Italien/F 2011 · 104 min. · FSK: ab 0 Regie: Nanni Moretti Drehbuch: Nanni Moretti, Francesco Piccolo, Federica Pontremoli Kamera: Alessandro Pesci Darsteller: Michel Piccoli, Jerzy Stuhr, Renato Scarpa, Franco Graziosi, Camillo Milli u.a. |
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Psychoanalytiker Moretti und sein Papst Piccoli |
Form schlägt Inhalt. Diese Einsicht mag unbequem sein, erklärt aber mehr vom Erfolg des Katholizismus als alles Gerede über neue Werte und die Rückkehr der Religion. Jetzt hat der linke Atheist Nanni Moretti einen überraschend nachsichtigen Film über den Katholizismus gedreht – predigend, aber ohne genug Achtung vor der Form.
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»Ein Ethnologe hat vor dem Ritual stets den größten Respekt. Um so mehr, als die Wurzeln des Rituals in ferner Vergangenheit liegen. Er sieht darin ein Mittel, bestimmte Werte unmittelbar sichtbar zu machen; sie würden die Seele weniger unmittelbar berühren, wenn man versuchte, sie mit rein rationalen Mitteln durchzusetzen.« – Claude Lévi-Strauss
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Es beginnt mit Dokumentaraufnahmen von den Tagen, als Johannes Paul II. starb. Hubschrauber über dem Vatikan, Menschenmassen vor dem Petersdom, der aufgebahrte tote Pontifex Maximus und die Trauernden um ihn, ein bescheidener Sarg, der getragen wird, zu alldem Musik, die Pathos und Feierlichkeit ausdruckt, Affirmation des heiligen Charakters dieses Aktes. Der Funke springt leicht auf den Zuschauer über – man muss nicht katholisch sein, um die Verarmung der Liturgie zu
beklagen.
Dann ein Schnitt: In Zweierreihen wandern die Kardinäle durch prächtige Säle hinein ins Innere des Vatikan. Noch nie hat ein Mensch zusehen dürfen beim Konklave, jener geheimen Zusammenkunft der Kardinäle, bei der nach dem Tod des alten Papsts sein Nachfolger gewählt wird. »Von jetzt an werden die Kardinäle von der Außenwelt abgeschnitten sein und keinen wie auch immer gearteten Kontakt zur Umgebung aufnehmen können«, erklärt der Pressesprecher des Vatikans, dann werden
die Türen geschlossen – bis weißer Rauch aufsteigen wird und verkündet: »Nuntio vobis gaudio magnum. Habemus papam!«
Der neue Film des italienischen Regisseurs, Komikers, Schauspielers und scharfen Beobachters der italienisch-katholischen Verhältnisse Nanni Moretti lässt uns hineinblicken in diesen geheimnisvollen Vorgang. Das ist zunächst einmal wunderschön anzusehen: Die kostbaren roten Gewänder schmücken die alten Herren, und noch der kleinste Gegenstand ist mit Liebe, Kunstsinn und ohne Rücksicht auf Kosten gestaltet: die purpurnen Hüte, die vor ihnen auf dem Schreibtisch liegen, die Tischtücher aus weißem Damast, die Schreibunterladen aus ziegelfarbenem Hirschleder, das dicke handgeschöpfte Papier, auf das sie mit silbernen Füllfederhaltern und schwarzer Tinte den Namen ihres Kandidaten eintragen. Die großartig gestalteten Räume tun ein Übriges um einen wieder daran zu erinnern, dass die katholische Kirche diejenige Religionsgemeinschaft ist, die eindeutig mit dem besten Design und den ausgefeiltesten Ritualen aufwarten kann.
Aber auch kurzer Slapstick: Ein Stromausfall provoziert die unterschiedlichsten Reaktionen. Ein Kardinal stürzt im Dunkeln. Bei der Wahl will einer abschreiben, sein Nachbar lässt ihn nicht; ein anderer streicht immer wieder Namen durch zerreißt Zettel.
Nicht weniger Aufmerksamkeit verwendet Moretti auf die Menschen, die hier arbeiten: Man erlebt die inneren Monologe der Kardinäle, wird Zeuge ihrer Gewissensqualen, geheimer Ängste und Hoffnungen. Alle beten: »Nicht ich, Herr, nicht mich«; »Bitte lass es mich nicht werden«; »Hab Gnade mit mir«. Keiner möchte der Papst werden, es gibt keinen Ehrgeiz, kein Machtstreben, keine Konkurrenz. Man lernt die Kardinäle auch sonst als Menschen und Individuen kennen, mit kleinen Marotten und
Eifersüchteleien. Man sieht die drolligen älteren Herren abends auf ihren Zimmern, beim Kartenspielen und Puzzeln, auf dem Hometrainer oder bei der Einnahme von Beruhigungs- und Schlafmitteln. Der älteste raucht heimlich voller Genuss.
Die Wahl selbst dauert nicht lang: Ein Favorit scheitert, feste Fraktionen gibt es nicht, und plötzlich rückt durch die Gunst des Augenblicks ein Außenseiter nach vorn: Kardinal Melville, mit wunderbarem Witz und Zurückhaltung, zugleich nahe am
minimalistischen Slapstick eines Buster Keaton gespielt vom 85-jährigen Michel Piccoli – der erst gerade am vergangenen Wochenende beim Europäischen Filmpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Warum und wieso dieser Kardinal aus der zweiten Reihe zum Papst gewählt wird, bleibt ein Mysterium. Gott wollte es. Die Kardinäle stimmen das »Te Deum« an, knien vor dem neuen Papst. »Akzeptiert ihr eure Wahl zum obersten Priester?« – »Si!« – »Eure Heiligkeit« –
die Ehrfurcht gilt dem Ritual, nicht der Person.
Dass dieser Mann Melville heißt, ist übrigens ein doppelter Witz, der Morettis Art von Humor recht gut illustriert. Denn auf der einen Seite ist dies nur der eher banale Scherz, eine Hauptfigur so zu nennen, wie einen berühmten Regisseur (Jean-Pierre Melville, den Erfinder des europäischen Film noir und Vater des französischen Nachkriegskinos). Daneben ist es auch ein Verweis auf Herman Melville, den »Moby Dick«-Autor, der sich in seiner Erzählung »Bartleby der Schreiber« der Welt und dem Handeln mit dem berühmten Ausspruch »Ich möchte lieber nicht« verweigert.
Melville ist zunächst geschmeichelt, dann lässt er die rituellen Prozeduren über sich ergehen, doch von Sekunde zu Sekunde wird er störrischer. »Und was passiert jetzt? Was soll ich machen?« – »Also nun, ihr könntet zum Beispiel einen Segen zu den Gläubigen sprechen. Es gäbe da auch die Möglichkeit, die unser geliebter, soeben verstorbener Heiliger Vater als Erstes gewählt hat: Ihr könnt euch an die Gläubigen wenden mit einer Rede.« – »Helft mir bitte. Ich kann das nicht
tun. Ich kann das nicht!«
Auch dies sind großartige Momente, in denen Moretti zeigt, wie ein Mensch im Augenblick, in dem er den Gipfel der Macht erreicht, ohnmächtig wird – zum Gefangenen der Macht, seines Amtes und des Apparats um ihn herum. Es sind Gedanken von tiefem Ernst: Denn man kann hier auch durchaus über den Geisteszustand des neuen Pontifex Maximus spekulieren: Ist er nur amtsscheu, hat er mehr Zweifel, als er zugeben will, leidet er unter einer milden
Angststörung, oder erlebt eine Art Nervenzusammenbruch – eine wahnwitzige Phantasie: Was wäre wenn? Was wäre, wenn ein Papst, sich einfach weigert, mitzumachen beim Spiel der Rituale?
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»Heiligkeit. Ich bin der Meinung: Ihr hattet recht. Manchmal muss man sich zurückziehen und ein bisschen allein sein. Aber ich fleh euch an: Fügt Euch Gott, dem Allmächtigen Vater, unserem Herren. Kehrt zu uns zurück. Eine Milliarde Menschen wartet auf Euch, Heiligkeit.« – »Warum kann ich denn nicht einfach verschwinden.« – (Aus dem Film)
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Seine Umgebung reagiert zunächst nachsichtig: Alles werde sich schon legen. Dann irritiert. Was tun? Man versucht es mit Zuckerbrot und Peitsche, mit Freundlichkeiten und sanftem Druck. Dann wird ein Arzt konsultiert, schließlich ein Psychotherapeut – den Moretti selber spielt. Diese Szene ist ein Witz und fast ein Film für sich: Denn der Analytiker muss mit dem Papst über geheime Träume reden, über Kindheitstraumata, über sexuelle Phantasien, Erfahrungen gar, also über
lauter Dinge, die es nach katholischer Lehre für einen Papst gar nicht geben soll beziehungsweise darf.
Auch hier wieder nahe an der Klamotte: Die erste Sitzung findet vor allen Kardinälen statt, die sich nicht hinausbitten lassen.
Aber Moretti ist hier nie sarkastisch, sondern bietet eine fast zärtliche Innenansicht des Katholizismus, voller ironischer Sympathie für den Mann, der auch auf dem Papststuhl ein Mensch bleibt. Im Großen macht Nanni Moretti alles Mögliche falsch: Sein Film ist banal, findet nie seine Mitte zwischen Satire, Farce, Ernst und tieferer Bedeutung. Im Kleinen gelingt vieles: Wunderbare kleine Szenen, nette Darsteller, eine sanfte, nachsichtige Komödie – Human touch für alle. Nichts gegen zu sagen – oder?
Doch, eine Menge: Habemus Papam ist Religion für die Ungläubigen, Opium fürs Volk, schmackhafter Fast-Food-Gotteskram auf »Bild«-Niveau. Habemus Papam ist ein Film, der sich zum Katholizismus verhält, wie Stephen Frears The Queen zur Monarchie: Er ist formal und theoretisch dagegen, am Ende aber ganz dafür. Moretti zeigt einen »menschlichen« Vatikan, in dem die Kardinäle keine Machtmenschen, sondern niedliche alte Männer und nette Menschen sind, die durch die unerwartete Entwicklung noch menschlicher werden. Irgendwann richtet der Therapeut mit den Eingeschlossenen sogar ein Volleyballturnier aus – Lockerungsübungen im Vatikan.
Von allen bekannten Schattenseiten, dem intoleranten Alleinvertretungsanspruch der Kirche, der repressiven Sexualmoral, Frauenfeindlichkeit und politisch reaktionärer Grundausrichtung der Kirche ist beim sogenannten »erklärten« Linken Starregisseur Moretti ebensowenig die Rede, wie von den jüngsten Pädophilie- und Missbrauchsskandalen. Moretti (Wasserball und Kommunismus, Die Messe ist aus) zeigt sich völlig haltungslos.
Habemus Papam ist daher alles andere als facettenreiches »großes Autorenkino«, sondern ein kleiner, guter, origineller Witz, der zu einer allzu sanften, allzu nachsichtigen schalen Komödie breitgetreten wurde.