Hotel

Österreich 2004 · 76 min. · FSK: ab 12
Regie: Jessica Hausner
Drehbuch:
Kamera: Martin Gschlacht
Darsteller: Franziska Weiss, Birgit Minichmayr, Marlene Streeruwitz, Rosa Waissnix u.a.
Unheimliche Nachtschicht

Irgendwas im Unterleib...

Er ist eine der beru­hi­gendsten Erfin­dungen des Kinos: Der Esta­blis­hing shot – die Einstel­lung, die erst einmal zeigt, wo eine Szene spielt, wie der Raum um sie in seiner Gesamt­heit aussieht, bevor er mit Schnitten und Groß­auf­nahmen zerlegt wird. Ein Erbe bürger­li­cher Erzähl­tra­di­tionen, definitiv, aber viel­leicht auch viel grund­le­gender ein Zuge­ständnis an den Siche­rungs­trieb des mensch­li­chen Lebe­we­sens. Erst einmal Überblick verschaffen, bevor man sich irgendwo beruhigt nieder­lässt.

Hotel ist ein Film fast komplett ohne Esta­blis­hing shots. Es ist ein Film wider das Beru­hi­gende. Ein Film, der so perfekt wie lange keiner mehr in jeder Faser vom Unheim­li­chen durch­wirkt ist – dem »Unheim­li­chen« in Freuds Sinn wie in dem seiner wort­wört­li­chen Bedeutung: Des Ortes, an dem man kein Heim findet, der einem fremd, latent bedroh­lich, unan­ge­nehm bleibt.

Dieser Ort, der Titel des Films verrät es schon, ist ein Waldhotel in der öster­rei­chi­schen Provinz, in das die junge Irene (Franziska Weiss) als Auszu­bil­dende kommt – frisch von der Schule, fern von Zuhaus, ohne Freunde, leicht einge­schüch­tert von ihren Vorge­setzten, von Auto­ritäten überhaupt, und zu stre­ber­haft, um unter ihren Kollegen Aner­ken­nung und Anschluss zu finden.
Irenes Vorgän­gerin ist auf myste­riöse Weise verschwunden, nur deren Brille findet sich noch in der besseren Abstell­kammer, die jetzt Irene als Dienst­woh­nung im Hotel dient.
Das mag nun nach der Expo­si­tion für einen Thriller, für einen Horrofilm klingen, aber es geht dem Film keines­wegs darum, diese Vorgabe im Korsett klas­si­scher drama­ti­scher Handlungs-Struk­turen durch­zu­de­kli­nieren. Sie fungiert ihm eher wie ein musi­ka­li­sches Fugen-Thema oder der Gegen­stand eines Gemäldes – ein Gefühl, ein Zustand, dem man genau und ausführ­lich nachspürt, es durch­führt, verdichtet, auskostet.
Wer an Filmen irgend­etwas anderes wahrnimmt als bloße Plot­muster-Umrisse, dem ist aller­spä­tes­tens nach zehn Minuten klar, dass Hotel nicht einer »Auflösung« entge­gen­streben will, ach was: kann. Nicht, weil es ihm um Entlar­vung oder Demontage von Genre-Mecha­nismen ginge, sondern weil er so weit jenseits solcher Mechanik funk­tio­niert. Es gibt in seiner Welt nirgends auch nur ansatz­weise eine Norma­lität, Stabi­lität, die man wieder­her­stellen, zu der man zurück­kehren könnte. Das Unheim­liche, Unbe­hag­liche füllt diese Welt so bis in die kleinste Ritze aus, dass es schlicht nicht redu­zierbar, weger­klärbar, verortbar ist.

Dies alles durch­drin­gende Unbehagen insze­niert Hotel einer­seits durch einen beklem­menden, repres­siven Tonfall, der in seinem gnadenlos (aber insgeheim genüss­lich) sezie­renden Blick auf das grund­le­gende Versagen und die Banalität der mensch­li­chen Kommu­ni­ka­tion durchaus wirkt wie der finstere Zwilling eines Loriot-Sketches.
Vor allem aber ist die Beklem­mung in Jessica Hausners kleinem Meis­ter­werk eine Ange­le­gen­heit der Film-Geografie, des Umgangs mit dem Raum: Hausner fährt da eine subtile Strategie der Verun­si­che­rung, die trotz der schein­baren Alltäg­lich­keit der Orte allem eine (alb-)traum­hafte Qualität und beklem­mende Enge verleiht.
Da ist nicht nur der konse­quente Verzicht auf Esta­blis­hing shots – der soweit geht, dass man das Hotel selbst nur einmal ganz spät im Film überhaupt von Außen zu sehen bekommt, und dann auch nur als dräuend schwarzen, nächt­li­chen Umriss. Da ist auch eine (zwei­fels­ohne ebenfalls sehr bewusste) Weigerung, die Hand­lungs­orte des Films in eine nach­voll­zieh­bare räumliche Beziehung zuein­ander zu setzen. Es ist nur eine Handvoll Räume, die man überhaupt kennen lernt, und die wieder­kehren wie Reime in einem Gedicht: Ein paar enge, leere Gänge des Hotels, die Ange­stellten-Kammern, der Keller, der Aufzug, allesamt mit den Alarm-Knöpfen an der Wand, die glühen wie lauernde rote Augen; die Rezeption, das Schwimmbad, das Dienst­be­spre­chungs­zimmer; die Dorfdisco (kein junger öster­rei­chi­scher Film, der ohne eine grandios unbequeme, scho­nungslos kalte und distan­zierte Disco-Szene auskäme...). Und immer wieder der Wald, durch den Schreie gellen, die von einem Vogel stammen könnten oder von einer Frau, und in dem die Grotte der histo­ri­schen »Waldhexe« liegt.
Aber all diese Räume, Orte bleiben isoliert – man könnte keinen Plan zeichnen, wie sie im Verhältnis zuein­ander liegen, wie genau man vom einen zum anderen gelangt. Die innere Landkarte des Films ist so nicht nur voller schwarzer Flecken – all der uner­schlos­sene Raum, der da sein muss, den man aber nie sieht: Die Gästeräume und das Äußere des Hotels, die Ortschaft in der Nähe, und eben vor allem die Verbin­dungs­wege zwischen den visuell etablierten Räumen. Die Landkarte ist auch in Bezug auf die bekannten Orte beun­ru­hi­gend unfixiert, desori­en­tie­rend.

Das ist auch einer der funda­men­talen Unter­schiede zu DEM meta­phy­si­schen Hotel-Horror-Film schlechthin: In Kubricks Shining herrscht größt­mög­liche Konti­nuität des Raumes – seine Steadycam-Fahrten erkunden die Archi­tektur des Overlook-Hotels so ausführ­lich, dass man tatsäch­lich einen Großteil seiner Baupläne nach­zeichnen könnte: Kubrick zeigt ein Universum, das bei nüch­ternem Licht betrachtet leer ist und das der mensch­liche Geist gerade deshalb mit Geistern füllt.
Hotel provo­ziert selbst durch gewisse Semi-Zitate solche Vegleiche mit Shining, wie auch mit den Filmen David Lynchs – aber Gemein­sam­keiten sind nur an der Ober­fläche und in der Abstrak­tion zu finden: Im distan­zierten und reflek­tierten Umgang mit Genre-Elementen beispiels­weise, und generell in der unge­heuren Präzision in Tonfall, Rhythmus, (Raum-)Insze­nie­rung, mit der Hausner in Bild wie Ton zu Werke geht.
Aber jenseits solcher wenig aussa­ge­kräf­tiger Geis­tes­ver­wandt­schaften ist Hotel ganz sein eigener Film. Nicht zuletzt, weil er auch ein bisschen ein Heimat­film ist.

Wenn das deutsche Kino sich des Genre-Films annimmt, flüchtet es sich fast immer (und fast immer peinlich schei­ternd) in eine vermeint­liche Inter­na­tio­na­lität, in eine Ortlo­sig­keit, die versucht, hiesigen Realitäten möglichst ameri­ka­nisch anhei­melnde Bilder abzu­trotzen. (Siehe, um nur ein unglück­li­ches Beispiel zu nennen, Lautlos.) Wie in vielerlei Hinsicht kann man auch hier nur sagen: Felix Austria!
Hotel ist ein bewusst und ohne einen Funken Verschämt­heit ÖSTERREICHISCHER Film. Sein Wald ist mit rot-weiß-roten Wander­mar­kie­rungen gekenn­zeichnet, im Hotel hängen Gams­schädel, man spricht mit Dialekt-Färbung. Und regel­mäßig wird einer der Veran­stal­tungs­räume des Hotels von der »Senio­ren­tanz­gruppe Pistil« genutzt. (Das gehört ja auch zu den Geheim­nissen des heutigen öster­rei­chi­schen Kinos im Gegensatz zum Deutschen: Wie es so viel krasser, härter, exis­ten­ziell bitterer sein kann und dabei trotzdem oft so ungleich witziger.)
Fraglos: Die Beklem­mung, das Grausen in Hotel wollen auch ein speziell öster­rei­chi­sches Lebens­ge­fühl wider­spie­geln. Ein »horror vacui« ange­sichts von Provin­zia­lität, Trach­ten­jan­kertum, Hier­ar­chieg­läu­big­keit, dumpfem Katho­li­zismus und Repres­sion. Die gezeigte Welt ist ein Mikro­kosmos, der nicht nur im Ausstat­tungs­de­tail sein filmi­sches Heimat­land durch­scheinen lässt.

Noch deut­li­cher aber ist die Welt von Hotel in Wahrheit eine psycho­se­xu­elle Land­schaft, und das eigent­liche Genre des Films das des Märchens: Irene ist offen­sicht­lich nicht nur in beruf­li­cher Hinsicht ein uner­fah­renes Mädchen. Alles an ihrer Körper­sprache zeigt, wie sehr sie die Repres­sion verin­ner­licht hat, wie wenig sie sich in ihrem Leib wohlfühlt, welch will­kom­mener Schutz­panzer ihr die Bediens­te­ten­uni­form ist (Franziska Weiss spielt das großartig).
Der bedroh­liche Schritt in die Welt der Erwach­senen und der (Eigen-)Verant­wor­tung, in die Welt, in der Mädchen verschwinden, weil ihnen Unsag­bares wider­fahren ist, ist für Irene ganz klar auch ein Schritt des sexuellen Erwachens. Und sie – die an einer Halskette wie einen Talisman gegen alles Unheil ein christ­li­ches Kreuz trägt – hat damit ein gehöriges Problem. »Irgendwas im Unterleib«, lügt Irene, als sie ihrer Mutter eine Krankheit andichten muss, um dienst­frei zu bekommen – entlar­vender freu­dia­nisch geht’s wohl kaum.
Mit dem Dorfdisco-Johnny-Depp-Verschnitt, den Irene sich mit maximaler Schüch­tern­heit anlächelt, geht sie schließ­lich in die Grotte der Waldhexe – nein, den Freud wird man einfach nicht los in diesem Film, aber eben auch (und auf einer gewissen Ebene gehört das sowieso zusammen) das Märchen­ar­tige nicht. Der Wald in Hotel ist wie bei den Gebrüdern Grimm ein verwun­schener Ort der Bedrohung und Verlo­ckung zugleich, ein entgrenzter Ort, in dem die Triebe lauern.

Man verrät – Ehrenwort! – nicht zuviel, wenn man sagt, dass der Film mit einem weiteren Verschwinden endet. Aber viel­leicht heißt Verschwinden ja in diesem Albtraum auch nur, dass jemand dieser Welt entkommen ist, in der alles und jede/r beklem­mend und unheim­lich ist. Wie gesagt: Innerhalb des Mikro­kosmos von Hotel gibt es keine Rück­zugs­ge­biete, in denen man es sich beru­hi­gend einrichten ließe.
Insofern könnte es sein, dass der Film sogar ein Happy End hat.

Zugegeben, kein netter Film, der zweite Spielfilm der jungen öster­rei­chi­schen Regis­seurin Jessica Hausner. Wie schon ihr erster Film, Lovely Rita, der 2001 auf dem Münchner Filmfest zu sehen war, nimmt auch er mit lako­ni­schem Zynismus das öster­rei­chi­sche Gefühl in den Fokus. Schein­hei­lig­keit, Kälte, Unver­bind­lich­keit, Kontrolle – und das Ganze in dem schönen Heimat­land der Berge.

Irene (Franziska Weisz, die in Hundstage von Ulrich Seidl ein verdor­benes Jung­mäd­chen spielen durfte) kommt als neue Rezep­tio­nistin in das Hotel »Waldhaus«. Sie lernt ihre Arbeits­kol­legen kennen, schreitet die Gänge in dem Hotel ab, erkundet den Keller mit Kühl­kammer und verbo­tenen Türen. Immer in erreich­barer Nähe, auch in dem kleinen Zimmer, in dem sie wohnt: ein Alarm­knopf, der bedroh­lich rot leuchtet.

Der könnte für sie zur Rettung in letzter Not werden, denn schließ­lich muss sie allein die Nacht­schicht schieben, in dem Hotel. Und immerhin ist ihre Vorgän­gerin auf uner­klärte Weise verschwunden, mit einem Typen durch­ge­brannt, wie im Hotel getratscht wird. Da gibt es aber auch noch die »Waldfrau«, die, wie die Sage erzählt, in dem Wald ihr Unwesen treibt und sich regel­mäßig Jung­frauen holt.

Mit Tunnel­blick taucht Irene nachts in die langen, laby­rin­thi­schen, einsamen Korridore ab. – Keiner weiß, wohin ihre Wege sie führen. Verschwindet einfach in der tiefen Dunkel­heit der langen Gänge. Taucht freilich in der nächsten Szene wieder auf, aber zeigt sich von Szene zu Szene zunehmend verstört. Ein eigen­ar­tiges Brummen liegt über den Räumen des Hotels – wie Vorboten des Alarms, der erschrillen könnte, oder wie abgrün­dige Stimmen, die diffus das Haus okku­pieren, ähnlich den Raum­geräu­schen in David Lynchs »Twin Peaks«. Im Hotel über­la­gern sich die Exis­tenzen der An- und Abwe­senden, die Anony­mität der kalten Räume ist gesättigt von dem privaten Leben, das in ihnen statt­ge­funden hat. Und das Spuren hinter­lassen hat, die zeichen­haft Rätsel setzen, Rätsel von dem, was passiert ist, aber auch das Rätsel der eigenen Existenz.

Jessica Hausner beherrscht alle Kunst­griffe des Myste­ry­thril­lers. Dabei geht es ihr nicht um Lösung oder Auflösung. Ihr Film strahlt die Aura des Geheim­nis­vollen und Uner­gründ­baren aus – ohne Licht in das Dunkel des Geheim­nisses leiten zu wollen. Ein düstere Zise­lie­rung der öster­rei­chi­schen Gesell­schaft und des Mißtrauens, das wir selbst in uns tragen, und das uns, wenn es dann so kommen mag, am Leben hindert.

Oder, wie Jessica Hausner selbst über ihren Film sagt: »Hotel dreht sich einer­seits um das heftige Verlangen, alles zu verstehen, was uns zum Erfor­schen der dunklen Seite unserer Existenz inspi­riert. Ande­rer­seits handelt der Film vom Tod, den niemand wirklich kennt und der unab­wendbar, mysteriös und dennoch ganz normal ist.«