Coherence

USA/GB 2013 · 89 min.
Regie: James Ward Byrkit
Drehbuch:
Kamera: Nic Sadler
Darsteller: Emily Foxler, Maury Sterling, Nicholas Brendon, Elizabeth Gracen, Alex Manugian u.a.
Orientierungsverlust mit großem Spaß

Wenn Schrödingers Katze eine Dinnerparty stört

Groß, größer, Science-Fiction. Gerade hat Chris­to­pher Nolan mit Inter­stellar erneut gezeigt, dass die wissen­schaft­liche Fiktion das Genre für Mega­lo­manen par excel­lence ist. Da steht der Haupt­dar­steller für nicht weniger, als das Schicksal einer ganzen Nation und mutiert mal so eben vom einfachen Farmer zum Space-Cowboy, der durch Wurm­löcher düst, um auf einem inter­ga­lak­ti­schen Höllen­ritt neue Welten zu erschließen und selbst­ver­s­tänd­lich die gesamte Mensch­heit zu retten. – Anschei­nend ist solch ein extremer Aufwand inzwi­schen nötig, um in der außer­fil­mi­schen Realität das ange­schla­gene Selbst­be­wusst­sein von »God’s own country« wieder ein wenig aufzu­päp­peln.

Dass es durchaus auch ein, zwei Nummern kleiner geht, zeigen die Filme von Mike Cahill. Mit Another Earth (2011) und I Origins (2014) bricht er das Genre auf die mensch­liche Dimension herunter. Anstatt Prot­ago­nisten nur als Plat­zhalter für abstrakte und über­zo­gene Konzepte zu mißbrau­chen, inter­es­sieert Cahill sich dafür, welche konkreten Auswir­kungen welt­be­we­gende Ereig­nisse und Entwick­lungen auf das ganz persön­liche Leben seiner Prot­ago­nisten haben. Seine Haupt­dar­steller sind eher Helden wider Willen, als über­mensch­liche Welten­retter in gött­li­cher Mission.

Cahill hat sein Spiel­film­debüt Another Earth für lächer­liche 200.000 Dollar gedreht. Bei solch einem selbst nach europäi­schen Verhält­nissen äußerst beschei­denen Budget ist schlicht kein Geld für wilde Special-Effect-Orgien à la Inter­stellar vorhanden. Die hat Cahill auch nicht nötig, denn er setzt lieber auf Atmo­s­phäre und auf glaub­hafte Darsteller, in die man sich als Zuschauer wirklich einfühlen kann. Statt mit Technik zu protzen, setzt Cahill auf Hirn. Die für SciFi-Filme geringen Schau­werte seiner Filme ermög­li­chen es, sich ganz auf die philo­so­phi­schen Impli­ka­tionen seiner Geschichten zu konz­en­trieren. So taucht in Another Earth ein exaktes Doubel unseres Heimat­pla­neten am Himmel auf. Dies wirft Fragen auf, wie die, ob es uns selbst dort oben ebenfalls ein zweites Mal gibt und was das für unser persön­li­ches Schicksal bedeuten könnte.

Einen großen, sich der Erde nähernden Planeten zeigt auch Lars von Trier in seiner im selben Jahr wie Another Earth erschie­nenen Welt­un­ter­gangs­vi­sion Melan­cholia. Auch dieser Film ist sowohl inhalt­lich, als auch von seiner Gestal­tung her weit mehr ein Drama, als ein typischer auf tech­ni­schen Bombast setzender SciFi-Film. Wenn man diese Orien­tie­rung weg von aufge­bla­senen Special-Effect-Gewittern hin zu einer auf ein mensch­li­ches Maß einge­dampften Science-Fiction konse­quent weiter­denkt, kommt man unter Umständen zu einem so frechen Film, wie James Ward Byrkits Coherence.

In Byrkits Lang­film­debüt treffen sich vier mitein­ander befreun­dete Paare zu einer Dinner­party. Ihr seichter Small Talk wird unan­ge­neh­mer­weise durch eine folgen­schwere Anor­ma­lität im Raum-Zeit-Kontinuum gestört: Wie alle 100 Jahre fliegt auch in dieser Nacht der Miller­sche Komet an der Erde vorbei. Aller­dings ist der Abstand zwischen beiden Himmels­kör­pern diesmal besonders gering. Als überall das Licht ausgeht, zeigt sich, dass diese kosmische Begegnung konkrete Auswir­kungen auf die Erde hat. Aber dies ist erst der Anfang: Die Party­gäste müssen fest­stellen, dass es plötzlich sowohl ihr Haus, als auch sie selbst mehr als einmal gibt.

Ein wissen­schaft­li­ches Buch liefert scheinbar eine Erklärung: Ihre Situation gleicht der von Schrö­din­gers Katze. Diese befindet sich in einer Blackbox und ist solange niemand nach­schaut para­do­xer­weise zugleich tot und lebendig. – Was wird also passieren, wenn es wieder hell wird? – Natürlich ist diese Prämisse kompletter Unsinn. Die Situation der Party­gäste entspricht nicht wirklich jener der Katze in Schrö­din­gers Gedan­ken­ex­pe­ri­ment. Letzteres ist natürlich nicht als das Ergebnis eines realen Tier­ver­suchs zu verstehen, sondern soll lediglich ein Paradoxon der Quan­ten­theorie veran­schau­li­chen.

Das ist jedoch voll­kommen neben­säch­lich, denn Coherence ist überhaupt nicht daran gelegen, Probleme von kosmi­schen Ausmaßen zu behandeln. Dem Filme­ma­cher ist die philo­so­phi­sche Dimension seiner Geschichte ähnlich egal, wie den Party­gästen im Film. Coherence nimmt all die höchst bedeu­tungs­schwan­geren SciFi-Filme so kräftig auf die Schippe, dass es eine wahre Freude ist. Die Prot­ago­nisten gehen die Auswir­kungen der abson­der­li­chen Anor­ma­lität im Raum-Zeit-Kontinuum denkbar prag­ma­tisch an. Zudem sind sie zum Zeitpunkt des Eintritts in die kosmische Blackbox bereits kräftig ange­trunken.

Eine unruhige Hand­ka­mera, die meist recht nahe an den Darstel­lern ist, abrupte Schnitte und lange Schwarz­blenden spiegeln die Desori­en­tie­rung der Prot­ago­nisten und über­tragen sie auf den Kino­zu­schauer. Die Stimmung kippt von gedie­gener Lange­weile in Hysterie und Chaos. Das Schicksal der Menscheit ist diesen acht Freunden denkbar egal. Sie beschäf­tigt viel mehr die Frage, ob nicht jemand Drogen ins Essen gemischt hat.