Happy

Deutschland 2016 · 89 min. · FSK: ab 0
Regie: Carolin Genreith
Drehbuch:
Kamera: Philipp Baben der Erde
Schnitt: Stefanie Kosik-Wartenberg
Eingezwängt zwischen Europäern: die junge Thailänderin

Liebe als Zusammenstoß der Kulturen

Ein Mann heiratet eine Frau. Das ist das Normalste der Welt. Auch dass die Frau rund 30 Jahre jünger ist, als ihr neuer Gatte und damit in etwa so alt, wie dessen Tochter aus erster Ehe – auch das kommt in den besten Familien vor. Aber wenn dann die Frau auch noch aus Thailand stammt und mit der neuen Ehe ihre komplette Groß­fa­milie versorgt, dann ist eine fatale Konstel­la­tion ange­richtet. Diese sorgt nicht nur für Gesprächs­stoff in dem Eifel­städt­chen, in dem der Mann die Hälfte des Jahres als Beamter, Freizeit-Imker und Hühner­bauer lebt, sie wirft nicht nur unan­ge­nehme Fragen nach dem Altern und nach der Sexua­lität im Alter auf und nach dem Ausbeu­tungs­cha­rakter der Bezie­hungen zwischen reichem Westen und vergleichs­weise armer »Dritter Welt« – die neue Heirat des Vaters ist der Tochter auch einfach peinlich, und leitet eine schmerz­hafte Selbst­be­fra­gung ein.

Dieser Film ist das Resultat, denn die Tochter ist auch die Regis­seurin dieses Films: Carolin Genreith.

»Happy« – das heißt glücklich, oder auch – etwas beschei­dener – fröhlich. Um das Glück im ganz normalen Alltags­leben geht es immer in den Filmen von Carolin Genreith, einer jungen, in Hamburg lebenden Filme­ma­cherin, der es bereits mit ihren aller­ersten Werken gelungen ist, heraus­zu­ste­chen aus dem Einerlei der vielen hundert deutschen Produk­tionen pro Jahr.

Genreith macht zwar nicht alles anders als der Rest – auch ihre Filme entspre­chen dem von co-produ­zie­renden Fern­seh­sen­dern und dem ameri­ka­ni­sche Dokustil des »human interest« geschürten Hang, noch die größten Fragen auf den kleinen Raum des persön­li­chen Einzel­falls herun­ter­zu­bre­chen und damit – wie es gern heißt – zu »vermensch­li­chen«, wie auch der derzei­tigen Mode, dass sich Filme­ma­cher als private Person selbst einbringen, selbst auftreten auf der Leinwand.

Aber Genreith macht vieles besser – ihre Filme haben Humor. Und sie gucken auch dann hin, wenn es weh tut, sie scheuen nicht vor den Abgründen des Pein­li­chen und der Selbst­ent­blößung zurück. Sie ist neugierig, und Genreith hat zudem das Talent, den Menschen vor der Kamera Vertrauen zu geben, dass sie sich auf so etwas einlassen.

Ihre Filme handeln vom Zusam­men­stoß der Kulturen, der in unserem globa­li­sierten Alltag eher ein Misch­masch der Bezüge ist: 2013 drehte sie einen Doku­men­tar­film über bauch­t­an­zende ältere Frauen aus dem Rheinland – eine davon war ihre Mutter (Die mit dem Bauch tanzen), dann drehte sie einen Film über ein urbaye­ri­sches Dorf, das versucht, eine Handvoll Flücht­linge zu inte­grieren, ohne sich dabei zu verändern (Das Golddorf). Genreiths neuester Film handelt von älteren deutschen Männern, die junge Asia­tinnen heiraten – einer davon ist ihr Vater. Die Tochter findet das gar nicht witzig, und nähert sich in diesem Film in einer immer prekären Mischung aus Offenheit und Abneigung dem neuen Leben ihres Vaters, dessen Beweg­gründen und seiner neuen Familie, die jetzt auch ein Teil der ihren ist.

Im Zentrum dieses Films steht somit eine Vater-Tochter-Beziehung, die auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten eine ganze Menge mit Toni Erdmann gemeinsam hat. Denn auch hier ist es die Tochter, die am Vater herumer­zieht, die mora­li­siert und die die konser­va­ti­veren, risi­ko­lo­seren und wenn man so will »spießbür­ger­li­cheren« Werte vertritt: Sie tritt für Anstand und Reife und Selbst­be­schei­dung ein, jeden­falls bei ihrem Vater.

In der Tradition des »Direct Cinema«, mit einer bewegten Kamera, die ihren Figuren auf Schritt und Tritt folgt und nie wegschaut, geht die Filme­ma­cherin in die Vollen, dorthin, wo es peinlich und unan­ge­nehm wird, auch fürs Publikum und die Regis­seurin selbst.

Liebe oder Sextou­rismus? Das ist die offen­sicht­liche Frage, die sich dem Betrachter stellt. Verbunden wird sie, zumindest in der öffent­li­chen Betrach­tung des Sujets mit der mora­li­schen Wertung, dass Liebe immer etwas Gutes, Sextou­rismus immer etwas Schlechtes ist.
Ganz so einfach kann es damit in der Wirk­lich­keit dann doch nicht stehen, sonst gäbe es ja keine Sextou­risten und sonst würde niemand aus Liebe leiden. Viel­leicht ist »Liebe oder Sextou­rismus« gar keine Alter­na­tive, viel­leicht gibt es Fälle, in denen Liebe und Sextou­rismus nahtlos inein­ander übergehen. Viel­leicht hat Liebe immer auch etwas mit Geschäften auf Gegen­sei­tig­keit, und mit wech­sel­sei­tiger Ausbeu­tung zu tun?

Solche ketze­ri­sche Gedanken lässt Genreiths gelun­gener, mutiger und sehr anre­gender Film zumindest zu. Happy stellt auch uns und unsere Vorur­teile auf die Probe.