen« und von Mysterien die Rede. Eliade betreibt also keines­wegs Wissen­schaft im neuzeit­li­chen Sinn, eher ist er ein Mythomane.

Aber auch seine Romane und phan­tas­ti­schen Geschichten sind zugleich anspruchs­reiche Essays, die die großen mono­the­is­ti­schen Welt­re­li­gionen, orien­ta­li­sche Sprachen, indischen Scha­ma­nismus, mythische Arche­typen mitein­ander vermengen.

Auch einige tota­litäre Gedanken lassen sich in ihnen leicht entdecken, was auf den dunkelsten Fleck in Eliades Biografie führt, die von ihm lange verschwie­gene, erst nach seinem Tod in ihrem Umfang aufent­deckte Mitglied­schaft in der brutalen christ­lich-faschis­ti­schen »Eisernen Garde« des Corneliu Codreanu. In seinem 1935 veröf­fent­lichten Roman »Die Hooligans« verklärt Eliade das von d‘Annunzio und anderen Fin-de-Siecle Autoren ange­le­sene neue Lebens­ge­fühl des grausamen amora­li­schen Lebens.

Nur ein Beispiel unter vielen über­lie­ferten: Nachdem der Rektor der Univer­sität von Iasi von rechts­ra­di­kale Studenten regel­recht zerstü­ckelt worden ist, meinte Eliade im Gespräch mit Freunden, »er, Mircea Eliade, hätte sich nicht damit begnügt«, sondern dem Mann »auch noch die Augen ausge­sto­chen. Alle, die eine andere Politik als die Gardisten vertreten, sind Volks­ver­räter und haben das gleiche Schicksal verdient.« 1980 beschrieb Eliade dann diese »bis zur Grau­sam­keit gehende Rück­sichts­lo­sig­keit« und »krasse Amora­lität« jener Mord- und Schlä­ger­banden, denen er selbst angehörte, und die »jederzeit bereit waren, Fenster und Köpfe einzu­schlagen, Synagogen auszu­rauben oder Bücher zu verbrennen.«

Selbstopfer, Neomys­ti­zismus, Hitler und die Umkehrung der Welt­ge­schichte

Kaum analy­siert wird von Eliade dabei aller­dings, was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte. Dabei gingen im rumä­ni­schen Faschismus die Idee eines klerikal-auto­ritären Obrig­keits­staats, der christ­lich verbrämte Kult des Selbstop­fers im Kampf, des Leidens und des Todes mit dem Neomys­ti­zismus mancher faschis­ti­schen Flügel, mit Ultra­na­tio­na­lismus, Anti­se­mi­tismus und gewalt­tä­tiger Schre­ckens­herr­schaft gut zusammen. Und Eliade war einer derje­nigen, die dafür die geistige Unter­füt­te­rung bereit­stellten. In den 30er und 40er Jahren offent­li­cher Bewun­derer von Hitler, Mussolini, Franco und Salazar, veröf­fent­lichte er diverse Zeitungs­ar­tikel völkisch-rassis­ti­schen Inhalts, Loblieder auf das Portugal Salazars, und seinen »auf Liebe gegrün­deten« kleri­kal­fa­schis­ti­schen Staat. Das geschichts­phi­lo­so­phi­sche Fundament solcher Posi­tionen bildet die Grundidee von Eliades Denken: Die Rückkehr zu einem Europa vor der Renais­sance, der Abschied von der Moderne durch die Umkehrung des Verlaufs der Welt­ge­schichte.

In der erst 1988 postum veröf­fent­lichten phan­tas­ti­schen Novelle »Jugend ohne Jugend« ist unter anderem von der »Aufleh­nung gegen die konkrete histo­ri­sche Zeit« die Rede, der Frage, wie der Mensch, als ein »Sklave der Geschichte« »aus der histo­ri­schen Zeit heraus­treten, eine andere Zeit wieder­finden«, könne.

Die Story ist ein esote­ri­scher Trip und handelt von einem 70 alten Wissen­schaftler, dem berühmten Lingu­isten Dominic Matei. Ihn darf man sich sehr wohl als Alter Ego Mircea Eliades vorstellen, bis auf dessen poli­ti­sche Über­zeu­gungen jeden­falls, denn mit dem Natio­nal­so­zia­lismus hat Matei nichts am Hut. Das ist wichtig, denn der Film setzt genau im Jahr 1938 ein, exakt zu dem Zeitpunkt also, an dem Hitler sich anschickte, seine Welte­r­obe­rungs­pläne in die Tat umzu­setzen, und Eliade sich auf dem Höhepunkt seiner faschis­ti­schen Initia­tion befand. Matei ist von der Idee besessen, die älteste Sprache der Mensch­heit zu finden, jene Sprache, die vor dem Zusam­men­bruch des baby­lo­ni­schen Turmes gespro­chen wurde. Am Ende seines Lebens fürchtet er, sein Lebens­werk nicht vollenden zu können. Da trifft ihn – ausge­rechnet am Ostertag! – ein Blitz. Statt zu sterben, überlebt er, und begreift, dass er überdies wunderbar verjüngt wurde, und über über­mensch­liche Fähig­keiten verfügt: Für ein dickes kompli­ziertes Buch braucht er nur ein paar Sekunden, eine neue Sprache lernt er in wenigen Stunden – ein intel­lek­tu­eller Superheld. Und der feuchte Traum eines Geis­tes­wis­sen­schaft­lers.

Verdrehte Augen, eksta­tisch-visionäre Schübe, baby­lo­ni­sches Gerede – ein Spielball männ­li­cher Phan­ta­sien

Matei erlebt in den folgenden Jahr­zehnten Krieg und Faschismus, muss sich gegen die Verein­nah­mungs­ver­suche durch deutsche Natio­nal­so­zia­listen und deren Phan­ta­sien vom neuen Menschen wehren, wird Zeuge von Spaltung Europas und Mond­lan­dung, er trifft eine Liebe wieder, die dann schon 60 Jahre her ist, und nähert sich seinem Lebens­ziel, den Anfang der Sprache zu finden.

Der Preis des Ganzen ist hoch: ein teuf­li­sches Alter Ego verfolgt Matei, und macht ihm sein verlän­gertes Leben zur Hölle – eine Doppel­rolle für Tim Roth. Neben ihm spielen Bruno Ganz und vor allem Alexandra Maria Lara, die die zahl­rei­chen Facetten und das Chao­ti­sche ihrer Figur ausge­zeichnet zusam­men­hält: Eine junge Frau namens Veronica, die zugleich eine andere namens Laura (! Preminger läßt grüßen) ist, die auf rätsel­hafte Weise zu altern anfängt, dabei wie eine mittel­al­ter­liche Heilige in eksta­tisch-visi­onären Schüben die Augen verdreht, und in immer älteren Sprachen, unter anderem Sanskrit und baby­lo­nisch redet – auch an The Exorcist darf man hier stilis­tisch denken. Diese Laura/Veronica, die auch noch zur Inderin mutiert, ist reiner Spielball männ­li­cher Phan­ta­sien.

Youth Without Youth mischt stilis­tisch Elemente klas­si­schen Horror­kinos wie mit neumo­di­schem Mystery, wie man es aus »Akte X« oder »Twilight Zone« eher im Fernsehen kennt und philo­so­phi­schem Essay, Wieder­ge­burts­glauben und Scha­ma­nismus-Geschwurbel.

Großar­tiger Trash: Nazis, esote­ri­sche Expe­ri­mente, Fran­ken­stein-artige Strom­stöße

Es ist erstaun­lich, was Coppola diesen intel­lek­tu­ellen Zumu­tungen Eliades dann ästhe­tisch alles abgewinnt, wie auch dieser Film jenen für Coppola typischen hallu­zi­na­to­ri­schen Sog atmet. Das prächtige Sepia, in das manche Passagen getaucht sind, das tiefes Blau, das hier für Nacht steht, signa­li­sieren nicht histo­ri­sche Beflis­sen­heit, sondern die Künst­lich­keit des Ganzen. Die Bilder sind makellos und wunderbar, das Schwarz­weiß herrlich. Wenn hier manche deutschen Kritiker von »krudem Nichts« reden, vom »erbärm­lichsten Film des Jahres« schwafeln, machen sie es sich viel zu einfach, wenn sie die »verquaste intel­lek­tu­elle Sinnsuche« bemängeln und vom »über­am­bi­tio­nierten europäi­schen Intel­lek­tu­ellen-Kino« schwafeln, verraten sie nur ihr eigenes Niveau.

Natürlich stimmt es, dass Coppola Bild­kli­schees benutzt. Aber glaubt man wirklich, er wüßte das nicht? Hält man Coppola ernsthaft für naiv und uniro­nisch? Wer ist da wirklich naiv? Man darf Coppolas Anfänge bei Roger Corman nie vergessen, sollte nicht übersehen, dass er immer schon für eine produk­tive Verwen­dung von Trash-Elementen zu haben war. Es gibt großar­tige Corman-Referenz-Passagen in diesem Film, etwa jene, in der Coppola die Nazis, die ulti­ma­tive Verkör­pe­rung des Bösen im Kino bei wahn­sin­nigen ebenso wissen­schaft­li­chen wie esote­ri­schen Expe­ri­menten zeigt: Sie hängen Pferde an Seil­vor­rich­tungen auf und bear­beiten sie Fran­ken­stein-artig mit Strom­stößen.

Oder die Darstel­lung von Wahn und Beses­sen­heit: Da zerbre­chen die Spiegel wie in guten Horror-B-Movies, da werden die Bild­achsen gekippt, als befände man sich in Das Omen – so stößt Coppola alle biederen Arthouse-Fans vor den Kopf und signa­li­siert, dass er bestimmt keinen Film macht, der auch von Almodovar, Jarmusch, Kauris­mäki oder Mike Leigh stammen könnte. Allen­falls noch von Lars von Trier. Kino als Paral­lel­uni­versum. Eine Traum­no­velle.

Auf der Suche nach der verlo­renen Sprache

So mischen sich Klugheit und esote­ri­sche Spinnerei bis zur Unun­ter­scheid­bar­keit wie in einem Traum, und was Coppola mögli­cher­weise Subtan­ti­elles zu sagen hat, verdeckt der bis zur Lächer­lich­keit naive Symbo­lismus, der hier kompli­zierte Ideen simpli­fi­ziert. Gute Bild­ein­fälle und excel­lente Schau­spiel­leis­tungen können diese Defizite nicht rundum wett­ma­chen. Jetzt dreht Coppola Tetro und hier wird sich zeigen, inwiefern Youth Without Youth nur Vorübung war. Man hat den Eindruck, auf der Suche nach der verlo­renen Sprache befände sich womöglich auch Coppola, und wüsste schon wahn­sinnig gern, was er wohl tief in seinem Herzen wirklich über diesen Film denkt.