Jacques – Entdecker der Ozeane

L'odyssée

Frankreich 2016 · 123 min. · FSK: ab 6
Regie: Jérôme Salle
Drehbuch: ,
Kamera: Mathias Boucard
Darsteller: Lambert Wilson, Pierre Niney, Audrey Tautou, Laurent Lucas, Benjamin Lavernhe u.a.
Wirklich? Lambert Wilson als Jacques Cousteau? Die rote Mütze muss es richten

20.000 Meilen über dem Meer

Dieser Film unter­nimmt eine Reise in die Vergan­gen­heit, zurück in eine Zeit voller Geheim­nisse. Wer erinnert sich noch? Geheim­nisse des Meeres, Jacques Cousteau und die »Calypso«? Es waren die 70er Jahre und die Welt war in Ordnung, wie selten in der Geschichte der Mensch­heit. Es gab noch etwas zu entdecken, und für jeden, der in 70er Jahren Kind war, war Jacques Cousteau ein Weltent­de­cker, ein väter­li­cher Reise­führer durch einen noch unbe­kannten Planeten.

Im Jahr 1942 bereits begann Cousteau, damals noch Mari­ne­of­fi­zier und Mitglied der fran­zö­si­schen Résis­tance, seine Forschungen. Er war Miter­finder der Pressluft-Atem­fla­sche und des Unter­wasser-Scooter. Später wandte er sich bald der Meeres­for­schung zu, und drehte zunächst einmal Kinofilme: zuvor unge­se­hene Aufnahmen des zweiten Weltraums unter Wasser. Seine erste lange, zwei Jahre dauernde Expe­di­tion führte 1954-55 ins Rote Meer, den Persi­schen Golf und den indischen Ozean. Mit dabei war ein seiner­zeit noch voll­kommen unbe­kannter junger Filme­ma­cher mit seiner Kamera: Louis Malle, der gerade die Pariser Film­hoch­schule abge­bro­chen hatte: »Zu theo­re­tisch.«
Zurück von der Reise kamen die beiden mit noch nie gesehenen Bildern: Menschen, die mit Unter­wasser-Fackeln zu einem Koral­len­riff tauchen, Delphin­schwärme, fliegende Fische, Haie, die ihre Beute fressen, Haie, die gejagt werden. Atem­be­rau­bende Film­auf­nahmen, vor allem, wenn man sich die Entste­hungs­zeit verge­gen­wär­tigt: 1955 war die Welt unter Wasser noch kaum bekannter als das All. Die Tauch­technik war erst in ihren Anfängen.

Auf knapp 90 Minuten Länge kam der Film unter dem Titel Le monde du silence (Die Welt des Schwei­gens) heraus. Cousteau und Malle zusammen hatten den Regie-Credit. 1956 gewann der Film als erster Doku­men­tar­film die Goldene Palme von Cannes und im Jahr darauf den Oscar. Den gewann Cousteau noch einmal 1965 für seinen zweiten Kinodo­ku­men­tar­film Le monde sans soleil (Welt ohne Sonne).
Mit Bernard Grzimek oder Heinz Sielmann kann man Cousteau nicht verglei­chen, eher schon mit Hans Hass. Das liegt nicht allein daran, dass Hass ja auch kein Deutscher war, sondern Öster­rei­cher. Auch nicht allein daran, dass das Meer eben etwas ganz anderes ist als die Erde, ein fremder Raum, eine neue Welt, fast so etwas wie der Weltraum mit seinen unend­li­chen Weiten und new frontiers. Sondern es lag auch daran, dass Jacques Cousteau eben Franzose war.

Frank­reich, das war für ein Kind der Bundes­re­pu­blik, erst recht für mich, weil wir damals selten in Spanien und nie in Italien Urlaub machten, sondern in Frank­reich, der Ort eines besseren Lebens, ein Sehn­suchts­reich: Es war ein Land der Welt­läu­fig­keit und Cousteau war, mit roter Wollmütze, immer braun­ge­brannt, ein Aben­teurer, ein Jules Verne der Gegenwart. Cousteaus Fern­seh­serie „Geheim­nisse des Meeres“ liebte die Natur, aber es gab keinen Natur­kitsch. Die Romantik war zivi­li­sa­to­risch. Man lernte nicht nur etwas über Tiere, sondern auch etwas über antike Mytho­logie und über die Kunst des Essens. Unver­gess­lich ist die Episode, in der Dutzende von Amphoren vom Meeres­grund geholt wurden. Unver­gess­lich auch das Team: Die Söhne Jean-Yves und Phillippe, der Chef­tau­cher Falco.
1996 sank die »Calypso« und ein Jahr später starb Jacques Cousteau, und manche sagen jetzt, dass die Zeiten der Calypso vorbei seien, ein für alle mal. Es ist aber nichts vorbei, weil alles irgend­wann wieder kommt, weil der Mensch es nicht aushält ohne Geheimnis.

All dem kann jetzt auch der Film von Jérome Salle nichts anhaben. Er heißt eigent­lich L’odyssée, aber auf deutsch doof und platt Jacques – Entdecker der Ozeane. Es wird unser Bild von Jacques Cousteau nicht verändern, dass er hier von Lambert Wilson gespielt wird, dass seine Frau aussieht wie Amelie, weil Audrey Toutou ihr das Gesicht leiht, und dass der Film das Leben Cousteaus auf einen Eheroman reduziert.

Jérome Salle hat sich als Autor des verhunzten The Tourist nicht gerade geschmacks­si­cher gezeigt, als Regisseur von Antoine Zimmer und Zulu zwar reiße­ri­sche, aber immerhin von ihren Bildern her sehens­werte Filme gemacht. Das kann man auch über diesen Film sagen.
Salle erzählt die Geschichte des Vaters und der Frauen, also auch die der Mutter und der Söhne. Philippe Cousteau starb, mit erst 38. Wie der Sohn Grzimeks. Ist es wirklich nur Zufall, dass die Söhne dieser prak­ti­schen Natur­for­scher früh sterben, wenn sie versuchen, es ihren Vätern gleich­zutun? Odyssee, Calypso – es kommt einem der Mythos von Daedaus und Ikarus in den Sinn.

Die Odyssee, das ist nun die Geschichte von einem, der nicht nach Hause kommen möchte.

Der Film von Salle dagegen möchte seine Figuren nach Hause zwingen, er möchte behaupten, dass das Abenteuer und die Erobe­rungen am Ende nicht ausrei­chen, um Verluste und Wunden auszu­glei­chen, die durch sie dem eigenen Leben geschlagen werden. Ob das nicht auch nur ein Mythos ist? Eine Wunsch­vor­stel­lung derje­nigen, die nie aufge­bro­chen sind?
Philip Roth schreibt in »American Pastorale«, dass wir alle irren, egal, was wir tun. Das scheint mir der weisere Satz zu sein. Der weisere Satz, um das Leben eines Menschen zu fassen, der bestimmt auch ein Egozen­triker war und seine Frau betrogen hat, mit deren Wissen und ohne, und der sie trotzdem geliebt hat. Der weisere Satz, um zu verstehen, dass einen Menschen die Liebe zur Natur nicht daran hindern muss, Tiere zu essen – ist das nicht eigent­lich auch ein Liebes­be­weis? – und der nicht nur ein deutsch-roman­tisch-senti­mental-konser­va­to­ri­sches Verhältnis zu ihr hatte.

Salle dagegen ist zwar Franzose, aber in seiner Haltung zu deutsch: Salle erzählt vor allem priva­tis­tisch, inter­es­siert an Vater-Sohn-Konflikt und Ehedrama. Dem Privaten und einem Blick auf die Familie und die Frauen, der ganz gegen­wärtig ist und nichts wissen will davon, wie man bis in die Achtziger, Neunziger Jahre hierüber dachte, gibt Salle viel zu viel Raum.

So wird in seinen Händen aus der Geschichte des Aben­teu­rers, der nicht heim will, ein biederes Plädoyer fürs Nach-Hause-Kommen. Darum ist L’odyssée alles in allem kein guter Film, trotz der pracht­vollen Bilder und dem guten Kitsch von Alexandre Desplats Musik. Wenn irgend­etwas aber ein guilty pleasure ist, dann dieser Film. Ohne Lust kein Leben.
Aber er mora­li­siert viel zu viel herum. Wen inter­es­siert die Demontage von Mythen, noch dazu, wenn sie mit der Wirk­lich­keit nicht übermäßig zu tun hat? Mich nicht. Die Film­ge­schichte nicht. Und in 20, 30 Jahren keinen einzigen Zuschauer mehr. Wetten? Auch Cousteaus Nachruhm wird dieser Gegen-Mythos nichts anhaben.

Das Meer ist das Meer. Es gibt keinen Horizont dort, so wie es keinen gab im Leben dieses Forschers, Eroberers, Lieb­ha­bers, Cineasten.
Ein medi­ter­raner, glück­li­cher Zustand. Wer das jetzt nicht versteht, muss halt Camus lesen.