The Five Obstructions

De fem benspænd

DK/CH/B/F 2003 · 91 min. · FSK: ab 6
Regie: Jørgen Leth, Lars von Trier
Drehbuch: ,
Kamera: Dan Holmberg
Darsteller: Jørgen Leth, Lars von Trier, Jacqueline Arenal, Daniel Hernández Rodriguez

In fünf Filmen um die Welt

Ein geniales Duell zwischen zwei Filme­ma­chern

»It’s insane!« stöhnt der alte Herr, runzelt die Stirn und macht ein verzwei­feltes Gesicht, »das ist verrückt«. Zwar weiß jeder, der Lars von Trier kennt, dass bei ihm Verrückt­heit zum Handwerk gehört. Doch liegen in seinem Werk Wahnsinn und Genia­lität tatsäch­lich eng beisammen, und darum gelingen ihm immer wieder gewitzte Genie­streiche, die, wenn sie einmal nicht hundert­pro­zentig aufgehen, das Kino jeden­falls verjüngen und zu neuen Hori­zonten führen. Nicht selten in der Film­ge­schichte können die ältesten Regis­seure die aller­jüngsten sein. Zum Beispiel der heute über 60jährige Doku­men­tar­film-Veteran Jørgen Leth, der derzeit als Hono­rar­konsul in Port-au-Prince lebt, jetzt aber zusammen mit Lars von Trier wieder einen Film gedreht hat.

»Obstruc­tion« bedeutet Hemmung oder Behin­de­rung. Selten wurde so deutlich begreifbar, wie bei dieser wunderbar span­nenden Gemein­schafts­ar­beit der beiden Dänen, dass Hinder­nisse und Beschrän­kungen das denkbar Frucht­barste fürs Kino sein können. 1967 hatte Leth den 13-Minuten-Schwarz­weiß­film Det Perfecte Manneske (Der perfekte Mensch) gedreht, ein Lieb­lings­film von Triers, den er angeblich schon über 20 Mal gesehen hat. Dort sieht man einen Mann im Smoking auf weißem Hinter­grund. Dann kommt eine Frau hinzu. Die Kamera analy­siert die Anatomie, zeigt, wie ein Mensch umfällt und wie er isst.

Von Trier schlug Leth nun einen ebenso virtuosen wie diabo­li­schen Pakt vor: Leth soll von seinem Film gleich fünf Remakes drehen, aller­dings nach von Triers Vorgaben, kleinen »Dogmen« sozusagen. Der Schüler dreht den Spieß um, versucht Vorbild und Mentor zu unter­werfen. Manchmal wirkt es starr wie das Ereig­nis­kar­ten­ziehen beim Monopoly: Gehen Sie ins Gefängnis. Setzen Sie drei Mal aus! Heraus gekommen sind bei diesem Hinder­nis­lauf in Bildern am Ende vier höchst unter­schied­liche Varia­tionen – und der Film The Five Obstruc­tions selbst, der das Projekt in seiner zwei­ein­halb­jäh­rigen Entwick­lung von den ersten Anfängen aus beschreibt.

Film im Film, ein ernst-raffi­niertes Spiel von Liebe und Zufall über das Filme­ma­chen, so vergnüg­lich wie heraus­for­dernd: Man sieht immer wieder Ausschnitte aus dem Original, dazwi­schen die vier Remakes. Struk­tu­riert wird das Ganze durch Streit­ge­spräche der beiden Filme­ma­cher, die das Unter­nehmen kommen­tieren. Im ersten Film wird Leth gezwungen, alle halbe Sekunde zu schneiden. »Das ist total krank«, schimpft er, »es wird ein spas­ti­scher Film werden. Was erwartet er von mir?« Doch bald fasst er Mut und leistet den Invek­tiven seines Freundes Wider­stand. Schon der erste Film ist ein Dokument davon: Noch zeigt Leth einfach Menschen, in diesem Fall in Kuba, versucht, einen konven­tio­nellen Film zu drehen, wenn alles auch durch die schnellen Schnitte vor allem wie ein Videoclip anmutet.

Es ist lustig und zugleich aufschluss­reich zu beob­achten, wie sich Leth auch in der weiteren Folge bei allem Respekt für von Trier gegen ihn zur Wehr setzt, seine künst­le­ri­sche Autonomie vertei­digt. Die Folge ist ein hoch­ex­plo­siver Kampf um Selbst­be­haup­tung und wech­sel­sei­tige Aner­ken­nung zwischen den Vertre­tern zweier Filme­ma­cher­ge­ne­ra­tionen: Herr-Knecht-Dialektik, geführt mit den Mitteln des Films. Damit entstand nicht nur bril­lantes Nach­denken übers Kino, sondern auch eine exem­pla­ri­sche Ausein­an­der­set­zung zwischen unab­hän­gigem Filmautor und Produzent (als der Lars von Trier hier agiert). Für das zweite Remake muss Leth – »Ich will einen elenden Drehort, den man aber nicht zeigen darf« – ins Armen­viertel von Bombay fahren, den für ihn unan­ge­nehmsten Ort der Welt. Dort filmt er sich selbst, im Smoking, wie er in einem Elends­viertel Lachs isst und Chablis trinkt, durch eine Glas­scheibe getrennt, aber begafft von den Ärmsten der Armen – Spiegel des Zynismus und Voyeu­rismus, der allem Filme­ma­chen innewohnt.

»Das ist ein viel besserer Film, als ich verlangt hatte«, ist von Triers Reaktion, »aber ich wollte den anderen. Du versuchst immer, zu gut zu sein.« Indem Leth den Spieß umdreht und von Trier Paroli bietet, erfährt man auch viel über dessen Arbeits­weise, auch dessen Eitelkeit und eine gewisse sadis­ti­sche Freude am – produk­tiven – Quälen seiner Mitmen­schen werden deutlich. Im dritten Kurzfilm bekommt Leth totale Freiheit, die schlimmste Strafe von allen. So zeigt er sich im Gang eines Hotels beim Lauschen an Hotel­türen – Selbst­por­trait des Regis­seurs als Voyeur.

»Ich hasse Cartoons!« – »Ich auch!« Beide sind sich einig, und gerade darum muss Leth als nächstes einen Cartoon drehen – und heraus kommt zu aller Über­ra­schung das schönste Remake der vier, gestaltet nach Leths Vorgaben von Bob Sabiston, der bereits John Linkla­ters Waking Life poetisch animierte. Ganz neu und doch am stärksten angelehnt an Leths ursprüng­li­chen Film.

Zwischen den einzelnen, stilis­tisch höchst verschie­denen Kurz­filmen zeigt die Kamera beide Film­au­toren im Gespräch über das Filme­ma­chen. Leicht und humorvoll ist auch das, keines­wegs so kompli­ziert und kopf­lastig, wie sich die Zusam­men­fas­sung dieses komplexen Films zunächst liest.

»Virtuo­sität ist ein Schutz­panzer«, sagt Lars von Trier, und mag Jørgen Leth sich auch noch so dagegen wehren, Filme­ma­chen als Therapie zu begreifen, werden hier doch die grund­sätz­li­chen Inten­tionen von von Triers Kino verrä­te­risch deutlich: Filme­ma­chen als mora­li­scher Akt, in dem es nicht primär um Ästhetik und Handwerk geht, sondern um Aufrich­tig­keit und persön­liche Wahrheit. Der Feind heißt Perfek­tion – und doch erscheint die perfekte Beherr­schung des Mediums immer wieder als Voraus­set­zung von allem weiteren. Das wird am besten deutlich in den erwähnten Bildern aus Bombay: Denn der Zynismus der Situation, die beab­sich­tigte Entlar­vung des distan­zierten Beob­ach­ter­stand­punkts, den Leth und wir Zuschauer quasi natur­gemäß einnehmen, wird gebrochen durch die Faszi­na­tion, mit der die Slum­be­wohner auf die ganze Szene blicken: Bild schlägt Botschaft, und Kunst Moral, jeden­falls im Kino.

Irgend­wann sprechen beide Regis­seure über Fußball und über den dänischen Mittel­feld­star Michael Laudrup, über den Leth einmal eine Doku­men­ta­tion gedreht hat. Laudrup, meint Leth, spielte zu elegant, um sich durch ein Foul je aufhalten zu lassen. In The Five Obstruc­tions ist zwar nicht immer klar, wer hier foult. Doch wird man als Zuschauer jeden­falls zum Zeugen eines eleganten Duells zwischen einem genialen Schön­spieler und einem bril­lanten Abwehr­re­cken, aufregend, voller Schönheit und Witz.